Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.12.2003

LSG Berlin-Brandenburg: vergütung, rechtsgrundlage, abgeltung, einzug, meldeverfahren, rentner, aufrechnung, bekanntmachung, abrede, rechtssetzung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 1 KR 23/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 28k Abs 1 SGB 4, § 28l Abs 1
SGB 4 vom 23.12.2003, § 28n Nr
5 SGB 4 vom 23.12.2003, § 3
BeitrEinzVergV 1998 vom
12.05.1998, § 5 BeitrEinzVergV
vom 18.10.1996
Krankenkasse - Vergütungsanspruch für Einbehalt und
Weiterleitung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Anspruch der Klägerin auf Weiterleitung ihr zustehender
Rentenversicherungsbeiträge ein Recht der beklagten Einzugsstelle auf Einbehaltung der
gesetzlich vorgesehenen Vergütung über den in der einschlägigen Rechtsverordnung
bestimmten Umfang hinaus entgegensteht.
Bis zum 31. Dezember 1997 richtete sich die von den Trägern der Rentenversicherung
und der Bundesanstalt für Arbeit (jetzt: Bundesagentur für Arbeit) an die Krankenkassen
(Einzugsstellen) u. a. für den Einzug, die Verwaltung und die Weiterleitung der
Sozialversicherungsbeiträge zu zahlende Vergütung nach der Verordnung über die
Vergütung für den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags und die Durchführung
der Meldeverfahren (Beitragseinzugs- und Meldevergütungsverordnung) vom 18.
Oktober 1996 – BGBl. I Seite 1525 – (BeitrEinzVergV alter Fassung - a. F. -). Mit Wirkung
vom 1. Januar 1998 wurde die Höhe der Vergütung durch die BeitrEinzVergV vom 12. Mai
1998 – BGBl. I Seite 915 – (Neuer Fassung - n. F. -) bestimmt. Die neue – bis Ende 2004
gültig gewesene – Vergütungsverordnung behielt die bisherige Berechnungsgrundlage
bei, nämlich die jeweilige Vormonatszahl (1.) der Beschäftigten, für die ein
Gesamtsozialversicherungsbeitrag entrichtet wurde, (2.) der insoweit geführten
Arbeitgeber-Beitragskonten, (3.) der Anmeldungen sowie (4.) der Anmeldungen für
geringfügig Beschäftigte. Sie ersetzte jedoch den Faktor, mit dem diese Zahlen zu
vervielfältigen waren, nämlich mit unterschiedlichen Werten für einzelne Kassenarten,
angesichts u. a. weitgehender Angleichung des Aufgabenspektrums der Krankenkassen
durch einen anderen – kassenübergreifenden – Vervielfältigungsfaktor, nämlich
unterschiedliche Werte für einzelne Kassengrößen (vier Größenklassen). Dabei waren
den größeren Kassen niedrigere, den kleineren Kassen höhere Werte zugeordnet, was zu
einer relativ höheren Vergütung führte, je kleiner die Kasse war. Dem lag der Gedanke
zugrunde, dass die Höhe der Kosten des Beitragseinzugs und des Meldewesens in der
Regel von der Größe der Kassen abhänge und Krankenkassen umso kostengünstiger
arbeiten könnten, je größer sie seien, je mehr Mitglieder sie also hätten.
Übereinstimmend regelten beide Verordnungen, dass die Einzugsstelle die Vergütung
von den weiterzuleitenden Beiträgen einbehält.
