Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: ddr, gerichtshof für menschenrechte, unbestimmter rechtsbegriff, faires verfahren, anwartschaft, post, zugehörigkeit, versorgung, altersrente, wiedervereinigung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 4 RA 22/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 254b SGB 6, § 256a SGB 6, §
259b SGB 6, § 260 SGB 6, §
207b SGB 6
Gesetzliche Rentenversicherung: Bemessung der Altersrente für
einen Versicherten mit Beschäftigungszeiten in der ehemaligen
DDR; Anspruch auf Durchführung einer Vergleichsberechnung;
Anwendbarkeit des Besitzschutzes nach dem Einigungsvertrag;
Zulässigkeit der Bildung von persönlichen Entgeltpunkten Ost
und dem aktuellen Rentenwert Ost sowie der Berücksichtigung
der Beitragsbemessungsgrenze West für im Beitragsgebiet
erworbene Anwartschaften
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 01. Dezember
2003 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu
erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine höhere als die ihm bislang
gewährte Altersrente zusteht.
Der 1938 geborene Kläger absolvierte zunächst bei der Nationalen Volksarmee eine
Ausbildung zum Funkmechaniker, die er im November 1960 als Facharbeiter abschloss.
Nach dreijährigem Besuch einer Fachschule erwarb er am 26. Juli 1968 die Berechtigung,
die Berufsbezeichnung Ingenieur für Funktechnik zu führen. Anschließend war er bei der
Deutschen Post als Toningenieur tätig. Der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR)
trat der Kläger zum 01. März 1971 bei.
Mit Bescheiden vom 29. Juni 2000 bzw. vom 13. November 2000 stellten die jeweils
zuständigen Versorgungsträger die Zeit vom 01. April 1962 bis zum 30. April 1963 als
Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zu einem Sonderversorgungssystem und die Zeit
vom 12. August 1968 bis zum 30. Juni 1990 als solche der Zugehörigkeit zu einem
Zusatzversorgungssystem fest.
Am 06. November 2001 erklärte der Kläger, er sei vom 01. April 1959 bis zum Juni 1990
bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen und beantrage die Anerkennung seiner
Postversorgung „gem. dem 2. AAÜG AndG“. Mit Bescheid vom 23. November 2001
lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, gemäß § 259b
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) werde für die Zeit der Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem im Sinne des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
(AAÜG) bei der Ermittlung der Entgeltpunkte ausschließlich der Verdienst nach dem
AAÜG zugrunde gelegt, so dass § 256a Abs. 2 SGB VI, der Sonderregelungen für
Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post vorsehe, nicht zur
Anwendung komme. Mit seinem Widerspruch vom 07. Dezember 2001 wandte der
Kläger ein, der Bescheid stehe seiner Meinung nach im Gegensatz zu höchstrichterlicher
Rechtsprechung. Nachdem der Kläger am 11. Dezember 2001 die Gewährung von
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab April 2002 beantragt hatte, teilte die Beklagte ihm
mit Schreiben vom 28. Januar 2002 mit, sie werde zunächst seinen Rentenantrag
bearbeiten, gegen den Rentenbescheid brauche er - soweit die Überprüfung nach dem
Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) begehrt werde - nicht gesondert
Widerspruch einzulegen, er werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.
Mit Bescheid vom 01. März 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 01. April
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Mit Bescheid vom 01. März 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 01. April
2002 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Höhe eines Bruttobetrags von 1.246,91 Euro
monatlich. Unter dem 27. März 2001 legte der Kläger gegen den Rentenbescheid
Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, ein Teil der FZR-Beiträge sei aufgrund der
Anwendung der Beitragsbemessungsgrenzen nicht zur vollen Anwendung gekommen.
Dies verstoße seiner Auffassung nach gegen den Einigungsvertrag und das
Grundgesetz. Mit am 16. August 2002 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 22. Juli
2002 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück und führte aus, für Zeiten,
für welche der zuständige Versorgungsträger die Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem festgestellt habe, würden gemäß § 259b SGB VI bei der Ermittlung
der Entgeltpunkte ausschließlich die Verdienste nach dem AAÜG zugrunde gelegt, so
dass eine Berücksichtigung fiktiver FZR-Beiträge daneben nicht in Betracht komme.
