Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 07.05.2007

LSG Berlin-Brandenburg: aufnahme der selbständigen erwerbstätigkeit, hauptsache, wohnung, angemessene frist, dringlichkeit, zustellung, heizung, erlass, gewährleistung, verhinderung

1
2
3
4
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
28. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 28 B 837/07 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b Abs 2 SGG, § 16 SGB 2, §
22 SGB 2
Übernahme der Unterkunftskosten bei teilweiser gewerblicher
Nutzung durch einstweiligen Rechtsschutz
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7.
Mai 2007 geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig, ab Zustellung dieses
Beschlusses bis zum 30. September 2007, längstens jedoch bis zur Zustellung der
Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 1. März 2007, weitere Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 392,53 €, für Juni 2007 jeweils anteilig für die
verbleibenden Tage vom Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an, zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten
des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine
Kosten zu erstatten.
Gründe
Die gemäß § 172 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der
Antragsteller, der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat, ist in dem aus dem
Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Einer Entscheidung des Senats steht zunächst einmal nicht eine bestandskräftige
Entscheidung des Antragsgegners über den streitbefangenen Anspruch entgegen.
Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass der Bewilligungsbescheid vom 1. März 2007,
mit dem er den in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellern Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für
den Bewilligungsabschnitt vom 1. April 2007 bis zum 30. September 2007 in Höhe von
monatlich 613,10 € bewilligt und hierbei lediglich monatliche Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe von 444,- € anerkannt hat, bestandskräftig geworden ist, trifft dies nicht
zu. Denn ausweislich der Verwaltungsakte des Antragsgegners hat der Antragsteller zu
1) am 20. März 2007 persönlich bei dem Antragsgegner vorgesprochen und sich wegen
der „Reduzierung der Kosten der KdU ab 3/07“ beschwert. Dies kann bei sachdienlicher
und vernünftiger Auslegung des Vorbringens nur als Widerspruch gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 1. März 2007 verstanden werden.
Für die Gewährung von Leistungen für vor dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats
im Beschwerdeverfahren liegende Zeiträume fehlt es allerdings an einem nach § 86 b
Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere
Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen
eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag
entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der
Beschwerdeentscheidung (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung , 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123
Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123
VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein
spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für
die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden
Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann
jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn
5
6
7
8
jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn
die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund
des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz
zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren
der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die
Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre
(Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW
2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies
bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und
dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet,
soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen
hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das
Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden
Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes
nach Art. 19 Abs. 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines
Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere
dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt
werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum
Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine -
stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend
rückgängig machen lassen. Derartige Umstände haben die Antragsteller nicht
vorgetragen, sie sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
Für die Zeit nach Zustellung des Beschlusses ist die beantragte einstweilige Anordnung
aufgrund einer Folgenabwägung zu treffen. Hierbei sind die Grundsätze anzuwenden, die
das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuch (SGB II) entwickelt hat (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -
NVwZ 2005,927 ff.). Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine
Folgenabwägung als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
gestützt werden, wobei Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die
Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten
der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und
Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann,
wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines
Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je
absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht
gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet
ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie
nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des
Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne (vgl. auch
Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Dezember 2006 - L 10 B 1052/06 AS ER
-).
Im vorliegenden Fall entscheidet der Senat aufgrund einer Folgenabwägung, weil eine
abschließende Feststellung der Leistungsansprüche in diesem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nicht möglich ist und dies dem Hauptsachverfahren vorbehalten
bleiben muss. Soweit die Antragsteller ihr Begehren allerdings auf § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB II stützen, dürfte dies nicht erfolgreich sein. Hiernach werden Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese
angemessen sind. Dass eine Wohnung mit vier Zimmern und einer Wohnfläche von
96,85 m² sowie einer Miete von 849,43 € (Bescheinigung der Wohnungsbaugesellschaft
Prenzlauer Berg vom 18. Oktober 2004) für zwei Personen nicht angemessen ist,
bestreiten die Antragsteller im Kern auch nicht. Denn diese Kosten liegen jedenfalls
erheblich über den in Ziffer 4 Abs. 2 der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung
angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II vom 7. Juni 2005 in der Fassung
der Änderungsvorschriften vom 30. Juni 2006 (AV-Wohnen; veröffentlicht im Amtsblatt
für Berlin 2005 3743 und 2006, 2062) genannten und von dem Antragsgegner hierfür
herangezogenen Maßstab. Danach gilt als Richtwert für einen 2-Personen-Haushalt eine
angemessene Brutto-Warmmiete in Höhe von 444,- €.