Die – bundesweit tätige – beklagte Ersatzkasse behielt von den an die Klägerin für die
Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1998 weiterzuleitenden Rentenversicherungsbeiträgen
eine noch nach der BeitrEinzVergV a. F. berechnete Vergütung für die Durchführung des
Beitragseinzugs und des Meldeverfahrens ein. Nach der neuen Verordnung stand ihr
jedoch nur eine geringere Vergütung zu, sodass sie mit deren Inkrafttreten einen
entsprechenden Betrag von weiteren 10.841.673,33 DM an die Klägerin hätte
weiterleiten müssen. Das lehnte die Beklagte jedoch mit der Begründung ab, die neue
Vergütungsverordnung sei verfassungswidrig, weil sie sie als große Kasse (Zugehörigkeit
zur Größenklasse 1: Krankenkassen mit mehr als 3 Millionen Mitgliedern ohne Rentner)
gegenüber kleineren Kassen willkürlich benachteilige. Es treffe insbesondere nicht zu,
dass sie als große Kasse kostengünstiger arbeiten könne. Ab Juli 1998 werde sie von den
weiterzuleitenden Beiträgen zwar die ihr nach der neuen Vergütungsverordnung
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weiterzuleitenden Beiträgen zwar die ihr nach der neuen Vergütungsverordnung
zustehende (geringere) Vergütung einbehalten, jedoch nur unter Vorbehalt. Im Übrigen
rechtfertige sich die Zurückbehaltung eines Teils des vorgenannten Betrages von
10.841.673,33 DM, nämlich i. H. v. 3.996.818,22 DM auch im Falle der
Verfassungsmäßigkeit der neuen Verordnung. Denn es sei eine gesonderte Berechnung
für die Rechtskreise West und Ost vorzunehmen mit der Folge, dass sie im Rechtskreis
Ost der Größenklasse 2 (mehr als 250.000 bis zu 3 Millionen Mitglieder ohne Rentner)
unterfalle.
Mit der im Oktober 1998 erhobenen Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin verlangte die
Klägerin die Zahlung des Differenzbetrages von 10.841.673,33 DM und, nachdem die
Beklagte per Überweisung vom 30. Oktober 1998 einen Teilbetrag i. H. v. 10.500.000,00
DM geleistet hatte, den verbleibenden Rest von 341.673,33 DM nebst den gesetzlich
zustehenden Zinsen. Die Vergütungsverordnung vom Mai 1998 sei verfassungsgemäß,
eine Aufteilung der bundesweit tätigen Krankenkassen in einen Rechtskreis Ost und
einen Rechtskreis West unzulässig.
Das SG folgte der Rechtsauffassung der Klägerin und verurteilte die Beklagte am 5.
November 2002 antragsgemäß, an die Klägerin 174.694,80 € nebst Zinsen i. H. v. 2 %
über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 5.543.259, 55 € vom 1. Juli
1998 bis 30. Oktober 1998 sowie aus einem Betrag von 174.694,97 € seit dem 1.
November 1998 zu zahlen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot lasse sich nicht
feststellen. Für eine Vergütung getrennt nach Rechtskreisen Ost und West fehle es an
einer Rechtsgrundlage. Der Zinsanspruch folge aus § 28 r Sozialgesetzbuch (SGB) IV.
Mit der Berufung macht die Beklagte weiterhin die Verfassungswidrigkeit der
BeitrEinzVergV n. F. geltend und führt im Einzelnen aus, dass das der Verordnung
zugrunde liegende, von der Beigeladenen in Auftrag gegebene Gutachten der BDO
Unternehmensberatung GmbH in sich widersprüchlich sei, fehlerhafte Berechnungen
aufweise und falsche Schlussfolgerungen enthalte, die sich unmittelbar auf die
Verordnung auswirkten und deren Regelungsgehalt als willkürlich erscheinen ließen. Die
ihr als großer Krankenkasse nach der neuen Verordnung zustehende Vergütung sei nicht
annähernd kostendeckend, während sie für kleinere Kassen – was auch der
Bundesrechnungshof inzwischen gerügt habe – den Grad der Kostendeckung weit
übersteige, ja zum Teil sogar absolut höher sei als sie sich für sie errechne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2002 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihrerseits an ihrem gegenteiligen Standpunkt fest, meint aber im Übrigen, auf
die Verfassungsmäßigkeit der BeitrEinzVergV n. F. komme es im Rahmen des
vorliegenden Rechtsstreits nicht an. Es fehle in jedem Falle an einer Rechtsgrundlage,
von den an sie weiterzuleitenden Rentenversicherungsbeiträgen als Vergütung mehr
einzubehalten, als die für verfassungswidrig gehaltene Verordnung hergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der
Akte des SG - S 84 KR 969/98*36 -) und der Akten der Klägerin (Leitzordner) und der
Beklagten (Kassenakten) sowie auf das Gutachten der BDO Unternehmensberatung
GmbH vom September 1997 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat den eingeklagten Anspruch im Ergebnis zutreffend zugesprochen.
