Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.08.2009

LSG Berlin und Brandenburg: diabetes mellitus, wahrscheinlichkeit, berufskrankheit, sicherheit, anerkennung, befund, konzentration, fass, belastung, kopfschmerzen

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 26.08.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Cottbus S 7 U 93/99
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 31 U 415/08
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Juni 2007 aufgehoben und die
Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer toxischen Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Nr. 1302
(Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im weiteren
Text: BK Nr. 1302)).
Der 1941 geborene Kläger hat unter anderem seit 1972 bis zu seiner Berentung 1995 beim Wasserstraßenhauptamt
beziehungsweise Wasser- und Schifffahrtsamt verschiedene Tätigkeiten ausgeübt; so war er unter anderem
Wasserbauarbeiter, Brigadier der Betonbrigade, Lehrfacharbeiter, Lehrlingsausbilder, Hausmeister, Lagerfacharbeiter,
Schleusengehilfe und Streckenarbeiter (hinsichtlich der Einzelheiten des beruflichen Werdegangs des Klägers wird auf
Blatt 20 bis 23 und 29/30 der Verwaltungsakte verwiesen).
Am 20. März 1996 zeigten der Arbeitgeber des Klägers und am 6. November 1996 die Ärztin für Neurologie und
Psychiatrie Dr. W der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Dr. W stellte dabei die
Diagnose einer toxischen Enzephalopathie nach Umgang mit Hylotox und übersandte weitere medizinische
Unterlagen, so unter anderem eine Dopplersonographie der hirnversorgenden Arterien vom 29. April 1996, die einen
unauffälligen dopplersonographischen Befund im Bereich der extrakraniellen hirnzuführenden Arterien ergab und auch
an den großen Hirnbasisarterien keinen Nachweis einer hämodynamisch wirksamen Stenosierung erbrachte, sowie
einen elektroenzephalographischen Befund (EEG) vom 28. Februar 1996, dessen Hirnstrombild unverändert wie bei
der Erstableitung 1995 deutliche Allgemeinveränderungen mit einer vorherrschenden Thetaaktivität kaum messbarer
Spannungshöhe aufwies. Es wurde mitgeteilt, dieser Befund korreliere sowohl mit einer toxischen Enzephalopathie als
auch eventuell mit schweren ischämischen zerebralen Störungen, es gäbe keinen Herdhinweis.
Die Beklagte zog unter anderem einen Ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik "B", S über einen stationären
Aufenthalt des Klägers vom 20. Juli 1993 bis 17. August 1993, einen Entlassungsbericht des Krankenhauses R vom
28. Januar 1993 über einen stationären Aufenthalt vom 09. Januar 1993 bis zum 22. Januar 1993, einen EMG-Befund
vom 20. September 1996 sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der für den Kläger zuständigen Krankenkasse für
Zeiten ab 1991 bei und holte Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes vom 2. Dezember 1996 und vom
15. Juli 1998 über die Ermittlung der berufsbedingten Belastung durch toxische Stoffe in der Zeit vom 13. März 1972
bis 30. September 1995 ein. Dieser teilte u.a. mit, der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei der
Wasserstraßenverwaltung der DDR zeitweise toxischen Stoffen ausgesetzt gewesen. Anzuführen seien vor allem
Hautkontakte mit dem Holzschutzmittel Hylotox. Das Einatmen von Pyrolyseprodukten aus
Korrosionsschutzanstrichen und von Schleifstäuben und Lösemitteldämpfen bei Arbeiten im Freien könne in geringem
Umfang angenommen werden. Bei der Beurteilung der berufsbedingten Schädigung durch toxische Stoffe müssten
auch Belastungen aus seinen privaten Tätigkeiten berücksichtigt werden.
Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L führte in seinem
Gutachten vom 21. März 1998 unter anderem aus, bei dem Kläger liege neben anderen Erkrankungen eine toxische
Enzephalopathie durch Lösemittel vor. Bei der neuropsychiatrischen Untersuchung des Klägers hätten sich
vordergründig auffällige krankhafte Störungen des Nervensystems feststellen lassen. Sie bestünden im Wesentlichen
in einer Hirnleistungsschwäche mit geminderten Konzentrations- und Gedächtnisleistungen, die umfangreicher seien
als im Durchschnitt. Außerdem liege eine durch leichte sensible Ausfälle gekennzeichnete Lähmung der rechten
Hohlhandnerven vor. Im unteren Lendenwirbelsäulenabschnitt habe ein Bandscheibenvorfall nachgewiesen werden
können. Die Differenzialdiagnose der damit verbundenen Nervenausfälle werde erschwert, der Aussagewert ihrer
Symptomatik relativiert, da außerdem noch ein Diabetes mellitus vorliege. In klinischer Hinsicht imponiere die Störung
durch herabgesetzte Empfindlichkeit gegenüber Vibrationsreizen. Dieses Kriterium trete zusätzlich auch bei
Störungen der Nervenwurzeln durch Bandscheibenvorfälle in der Wirbelsäule in Erscheinung. Diabetes mellitus im
fortgeschrittenen Stadium könne sich durch eine stoffwechselbedingte Vergiftung der Endabschnitte der peripheren
Nerven an Händen und Füßen äußern. Die dabei klinisch bestehende Unterempfindlichkeit gegenüber
Berührungsreizen und die elektrophysiologisch nachweisbare Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeiten sei
dafür untrügliches Zeichen. Gleiches treffe aber auch bei anderen Polyneuropathieursachen (unter anderem
Schwermetalle und Lösungsmittel) zu. Die differenzialdiagnostische Abklärung werde dann schwierig, wenn
gleichzeitig ein Diabetes mellitus bestehe. Im vorliegenden Falle überdecke ein Carpaltunnelsyndrom
(Nerveneinklemmung) an der rechten Hand die sonst zu erwartenden Ausfälle. Lediglich ein Messwert der
Nervenleitgeschwindigkeit am rechten Unterarm lasse Rückschlüsse zu, dass das Vorliegen irgendeiner
Polyneuropathieform nicht anzunehmen sei. Andererseits sei bei einer exogenen toxischen Polyneuropathie
anzunehmen, dass sich die ersten Symptome bereits während der Expositionszeit entwickeln und nach
Expositionsende sich wieder weitgehend zurückbilden würden. Ein derartiger Prozess lasse sich anhand der
vorliegenden Unterlagen nicht rekonstruieren. Der Kläger leide unter Vergesslichkeit, Kopfschmerzen, häufigem
Nasenbluten und Taubheitsgefühl in beiden Oberschenkeln und der rechten Hand. Die Vergesslichkeit und eine rasche
Ermüdbarkeit bei geforderter Konzentration würden auf langwierige berufliche Einwirkungen durch chemische
Schadstoffe und Verbrennungsgase zurückgeführt. Es lägen Anzeichen einer das übliche Altersmaß überschreitenden
Hirnleistungsschwäche vor. Bei der Erkrankung handele es sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit um die BK Nr.