Soweit für oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen liegende Entgelte keine
Entgeltpunkte ermittelt worden seien, entspreche dies den gesetzlichen Vorschriften, die
auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verfassungsgemäß seien.
Daraufhin hat der Kläger am 11. September 2002 Klage zum Sozialgericht Berlin
erhoben. Er hat sich insbesondere gegen die Nichtberücksichtigung fiktiver FZR-Beiträge
und die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenzen gewandt, aber auch gerügt, dass
die Beklagte keine Vergleichsberechnungen vorgenommen hat. Er hat gemeint, die
Rente sei in verfassungswidriger Weise zu niedrig, es sei noch Beweis zu erheben und im
Übrigen werde angeregt, dem Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Fragen zur
Entscheidung vorzulegen.
Mit Urteil vom 01. Dezember 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und
ausgeführt, der Kläger könne von der Beklagten insbesondere nicht die Berücksichtigung
zusätzlicher Verdienste für die Rentenberechnung verlangen. Die Beklagte habe, wovon
die Beteiligten auch ausgingen, einfach-rechtlich zutreffend den Wert des Rechts auf
Rente und damit auch den Rangwert (Summe der im Verlauf des Versicherungslebens
bis zum Rentenbeginn erworbenen Entgeltpunkte) unter Berücksichtigung der
gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten nach § 5 AAÜG und zum Teil nach § 248 Abs. 3
Satz 1 SGB VI (i.V.m. §§ 256a und 259b SGB VI) festgesetzt, also unter Anwendung des
AAÜG und aufgrund der danach tatsächlich erzielten und als versichert geltenden
Arbeitsverdienste bis zur Höhe der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenzen und
unabhängig davon, ob insoweit in der ehemaligen DDR Beiträge entrichtet worden seien.
Zutreffend habe die Beklagte festgestellt, dass § 259b SGB VI hier die Vorschriften der
§§ 256a und 256b SGB VI sowie § 259a SGB VI ausdrücklich verdränge, weil der Kläger
einem Zusatz- bzw. einem Sonderversorgungssystem angehört habe. Soweit der Kläger
des Weiteren gemeint habe, die Begrenzung der Berücksichtigung von Entgelten durch
die Beitragsbemessungsgrenzen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, könne ihm
nicht gefolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass die
Begrenzung von Entgelten nach § 6 Abs. 1 AAÜG auf die jeweiligen Werte der
Beitragsbemessungsgrenzen verfassungsgemäß sei. Auch das Bundessozialgericht
habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Gesetzgeber nicht gehalten
sei, Rentner mit Verdiensten aus Zeiten im Beitrittsgebiet gegenüber allen anderen
Versicherten besser zu stellen und „fiktiv“ ermittelte Verdienste auch über die für alle
anderen Versicherten gleichermaßen jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze zu
berücksichtigen. Keine Berücksichtigung finde sich im geltenden Recht für das Begehren,
den Rentenwert durch die Berücksichtigung eines „Steigerungsbetrags“ für Mitarbeiter
der Deutschen Post zu steigern. Einen derartigen Steigerungsbetrag sehe das Recht des
SGB VI schlechthin nicht vor. Nach § 64 SGB VI errechne sich der Wert der monatlichen
Rente aus dem Produkt von Zugangs- und Rentenartfaktor, der Summe der
Entgeltpunkte sowie aus dem aktuellen Rentenwert. Soweit das DDR-Recht
Steigerungsbeträge vorgesehen habe, sei dies deshalb nicht von Bedeutung, weil eine
Anwendbarkeit von DDR-Recht nur dann in Betracht komme, wenn eine als Bundesrecht
wirksame Anwendungsregelung dies bestimme. Dies sei nicht bzw. nicht mehr der Fall;
Sonderregelungen habe es für Bestandsrentner und für Personen gegeben, die den so
genannten rentennahen Jahrgängen zugehörig gewesen seien. Auch die
Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrags (Artikel 30 Abs. 5 EV, Anlage II Kapitel VIII
Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9b Satz 5) und in dessen Fortschreibung § 4 Abs. 4 AAÜG
in der Fassung des 2. AAÜG-ÄndG kämen im Falle des Klägers nicht zur Anwendung. § 4
Abs. 4 AAÜG gelte für Personen, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung nach dem
Stand des DDR-Rechts am 01. Juli 1990 eine Anwartschaft auf Versorgung und damit
zum 31. Dezember 1991 eine in eine Anwartschaft aus der Rentenversicherung des
Beitrittgebiets überführte und am 01. Januar 1992 durch eine übergeleitete Anwartschaft
auf eine SGB VI-Rente ersetzte Berechtigung gehabt hätten, die bis zum 30. Juni 1995
zum Vollrecht erstarkt sei. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall, denn er sei erst zum
01. April 2002 Rentner geworden. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem
Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge dienenden Übergangsregelung bestünden
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Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge dienenden Übergangsregelung bestünden
nicht. Soweit der Kläger schließlich auch die Rentenanpassungsmitteilungen zum 01. Juli
2002 und zum 01. Juli 2003 angegriffen habe, gingen diese Anträge schon deshalb ins
Leere, weil die Bescheide nicht nach § 96 SGG Gegenstand der Klage geworden seien.