Die Antragsgegner berufen sich hingegen darauf, dass es ihnen nicht zumutbar sei, Teile
der Wohnung zu vermieten, weil diese zusätzlichen Räume von der Antragstellerin zu 2),
9
10
11
12
13
der Wohnung zu vermieten, weil diese zusätzlichen Räume von der Antragstellerin zu 2),
die als Fotodesignerin selbständig tätig ist, als Gewerberäume genutzt werden. Die
Wohnung sei für diese Tätigkeit besonders geeignet, weil sie ebenerdig liege und so
einerseits die empfindlichen Arbeitsgeräte und Objekte der Antragstellerin zu 2)
außerhalb des eigentlichen Arbeitszimmers (10,6 m²) gelagert und transportiert werden
sowie andererseits Präsentationen durchgeführt werden könnten. Auch sei die Lage der
Wohnung im Ortsteil P zu berücksichtigen. In diesem Gebiet seien wichtige Kunden aus
Werbeagenturen ansässig, die ihre Aufträge auch danach verteilten, wie gut und schnell
die Auftragnehmer zu erreichen seien. Nach den Angaben der Antragstellerin zu 2)
bedrohe der Verlust der Wohnung deshalb ihre Existenzgrundlage.
Dies zeigt, dass die von den Antragstellern angemieteten Räumlichkeiten nicht nur als
Unterkunft, sondern im Wesentlichen auch als Gewerberäume genutzt werden. Die
Kosten dieser gewerblichen Nutzung können indes nicht im Rahmen des § 22 SGB II
übernommen werden. Denn danach können ausschließlich Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für Unterkunft und Heizung, d. h. für Leistungen für Wohnraum und
nicht für Geschäftsräume übernommen werden (Urteil des Bundessozialgerichts
vom 23. November 2006 - L 11 b AS 3/05 R -, abrufbar unter:
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Da die Antragstellerin nach Aktenlage bereits seit mehreren Jahren als Fotodesignerin
arbeitet, dürfte auch eine Übernahme weiterer Kosten im Rahmen der Gewährung eines
Einstiegsgeldes nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausscheiden. Denn der Anspruch auf
Einstiegsgeld setzt voraus, dass das Einstiegsgeld und die Aufnahme der selbständigen
Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gegeben stehen.
Eine Bewilligung scheidet aus, wenn - wie wohl hier - die Förderung einer bereits
ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt wird (BSG, a. a. O.).
Denkbar ist aber eine vollständige oder anteilige Übernahme weiterer Kosten der auch
gewerblich genutzten Wohnung der Antragsteller auf der Grundlage des § 16 Abs. 2 Satz
1 SGB II. Hiernach können über die in § 16 Abs. 1 SGB II genannten Leistungen
hinausgehend weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Dazu gehören
nach § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB II insbesondere Beratungs-, Betreuungs- und
Pflegeleistungen, das Einstiegsgeld und die Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz.
Die dort genannten Leistungen haben indes lediglich exemplarischen Charakter, wie
schon der Wortlaut der Vorschrift ("insbesondere") deutlich macht. § 16 Abs. 2 Satz 1
SGB II enthält damit eine Generalklausel für ergänzende Eingliederungsleistungen aller
Art, für die die nicht abschließend in Satz 2 der Vorschrift aufgeführten Einzelleistungen
die Rolle von Hauptbeispielen übernehmen (BSG, a. a. O.). In Betracht kommen damit
neben dem Einstiegsgeld zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder
selbständigen Erwerbstätigkeit (§ 29 SGB II) weitere davon zu unterscheidende und
insoweit vom Aufstockungsverbot (jetzt gesetzlich klargestellt in § 16 Abs. 2 Satz 1
Halbsatz 2 SGB II) nicht erfasste Leistungen zur Fortsetzung selbständiger
Erwerbstätigkeit, welche schon im Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes nach
Maßgabe der Regelung des § 30 BSHG als Hilfe zur Sicherung der Lebensgrundlage
durch eigene Tätigkeit möglich waren (BSG, a. a. O.)