1302. Begründet werde diese Entscheidung durch den ursächlichen Zusammenhang der festgestellten
Hirnleistungsstörungen mit dem langjährigen beruflichen Umgang mit lösemittelhaltigen Materialien, insbesondere mit
Holzschutz- und Imprägnierstoffen, die im Bootsbau Verwendung gefunden hätten. Die MdE betrage ab dem Zeitpunkt
der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit 40 v. H. Für ein Vorliegen der BK Nr. 1317 lägen aus klinischer Sicht keine
ausreichenden Anhaltspunkte für eine Anerkennung vor. In der Anlage übersandte Dr. L einen psychodiagnostischen
Befund der Dipl.-Psychologin Dr. Sch vom 13. November 1997, die aus psychologischer Sicht mit hoher
Wahrscheinlichkeit die Verdachtsdiagnose einer toxischen Enzephalopathie annahm.
Nachdem die Beklagte Stellungnahmen der Gewerbeärztin N vom 30. April 1998 und 30. Juli 1998 eingeholt hatte,
lehnte sie den Antrag des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummer 1302 mit Bescheid vom 5.
Januar 1999 ab. Den Widerspruch wies sie, nachdem sie einen EEG-Befund vom 26. Januar 1999 und einen MRT-
Befund vom 12. April 1999 beigezogen hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 1999 zurück. Zur Begründung
führte sie unter anderem aus, zwar komme der Gutachter Dr. L in seinem Gutachten vom 21. März 1998 zu dem
Ergebnis, dass eine BK Nr. 1302 vorliege, jedoch sei die Gewerbeärztin N nach kritischer Bewertung des Gutachtens
zu dem Ergebnis gekommen, dass sie den Zusammenhang zwischen Exposition und der vorliegenden Erkrankung
nicht ohne weiteres bestätigen könne. Die Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen habe ergeben, dass die
arbeitsbedingten Schadstoffbelastungen, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, nach Expositionshöhe und -dauer
nicht dazu geeignet gewesen seien, eine BK Nr. 1302 zu verursachen. Dieser Einschätzung habe sich die
Gewerbeärztin N angeschlossen. Aufgrund der fehlenden arbeitstechnischen Voraussetzungen liege keine BK Nr.
1302 vor.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger seine Tätigkeit vom 1. Juli 1985 bis
31. Mai 1989 als Lagerarbeiter ausführlich beschrieben (hinsichtlich der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt
46 der Gerichtsakte verwiesen) und ausgeführt, auch außerhalb dieses Zeitraumes habe er mit "Giftstoffen" zu tun
gehabt. So habe er beispielsweise Schiffe mit hochgiftigen Unterwasserfarben oder Steganlagen mit Hylotox
anstreichen müssen. Auch bei der Auflösung von Zink- und Unterwasserfarben durch Schweiß- und Brennarbeiten sei
er mit Giften in Kontakt gekommen.
Der als Sachverständiger bestellte Privatdozent Dr. Ki hat in seinem Gutachten vom 18. Dezember 2004 unter
anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einer Adipositas, einem Wirbelsäulensyndrom, einer Fingerpolyarthrose,
einer Hüftarthrose, einer Kniearthrose beidseits, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer restriktiven
Atemstörung, einem Bluthochdruck und einem Carpaltunnelsyndrom rechts. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass
der Kläger während seiner Berufstätigkeit verschiedenen Substanzen gegenüber exponiert gewesen sein solle. Was
die verschiedensten Lösungsmittel und Farbkomponenten betreffe, bestünden im Wesentlichen gemäß den
Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes nur Vermutungen. Es würden verschiedene Farben vermutet, es
würden auch Halogenkohlenwasserstoffe vermutet. Sicher sei, dass zum Beispiel auch die Stoffe Hylotox und
Xylamon verwendet worden seien. Bei diesen Stoffen handele es sich um ein Stoffgemisch aus verschiedenen
Kohlenwasserstoffen, die auch zum damaligen Zeitpunkt Aromaten enthalten hätten. Die Herkunft des Hylotox sei
insgesamt nicht geklärt. Aufgrund seines Einsatzes als Anstrichschutz und auch als Schutz für Holz habe es mit
großer Wahrscheinlichkeit auch Pestizide enthalten, die halogenkohlenwasserstoffhaltig gewesen seien. Die am
häufigsten verwendeten Substanzen seien dabei halogenierte Kohlenwasserstoffe, wie Hexachlorzyclohexan - Lindan
- d. h. chlorierte Kohlenwasserstoffverbindungen, gewesen. Wenn derartige Farbkomponenten verarbeitet oder
verstrichen würden, komme es nach einer bestimmten Zeit zum Entweichen, das heiße Ausdünsten der flüchtigen
Verbindungen, nämlich der Kohlenwasserstoffverbindungen, in die freie Luft. Derartige Verbindungen seien dann in der
Regel in den im Außenanstrich befindlichen Hölzern oder Substanzen nicht mehr nachweisbar, so dass auch beim
Entfernen oder Abbrennen alter Anstriche eine Belastung durch derartige Substanzen in der Regel nicht auftrete.
Darüber hinaus sei die entsprechende natürliche Belüftung am Arbeitsplatz des Klägers zu berücksichtigen, so dass
zwar ein gewisser unangenehmer Geruch habe wahrgenommen werden können, was aber nicht gleichbedeutend sei
mit der Tatsache, dass die arbeitsmedizinischen Schwellenwerte überschritten worden seien. Über die
Konzentrationsverhältnisse und insbesondere die Expositionsdauer lägen in der Akte keine genauen Unterlagen vor.
Der Kläger selbst bzw. Zeugen hätten angegeben, etwa 8 Tage im Monat habe Umgang mit derartigen Substanzen
zum Beispiel beim Umfüllen bestanden. Dies würde bedeuten, dass auf die Woche umgerechnet 2 Tage Umfüllarbeit
geleistet worden sei und auf eine fünftägige Arbeitswoche pro Tag, dem zufolge etwa 3,5 Stunden täglich nur
umgefüllt worden sei. Wenn man von diesen 3,5 Stunden dann die entsprechenden Vor- und Nachbearbeitungszeiten
für das Öffnen der Gebinde und das Wegtragen von fertigen Flaschen oder Gebinden in Abzug bringe, entstünden
Expositionszeiten über den gesamten Zeitraum von etwa 5 Jahren, die keineswegs in Vergleich gesetzt werden
könnten, z.B. zu den entsprechend geforderten Expositionszeiten bei Benzol oder bei Benzo-a-pyren. Selbst wenn
beim Umfüllen unmittelbar und auch mit Wahrscheinlichkeit MAK-Wertüberschreitungen eingetreten sein sollten, wenn
z.B. Flüssigkeit vergossen worden sei oder wenn z.B. mit dem Putzlappen Flüssigkeiten aufgewischt worden seien
und der Verdunstungsvorgang durch das Herumwischen gefördert worden sei, so würden diese Lösemittel in den
Körper aufgenommen und sehr schnell wieder abgeatmet. Es finde eine gewisse Organdeposition statt, so
insbesondere in lipidhaltigen Strukturen, wobei eigene Untersuchungen Hinweise dafür ergeben hätten, dass selbst bei
einer supramaximalen Belastung des Organismus über einen bestimmten Zeitraum dann innerhalb einer Abklingzeit
von 3 Monaten keinerlei relevante Organdepositionen mehr vorhanden gewesen seien. Innerhalb dieses Zeitraums
komme es zur Speicherung von Kohlenwasserstoffen in verschiedenen Geweben und auch in peripheren Nerven
sowie im Rückenmark, aber wenig im Gehirn, so dass insbesondere auch die Frage der zentralen Beteiligung und
Wirkung mit großer Vorsicht diskutiert werden müsse. Was nun die toxische Enzephalopathie betreffe, sei dieses
Krankheitsbild heute nicht entsprechend gesichert. Die Angabe im Gutachten des Dr. L, mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit bestehe eine toxische Enzephalopathie, sei nicht ausreichend, denn es müsse im Rahmen des
Vollbeweises Sicherheit bestehen. Das 1996 gefertigte EEG reiche als alleiniges Beweismittel nicht aus, um eine
toxische Enzephalopathie zu begründen, auch wenn in dem entsprechenden Befund der Verdacht einer toxischen
Enzephalopathie geäußert worden sei. Ein nun erneut vorgelegtes EEG durch dieselbe Ärztin ergebe die Aussage,
dass das EEG im Wesentlichen kaum verwertet werden könne. Es seien auch allgemeine Durchblutungsstörungen,
wie zerebrale Durchblutungsstörungen und auch eine diabetische Schädigung möglich. Aus den
Kernspintomographiebefunden des Schädels ergebe sich, dass relevante zerebrale Abbauprozesse insgesamt nicht
erkennbar seien und ein unauffälliges Neurokranium bestehe. Aus den neurophysiologischen Untersuchungen, die in
dem Gutachten des Dr. L niedergelegt worden seien, lasse sich erkennen, dass die zerebralen Ausfallsprozesse mit
äußerster Vorsicht beurteilt werden müssten und insgesamt eine toxische Enzephalopathie nicht begründen könnten.
