Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2003

LSG Berlin-Brandenburg: witwenrente, ablauf der frist, echte rückwirkung, juristische person, hinterbliebenenrente, versicherung, rechtssicherheit, erlass, zustellung, beschwerdeschrift

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 RJ 90/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom
14. März 2003 mit der Ausnahme der Kostenentscheidung geändert. Die Klage wird
abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zur
Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung der großen Witwenrente ab 17. Dezember 1997.
Die im ... 1930 geborene Klägerin, die als Spätaussiedlerin nach § 4
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt ist, verzog am 17. Dezember 1997 von
Russland nach Deutschland. Sie ist die Witwe des am ... 1996 in Russland verstorbenen
D. E. (Versicherter). Weder die Klägerin noch der Versicherte haben in Deutschland
rentenrechtliche Zeiten zurückgelegt.
Die Klägerin bezieht seit 17. Dezember 1997 Regelaltersrente (Bescheide der Beklagten
vom 17. Juni 1998 und 05. November 1999). Die Beklagte legte dieser Rente anstelle der
nach dem Fremdrentengesetz (FRG) ermittelten Entgeltpunkten (Ost) von 30,0567 bzw.
36,8615 lediglich 25,0000 zugrunde.
Auf den Antrag auf Witwenrente stellte die Beklagte mit vorläufigem Rentenbescheid
vom 23. Juni 1998 fest, dass eine Witwenrente nicht zu leisten sei, da der Altersrente
bereits 25,0000 Entgeltpunkte zugrunde lägen.
Mit Bescheid vom 28. Juli 1998 stellte die Beklagte die große Witwenrente ab 17.
Dezember 1997 neu fest. Sie errechnete für anrechenbare Zeiten nach dem FRG
23,9877 persönliche Entgeltpunkte (Ost). Sie verfügte jedoch, dass eine Witwenrente
nicht gezahlt werde, da die Summe der Entgeltpunkte nach dem FRG aus der
Witwenrente und der Regelaltersrente mit insgesamt 48,9877 persönlichen
Entgeltpunkten (Ost) den Höchstwert von 25 Entgeltpunkten übersteige, auf den
insgesamt eine Zahlung zu begrenzen sei. Die Entgeltpunkte nach dem FRG seien
vorrangig aus der Regelaltersrente zu leisten.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
01. Juli 1999 zurück: Der nach § 22 b Abs. 1 FRG zulässige Höchstwert von 25
Entgeltpunkten beziehe sich nicht auf die einzelnen Renten, sondern auf den jeweiligen
Berechtigten. Habe ein Berechtigter Anspruch auf 2 Renten, dürften die FRG-Anteile
beider Renten zusammen 25 Entgeltpunkte nicht übersteigen.
Im April 2002 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R die Überprüfung der
Entscheidung über die Nichtleistung der Witwenrente.
Mit Bescheid vom 06. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
Dezember 2002 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab: Der Auffassung des BSG, wonach
eine Begrenzung einer Versicherten - und einer Hinterbliebenenrente auf zusammen 25
Entgeltpunkte nicht zulässig sei, werde nicht geteilt, denn dies sei weder mit dem
Gesetzeswortlaut noch dem Regelungszweck des § 22 b FRG vereinbar.
Dagegen hat die Klägerin am 20. Januar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage
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Dagegen hat die Klägerin am 20. Januar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage
erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt.
Sie hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06. August 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2002 zu verpflichten, die Bescheide vom
23. Juni 1998 und 28. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Juli
1999 zu ändern und die Witwenrente zu zahlen.
Mit Urteil vom 14. März 2003 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der
entgegenstehenden Bescheide verurteilt, der Klägerin große Witwenrente ab 11. April
1998 zu zahlen, und außerdem entschieden, dass die Beklagte die außergerichtlichen
Kosten der Klägerin trägt. Es hat sich hierbei auf die Entscheidung des BSG vom 30.
August 2001 - B 4 RA 118/00 R bezogen. Eine Zahlung vor dem 11. April 1998 komme
wegen § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht in Betracht, da erst zu
diesem Zeitpunkt der Antrag auf Überprüfung gestellt worden sei.
Gegen das ihr am 23. Juni 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 01. Juli 2003
eingelegte Berufung der Beklagten.