Dem Gesetz sind allerdings die näheren Modalitäten, beispielsweise hinsichtlich Art,
Dauer und Höhe einer weiteren Eingliederungsleistung zur Fortsetzung selbständiger
Erwerbstätigkeit nicht zu entnehmen. Diese steht grundsätzlich im Ermessen der
Verwaltung. Voraussetzung der Ermessensentscheidung ist aber zum einen die
Hilfebedürftigkeit des erwerbsfähigen Leistungsempfängers und zum anderen die
Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben (BSG, a. a. O.).
Die Bewilligung einer derartigen Eingliederungsleistung setzt somit zunächst voraus,
dass die Antragsteller insoweit hilfebedürftig sind, also ihren Hilfebedarf nicht aus dem
zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern können (§§ 9 Abs. 1 Nr.2, 11
Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB II). Soweit der Antragsgegner hieran im Hinblick auf die von
der Antragstellerin zu 2) in dem Zusatzblatt 2. 1. des Fortzahlungsantrages vom 27.
Februar 2007 angegebenen voraussichtlichen Einnahmen aus selbständigen Tätigkeit im
Jahre 2007 in Höhe von monatlich 650,00 € zweifelt, verkennt er, dass die Antragstellerin
zwar die in dem genannten Zusatzblatt ebenfalls gestellte Frage nach den
Betriebsausgaben nicht beantwortet, sie aber gleichzeitig darauf hingewiesen hat, dass
sie den Einkommensteuerbescheid 2006 nachreichen werde. Zudem hat sie laufend auf
die anfallenden Betriebsausgaben hingewiesen. Eine weitere Abklärung dieser Frage ist
aber zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller unabdingbar, weil nach § 2 a
Abs. 2 der gemäß § 13 SGB II anzuwendenden Verordnung zur Berechnung von
Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim
14
15
16
17
Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20. Oktober 2004 (BGBl. I S. 262 2) bei der
Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit die notwendigen Ausgaben von
den Einnahmen abzusetzen sind. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides der
Antragstellerin zu2) für das Jahr 2005 erzielte sie jedenfalls Einkünfte aus selbständiger
Tätigkeit in Höhe von lediglich 4008,- €, also im Monat 334,- €.
Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen Hilfebedürftigkeit zu bejahen sein,
sind noch weitere Feststellungen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer
Eingliederungsleistung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu treffen. Diese beurteilen sich
nach den Zielvorgaben der §§ 1, 3 SGB II. Diese sind zwar für sich nicht
anspruchsbegründend, stecken aber als programmatische Kernaussagen und
Grundsätze den Leistungsrahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab. Hierzu
gehört auch die Unterstützung zur Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit (§ 1 Abs. 1 Satz 2
SGB II). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder
Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind. Die Erforderlichkeit in diesem Sinn
kann jedoch nur vorliegen, wenn ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Sicherheit
vorhergesagt werden kann. Diese Prognose wiederum setzt eine Plausibilitätsprüfung
voraus und deshalb ein schlüssiges Konzept, wie aus der in Aussicht genommenen
Tätigkeit der Lebensunterhalt bestritten werden soll An diesen Maßstäben wird sich auch
die von der Antragstellerin zu 2) beabsichtigte Fortsetzung ihrer selbständigen Tätigkeit
messen lassen müssen mit der Konsequenz, dass gerade diese die Aussicht auf einen
entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg bieten muss. Es ist nicht Anliegen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende, eine Persönlichkeitsentfaltung ohne Rücksicht auf
die Sicherung der Lebensgrundlage zu ermöglichen (BSG a. a. O.).