Das subjektive Befinden selbst reiche alleine nicht aus, die Angabe von Kopfschmerzen scheine aus hiesiger Sicht in
erster Linie im Zusammenhang mit der Hochdruckerkrankung zu stehen. Merkfähigkeitsstörungen bei dem jetzt 63
Jahre alten Kläger seien im Rahmen entsprechender zerebraler Abauprozesse und Leistungseinbußen durch den
Diabetes aus hiesiger Sicht vordergründig begründet. Eine entsprechende Brückensymptomatik sei nach seinen
Ermittlungen und der Aktenlage ebenso nicht erkennbar. Zusammenfassend sei deshalb aus seiner Sicht die
haftungsbegründende Kausalität im Sinne des Vollbeweises nicht gegeben. Die Voraussetzungen für eine BK Nr.
1302 lägen nicht vor.
Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger bestellte Umweltmediziner Prof. Dr. F-B hat in
seinem Gutachten vom 29. Juli 2006 unter anderem ausgeführt, insgesamt habe die ambulante Untersuchung
weitgehend altersgerechte Befunde gezeigt und außer einer Adipositas keinen körperlichen Befund ergeben. Die
Therapie des klinisch bekannten Diabetes erfolge mit Injektionen. Während der beruflichen Tätigkeit sei dagegen
neben Nasenbluten, einem Zusammenbruch im Lager und einem Unfall mit Durchnässung aus einem Fass
aufgefallen, dass das schützende Integument (Haut der Hände und Finger) nach Anwendungen mit Verdünnern
regelmäßig rissig geworden sei, so dass durch Fissuren (Hautrisse) an Handballen und Fingern infolge des
Austrocknens der schützenden Fettschicht vermehrt Lösungsmittel in den Körper eindringen und mit dem Kreislauf
ins Gehirn gelangen konnten. Von den damaligen Einwirkungen seien Nachweise heute nicht mehr möglich,
respektive keine Spuren außer der persistierenden Störung des zentralen Nervensystems verblieben. Die Darstellung
der akuten Folgen eines im Sommer 1989 im Materiallager seines Betriebes erfolgten Unfalls durch ein berstendes
Fass mit dem Holzschutzmittel Hylotox mit vollkommener Benetzung der Kleidung lasse darauf schließen, dass die
Veränderungen der Haut zu einer massiven Aufnahme von Pentachlorphenol aufgrund einer lösungsmittelbedingten
Resorption neurotoxischer Verbindungen geführt habe. Die nach Tagen noch gerötete Haut habe entzündlich reagiert,
was auf vermehrte Durchblutung deute, und dadurch vermittelt, eine vermehrte Aufnahme toxischer Stoffe mit sich
bringe. Die Folgezustände wie Kopfschmerzen ohne erhöhten Blutdruck und Hitzegefühl im Kopf, Schlafstörungen und
Gedankenlosigkeit (Konzentrationsstörungen) sowie Vergesslichkeit würden eindeutig auf eine toxische Belastung des
zentralen Nervensystems hindeuten. Diese akuten Folgen aufgrund organischer Lösungsmittel und in
Holzschutzmitteln enthaltener fungizider und insektizider Giftstoffe seien biologisch plausibel und bekannt, außerdem
seien sie nach Art der Schilderung auch glaubhaft, da erst als Folge des Kontaktes und nicht vorher bestehend. Die
gewerbeärztliche Bewertung bezweifle diese Kontakte nicht, nehme sogar Überschreitung der MAK-Werte an, um
dennoch die Belastung als für die ebenfalls nicht bezweifelte Enzephalopathie nicht ausreichend einzustufen. Der
ebenfalls gemäß § 109 SGG als Zusatzsachverständiger bestellte Prof. H komme zu dem Schluss, dass nach
Würdigung der gegenwärtig verfügbaren Evidenz als neuropsychologische Spätfolgen nach langer Expositionsdauer
gegenüber chlorierten Kohlenwasserstoffen wie Holzschutzmitteln typischerweise "beeinträchtigte Vigilanzleistungen
(Daueraufmerksamkeit) und Verlangsamung von Wahrnehmungsprozessen und von psychomotorischen Prozessen
festzustellen seien, die sich als ZNS-depressive, pränarkotische Wirkung interpretieren ließen". Die vom Kläger
wiederholt vorgetragenen Beobachtungen würden neurotoxischen Wirkungen auf das zentrale Nervensystem
entsprechen, die zunächst nicht streitig seien und dem klassischen Muster einer Holzschutzmittelvergiftung
entsprechen würden. Kontrovers seien hingegen die Spätfolgen ehemals beruflich einwirkender neurotoxischer
Substanzen nach Beendigung der unbestrittenen akuten toxischen Einwirkungen im Sinne der Persistenz und
Enzephalopathie Typ 2 B. Hierzu müsse folgendes erläutert werden: die durch halogenierte Kohlenwasserstoffe
hervorgerufenen Störungen des Befindens und der körperlichen Regulationen hätten seit 1970 zu Berichten über das
so genannte Holzschutzmittelsyndrom geführt. Über die toxischen Wirkungen auf das vegetative Nervensystem seien
endokrine, regulatorische und kognitive Störungen mit Wesensveränderungen bei solchen Personen gefunden worden,
die beruflich häufig mit den Substanzen in Berührung gekommen seien. Berichtet würden daneben aber auch
Krankheitsfälle bei Erwachsenen und Kindern, wenn die Substanzen wie Xylamon und Xyladecor, in privater Tätigkeit
beziehungsweise Eigenarbeit bei Renovierungen oder Neubauten von Holzkonstruktionen eingesetzt worden seien.
Trotz diverser Studien und ad hoc-Untersuchungen seien keine so einheitlichen Muster der Erkrankungstypen
gefunden worden, wie sonst in der Medizin üblich, da sich die toxische Wirkung auf das gesamte autonome
Nervensystem ausgewirkt habe, so dass mehrere Organsysteme betroffen sein könnten. Dies sei in der Medizin
normalerweise nicht zu beobachten, außer im Fall der seltener gewordenen Syphilis, Stadium III. Wegen der von
arbeitsmedizinischer Seite lange aufrechterhaltenen Doktrin, dass diese halogenierten Substanzen unbedenklich
seien, sei die Forschung auf dem Gebiet der Langzeiteffekte vernachlässigt und die Reihe der als BK-Verdacht
beantragten Einzelfälle sei keiner gemeinsamen Auswertung zugeführt worden. Hierzu hätten vor allem die Gruppe
von Förstern in Bayern gehört, die in Dienstwohnungen hätten wohnen müssen, in denen Holzschutzmittel, im
Glauben an die Unbedenklichkeit dieser Mittel, vor dem Einzug dort zur Konservierung von Holzbalken etc. eingesetzt
worden seien. Ganze Familien seien aus dienstlich veranlassten Gründen erkrankt. Diese Episode werde hier
angeführt, weil aus diesen sich häufenden Einzelfällen nach und nach das gesamte Spektrum der Folgen als
Umweltkrankheit erkennbar geworden sei. Im Osten Deutschlands seien die teuren Mittel auf dem privaten Sektor
nicht sehr verbreitet gewesen, allerdings erweise sich für den Kläger, dass im Bootsbau und in der
Wasserwegeschifffahrt einige der gleichen halogenierten Substanzen eingesetzt worden seien. In den Akten ergehe
der Hinweis auf ein Sicherheitsdatenblatt der DDR von 1983. Aus den Herstellerangaben sei ersichtlich, dass Hylotox,
Pentachlorphenol und DDT enthalten habe. Die ebenfalls darin enthaltenen organischen Lösungsmittel seien in diesem
Zusammenhang von besonderem Interesse, obwohl sie in den bisherigen Bewertungen als von Intensität und Dauer
der Einwirkungen als nicht ausreichend bezeichnet worden seien. Zweifelsfrei seien die drei Hauptgruppen organischer
Lösungsmittel jeweils unabhängig und vor allem als Gemisch geeignet, die persistierenden Störungen des Klägers
hervorzurufen. Diese Ansicht werde seit über 10 Jahren auch in Deutschland vertreten. Die Quantität spiele nicht die
erhebliche Rolle, die dieser Größe zugeschrieben werde, wenn Belastungen in Form von Spitzenwerten und
Mehrfacheinwirkungen durch kombinierte Stoffe vorgekommen seien. Laut Gefahrstoffliste 2000 seien DDT und
Pentachlorphenol nicht mehr zulässig und daher seien keine MAK-Werte angegeben. Hinzu komme, dass diese
Gefahrstoffe am Arbeitsplatz nach krebserregenden und erbgutschädigenden Eigenschaften kategorisiert worden
seien, nicht jedoch bezüglich der toxischen Risiken.
Ausgehend von einer chronischen toxisch bedingten Enzephalopathie lasse sich zunächst die auf der internationalen
Literatur basierende Evidenz anführen, die seit 30 Jahren einen direkten Bezug zwischen schweren Störungen der
nervalen Funktionen und allen Folgeerscheinungen solcher toxischen Schädigungen beschrieben habe. Vergiftungen
durch Holzschutzmittel, die Pentachlorphenol und dessen Verunreinigung in Form des TCDD (Dioxin) enthalten hätten,
hätten seit über 50 Jahren zu der Beobachtung geführt, dass schwere Attacken plötzlichen Fiebers mit
Schweißausbrüchen und Schwindel, Übelkeit etc. zu Verlust der Kontrolle über Körperfunktionen geführt hätten. Vor
Einführung entsprechender Verhütungsregeln seien Todesfälle und irreparable chronische Spätschäden berichtet
worden. Es gehe daher vorliegend um die berechtigte Frage, ob die Dosis für Schäden bei dem Kläger ausreichend
gewesen sei. Hierbei seien zwei Argumente zu beachten. Die Holzarbeiter mit schweren Störungen des
Nervensystems seien im früheren Berufsleben nicht sonstigen toxischen Einwirkungen ausgesetzt gewesen und der
Kläger habe über den genannten Unfall mit Vergießen des Mittels Hylotox aus einem Fass über Partien der Haut und
der Kleidung berichtet. Hiermit sei eine Spitzendosis verbunden, die zur Aufnahme chlorierter Verbindungen in den
Körper geführt haben könne, und zwar in der Konzentration, die um Dimensionen über inhalierbaren Mengen läge. Der
Kläger habe des Weiteren ein Foto von der im Bootsbau verwendeten antikorrosiven Substanz "tesys" vorgelegt, die
als "Anstrichstoff für Sportboote" nicht nur Antifouling-Stoffe (vermutlich auch Tributylzinn), sondern vor allem
Lösungsmittel der Gruppe II (25 %) und Lösungsmittel der Gruppe III (circa 12 %) enthalten habe. Hersteller sei die
volkseigene Lackfabrik, Berlin, gewesen. Die Anweisung habe gelautet: "Zum Verdünnen des Anstrichstoffes ist
Spezialverdünner CVP zu verwenden". Somit seien Mischexpositionen mit Sicherheit wahrscheinlich. Nach seiner
Einschätzung spreche viel für eine häufige und hochgradige Einwirkung von gemischten neurotoxischen Substanzen,
die jeweils unvermeidlich vorgekommen seien und auch nicht bestritten würden, wohl aber wegen der Höhe der
Konzentration, Dauer und nur nach Wirkung, nicht als Gemische mit gegenseitiger Verstärkung der Wirkung fehlerhaft
beurteilt und völlig unterschätzt worden seien. Es spreche nichts, auch nicht ein eventueller privater
Alkoholmissbrauch, gegen einen ursächlichen Zusammenhang, wenn Lösungsmittel mit mehrfacher Wirkung im
Vergleich zu Trinkalkohol beruflich permanent vorgekommen seien. Dieser konkurrierende Faktor sei übrigens
ausgeschlossen worden. Oral aufgenommener Alkohol werde physiologisch im Leberkreislauf verstoffwechselt
(enzymatischer Abbau), wogegen durch die Atmung (inhalierte) oder durch die Haut (dermal) aufgenommene
Lösungsmittel über den Lungenkreislauf mit dem arteriellen Blut direkt in das Gehirn eindringen würden, bevor sie in
den Leberkreislauf zur Entgiftung gelangen würden. Die Gedächtnisstörungen und ein mindestens einmal
aktenkundiger durch die pränarkotische Wirkung bedingter Zusammenbruch seien deutliche Zeichen einer solch
massiven Wirkung der hirngängigen inhalierten neurotoxischen Substanzen. Daher seien Ausführungen über angeblich
nicht ausreichende Expositionen weder fundiert noch plausibel. Das Fehlen konkreter Messwerte aus den Jahren
dürfe dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Konkurrierende Ursachen seien weder ermittelt noch quantifiziert
worden. Als neuropsychologische Spätfolgen einer Exposition würden typischerweise beeinträchtigte
Vigilanzleistungen (Daueraufmerksamkeit), Verlangsamung von Wahrnehmungsprozessen und von
psychomotorischen Prozessen, die sich als ZNS-depressive, pränarkotische Wirkung interpretieren lassen würden,
gelten. Bei dem Kläger seien objektivierte neuropsychologische Befunde erhoben worden, die eine Klassifikation nach
WHO-Kategorien als Typ 2 B erlauben würden, also eine leichte chronisch-toxische Enzephalopathie, weil zu den
einschlägigen subjektiven Beschwerden zusätzliche objektive neuropsychologische Defizite in kognitiven,
psychomotorischen und aufmerksamkeitsbezogenen Funktionen objektiv nachgewiesen worden seien. Die
medizinischen Voraussetzungen für die BK 1302 lägen demnach vor. Die MdE betrage seit 1989 80 v. H ...
