Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.06.2004

LSG Berlin-Brandenburg: altersrente, soziale sicherheit, beitragszeit, verwaltungsakt, anerkennung, arbeitslosigkeit, versicherungspflicht, tankwart, verordnung, firma

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 RJ 76/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 96 SGG, § 4 FRG, § 15 FRG, §
16 FRG
Anrechnung einer Tätigkeit als Agenturkraft in Polen als
Versicherungszeit
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10.
Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob weitere Beitragszeiten bei der Berechnung der dem Kläger gewährten
Altersrente zu berücksichtigen sind.
Der am 09. Juni 1939 in Polen geborene Kläger siedelte am 09. April 1974 in die
Bundesrepublik über. Er ist deutscher Staatsangehöriger und Inhaber des
Vertriebenenausweises A.
Im Rahmen der Bearbeitung eines Antrags auf Gewährung einer Rente wegen
Erwerbsminderung im September 1999 klärte die Beklagte auch die in Polen
zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten. Der Kläger gab dazu an, vom 15.
Oktober 1956 bis 05. November 1960 als Kraftfahrer und vom 24. Oktober 1960 bis 28.
Februar 1974 als Tankwart aufgrund eines Agenturvertrags gearbeitet und bei dem
polnischen Versicherungsträger ZUS versichert gewesen zu sein. Er legte dazu das
polnische Legitimationsbuch sowie Zeugnisse und Bescheinigungen vor. Auf Nachfrage
der Beklagten bestätigte die ZUS mit Schreiben vom 24. November 1999 u.a. die
Tätigkeit vom 24. Oktober 1960 bis 28. Februar 1974 als Agent im Agenturvertrag und
die Zugehörigkeit zum System der Rentenversicherung nach Sondervorschriften.
Beigefügt war eine entsprechende Bescheinigung des ehemaligen Arbeitgebers vom 12.
November 1999. Mit bindendem Bescheid vom 13. Januar 2000 lehnte die Beklagte den
Rentenantrag ab.
Gegen den Vormerkungsbescheid vom 13. März 2000, mit dem die Beklagte die
Anerkennung der Zeit vom 24. Oktober 1960 bis 30. September 1966 als
rentenrechtliche Zeit ablehnte und dessen Versicherungsverlauf als Anlage zu dem
Vormerkungsbescheid eine dementsprechende Lücke aufwies, legte der Kläger gegen
Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, er sei in der Zeit vom 24. Oktober 1960 bis
28. Februar 1974 als Angestellter bei einer Tankstelle tätig und nicht selbständig
gewesen zu sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2000 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Die geltend gemachte Zeit habe nach dem deutsch-polnischen
Sozialversicherungsabkommen vom 09. Oktober 1975 nicht anerkannt werden können,
da der Kläger aufgrund eines sog. Agenturvertrags tätig gewesen sei. Nach polnischem
Recht habe erst durch die Verordnung vom 06. September 1966 ab 01. Oktober 1966
Versicherungspflicht bestanden. Aus diesem Grund scheide eine Anerkennung als
Beitragszeit nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) aus. Die Tätigkeit als Agenturkraft
entspreche einer selbständigen Tätigkeit, so dass eine Berücksichtigung nach § 16 FRG
ebenfalls nicht erfolgen könne, da von dieser Vorschrift nur abhängige Beschäftigungen
erfasst würden.
Dagegen erhob der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin, Az.: S 30 RJ 1184/00, und
legte eine Bescheinigung des Polnischen Petrolkonzerns „O“ vom 06. September 2000
vor, wonach er in der Zeit vom 24. Oktober 1960 bis 28. Februar 1974 auf der Basis
eines Agenturvertrags tätig gewesen sei. Dieser Zeitraum sei eine Beschäftigungszeit
im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 Punkt 13 des Gesetzes vom 17. Dezember 1998 über
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im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 Punkt 13 des Gesetzes vom 17. Dezember 1998 über
Altersversorgung und Renten aus dem Fonds der Sozialversicherungen.