Sie trägt vor: Jedenfalls habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich durch rückwirkende
Neufassung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG durch Art. 9 Nr. 2 des am 26. Juli 2004
verkündeten Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen in der
gesetzlichen Rentenversicherung vom 21. Juli 2004 (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) die
Rechtslage klargestellt. Danach würden für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für
Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt 25
Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrunde gelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. März 2003 zu ändern und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Nichtauszahlung der dem Grunde nach bewilligten Witwenrente
verstoße gegen Art. 3 14 Grundgesetz (GG) sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten (04 010424 E 006), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die Witwenrente zu zahlen. Der
Bescheid vom 06. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
Dezember 2002 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die
Beklagte die Bescheide vom 23. Juni 1998 und 28. Juli 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 1999 ändert. Diese Bescheide sind nicht
rechtswidrig.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines
Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Nach § 22 b Abs. 1 Sätze 1 und 3 FRG in der Fassung des Art. 9 Nr. 2 RV-
Nachhaltigkeitsgesetz, der hinsichtlich des Satzes 1 rückwirkend zum 07. Mai 1996 in
Kraft getreten ist (Art. 15 Abs. 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz), werden für anrechenbare
Zeiten nach diesem Gesetz für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines
Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der allgemeinen
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Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der allgemeinen
Rentenversicherung zugrunde gelegt. Entgeltpunkte aus der Rente mit einem höheren
Rentenartfaktor sind vorrangig zu berücksichtigen.
Der Rentenartfaktor für die Regelaltersrente beträgt 1,0 (§ 67 Nr. 1 SGB VI), während der
für die große Witwenrente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des
Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist, 1,0 und anschließend 0,55 bzw. 0,6 beträgt
(§ 67 Nr. 6, § 255 Abs. 1 SGB VI).
Bei der Regelaltersrente der Klägerin als der Rente mit dem höheren Rentenartfaktor
sind bereits 25 Entgeltpunkte zugrunde gelegt worden, so dass für die große
Witwenrente keine weiteren Entgeltpunkte mit der Folge anrechenbar sind, dass diese
nicht zu leisten (zahlen) ist.
Es kann hierbei dahinstehen, ob mit den Bescheiden vom 23. Juni 1998 und 28. Juli 1998
überhaupt ein Anspruch auf große Witwenrente bindend anerkannt oder ob damit
lediglich deren Nichtleistung verfügt wurde.
Es bedarf auch keiner Entscheidung dazu, ob bei Erlass dieser Bescheide das Recht
unrichtig angewandt worden ist, auch wenn dies eine Tatbestandsvoraussetzung des §
44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist.
§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG lautete zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Bescheide nach Art.
3 Nr. 5 des Gesetzes vom 25. September 1996 (BGBl I 1996, 1461) wie folgt: Für
anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für einen Berechtigten (,der nach
dem 06. Mai 1996 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen
hat, siehe insoweit Art. 6 § 4 b Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz
in der Fassung des Art. 4 Nr. 4 des Gesetzes vom 25. September 1996) höchstens 25
Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zugrunde
gelegt. Durch Art. 12 Nr. 2 Gesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 2998) war § 22
b Abs. 1 Satz 3 FRG in der auch heute noch gültigen Fassung eingefügt worden.
Das BSG hat allerdings in den Urteilen vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 1/05 R, B 8 KN 10/04 R
und B 8 KN 9/04 R) klargestellt, dass § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. entgegen der Ansicht
der Beklagten die in einer Rente für FRG-Zeiten zugrunde zu legenden persönlichen
Entgeltpunkte nicht in der Weise zu begrenzen sind, dass die Höchstgrenze nach dieser
Vorschrift von 25 persönlichen Entgeltpunkten auch für den Fall des Zusammentreffens
einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente gilt, wenn für beide
Renten FRG-Zeiten berücksichtigt sind. Das BSG hat damit ausdrücklich an seiner
früheren Rechtsprechung (Urteile vom 07. Juli 2004 - B 8 KN 10/03 R, abgedruckt in SozR
4-5050 § 22 b Nr. 2, vom 11. März 2004 - B 13 RJ 44/03 R, abgedruckt in SozR 4-5050 §
22 b Nr. 1 und vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R, abgedruckt in SozR 3-5050 § 22
b Nr. 2) festgehalten.
Die danach fehlerhafte Rechtsanwendung der Beklagten begründet gleichwohl keinen
Rücknahmeanspruch, denn der Klägerin sind deswegen keine Sozialleistungen zu
Unrecht vorenthalten worden. Maßgebend ist nämlich insoweit die materielle Rechtslage,
wie sie sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der
Überprüfungsentscheidung ergibt. Rechtsänderungen, die nach Erlass der
angefochtenen Entscheidung während des Rechtsstreites eintreten, sind zu beachten,
wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige
Rechtsverhältnis erfasst. Dies ist vorliegend der Fall, denn § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F.
ist rückwirkend zum 07. Mai 1996 ersetzt worden (so BSG, Urteile vom 21. Juni 2005 - B
8 KN 9/04 R, B 8 KN 10/04 R und B 8 KN 1/05 R).
§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ist auch nicht verfassungswidrig.
Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, der das Eigentum schützt, scheidet bereits
deswegen aus, weil ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente (bereits nach einem
ausschließlich in der bundesdeutschen Rentenversicherung Versicherten) nicht vom
Eigentumsschutz dieser Norm erfasst wird (vgl. Bundesverfassungsgesetz - BVerfG -
Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318, 1484/86, abgedruckt in BVerfGE 97, 271).
Art. 3 Abs. 1 GG, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, ist ebenfalls nicht
verletzt. Die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber solchen Hinterbliebenen, deren
Renten auf anrechenbaren Zeiten nach dem SGB VI beruhen, ist dadurch gerechtfertigt,
dass ihrer Rente im Unterschied zu deren Rente keine Beiträge zur bundesdeutschen
Rentenversicherung zugeordnet werden können und damit deren Gewährung
ausschließlich aus sozialstaatlichen Gründen erfolgt (vgl. BSG, Urteile vom 21. Juni 2005,
a.a.O.).
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Schließlich ist auch nicht das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Zwar
bedeutet die rückwirkende In-Kraft-Setzung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. zum 07.
Mai 1996 eine so genannte echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen, die
nach dieser Vorschrift grundsätzlich verboten ist. Dieses Verbot kann jedoch
ausnahmsweise durchbrochen werden. Dies gilt insbesondere, wenn sich kein
schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts hat bilden können,
insbesondere wenn das geltende Recht unklar und verworren war, so dass eine baldige
Klärung erwartet werden musste. Solange umstritten ist, ob eine Norm einen
Rentenanspruch begründet und darüber zahlreiche Prozesse anhängig sind, greifen
Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht ein. In diesem Fall entsteht
Rechtssicherheit hinsichtlich des Norminhalts erst durch die Rechtsprechung,
insbesondere die des zuständigen höchsten Fachgerichts und/oder eine ständige Praxis
der Gesetzesanwendung, die dann Grundlage für eine schutzwürdige Vertrauensbildung
wird. Bei einer unklaren Rechtslage, die erst durch höchstrichterliche Rechtsprechung
geklärt wird, ist Rechtssicherheit hinsichtlich des Normverständnisses aber bis zu dieser
Klärung nicht vorhanden und dementsprechend kann sich berechtigtes Vertrauen des
Betroffenen als Gegenstück der Rechtssicherheit erst mit und ab dieser Klärung bilden.
Nicht anders ist im Ergebnis die Situation zu beurteilen, wenn erst durch die
Rechtsprechung ein Norminhalt erschlossen wird, der zuvor wegen der besonderen
Auslegungsprobleme nicht erkannt wurde. Die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist
regelmäßig auch ab einem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung nicht mehr
möglich (so BSG, Urteile vom 21. Juni 2005, a.a.O. unter Hinweis auf die entsprechende
Rechtsprechung des BVerfG).
Das BSG hat unter Berücksichtigung dieser Grundsätze in seinen Urteilen vom 21. Juni
2005 festgestellt, dass das RV-Nachhaltigkeitsgesetz schutzwürdiges Vertrauen in den
für die Betroffenen günstigen Norminhalt des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. nicht
verletzt, denn ein solches Vertrauen konnte sich vor dem Gesetzesbeschluss am 11.
März 2004 über das RV-Nachhaltigkeitsgesetz nicht bilden, so dass es auch keiner
Übergangsregelung bedurfte. Das BSG hat dazu im Einzelnen ausgeführt: Bis zum Urteil
des 4. Senats vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R wurde die Vorschrift des § 22 b
Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. von den Rentenversicherungsträgern durchgehend dahin
verstanden, dass der Höchstwert von 25 Entgeltpunkten alle für FRG-Zeiten ermittelten
Entgeltpunkte erfasse, unabhängig davon, aus welcher Versicherung sie stammten, also
auch beim Zusammentreffen einer eigenen mit einer Rente wegen Todes. Dieses
Verständnis wurde, soweit ersichtlich, von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz
und den Betroffenen nicht in Frage gestellt. Der objektive Regelungsinhalt der Norm, wie
ihn das BSG festgestellt hat, war mithin den Betroffenen zunächst nicht erkennbar. Das
BSG hat ihn auch nur mit einem erheblichen Interpretationsaufwand unter
rechtssystematischen und übergeordneten Gesichtspunkten der Rechtsklarheit
bestimmen können. Die Auslegung des 4. Senats im Urteil vom 30. August 2001
überraschte daher und stieß auf erhebliche Kritik. Die Rentenversicherungsträger
verabredeten, ihr nicht zu folgen. Die Gerichte der unteren Instanzen schlossen sich nur
teilweise der Auslegung des 4. Senates an. Andere Gerichte widersprachen der
Auslegung des 4. Senates teilweise auch noch nach Bestätigung dieser Auslegung durch
die Urteile des 13. Senates vom 11. März 2004 und des 8. Senates vom 07. Juli 2004.
Hinzu kommt, dass die Entscheidung des 4. Senats noch keine Antwort darauf gab,
welche Begrenzung der Entgeltpunkte für FRG-Zeiten bei der Hinterbliebenenrente gilt,
wenn sich § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. nicht auf das Zusammentreffen einer eigenen
Rente mit einer Hinterbliebenenrente bezieht. Wie die nachfolgenden Urteile des 13. und
8. Senats zeigen, ergeben sich insoweit Unterschiede, je nach dem, ob der verstorbene
Ehegatte bereits vor oder nach der Übersiedlung verstorben ist bzw. die Ehegatten zu
Lebzeiten bereits Renten auf der Grundlage von nach § 22 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3
FRG begrenzten Entgeltpunkten bezogen haben. Angesichts dessen konnte von der
Entscheidung des 4. Senats noch keine Rechtssicherheit ausgehen. Erst mit den Urteilen
des 13. Senats vom 11. März 2004 und des 8. Senats vom 07. Juli 2004 konnte erwartet
werden, dass es bei der vom 4. Senat vorgenommenen Auslegung des § 22 b Abs. 1
Satz 1 FRG a. F. bleiben werde. Ein berechtigtes Vertrauen in diese Auslegung konnte
sich jedoch wegen des bereits am 11. März 2004 erfolgten Gesetzesbeschlusses über
das RV-Nachhaltigkeitsgesetz, mit dem § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG seine nunmehrige
Fassung erhielt, nicht mehr bilden.
In den weiteren Urteilen vom 05. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R und B 5 RJ 39/04 R) hat
das BSG diese Rechtsprechung bestätigt.
Der Senat schließt sich den Urteilen des BSG vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 9/04 R, B 8 KN
1/05 R und B 8 KN 10/04 R) und vom 05. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R, B 5 RJ 39/04 R)
aus den dort genannten Gründen, die er für überzeugend hält, an.
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Die Berufung der Beklagten hat daher in der Hauptsache Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie
berücksichtigt zum einen, dass die Klägerin auf der Grundlage der o. g. Rechtsprechung
des BSG zu § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. voraussichtlich erfolgreich gewesen wäre,
wenn diese Vorschrift nicht rückwirkend durch § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ersetzt
worden wäre. Da diese Rechtsänderung erst nach Verkündung des Urteils des
Sozialgerichts vom 14. März 2003 erfolgte, ist es sachgerecht, dass die Beklagte die
erstinstanzlich entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollem Umfang
trägt. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens hat sie hingegen nur zur
Hälfte zu erstatten, denn die Klägerin hat den Rechtsstreit nach der Neufassung des §
22 b Abs. 1 Satz 1 FRG fortgeführt, der ihr Begehren nicht trägt.
Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 SGG) liegen nicht vor.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich
vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung
der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen
Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich
beim
Bundessozialgericht
Postfach 41 02 20
34114 Kassel
Graf-Bernadotte-Platz 5
34119 Kassel,
einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem
Bundessozialgericht eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
- die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen
von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen
von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche
Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem
sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und
die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres
Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten und
die kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind,
- Bevollmächtigte, die als Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, handeln, wenn
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Vereinigung für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet,
- jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt.
Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie private
Pflegeversicherungsunternehmen brauchen sich nicht durch einen
Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils schriftlich zu
begründen.
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- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder
- die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts von der das Urteil
abweicht, oder
- ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann,
bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 I
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz
nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne
hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht
schon durch einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der oben genannten Gewerkschaften
oder Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines
Rechtsanwalts beantragen.
Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim
Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen
Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und
Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der
Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen
Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen
der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse -
gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die
Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim
Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt
benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht,
einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende
Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die
übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
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