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung ehemaliger Arbeitskollegen des Klägers, so des Zeugen P
Odes ZeugenHK und der Zeugin G K (hinsichtlich der Einzelheiten des Beweisergebnisses wird auf Bl. 75/76, 77 und
89/90 der Gerichtsakte verwiesen).
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 21. Juni 2007 verurteilt, dem Kläger Verletztenrente wegen seiner
toxischen Enzephalopathie ab dem 1. Oktober 1993 nach einer MdE von 40 v. H. zu gewähren. Zur Begründung hat
es unter anderem ausgeführt, das Gericht folge den stimmigen und überzeugenden Ausführungen der
Sachverständigen Dr. L, Prof. Dr. F-B sowie Prof. Dr. H. Nach ihren Untersuchungsergebnissen leide der Kläger unter
Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, die als Berufskrankheit zu werten seien.
Gegen dieses ihr 17. August 2007 zugegangene Urteil richtet sich die am 3. September 2007 eingegangene Berufung
der Beklagten. Zur Begründung führt sie unter anderem aus, das Sozialgericht habe sich bei seiner Entscheidung auf
das Gutachten des Prof. Dr. F-B gestützt und das diesem entgegenstehende Gutachten von Dr. K nicht hinreichend
gewürdigt. Dr. K sei zu dem Ergebnis gelangt, dass schon das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen als
fraglich anzusehen sei und die Diagnose einer toxischen Enzephalopathie, entgegen dem Gutachten von Dr. L, nicht
entsprechend gesichert sei. Das Krankheitsbild sei äußerst diffus und nicht eindeutig als toxische Enzephalopathie zu
interpretieren. Auch die Gewerbeärztin Dr. N habe ausweislich ihrer Stellungnahmen vom 30. April 1998 und 30. Juli
1998 in Kenntnis des Gutachtens des Dr. L und der weiteren Gefährdungsanalyse vom 17. Juli 1998 die Anerkennung
einer Berufskrankheit Nummer 1302 nicht empfohlen. Das Gutachten des Prof. Dr. F-B vermöge nicht zu überzeugen.
Offenbar halte Prof. Dr. F-B die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit auch
im Hinblick auf einen vom Kläger angegebenen Unfall im Sommer 1989 für gegeben. Über einen derartigen Unfall
lägen aber keinerlei Unterlagen in Form einer Meldung oder eines Berichtes vor. Auch bezüglich der Diagnose scheine
in dem vorgenannten Gutachten Unsicherheiten zu bestehen. Während Prof. Dr. F-Beyme ausführe, den
Ausführungen in der Ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit von Dr. Winkler vom 6. November 1996 sei eher
eine Polyneuropathie als eine Enzephalopathie zu entnehmen, gehe er auf Bl. 7 seines Gutachtens offenbar von einer
(gesicherten) Enzephalopathie aus. Schließlich erscheine auch die Höhe der angegebenen MdE fraglich. Im Übrigen
komme wohl nicht eine Berufskrankheit nach Nummer 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe),
sondern nach Nummer 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren
Gemische) in Betracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Juni 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und hält das Gutachten des Prof. Dr. F-B für
überzeugend. Dem Gutachten des Dr. K könne nicht gefolgt werden. Dies enthalte keine Auseinandersetzung mit
Mischexpositionen, es enthalte Auslassungen von Evidenz und es beruhe auf ehrenrührigen Unterstellungen, die den
Kläger als Hypochonder und Trinker darstellen würden. Die Behauptung der Beklagten, dass die arbeitstechnischen
Voraussetzungen für eine Anerkennung einer Krankheit nicht vorlägen, sei nicht nachzuvollziehen. Der
Sachverständige Prof. Dr. F-B lege nachvollziehbar dar, dass die gesamte Exposition des Klägers in seinem
Berufsleben gegeben gewesen sei. Auch die Gewerbeärztin habe auf die vermuteten Lösungsmitteleinwirkungen
hingewiesen, mit denen der Kläger in Berührung gekommen sei und habe erklärt, dass das Überschreiten der MAK-
Werte "sehr kurze Zeiten für wenige Tage im Jahr" erfolgt sein dürfe. Sie vergesse aber, dass in der Wissenschaft
bekannt sei, dass auch diese kurze und an wenigen Tagen im Jahr erfolgte Überschreitung der MAK-Werte
ausreichend sei, um neurotoxische Schädigungen hervorzurufen. Sollte man zu dem Vorliegen einer Berufskrankheit
gemäß BK 1317 kommen, so sei auch diese zu entschädigen.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Pharmakologie und Toxikologie Prof. Dr. St hat in seinem Gutachten vom
7. Februar 2009 unter anderem ausgeführt, zu der Frage, ob es sich bei den Erkrankungen des Klägers um
Erkrankungen im Sinne der BK Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) handle, müsse zunächst
erörtert werden, worum es sich bei halogenierten Kohlenwasserstoffen handle, und welche Symptome
beziehungsweise Erkrankungen sie hervorrufen könnten. Wie bereits im Merkblatt für die ärztliche Begutachtung zur
BK Nr. 1302 erwähnt, handele es sich um eine sehr heterogene Gruppe zahlreicher organischer Verbindungen, die
sich auch in toxikologischer Hinsicht uneinheitlich verhalten würden. Ihnen sei lediglich gemein, dass die
Verbindungen aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen würden, die zusätzlich halogeniert seien, das heiße es
bestünden Verbindungen mit Halogenen wie Fluor, Chlor, Brom oder Jod. Halogenierte Kohlenwasserstoffe würden
vielfältig eingesetzt, auch als Stoffgemische, was die Beurteilung der gesundheitlichen Gefährdung erschweren würde.
Sie fänden zum Beispiel Verwendung als Lösemittel und zur Bekämpfung von Schädlingen, aber auch in der
Kunststoffherstellung, als Feuerlöschmittel oder als Narkosemittel. Einige dieser Stoffe bzw. dieser Verwendungen
seien heute nicht mehr üblich. Wegen der unterschiedlichen Wirkungsweise sei es notwendig, zu erläutern, mit
welchen Stoffen der Kläger Kontakt gehabt habe. Auch wenn es sich mit Sicherheit um Mischexpositionen gehandelt
habe, müssten aus toxikologischer Sicht zunächst die Einzelsubstanzen berücksichtigt werden. Laut Aktenlage habe
der Kläger mit mehreren Substanzen, wie zum Beispiel mit dem Holzschutzmittel Hylotox, Unterwasserfarben,
Nitroverdünnung, Kunstharzverdünnung, Tagesleuchtfarben (Filoflex), Korrosionsschutzanstrichen (Bornit und
Pregolit), Salzsäure, Schwefelsäure, Benzin, Diesel, Benzol, Petroleum, Frostschutzmittel, verschiedensten Lacken,
den Korrosionsanstrichen telsys, Toluol und Xylol gearbeitet. Weitere, potentiell toxische Expositionen hätten sich
aus Schleifstäuben und Antifoulingfarben ergeben können. Es sei nicht möglich, die Inhaltsstoffe aller aufgezählten
Zubereitungen zu bewerten. Seine Ausführungen würden sich daher exemplarisch auf das Holzschutzmittel Hylotox
beschränken. Die aktenkundig gesicherten Inhaltsstoffe von Hylotox seien Pentachlorphenol (PCP) und
Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) gewesen. Hierbei handele es sich um aromatische halogenierte
Kohlenwasserstoffe. Es fänden sich zahlreiche Veröffentlichungen über die akute toxische Wirkung von PCP oder
DDT. Es handle sich dabei ausschließlich um Effekte, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer hohen
Exposition zu finden seien, die also innerhalb von Minuten bis Stunden auftreten würden. Die Auswirkungen auf den
Menschen speziell nach chronisch moderaten Expositionen seien dagegen nur wenig untersucht; in der Regel seien
die Daten nicht eindeutig zu interpretieren, da es sich um Expositionen gegenüber mehreren Chemikalien handle und
die spezifischen Expositionen nicht nachgewiesen worden seien. Fast alle Autoren in der relevanten
wissenschaftlichen Literatur würden sich einhellig äußern, dass es sich um ein wenig erforschtes Gebiet handle,
welches weitere Studien und Beobachtungen verlange. Da die Verwendung der beiden Stoffe heute aber sehr
eingeschränkt beziehungsweise verboten sei, könne in Zukunft nicht mit wesentlichen neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen zur Toxizität nach chronischer Exposition gerechnet werden. In der medizinischen, wissenschaftlichen
Literatur würden sich sowohl für PCP als auch für DDT Symptome finden, die auch bei dem Kläger berichtet worden
seien. Lokal irritative Effekte, wie Dermatitiden und Augenentzündungen, seien bei beiden Substanzen beschrieben
worden. Auch Einschränkungen im Lernverhalten, wie im neuropsychologischen Gutachten berichtet oder die
schlechtere Durchführung von komplexen Aufgaben, sowie eine deutliche Verlangsamung beim visuomotorischen
Geschwindigkeitstest könnten durch die diskutierten Stoffe verursacht worden seien. Es bestünden also
Erkrankungen, die im Zusammenhang mit den Stoffen stehen könnten. Eine Enzephalopathie als eindeutige und
wahrscheinliche Folge einer Exposition mit einem der beiden diskutierten Stoffe sei aufgrund der Angaben in der
bisher publizierten medizinischen Literatur nicht beschrieben worden. Die Wahrscheinlichkeit einer erstmaligen
Entstehung könne aus toxikologischer Sicht nicht mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden, da keine
Blutuntersuchungen bei dem Kläger durchgeführt worden seien, die eine verstärkte Exposition beweisen könnten. Als
Folge einer erheblichen DDT-Exposition wären der Stoff und sein Metabolit DDE wahrscheinlich auch heute noch in
erhöhten Konzentrationen nachweisbar. Ein übernormal erhöhter Spiegel spreche für eine vorangegangene deutliche
Exposition. Andererseits bedeute das Fehlen eines DDE-Gehalts oberhalb der Referenzwerte nicht, dass niemals eine
erhöhte Exposition vorgelegen habe. Es sei die Diagnose einer Enzephalopathie gestellt worden. Die Frage, ob diese
toxisch bedingt sei, lasse sich nur spekulativ beantworten. Die Symptome könnten durch die halogenierten
Kohlenwasserstoffe hervorgerufen worden sein oder andere Ursachen haben. Eindeutige Hinweise darauf, dass die
Chemikalienexposition tatsächlich als Ursache für die Erkrankung anzusehen sei, lägen nicht vor. Unstrittig sei, dass
eine Exposition mit halogenierten Kohlenwasserstoffen und zahlreichen anderen chemischen Stoffen bei dem Kläger
vorgelegen habe. Unklar seien die Expositionshöhe und die Expositionsdauer, welche für eine Bewertung aus
toxikologischer Sicht entscheidend sei. Die in diesem Gutachten exemplarisch beschriebenen Wirkungen von PCP
und DDT sollten deutlich machen, dass auch bei diesen Verbindungen eine klare Abhängigkeit der Wirkungen von der
Exposition bestehe. Wie jede andere Chemikalie auch, könnten auch diese Stoffe in den beiden denkbaren extremen
Expositionsszenarien entweder völlig unwirksam sein oder tödlich wirken. Da keine Messungen der Exposition erfolgt
seien, die Höhe der Expositionen aber aus toxikologischer Sicht das entscheidende Kriterium sei, könne eine
fundierte toxikologische Bewertung nicht erfolgen. Angesichts der unklaren Expositionen ließen sich auch die
möglichen gesundheitlichen Folgen der Exposition nicht mit hinreichender Sicherheit toxikologisch begründet ableiten.
Die Exposition müsse grob geschätzt werden, die Wahrheitsgehalte der teilweise widersprüchlichen Aussagen
müssten juristisch entschieden werden. Dr. L komme in seinem neuropsychiatrischem Gutachten zu dem Schluss,
dass bei dem Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine "toxische Enzephalopathie" und damit eine BK Nr.
1302 vorliege. Der Kausalzusammenhang werde begründet mit dem langjährigen beruflichen Umgang mit
lösemittelhaltigen Chemikalien, insbesondere mit Holzschutz- und Imprägnierstoffen, die im Bootsbau Verwendung
fanden. Angesichts der unklaren Höhe der Exposition könne dies toxikologisch nicht nachvollzogen werden.
Enzephalopathien würden nicht zu den primären und typischen Wirkungen der hier diskutierten Substanzen gehören.
Andererseits lägen bei dem Kläger Erkrankungen, zum Beispiel der Diabetes, vor, die durchaus zu einer Schädigung
des Nervensystems führen könnten. In dem Gutachten des Dr. Kwerde zutreffend darauf hingewiesen, dass die
bestehenden Kopfschmerzen und andere Symptome einschließlich der verringerten zerebralen Leistungsfähigkeit in
Verbindung mit den bestehenden chronischen Erkrankungen, wie Hypertonie und Diabetes, gesehen werden könnten.
Die neuropsychologischen Gutachten hätten den Diabetes dagegen nicht vordergründig als eine mögliche Ursache der
Veränderungen angesehen. Prof. Dr. F-B weise darauf hin, dass die Wirkung von Stoffen mit nervenschädigendem
(neurotoxischem) Potenzial unabhängig von der Dauer und Höhe der Konzentration solcher Stoffe sei. Diese Aussage
sei aus toxikologischer Sicht nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich gebe es auch für Stoffe mit neurotoxischem
Potenzial niedrige Grenzkonzentrationen, bei denen keinerlei Wirkung mehr festzustellen sei. Stoffe wie DDT und
PCP seien auch bei der Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Exposition im Blut nachweisbar. Andererseits könne
der Feststellung, dass "genetische Polymorphismen" vorlägen, welche die Empfindlichkeit einzelner Individuen für
toxische Wirkungen erhöhen könnten, generell zugestimmt werden. Entsprechende Polymorphismen seien für die hier
diskutierten Stoffe allerdings nicht bekannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf
den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. BK ) verwiesen, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der
Klage zu Unrecht stattgegeben und die Beklagte zur Anerkennung einer BK Nr. 1302 sowie der Gewährung von
entsprechenden Leistungen nach einer MdE von 40 v. H. verurteilt. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er
durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Anerkennung einer BK Nr. 1302 und dementsprechend keinen Anspruch auf Gewährung entsprechender
Leistungen.