Auf Befragen des Gerichts teilte die ZUS mit Schreiben vom 12. Januar 2001 unter
Bezugnahme auf ein Schreiben an die Beklagten vom 19. Dezember 2000 mit, der
Kläger habe vom 24. Oktober 1960 bis 04. Januar 1966 aufgrund eines Arbeitsvertrags
als Pumpenarbeiter gearbeitet. Die Zeit vom 05. Januar 1966 bis 28. Februar 1974 habe
er aufgrund eines Agenturvertrags zurückgelegt. Das Schreiben vom 24. November
1999 werde „annulliert“. Beigefügt war ein Arbeitszeugnis vom 19. Dezember 2000 über
die Zeit vom 24. Oktober 1960 bis 04. Januar 1966. Das Arbeitsverhältnis sei auf Bitten
des Arbeitnehmers, also des Klägers, beendet worden.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2001 merkte die Beklagte auch die Zeit vom 06.
November 1960 bis 04. Januar 1966 als glaubhaft gemachte Beitragszeit (5/6-
Anrechnung) an. Dagegen erhob der Kläger Einwendungen wegen der 5/6- Anrechnung.
Im Termin am 09. November 2001 nahm der Kläger die Klage zurück, nachdem sich die
Beklagte bereit erklärt hatte, ihm eine Vergleichsberechnung über eine zu erwartende
Altersrente unter Berücksichtigung der Zeit vom 24. Oktober 1960 bis 04. Januar 1966
unter 5/6- Anrechnung und unter voller Anrechnung zu erteilen.
Am 05. Dezember 2001 stellte der Kläger zunächst einen Antrag auf Gewährung einer
Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ab dem
frühestmöglichen Zeitpunkt. Am 31. Mai 2002 stellte er außerdem einen Antrag auf eine
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Mit Schreiben vom 15. Juni 2002 erklärte er
ausdrücklich, der Rentenbeginn solle der 01. Januar 2002 (ohne Abschläge) für eine
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit sein. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 gewährte die
Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01. Januar 2002 in Höhe
von 848,59 €. Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage von 35,7845 Entgeltpunkten
(EP) und einem Zugangsfaktor von 1,0. Den dagegen eingelegten Widerspruch
begründete der Kläger damit, er sei mit der Nichtanrechnung der Zeit vom 05. Januar bis
30. September 1966 nicht einverstanden, obwohl er darüber heute in der A+B- Stelle
aufgeklärt worden sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.
September 2002 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger erneut Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er
sein Ziel, die Neuberechnung seiner Altersrente unter Berücksichtigung einer
Beitragszeit vom 05. Januar bis 30. September 1966 zu erreichen, weiter verfolgt hat. Er
habe in der Zeit vom 24. Oktober 1960 bis 28. Februar 1974 durchgehend
Rentenversicherungsbeiträge zur polnischen Sozialversicherung gezahlt.
Durch Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen
und zur Begründung ausgeführt, Grundlage für die Versicherungspflicht von Personen,
die aufgrund eines Agenturvertrags tätig seien, bilde seit dem 01. Januar 1976 das
polnische Gesetz vom 19. Dezember 1975 über die Sozialversicherung von Personen,
die als Agenturkraft aufgrund eines Agenturvertrags für staatliche Betriebe bzw.
Einrichtungen der vergesellschafteten Wirtschaft tätig seien in Verbindung mit der
Verordnung vom 06. September 1966, die ab 01. Oktober 1966 in Kraft getreten sei.
Erst ab diesem Zeitpunkt sei die Zeit des Klägers als Agent zu berücksichtigen gewesen.
Eine Anrechnung der Zeit vor der Einführung der Versicherungspflicht vom 05. Januar bis
30. September 1966 sei aufgrund von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 12. März
1976 seit dem 01. Juli 1990 ausgeschlossen. Eine Anerkennung von Beitragszeiten nach
§ 15 FRG entfalle somit, da Beiträge nicht entrichtet worden seien. Eine Anerkennung
nach § 16 FRG scheide aus, weil Agenturkräfte nicht abhängig beschäftigt seien, es
handele sich vielmehr um eine überwiegend selbständige Tätigkeit.
Gegen den am 08. Juli 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 06. August
2004 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiter verfolgt und sich
zur Begründung erneut auf die Bescheinigung der Firma „O“ vom 06. September 2000
beruft.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2004 aufzuheben und
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19. Juni 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19. September 2002 zu verurteilen, ihm eine höhere
Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten vom 05. Januar 1966 bis zum
30. September 1966 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2005 hat die ZUS dem Kläger ab 09. Juni 2004 eine Rente
nach den Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 bewilligt.
Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 11. August 2005 die Altersrente des
Klägers ab 01. Mai 2004 neu festgestellt, weil zu diesem Zeitpunkt die Verordnungen
(EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 auch für Polen in Kraft getreten sei. Dem Kläger sei
vom polnischen Versicherungsträger ab 09. Juni 2004 eine Rente nach den genannten
Verordnungen gewährt worden. Nach § 31 FRG ruhe die deutsche Rente in Höhe des in €
umgerechneten fremden Betrags, wenn der Berechtigte von einem fremden
Leistungsträger für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten eine Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer solchen eine andere Leistung
erhalte. Dadurch ergäben sich Auswirkungen auf die Höhe der zuerkannten deutschen
Rente. Es sei deshalb beabsichtigt, den Bescheid vom 19. Juni 2002 in Bezug auf die
festgestellte Rentenhöhe gemäß § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) aufzuheben und den
mit diesem bescheid errechneten überzahlten Betrag gemäß § 50 SGB X
zurückzufordern. Dieser Bescheid gelte insofern als Anhörung. Die persönlichen
Entgeltpunkte der zwischenstaatlichen Rente sind mit 35,7955 errechnet worden.
Mit Bescheid vom 29. August 2006 hat die Beklagte die Rente wie angekündigt neu
festgestellt und einen überzahlten Betrag in Höhe von 31,66 € von dem Kläger
zurückgefordert, da ihm mit Bescheid der ZUS vom 21. Juni 2005 ab 09. Juni 2004 eine
Rente nach den Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 bewilligt worden sei. Der
Bescheid vom 19. Juni 2002 in der Fassung des Bescheides vom 11. August 2005 werde
deshalb in Bezug auf die festgestellte Rentenhöhe gemäß § 48 SGB X vom 01. Juli 2004
an aufgehoben. Der überzahlte Betrag sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten und werde,
sein Einverständnis vorausgesetzt, einmalig von der Rente für Oktober 2006
einbehalten.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die beiden Bescheide seien gemäß § 96 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die
Gerichtsakte S 30 RJ 1184/00 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Streitig ist allein, ob die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung einer weiteren
Beitragszeit vom 05. Januar 1966 bis zum 30. September 1966 neu zu berechnen ist.
Eine Entscheidung zu diesem Streitgegenstand hat die Beklagte mit dem
angefochtenen Bescheid vom 19. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19. September 2002 getroffen.
Die weiteren Bescheide vom 11. August 2005 und 29. August 2006 sind entgegen der
von der Beklagten erteilten Rechtsbehelfsbelehrung nicht gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden.
Nach § 123 SGG darf das Gericht nur über die vom Kläger erhobenen Ansprüche
entscheiden. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren wird der erhobene Anspruch als
Streitgegenstand nach Inhalt und Umfang allein vom Kläger mit seiner Klage - seinem
prozessualen Begehren - bestimmt. Streitgegenstand ist nach der herrschenden
prozessualen Theorie, der auch das BSG in ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. z.B.
BSGE 18, 266; BSGE 21, 13, 15), der prozessuale Anspruch, nämlich das vom Kläger
aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren, eine -
bestimmte oder bestimmbare - Rechtsfolge auszusprechen. Der Streitgegenstand ist
also identisch mit dem erhobenen prozessualen Anspruch und wird bestimmt durch die
erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den
Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (so
BSG SozR 3-1500 § 96 Nr. 9 m.w.N.).
Nach dem vom Kläger sowohl im Widerspruchsverfahren als auch in der ersten und
zweiten Instanz formulierten Begehren war Streitgegenstand das Begehren, den
monatlichen Wert seines von der Beklagten bindend zuerkannten Rechts auf Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit ab 01. Januar 2002 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer
weiteren Beitragszeit vom 05. Januar bis 30. September 1966 höher als bislang
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weiteren Beitragszeit vom 05. Januar bis 30. September 1966 höher als bislang
festzustellen. Nur insoweit hat der Kläger eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage ( § 54 Abs. 4 SGG ) auf Gewährung einer höheren Rente erhoben. Er hat
damit zum Ausdruck gebracht, dass er die (teilbare) Festsetzung des Rentenwerts nur
insoweit aufgehoben wissen wollte, als damit ab 01. Januar 2002 die Gewährung einer
höheren Altersente als 848,59 € abgelehnt worden war.
Wird ein teilbarer Verwaltungsakt nur hinsichtlich seines nicht streitbefangenen Teils
durch einen später ergangenen weiteren Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt, ist für
eine Einbeziehung dieses später ergangenen Verwaltungsakts nach § 96 Abs. 1 SGG in
ein den ursprünglichen Verwaltungsakt betreffendes gerichtliches Verfahren kein Raum
(vgl. BSG SozR 3-8585 § 2 Nr. 2;BSG vom 31. Juli 2002, Az.: B 4 RA 113/00 R). Ein
anderes Verständnis des § 96 SGG würde ansonsten in diesen Fällen zur Folge haben,
dass ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klage- oder - wie hier - des
Berufungsverfahrens werden könnte, obwohl die in dem neuen Verwaltungsakt
getroffene Regelung sich überhaupt nicht auf den vom Kläger (allein) mit seinem
Klagebegehren bestimmten Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens bezieht. Ein
bloßer Sachzusammenhang mit dem Streitgegenstand, dem erhobenen (prozessualen)
Anspruch, ist aber - auch soweit das BSG eine analoge Anwendung des § 96 SGG bei
Dauerrechtsverhältnissen für geboten gehalten hat - nicht ausreichend, um einen neuen
Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens i.S. des § 96 SGG zu machen (so BSG
SozR 3-1500 § 96 Nr. 9 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die Bescheide vom 11. August 2005 und
29. August 2006 nicht gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens
geworden, denn weder ersetzen sie die Entscheidung, dem Kläger eine Altersrente in
Höhe von 848,59 € zu gewähren, noch ändern sie diese ab. Mit den Bescheiden wird
vielmehr eine neue Regelung wegen des Zusammentreffens der gewährten -
innerstaatlichen - Rente mit der durch den Beitritt Polens zur Europäischen Union zu
gewährenden polnischen Rente in Höhe von 15,52 € getroffen. Damit ändert sich durch
die Anrechnung der zweiten Rente nur der Auszahlbetrag der Altersrente. Dabei handelt
es sich nicht um einen identischen Streitgegenstand, denn über den Geldwert des
Rechts auf die inländische Rente wird in den Bescheiden aus 2005 und 2006 nicht
entschieden, sie ist allein ein Berechnungsfaktor bei der Anrechnung der polnischen
Rente.
Da der Kläger die Aufhebung oder Abänderung dieser Bescheide nicht beantragt hat,
war nicht darüber zu entscheiden, ob sie im Wege der - zulässigen - Klageerweiterung
gemäß §§ 153 Abs. 1, 99 Abs. 1 SGG in das Berufungsverfahren einbezogen worden
sind.
Die insoweit zulässige Berufung ist aber unbegründet. Der Kläger hat, wie das
Sozialgericht mit zutreffender Begründung entschieden hat, keinen Anspruch auf
Berücksichtigung einer weiteren Beitragszeit vom 05. Januar 1966 bis zum 30.
September 1966, während der er aufgrund eines Agenturvertrags in Polen als Tankwart
tätig war.
Die Entscheidung dieser Frage richtet sich grundsätzlich nach dem am 01. Mai 1976 in
Kraft getretenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 09. Oktober 1975 (DPRA
1975), das auf den Kläger noch Anwendung findet, weil er vor dem 01. Januar 1990,
nämlich am 09. April 1974, in die Bundesrepublik übergesiedelt ist (Art. 27 Abs. 2 S. 1
und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen über Soziale Sicherheit vom 08. Dezember 1990 - DPSVA 1990 -).
Nach Art. 4 Abs. 2 DPRA 1975 berücksichtigt der Rentenversicherungsträger des
Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt, hier also die Beklagte, bei der
Feststellung der Rente nach den für ihn geltenden Vorschriften Versicherungszeiten u.a.
im anderen Staatsgebiet (Polen) so, als ob sie in seinem Staatsgebiet zurückgelegt
worden wären.
Nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes vom 12. März 1976 zu dem Abkommen vom 09.
Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen
über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 09. Oktober
1975 (Zustimmungsgesetz) in der ab dem 01. Juli 1990 geltenden Fassung sind Zeiten,
die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, bei der
Feststellung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in
Anwendung des FRG und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes
zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
nach dem Stand vom 02. Oktober 1990 wohnt. Durch diese mit Wirkung zum 01. Juli
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nach dem Stand vom 02. Oktober 1990 wohnt. Durch diese mit Wirkung zum 01. Juli
1990 geänderte Regelung wird sichergestellt, dass polnische Abkommenszeiten nur
noch in Anwendung des FRG zu berücksichtigen sind. Polnische Abkommenszeiten sind
also nur noch insoweit relevant, als auch das bundesdeutsche Recht eine
Berücksichtigung zulässt (BSG SozR 3-6710 Art. 4 Nr.1; Bayerisches LSG vom 21.
August 2001, L 6 RJ 640/00).
Da der Kläger anerkannter Vertriebener ist, kann er allerdings auch direkt über die
Vorschriften des FRG (§ 1) i.V.m. SGB VI Rente beanspruchen.
Nach § 15 Abs. 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der
gesetzlichen Rentenversicherung, hier der polnischen ZUS, zurückgelegt sind, den nach
Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
Gemäß § 4 Abs. 1 FRG genügt es für die Feststellung der nach diesem Gesetz
erheblichen Tatsachen, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft
gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche
erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.
Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, denn der Kläger hat weder mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, in der
Zeit vom 05. Januar bis 30. September 1966 Beiträge zum polnischen
Rentenversicherungsträger entrichtet zu haben. Die geltend gemachten Zeiten stehen
deshalb nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG nach Bundesrecht zurückgelegten Zeiten
gleich.
Der Kläger war ab 05. Januar 1966 als Tankwart im Rahmen eines Agenturvertrags tätig,
was durch die ZUS mit Schreiben vom 19. Dezember 2000 und Bescheinigungen der
Firma „O“ nachgewiesen ist und der Kläger auch nicht bestreitet. Kennzeichnend für
Tätigkeiten als Agenturkraft in Polen ist, dass sich diese nicht am polnischen
Arbeitsrecht orientieren, sondern stärker durch selbständige und freiberufliche Merkmale
geprägt sind. Agenturverträge werden üblicherweise für Tätigkeiten geschlossen, die das
eigenverantwortliche Betreiben bzw. Führen von zu diesem Zweck von
Handelsorganisationen oder anderen staatlichen bzw. verstaatlichten Stellen
überlassenen Einrichtungen auf eigenes Risiko zum Gegenstand haben (vgl.
Poletzky/Pflaum, Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und Polen vom
09. Oktober 1975, Stand: 31. Dezember 1998, herausgegeben von der LVA Berlin, Teil C,
Abschnitt 3.8.4. II). Mit der Verordnung vom 06. Juni 1966, die ab 01. Oktober 1966 in
Kraft getreten ist, sind Tankstellenverwalter, die eine Tankstelle als Agenturkraft
betreiben, in ein polnische Sondersystem einbezogen und zur Beitragsentrichtung
herangezogen worden. (Poletzky/Pflaum, a.a.O. Teil C Abschnitt 3.8.4.3 und 3.8.4.4.). Ab
diesem Zeitpunkt hat die Beklagte auch Beitragszeiten bei der Rentenberechnung
berücksichtigt.
Die Einbeziehung der Sondersysteme in die polnische Sozialversicherung stützt sich auf
die Ermächtigung in Art. 47 des polnischen Handwerkergesetzes vom 29. März 1965
bzw. Art. 65, 66 des Handwerkergesetzes vom 08. Juni 1972 (Poletzky/Pflaum, a.a.O. Teil
C Abschnitt 3.8.4.). Erst durch das Gesetz vom 19. Dezember 1975 über die
Sozialversicherung von Personen, die aufgrund eines Agentur- oder Auftragsvertrags für
Einheiten der vergesellschafteten Wirtschaft tätig sind, ist mit Wirkung zum 01. Januar
1976 eine Versicherungspflicht in der Sozialversicherung begründet worden.
Für die Zeit ab 05. Januar 1966 waren daher Beitragzeiten nach § 15 FRG nicht
festzustellen, denn vor dem 01. Oktober 1966 hat keine Beitragspflicht in der polnischen
gesetzlichen Rentenversicherung bestanden und der Kläger hat auch keine Beiträge
dorthin entrichtet. Die behauptete Entrichtung von Beiträgen in dieser Zeit ist, der oben
geschilderten Rechtslage entsprechend, von der ZUS auch nicht bestätigt worden.
Schließlich können die geltend gemachten Zeiten auch nicht als Beschäftigungszeiten
nach § 16 FRG Berücksichtigung finden, weil nicht davon ausgegangen werden kann,
dass der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum als Agenturkraft in einem abhängigen
Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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