Rechtsgrundlage ist § 28 k SGB IV. Danach leitet die Einzugsstelle u. a. dem zuständigen
Träger der Rentenversicherung die für diesen gezahlten Beiträge weiter.
Allerdings durfte die Beklagte die ihr für den Beitragseinzug und die Durchführung der
Meldeverfahren nach § 28 l SGB IV zustehende Vergütung von den weiterzuleitenden
Beiträgen einbehalten. Das bestimmte nicht nur die von der Beklagten für
verfassungswidrig gehaltene BeitrEinzVergV n. F. (§ 3) sondern auch die
Beitragszahlungsverordnung (BZVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juli
1997 (dort § 5 Abs. 3 Satz 1), sodass dahinstehen kann, ob der Einbehalt auch unter
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1997 (dort § 5 Abs. 3 Satz 1), sodass dahinstehen kann, ob der Einbehalt auch unter
dem Gesichtspunkt zulässiger Aufrechnung (§ 387 Bürgerliches Gesetzbuch)
gerechtfertigt gewesen wäre. Deshalb stellt die Klägerin auch nicht in Abrede, dass die
Beklagte die ihr nach der BeitrEinzVergV n. F. zustehende Vergütung einbehalten durfte.
Doch fehlt es an einer Rechtsgrundlage für den Einbehalt einer höheren Vergütung als
der nach der BeitrEinzVergV n. F. festgelegten. Dies gilt sowohl für den Fall der
Verfassungsmäßigkeit der Verordnung als auch für den Fall ihrer Verfassungswidrigkeit.
Im Falle der Verfassungswidrigkeit wäre die Verordnung oder jedenfalls ihre hier
maßgebliche Berechnungsvorschrift (§ 2 i. V. m. den Anlagen) zwar nicht mehr
anzuwenden (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 09.12.2004 – B 7 AL 22/04
R). Doch könnte auch nicht mehr auf die BeitrEinzVergV a. F. zurückgegriffen werden.
Denn diese ist nicht erst durch die BeitrEinzVergV n. F. aufgehoben worden, sodass sie
bei deren Unwirksamkeit wieder Geltung beanspruchen könnte. Vielmehr hat sich die
BeitrEinzVergV a. F. selbst von vornherein nur begrenzte Geltungsdauer beigemessen,
indem sie in ihrem § 5 nicht nur ihr Inkrafttreten am 1. Juli 1996 sondern zugleich auch
ihr Außerkrafttreten am 31. Dezember 1997 bestimmte. Nach Darstellung der
Beigeladenen geschah dies im Übrigen insbesondere auf Drängen der Ersatzkassen –
mithin auch der Beklagten. Bis Ende 1997 habe eine wettbewerbsneutrale, nicht auf die
Kassenart abstellende Lösung gefunden werden sollen.
Als Rechtsgrundlagen für eine höhere Vergütung blieben allein die gesetzlichen
Vorschriften des § 28 l SGB IV und die Verordnungsermächtigung des § 28 n SGB IV.