Zutreffend hat das Sozialgericht im vorliegenden Fall die Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht das am 1.
Januar 1997 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII)
angewandt, denn der Versicherungsfall wäre vor dem 1. Januar 1997 eingetreten und die von dem Kläger begehrte
Leistung (Verletztenrente) wäre – wenn die Voraussetzungen hierfür vorlägen – vor diesem Zeitpunkt festzusetzen
gewesen, d. h. der Anspruch darauf wäre vor dem 1. Januar 1997 entstanden (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII, § 40 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil –, SGB I). Einer Prüfung der Vorschriften des Beitrittsgebietes
bedarf es vorliegend nicht, denn die von dem Kläger vorgetragene Berufskrankheit ist nicht vor dem 01. Januar 1992
eingetreten (§1150 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung).
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 547 RVO) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherter einen
Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548 ff. RVO erlitten hat. Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine
Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei den in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO
genannten Tätigkeiten erleidet (Satz 2). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche
Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere
Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als
die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Satz 3). Für die Berufskrankheiten gelten die für Arbeitsunfälle maßgeblichen
Vorschriften entsprechend (§ 551 Abs. 3 RVO).
Die Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur BKV betrifft ganz allgemein "Erkrankungen durch
Halogenkohlenwasserstoffe". Eine solche Erkrankung könnte auch eine toxische Enzephalopathie sein.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die
vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw.
verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden
sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen
einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die
Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu
bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht
(ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 16/00 RSozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16
m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für
den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche
Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az. 2 RU 69/87, zitiert nach Juris; Urteil
vom 02. Februar 1978, Az. 8 RU 66/77, BSGE 45, 285, 286).
Unter Beachtung dieser Vorgaben hat der Kläger zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung,
dass die Voraussetzungen der BK Nr. 1302 vorliegen.
Zwar liegt entgegen der Ansicht des Sachverständigen Dr. Kder davon ausging, dass die Krankheit als solche nicht
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also nicht im Vollbeweis, nachgewiesen sei, eine der BK Nr. 1302
entsprechende Krankheit vor. Hierbei ging Dr. K jedoch davon aus, dass Krankheit in diesem Sinne vorliegend die
"toxische Enzephalopathie" sei. Dem folgt der Senat nicht. Krankheit in diesem Sinne ist die "Enzephalopathie", von
deren Vorliegen die Sachverständigen übereinstimmend ausgehen und die daher auch ausreichend, nämlich mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Unstreitig hat der Kläger im streitigen Zeitraum auch eine
versicherte Tätigkeit ausgeübt.
Fraglich ist jedoch bereits das Vorliegen der durch die versicherte Tätigkeit bedingten schädigenden Einwirkungen
einschließlich deren Art und Ausmaß, die sich zur Überzeugung des Senats vorliegend nicht im Sinne des
Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachweisen lassen. Dabei reicht es nicht aus,
dass nachgewiesen wird, dass der Kläger Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt war, sondern es muss auch eine
gesundheitsschädigende Expositionshöhe und –dauer nachgewiesen werden. Hierauf hat Prof. Dr. St in seinem
umfangreichen Gutachten vom 7. Februar 2009 zutreffend hingewiesen und dargelegt, dass zwar unstrittig ist, dass
bei dem Kläger eine Exposition mit halogenierten Kohlenwasserstoffen und zahlreichen anderen chemischen Stoffen
vorgelegen hat, dass aber sowohl die Expositionshöhe als auch die Expositionsdauer unklar sind. So konnte der
Technische Aufsichtsdienst der Beklagten in seinen Stellungnahmen vom 12. Dezember 1996 und 15. Juli 1998 nur
sehr allgemeine Ausführungen darüber machen, welchen Expositionen der Kläger bei seiner Tätigkeit vom 1. Juli 1985
bis zum 31. Mai 1989 ausgesetzt war. Er führte aus, das der Kläger nach eigenen Aussagen sowie Aussagen seines
damaligen Vorgesetzten wahrscheinlich toxischen Stoffen beim Umfüllen von Lacken, Lösemitteln und
Holzschutzmitteln von Fässern in kleinere Gebinde ausgesetzt gewesen sei. Das Umfüllen sei im Freien erfolgt, ohne
Atemschutz und teilweise ohne geeignete Schutzhandschuhe. Fasspumpen hätten nicht immer zur Verfügung
gestanden, so dass die kleineren Gebinde mit Trichtern aus Fässern hätten befüllt werden müssen. Es seien etwa 10-
15 Fässer im Jahr in kleinere Gebinde abgefüllt worden. Daneben seien auch etwa 200 kg Antifoulingfarben sowie
kleinere Mengen von Kunstharzlacken und Lösemitteln umgefüllt worden. Die Lagerung der Hylotox-Fässer sei nach
Angaben des Klägers nicht sachgemäß im Freien erfolgt. Durch zu tiefe Temperaturen im Freien sei es zu
Zersetzungs- bzw. Entmischungsprozessen gekommen. Zusätzlich seien die Fässer der Sonne ausgesetzt gewesen,
so dass es im Sommer zu starker Druckentwicklung gekommen sei. Beim Umfüllen der Stoffe sei es des Öfteren zu
Hautkontakt und Einatmen von Dämpfen gekommen. Der Kläger habe einen Unfall erwähnt, bei dem er durch ein
geborstenes Fass mit Hylotox bespritzt worden sei, wobei seine gesamte Kleidung durchtränkt worden und es zu
Hautkontakt in erheblichem Ausmaß gekommen sei. Der Vorgesetzte habe angegeben, bei einem ähnlichen Unfall
selbst eine schwerwiegende Vergiftung mit Hylotox erlitten zu haben. Diese Arbeiten hätten nur circa eine Woche pro
Jahr durchgeführt werden müssen, die einzelnen Umfüllarbeiten hätte dabei täglich etwa 4 h in Anspruch genommen.
Die Belastung durch Lösemitteldämpfe sei dabei als unerheblich zu bewerten, da die Arbeiten im Freien, also unter
sehr guten Lüftungsbedingungen erfolgt sei. Wesentlich erscheine hingegen der Hautkontakt durch
Flüssigkeitsspritzer beim Umfüllen. Teilweise seien die Fässer nur auf eine Vorrichtung gerollt, der Spund heraus
gedreht und das Fass anschließend mit dem Spundloch nach unten gedreht und so über einen Trichter in kleinere
Kanister oder Dosen gefüllt worden. Da insbesondere für die leichtflüssigen Holzschutzmittel keine geeignete
persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestanden habe, sei eine Schadstoffaufnahme über die Haut nicht
auszuschließen.