Ob sie Gegenstand einer gewillkürten Klageänderung werden könnten, könne offen
bleiben, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 99 SGG nicht vorlägen. Das Gericht
erachte die Änderung weder für sachdienlich, noch habe sich die Beklagte auf das
Begehren eingelassen.
Gegen das am 20. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Februar 2004
Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, das
Recht auf Eigentum, der Gleichheitssatz, das Rechtsstaatsprinzip und der Anspruch auf
ein faires Verfahren seien verletzt. Im Hinblick auf die zu grundsätzlichen Problemen der
Renten- und Versorgungsüberleitung dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) vorliegenden Beschwerden sei das Verfahren zum Ruhen zu bringen bzw.
auszusetzen. Im Übrigen beantragt der Kläger schriftsätzlich,
„das Urteil des SG Berlin vom 01.12.02 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
ihm ein höheres Alterseinkommen zu gewähren. Dazu sind der Rentenbescheid vom
01.03.02 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.02 sowie die weiter
erteilten Rentenbescheide und die Entscheidungen über die Rentenanpassungen/-
angleichungen abzuändern. Die Ansprüche des Klägers auf Renten aus der SV und aus
dem zusätzlichen Versorgungssystem, dem er angehörte, sowie aus der FZR und aus
dem Versorgungssystem der Deutschen Post der DDR sind in ihrer realen Höhe zu
berücksichtigen und an die Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet
anzupassen, in der diese Ansprüche in der DDR rechtmäßig erworben und als Eigentum
in die Bundesrepublik Deutschland mitgebracht wurden. Es sind der Zahlbetragsschutz
des EV sowie ein angemessener Eigentums-, realer Bestands- und dauerhafter
Vertrauensschutz zu gewähren. Im einzelnen gilt folgendes:
1.1. Die Beklagte hat die Ansprüche des Klägers auf Rente aus der SV und auf
zusätzliche Rente/Versorgung in Übereinstimmung mit dem Zahlbetragsschutz des EV,
zum 31.12.91 erhöht um 6,84 % und ab 1.07.90 (zunächst fiktiv) angepasst wie die
Löhne und Einkommen im Beitrittsgebiet, zu berücksichtigen und ab Rentenbeginn nach
den gleichen Konditionen zu gewähren, wie sie bis zum 30.6.95 vom EV für
Bestandsrentner vorgesehen und vom BVerfG (BVerfGE 100, 1ff.) bestätigt wurden.
1.2. Die Versichertenrente nach dem SGB VI ist im Rahmen der allgemeinen
Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 260 SGB VI und nicht abgesenkt auf die
verfassungswidrige besondere Beitragsbemessungsgrenze Ost (§§ 228a und 256a SGB
VI), also auch nicht nach dem ebenfalls verfassungswidrigen besonderen
Alterssicherungsrecht Ost (vgl. die dazu in der ersten Instanz vorgelegten Materialien)
und unter Berücksichtigung des Steigerungsbetrages für Beschäftigte der Deutschen
Post der DDR zu berechnen, und die Zusatzrentenansprüche aus dem
Versorgungssystem und aus der FZR sind anzuerkennen, die in der DDR per Gesetz,
Anordnung, Verwaltungsakt und Versicherungsvertrag dauerhaft zum Erhalt des im
Berufsleben erworbenen Lebensniveaus zugesichert worden sind; die Versichertenrente
ist damit zu einer lebensstandardwahrenden Vollversorgung aufzustocken.
1.3. Eine Vergleichsberechnung hat ausgehend vom Einkommen der letzten 20
Tätigkeitsjahre in der DDR nach den Vorgaben des BVerfG wie für Bestandsrentner von
dem Gesamteinkommen des Klägers gemäß § 307b SGB VI i.d.F. des 2. AAÜG-ÄndG zu
erfolgen.
1.4. Die Anpassung und Angleichung der Rente hat zum 1.7.00 und 1.7.01 (fiktiv)
und zum 1.7.02 sowie zum 1.7.03 nach den verbindlichen Vorgaben des EV und des GG
zu erfolgen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Anspruch auf die „Anpassung Ost“
und der Anspruch auf Rentenangleichung Ost an West nach dem Leiturteil des BVerfG
vom 28.4.1999 unter Eigentumsschutz stehen (BVerfGE 100, 1 <44, 54>).
1.5. Die sich aus den unterschiedlichen Berechnungsarten des
Alterseinkommens ergebenden Resultate sind zu vergleichen; der höchste Betrag ist als
Rente zu leisten.“
Der Kläger regt hilfsweise an, einen Beschluss gemäß Art. 100 GG zu fassen und dem
BVerfG eine Reihe von Fragen zur Entscheidung vorzulegen. Des Weiteren regt er an,
Beweis zu erheben „über die Höhe der wertmäßigen Einbuße, die er durch die
unterschiedlichen Eingriffe in sein aus der DDR in Form von Anwartschaften auf
Alterssicherungsansprüche mitgebrachtes Eigentum im Vergleich zu dem Wert erleidet,
den seine in der DDR rechtmäßig erworbenen Anwartschaften auf Zusatzversorgung/-
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den seine in der DDR rechtmäßig erworbenen Anwartschaften auf Zusatzversorgung/-
rente zum 30.6./1.7.1990 bereits erreicht hatten und die wie Löhne und Gehälter im
Beitrittsgebiet anzupassen“ gewesen seien. Ebenso seien die Motive und Gründe
aufzuklären, die zum Einigungsvertrag und zur Rentenüberleitung geführt hätten. Er
meint, es seien Stellungnahmen von Zeugen und Sachverständigen einzuholen,
insbesondere von Abgeordneten und Vertretern von Institutionen, die an den
Beschlüssen und Gesetzen und an ihrer Umsetzung beteiligt gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 01.
Dezember 2003 zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den
Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
(Gz.: …) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über die Berufung entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen
Verhandlung nicht vertreten war, da mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese
Möglichkeit hingewiesen worden war (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126, 153 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist zwar statthaft (§ 143 SGG) und auch
im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt ( § 151 SGG). Sie ist aber,
soweit sich dem Vortrag und den Anträgen, denen es an Bestimmtheit und Eindeutigkeit
mangelt, ein konkretes Begehren entnehmen lässt, nicht begründet, denn das
Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Rentenanpassungsmitteilungen nicht als
streitgegenständlich angesehen, weil die Bescheide nicht nach § 96 SGG Gegenstand
der Klage geworden sind. Nach § 157 SGG sind sie auch im Berufungsverfahren nicht
Streitgegenstand. Im Übrigen hat der Kläger nach den von der Beklagten zutreffend
vorgenommenen Rentenberechnungen keinen Anspruch auf eine höhere Rente. Die
angegriffenen Bescheide sind in der Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig.
Die Rentenberechnung stellt sich weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht als
fehlerhaft dar. Rechtsgrundlage für die Feststellung der persönlichen Entgeltpunkte des
Klägers ist für die Zeiträume, für welche Sonder- bzw. Zusatzversorgungszeiten
festgestellt worden sind, § 259b SGB VI, für den dazwischen liegenden Zeitraum vom 1.
Mai 1963 bis zum 11. August 1968 § 256a SGB VI. Die genannten Vorschriften treffen für
Rentenberechtigte, deren Recht auf Rente - wie hier - erst nach dem 01. Januar 1992
entstanden ist, ergänzende Bestimmungen zu §§ 63 ff SGB VI, soweit der Wert ihres
Rechts auf nach § 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI gleichgestellten Beitragszeiten im
Beitrittsgebiet beruht. § 256a SGB VI schreibt im Einzelnen vor, wie in der ehemaligen
DDR zurückgelegte „Beitragszeiten“ in das durch das SGB VI geregelte System der
gesetzlichen Rentenversicherung einzubringen sind.