Diesen Vorschriften lässt sich jedoch ein Vergütungsanspruch in bestimmter Höhe nicht
entnehmen. Denn § 28 l SGB IV (Fassung bis 31.12.2004) begründete einen
Vergütungsanspruch lediglich dem Grunde nach, wenn er (u. a.) bestimmte, dass die
Krankenkassen für ihre Arbeit als Einzugsstellen eine Vergütung erhalten, mit der alle
dadurch entstehenden Kosten abgegolten werden. Und § 28 n SGB IV (Fassung bis
31.12.2004) ermächtigte das zuständige Bundesministerium in Nr. 5 lediglich, die Höhe
der Vergütung nach § 28 l SGB IV zu bestimmen, wobei eine pauschale Abgeltung
vorgesehen werden könne. Diese Regelungen mögen zwar dahin zu interpretieren sein,
dass die Vergütung – und sei es im Rahmen einer pauschalen Abgeltung – wenigstens
annäherungsweise kostendeckend zu sein hatte. Dies ändert aber nichts daran, dass
sich dem Gesetz allein ein Anspruch auf eine bestimmte Höhe der Vergütung nicht
entnehmen ließ, diesen der Höhe nach zu bestimmen vielmehr dem Verordnungsgeber
vorbehalten blieb.
Wäre also die BeitrEinzVergV n. F. verfassungswidrig und damit nicht anzuwenden
gewesen, so hätte allenfalls fraglich sein können, ob eine Vergütung, solange die
vermeintlich verfassungswidrige Verordnung nicht durch eine verfassungsgemäße
ersetzt worden war, überhaupt – also wenigstens bis zur Höhe, die die
verfassungswidrige Verordnung zugesteht – hätte einbehalten werden dürfen. Das steht
hier jedoch nicht in Streit. Nicht zweifelhaft kann dagegen sein, dass, solange keine
andere – verfassungsgemäße – Vergütungsverordnung rückwirkend in Kraft gesetzt
worden ist, es an einer Rechtsgrundlage dafür fehlt, eine höhere Vergütung
einzubehalten.
Deshalb braucht auch nicht weiter erwogen zu werden, ob das Gericht nicht die
Möglichkeit gehabt hätte, die Verfassungswidrigkeit (oder auch mangelnde
Ermächtigungskonformität) der BeitrEinzVergV n. F. durch Teilurteil festzustellen und
den Rechtsstreit im Übrigen bis zum Erlass einer neuen Vergütungsverordnung
auszusetzen. Selbst wenn dies verfahrensrechtlich an sich zulässig gewesen wäre, hätte
einem solchen Vorgehen doch fehlende Entscheidungserheblichkeit
entgegengestanden. Denn es hätte nichts daran geändert, dass die Beklagte bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt kein Recht hatte und hat, eine höhere Vergütung
einzubehalten. Allein darauf aber kommt es hier an. Denn Streitgegenstand ist nicht der
Vergütungsanspruch der Beklagten bzw. die Höhe desselben, sondern der Umfang des
Einbehaltungsrechts gegenüber dem Weiterleitungsanspruch der Klägerin. Nach dem
Sinn und Zweck des Einbehaltungsrechts kann immer nur das einbehalten werden, was
nach gegenwärtiger Rechtslage betragsmäßig feststeht, nicht aber was erst aufgrund
künftiger – rückwirkend in Kraft tretender – Rechtssetzung betragsmäßig feststehen
könnte.
Hinsichtlich der Frage, ob auf der Grundlage der BeitrEinzVergV n. F. ein
Vergütungsanspruch getrennt nach Rechtskreisen Ost und West besteht – mit der Folge,
dass die Beklagte hinsichtlich des Rechtskreises Ost der günstigeren Größenklasse 2
unterfallen würde – sowie hinsichtlich des Zinsanspruchs folgt der Senat den
Darlegungen im angefochtenen Urteil als zutreffend. Insbesondere die Frage der
Vergütung auf der Grundlage der Verfassungsmäßigkeit der BeitrEinzVergV n. F. ist von
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Vergütung auf der Grundlage der Verfassungsmäßigkeit der BeitrEinzVergV n. F. ist von
der Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht mehr thematisiert worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die
Kostenvorschrift des § 197 a SGG war übergangsrechtlich noch nicht anzuwenden (Art.
17 Abs. 1 Satz 2 6. SGG ÄndG; BSG SozR 4 – 1500 § 183 Nr. 1).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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