Es lässt sich damit zwar feststellen, dass der Kläger Halogenkohlenwasserstoffen und anderen Chemikalien
ausgesetzt war, zur Dauer und Höhe der Exposition lassen sich jedoch nur ungefähre Werte ermitteln. Diese
schwanken zwischen den ersten Angaben im Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 15. Juli 1998, der
Kläger sei ca. eine Woche pro Jahr ca. 4 Stunden täglich mit dem Umfüllen verschiedener Stoffe beschäftigt
gewesen, über die Aussage des Zeugen O, es habe an ca. acht Tagen im Monat Expositionen gegenüber Farben und
Verdünnungen bestanden, bis zu der Aussage der Zeugin K, die zunächst ebenfalls acht Tage pro Monat und
schließlich, nach Hinweis auf die Wahrheitspflicht, eine tägliche Beschäftigung des Klägers mit Umfüllarbeiten
bezeugte. Übereinstimmend haben die Zeugen bestätigt, dass Gerüche sowohl im Farbenlager als auch im Freilager
deutlich wahrnehmbar gewesen seien, dass Expositionsmessungen jedoch nicht durchgeführt worden sind. Aus den
Zeugenaussagen ergibt sich damit eine Expositionsdauer von ca. drei bis vier Stunden täglich, wobei die
Expositionshöhe völlig ungeklärt ist, da es hierzu lediglich die Angaben des Klägers und der Zeugen gibt, es habe
unangenehm gerochen.
Für den Senat nachvollziehbar ist es jedoch, dass diese Angaben für eine Bewertung aus toxikologischer Sicht
entscheidend sind. Insofern kann dem Gutachten des Prof. Dr. F-B nicht gefolgt werden, der davon ausgegangen ist,
dass die Wirkungen von Stoffen mit nervenschädigendem (neurotoxischem) Potenzial unabhängig von der Dauer und
Höhe der Konzentration solcher Stoffe sei. Diese Aussage ist, wie Prof. Dr. St zutreffend ausgeführt hat, aus
toxikologischer Sicht nicht nachvollziehbar, denn es gibt selbstverständlich auch für Stoffe mit neurotoxischem
Potenzial niedrige Grenzkonzentrationen, bei denen keinerlei Wirkung mehr festzustellen ist. Nachvollziehbar hat Prof.
Dr. St diese Aussage anhand der exemplarisch beschriebenen Wirkungen von Pentachlorphenol und DDT verdeutlicht
und dargestellt, dass auch bei diesen Verbindungen eine klare Abhängigkeit der Wirkung von der Exposition besteht.
Wie jede andere Chemikalie auch, können auch diese Stoffe in den beiden denkbaren extremen Expositionsszenarien
entweder völlig unwirksam sein oder tödlich wirken. Da keine Messungen der Exposition erfolgt sind, die Höhe der
Expositionen aber aus toxikologischer Sicht das entscheidende Kriterium ist, konnte Prof. Dr. St eine fundierte
toxikologische Bewertung nicht vornehmen. Angesichts der unklaren Exposition lassen sich damit auch die möglichen
gesundheitlichen Folgen, wie Prof. Dr. St zutreffend ausgeführt hat, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
toxikologisch begründet ableiten.
Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F-Be kann dagegen nicht überzeugen, denn dieser unterstellt eine
entsprechende Exposition, wenn er ausführt, dass nach seiner Einschätzung viel für eine häufige und hochgradige
Einwirkung von gemischten neurotoxischen Substanzen spreche, die jeweils unvermeidlich vorgekommen seien und
deren Vorkommen dem Grunde nach auch nicht bestritten würde. Es werde lediglich die Höhe sowie die Dauer der
Konzentration bestritten, was für ihn nicht nachvollziehbar sei, da die Quantität der Exposition nicht die entscheidende
Rolle spiele, wenn Belastungen in Form von Spitzenwerten und Mehrfachbelastungen durch kombinierte Stoffe
vorgekommen seien. Soweit der Sachverständige ausführt, diese Spitzenbelastungen seien bei dem Kläger jedenfalls
durch den beschriebenen Unfall 1989 mit Vergießen des Mittels Hylotox aus einem Fass über Partien der Haut und
der Kleidung, erreicht worden, fehlt es auch insoweit an einem ausreichenden Beweis hierfür. Zwar hat die Zeugin K
ausgesagt, ihr sei bekannt, dass der Kläger einen Unfall erlitten habe, sie sei zwar bei dem eigentlichen Ereignis nicht
zugegen gewesen. Sie habe aber gesehen, dass der Kläger nass gespritzt gewesen sei und meine, die Flüssigkeit sei
Hylotox gewesen, reicht dies zur Überzeugung des Senates nicht aus, um Art und Ausmaß des Unfalles und der
durch den Sachverständigen Prof. Dr. F-B unterstellten akuten Gesundheitsstörungen nachzuweisen. Soweit der
Sachverständige in diesem Zusammenhang äußert, hiermit sei eine Spitzendosis verbunden gewesen, die zur
Aufnahme chlorierter Verbindungen in den Körper geführt haben könne, und zwar in der Konzentration, die um
Dimensionen über inhalierbaren Mengen lägen, ist dies zwar nicht zu bestreiten. Dass diese Exposition vorgelegen
haben , reicht aber nicht aus, um diese Tatsche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.
Auch im Übrigen überzeugt das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F-B nicht, denn er schließt im
Wesentlichen von der Erkrankung - Enzephalopathie - auf die Ursache - ausreichende Expositionen gegenüber
halogenierten Kohlenwasserstoffen - ohne jedoch, wie dies sowohl Dr. Kals auch Prof. Dr. St getan haben, sich mit
alternativen Ursachen, beispielsweise der Diabetes- oder der Bluthochdruckerkrankung des Klägers
auseinanderzusetzen. Auch die Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. F-Be, das Fehlen konkreter Messwerte aus
den Jahren dürfe dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, denn wie bereits
oben ausgeführt, müssen sich die durch die versicherte Tätigkeit bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich
deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit -
nachweisen lassen. Da der Sachverständige Prof. Dr. F-Besomit bereits von einer falschen Annahme, nämlich dem
bewiesenen oder zu unterstellenden Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen, ausgeht, kann der Senat
seinem Gutachten nicht folgen.
Zutreffend hat aber insbesondere der Sachverständige Dr. K darauf hingewiesen, dass die Enzephalopathie auch
Folge einer allgemeinen Durchblutungsstörung, einer zerebralen Durchblutungsstörung oder einer Diabetesschädigung
sein könne. Auch hinsichtlich der weiteren von dem Kläger vorgetragenen Gesundheits- beziehungsweise
Befindlichkeitsstörungen hat Dr. K ausgeführt, dass hierfür neben einer toxikologischen Ursache auch andere
Ursachen wie die bei dem Kläger vorliegende Bluthochdruckerkrankung oder der Diabetes in Betracht gezogen werden
müssen. So lassen sich die von dem Kläger geklagten Kopfschmerzen auch durch die Bluthochdruckerkrankung
erklären. Die Merkfähigkeitsstörungen könnten bei dem zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen
Dr. K 63 Jahre alten Kläger im Rahmen entsprechender zerebraler Abbauprozesse und Leistungseinbußen durch den
Diabetes begründet sein.
Zur Überzeugung des Senates lassen sich damit bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung
einer BK 1302 nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Der Prüfung einer BK nach der Nr. 1317 durch den Senat bedurfte es nicht, denn diese war weder Gegenstand des
Verwaltungs- noch des Klageverfahrens und ist damit auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden.
Nach alledem ist der Berufung stattzugeben.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des
Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.