Da über den streitbefangenen Anspruch der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen dieser fehlenden Feststellungen nicht
abschließend entschieden werden kann, muss hierüber nach den Grundsätzen des
Bundesverfassungsgerichts aufgrund einer Folgenabwägung entschieden werden, die
sich an einer Verhinderung einer auch nur zeitweiligen Verletzung grundgesetzlicher
Gewährleistungen, wie die Sicherung des Existenzminimums, zu orientieren hat. Die
danach zu treffende Folgenabwägung führt zu der von den Antragstellern begehrten
Entscheidung. Hierbei waren die Folgen gegeneinander abzuwägen, die auf der einen
Seite entstehen würden, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung nicht erließe, sich
jedoch im Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch doch bestanden
hätte, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die beantragte
einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass
der Anspruch nicht bestand. Sollte die erstgenannte Alternative erfüllt sein, d. h. sollte
eine einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt werden, so entstünden
den Antragstellern schwerwiegende Nachteile. Die Antragsteller müssten die auch
gewerblich genutzte Wohnung verlassen und es stünde zu befürchten, dass die
Antragstellerin zu 2) ihre selbständige Tätigkeit aufgeben müsste und sie somit
möglicherweise eine realistische Chance verliert, aus dieser Tätigkeit einmal ihren
Lebensunterhalt vollständig bestreiten zu können.
Demgegenüber wiegen die Folgen, die bei einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen
Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners einträten, weniger schwer. Zwar entstünde
ihm in diesem Falle ein finanzieller Schaden. Diesen könnte er aber nach § 86 b Abs. 2
Satz 4 SGG in Verbindung mit § 945 Zivilprozessordnung von den Antragstellerin ersetzt
verlangen, wenn sich im anschließenden Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis nicht begründet war.
Die Abwägung eines bloßen finanziellen Schadens des Antraggegners auf der einen
Seite, die grundgesetzliche Gewährleistung der Existenzsicherung der Antragsteller,
verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf der anderen
Seite, führt zu der von den Antragstellern begehrten Anordnung.
Vor diesem Hintergrund waren den Antragstellern jedenfalls für einen begrenzten
Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuzusprechen, um dem
Antragsgegner Gelegenheit zu geben die notwendigen Feststellungen im
Widerspruchsverfahren nachzuholen. Der Senat hat sich insoweit - ausgehend von dem
Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats - an § 88 Abs. 2 SGG orientiert. Danach gilt
ein Zeitraum von drei Monaten als angemessene Frist für eine Entscheidung über einen
Widerspruch. Dieser Zeitraum deckt sich im Wesentlichen mit dem Ende des im
Bescheid vom 1. März 2007 ausgewiesenen Bewilligungsabschnittes, der am 30.
September 2007 endet. Hinsichtlich der Höhe der Leistung hat sich der Senat an dem
Bewilligungsbescheid des Antragsgegners vom 12. September 2006 orientiert. Danach
hat der Antragsgegner den Antragstellern für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Oktober
18
19
20
hat der Antragsgegner den Antragstellern für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Oktober
2006 bis zum 31. März 2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 836,53
€ statt 444,- € gewährt. Der Senat hat den Antragsgegner einstweilen verpflichtet, den
Differenzbetrag in Höhe von 392,53 € an die Antragsteller zu zahlen.
Soweit die Antragsteller ihr Begehren zeitlich nicht befristet haben, sie also im Kern eine
zeitlich unbeschränkte Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung des
streitbefangenen Betrages begehren, kann der Antrag mangels Rechtsschutzinteresse
keinen Erfolg haben. Nach Aktenlage ist noch kein Bescheid über die
Leistungsansprüche der Antragsteller für die Zeit vom 1. Oktober 2007 an ergangen. Die
Antragsteller müssen zunächst den Erlass diese Entscheidung abwarten und ggf. dann
um gesonderten einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen. Sollte der Antragsgegner
hierüber aber bereits entschieden haben, dürfte der entsprechende
Bewilligungsbescheid nicht in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des
genannten Widerspruchsverfahrens geworden sein. Denn im Rahmen des SGB II ist eine
analoge Anwendung dieser Regelung auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume
wegen der Besonderheiten dieses Rechtsgebietes nicht gerechtfertigt (Urteil des
Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7 b AS 14/06 R -, zitiert nach Juris, für
die das Klageverfahren entsprechende Regelung des § 96 SGG). Auch in diesem Fall
müssten die Antragsteller um gesonderten einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum