Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.09.2010

LSG Berlin-Brandenburg: wohnheim, heizung, miete, leistungsbezug, tagessatz, hauptsache, energie, bestandteil, einwilligung, beleuchtung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 5 AS 1540/10 B PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 20 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs
1 S 1 SGB 2
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Wohnheim -
unmittelbare Zahlung der Miete in Form eines Tagessatzes
durch Grundsicherungsträger - kein Abzug einer
Energiekostenpauschale von der Regelleistung
Leitsatz
Ist ein Empfänger von Arbeitslosengeld II in einem Wohnheim untergebracht, das für
Unterkunft und Heizung einschließlich aller Nebenkosten wie Energie und Warmwasser einen
bestimmten Tagessatz als Miete fordert, und übernimmt der Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende die Kosten der Unterkunft und Heizung durch Zahlung der fälligen
Tagessätze unmittelbar an das Wohnheim, so darf die dem Leistungsempfänger gewährte
Regelleistung nicht um eine Energiepauschale (für Kosten der Haushaltsenergie und
Warmwasser) gekürzt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2.
August 2010 geändert. Für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin wird dem Kläger
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M G, S, B, gewährt. Raten oder
Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Streitig ist in der Hauptsache die Höhe der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom
Beginn des Leistungsbezugs des Klägers bis jedenfalls zum 30. Juni 2008 und dabei der
Abzug einer Energiekostenpauschale.
Der 1945 geborene Kläger steht seit langem, jedenfalls seit dem Jahr 2006, bei dem
Beklagten im Leistungsbezug. Er bewohnte im streitbefangenen Zeitraum wie auch
heute ein Zimmer in einem Wohnheim. Die vom Beklagten unmittelbar an das
Wohnheim überwiesene Miete, die in den Jahren 2007 und 2008 täglich 17,90 Euro
betrug, umfasst sämtliche Kosten der Unterkunft einschließlich aller Heizungs- und
Energiekosten. Der Kläger selbst erhielt die um eine monatliche Energie- und
Warmwasserpauschale in Höhe von 30,- Euro gekürzte Regelleistung.
Unter dem 19. Juli 2008 beantragte er die Auszahlung der einbehaltenen Beträge für
Energiekosten, was der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2009 ablehnte. Den dagegen
erhobenen Widerspruch wies der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 21. September
2009 zurück. Daraufhin hat der Kläger am 16. Oktober 2009 Klage zum Sozialgericht
Berlin erhoben, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Nachdem sich herausgestellt
hatte, dass dieser Widerspruchsbescheid sich mit einer anderen, zwischen den
Beteiligten ebenfalls streitigen Problematik beschäftigte, bat der Beklagte, ihn als
gegenstandslos zu betrachten. Mit neuem Widerspruchsbescheid vom 10. November
2010 wies er den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, der an das
Wohnheim überwiesene Tagessatz enthalte bereits die an sich aus dem Regelsatz zu
bestreitenden Kosten für Haushaltsenergie und Warmwasser, weshalb die Regelleistung
entsprechend zu kürzen sei.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe hat
Erfolg, denn sie ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und
begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im
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Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im
sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO)
entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in
Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint (vgl. § 114 ZPO). Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung haben bei
der Antragstellung vorgelegen und liegen auch heute noch vor. Der Antragsteller steht
bei dem Antragsgegner im Leistungsbezug; er ist bedürftig im Sinne des § 114 ZPO.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts hat die Sache auch hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des §
114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des
Streitstoffs. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe
vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für
die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus,
nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance". Prozesskostenhilfe darf daher nur
dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache fernliegend ist (BVerfG,
Beschlüsse vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190, und vom 7. April 2000 -
1 BvR 81/00, NJW 2000, 1936).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klage hinreichende Erfolgsaussicht.
Streitgegenständlich sind - im Rahmen der Überprüfung der im streitgegenständlichen
Zeitraum ergangenen Bewilligungsbescheide - nicht die Kosten der Unterkunft, die von
dem Beklagten in voller Höhe übernommen worden sind, sondern allein die Höhe der
Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der Kläger hatte Anspruch auf die volle Regelleistung; zu Unrecht hat der Beklagte eine
Kürzung in Höhe von 30,- Euro monatlich vorgenommen.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1
SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet, noch nicht zum Bezug einer
Regelaltersrente berechtigt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen
Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben. Diese Voraussetzungen liegen
im Fall des Klägers vor. Sein Anspruch auf Arbeitslosengeld II setzt sich nach § 19 Satz 1
SGB II aus der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II) und den
hier nicht streitigen Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) zusammen. Die
monatliche Regelleistung umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege,
Hausrat und Haushaltsenergie, ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe
des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und
eine Teilnahme am kulturellen Leben. Wie das Bundessozialgericht (BSG) zum Beispiel
mit Urteil vom 27. Februar 2008 (B 14/11 b AS 15/07 R, zitiert nach juris) ausgeführt hat,
umfasst die Position der Haushaltsenergie unter anderem Stromverbrauch,
Kochenergie, Beleuchtung und Warmwasserbereitung. Weil diese Kosten aus der
Regelleistung zu bestreiten sind, können sie dem Kläger an dieser Stelle nicht, jedenfalls
nicht ohne seine ausdrückliche Einwilligung, abgezogen werden (vgl. auch BSG, Urteil
vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 9/08 R, zitiert nach juris). Sind sie Bestandteil pauschal
berechneter Kosten der Unterkunft, so müssen sie dort in Abzug gebracht werden.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 73 a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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