§ 259b SGB VI bestimmt, dass für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder
Sonderversorgungssystem bei der Ermittlung der Entgeltpunkte - abweichend von den
allgemeinen Regelungen - die nach dem AAÜG zu berücksichtigenden Verdienste
zugrunde gelegt werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte die in der ehemaligen DDR
rentenwirksam versichert gewesenen, die nach § 256a Abs. 3 SGB VI als versichert
geltenden sowie die nach § 259b SGB VI zu berücksichtigenden Verdienste des Klägers
zutreffend und vollständig bestimmt. Sie war insbesondere nicht gehalten, ihn besser als
alle anderen Versicherten zu stellen und gerade die nachträglich auf den vorgenannten
Grundlagen ermittelten fiktiven Verdienste in DM über die jeweiligen
Beitragsbemessungsgrenzen nach § 260 Satz 2 SGB VI hinaus zu berücksichtigen. Für
die Berechnung eines höheren Rentenhöchstwerts gibt es keine Rechtsgrundlage.
Insbesondere ist für die vom Kläger erstrebte Vergleichsberechnung, wie sie für
Bestandsrentner nach § 307b SGB VI durchzuführen ist, kein Raum. Diese Vorschrift ist
schon deshalb nicht anwendbar, weil der Kläger im Dezember 1991 nicht das Recht
hatte, von einem Versicherungsträger der DDR die Zahlung einer Versorgung zu
verlangen. Dies hätte auch durch einen nach Artikel 19 EV bindend gebliebenen
Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR, durch eine Versorgungsbewilligung
eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle, durch einen Verwaltungsakt eines
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eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle, durch einen Verwaltungsakt eines
Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder durch eine bindende
Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers festgestellt sein müssen (vgl. das Urteil
des Bundessozialgerichts [BSG] vom 29. Oktober 2002, SozR 3-2600 § 307 b Nr. 10).
Eine derartige Entscheidung ist jedoch nicht getroffen worden.
Auch soweit der Kläger die Feststellung und im weiteren die Anpassung des
„geschützten Zahlbetrags“ begehrt, hat die Beklagte eine derartige Ermittlung und
Feststellung zu Recht nicht vorgenommen, denn bei der erstmaligen Feststellung einer
Versichertenrente im Jahr 2002 war und ist dieser nicht mehr festzustellen. Der durch
den Einigungsvertrag (Art. 30 Abs. 5, Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9
b Satz 5) besitzgeschützte Zahlbetrag, also der unterstellte Gesamtanspruch, der für
den 01. Juli 1990 nach dem zu diesem Zeitpunkt von der DDR neu gestalteten Recht -
soweit es mit dem Einigungsvertrag vereinbar und deshalb am 03. Oktober 1990 zu
Bundesrecht geworden war - aus der Sozialversicherung und dem
Zusatzversorgungssystem materiell rechtmäßig zu zahlen gewesen wäre, wenn der
Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten wäre, war lediglich für
Bestandsrentner, das heißt Personen, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung bereits
Rentenbezieher waren, und für Zugangsrentner, das heißt Personen, die im Zeitpunkt
der Wiedervereinigung den rentennahen Jahrgängen zuzuordnen waren, zu ermitteln.
Nach Art. 30 Abs. 5 EV und später in Fortschreibung dieser Bestimmung nach § 4 Abs. 4
Satz 1 AAÜG umfasst der Personenkreis, dessen Versichertenrente unter
Berücksichtigung dieses Zahlbetrags zu ermitteln ist, (nur) diejenigen, die bei der
Wiedervereinigung nach dem Stand des DDR-Rechts am 01. Juli 1990 eine Anwartschaft
auf eine Versorgung und damit zum 31. Dezember 1991 eine in eine Anwartschaft aus
der Rentenversicherung des Beitrittsgebiets überführte und am 01. Januar 1992 durch
eine übergeleitete Anwartschaft auf eine SGB VI-Rente ersetzte Berechtigung hatten, die
bis zum 30. Juni 1995 zum Vollrecht erstarkte, das heißt deren Rente bis zu diesem
Stichtag begann.
Zutreffend hat die Beklagte schließlich § 254b SGB VI entsprechend auch die
persönlichen Entgeltpunkte (Ost) mit dem jeweils aktuellen Rentenwert (Ost)
vervielfältigt. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung hat der Senat nicht.
Die immer noch bestehende Ungleichheit der Lebensverhältnisse in den alten
Bundesländern einerseits und dem Beitrittsgebiet andererseits rechtfertigt weiterhin
unterschiedliche Rentenwerte. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liegt
nicht vor und nur ein solcher käme in Betracht. Der Gleichheitssatz gebietet nicht, dem
Kläger eine Rente in einer Höhe zu zahlen, als habe er Zeit seines Erwerbslebens in der
gleichen Höhe wie ein vergleichbarer Versicherter in den alten Bundesländern Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung eingezahlt, obwohl seine in der DDR
zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne die Gleichstellungsnormen von
§ 5 AAÜG und § 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI für eine Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland unbeachtlich wären, weil er
Beiträge zu dieser nicht geleistet hatte. Auch gegen das Bestimmtheitsgebot ist nicht
verstoßen. Die Bestimmung "bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse"
ist weder eine Generalklausel noch ein von der Verwaltung auszufüllender unbestimmter
Rechtsbegriff, sondern ein Programmsatz des Gesetzgebers, mit dem er darstellen will,
für welche Zeit er unterschiedliche Rentenwerte aufrechtzuerhalten gedenkt (vgl. dazu
das Urteil des Landessozialgerichts für den Freistaat Sachsen vom 11. Dezember 2002,
Az: L 4 RA 126/02, zitiert nach juris).
Soweit der Kläger offenbar auch geltend macht, bereits die so genannte
Systementscheidung des Gesetzgebers, das heißt die Überführung der in der DDR
erworbenen Rechte, Ansprüche und Anwartschaften aus der Sozialpflichtversicherung,
der FZR sowie aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche
Rentenversicherung, sei verfassungswidrig, und deshalb bestehe ein Anspruch auf
Berücksichtigung einer nach DDR-Recht erworbenen Rechtsposition (wobei offen bleibt,
welcher), kann ihm nicht gefolgt werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger
Rechtsprechung entschieden, dass die in der DDR erworbenen Rechte durch
entsprechende Rechte, Ansprüche und Anwartschaften nach dem SGB VI ersetzt wurden
(vgl. das grundlegende Urteil vom 27. Januar 1993, BSGE 72,50). Dass der Gesetzgeber
die in der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch eine einheitliche,
ausschließlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammende
Versorgungsleistung unter Verzicht auf Zusatzleistungen ersetzt hat, begegnet dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 1)
zufolge grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die
Systementscheidung ist danach, davon ist der Senat überzeugt, mit dem Grundgesetz
(GG) vereinbar, so dass auch für die hilfsweise beantragte Aussetzung des Verfahrens
und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kein Raum ist. Gleiches gilt bezüglich der
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und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kein Raum ist. Gleiches gilt bezüglich der
Verfassungsmäßigkeit der §§ 256a und 259b SGB VI, die Ausfluss der
Systementscheidung sind (vgl. zu § 256a SGB VI das Urteil des BSG vom 17. August
2000, Az: B 13 RJ 5/00 R, zitiert nach juris, sowie BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom
13. Dezember 2002, SozR 3-2600 § 256a Nr. 9), sowie der in der gesetzlichen
Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenzen im Allgemeinen und zur
Verfassungsmäßigkeit ihrer Anwendung auch auf Rentenberechtigte, die erstmals
aufgrund der Überleitung des SGB VI auch auf das Beitrittsgebiet Rangstellenwerte
aufgrund von Tätigkeiten in der DDR oder im Beitrittsgebiet erhalten haben (vgl. insoweit
die ausführliche Begründung des BSG im Urteil vom 10. April 2003, Az.: B 4 RA 41/02 R,
SGb 2003, 400 [Kurzwiedergabe], Volltext in juris).
Der Senat sieht schließlich keinen Anlass, den von dem Kläger hilfsweise gestellten
Beweisanträgen zu folgen. Sie betreffen allgemeine Fragen der Entwicklung des
Alterseinkommens im Beitrittsgebiet und somit allenfalls sozialpolitische Erwägungen,
die für den Gesetzgeber bedeutsam sind bzw. waren, auf die es aber im vorliegenden
Rechtsstreit nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des
Verfahrens Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG
genannten Gründe vorliegt.
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