Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: besondere zuständigkeit, schutzwürdiges interesse, hauptsache, rechtsschutz, saft, arzneimittel, rechtskraft, normenkontrolle, versorgung, veröffentlichung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 65/10 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b Abs 2 S 1 SGG, § 47 Abs 6
VwGO, § 2 Abs 1 S 1 SGB 5, § 12
Abs 1 SGB 5, § 34 Abs 1 S 5
SGB 5
Sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit - einstweilige
Anordnung - Norm des gemeinsamen Bundesausschusses bzgl
Verordnungsausschluss von Homöopathika - Anordnungsgrund
Leitsatz
1) In den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Normen des GBA ist (noch) nach §
86b SGG zu entscheiden und deshalb das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines
Anordnungsgrundes zu prüfen.
2) Zur Prüfung des Anordnungsgrundes
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 400.000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung bis zur Vorlage einer
rechtskräftigen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren zu untersagen, Nr. 31 der
Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) in der seit dem 1. April 2009 geltenden
Fassung zu veröffentlichen sowie ihm aufzugeben, Nr. 31 der Anlage III AM-RL in der
geltenden Fassung auf der Internetseite zur AM-RL zu entfernen, hat keinen Erfolg.
1.) Der Senat behandelt das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes in Übereinstimmung mit dem für das Vertragsarztrecht zuständigen 6.
Senat des Bundessozialgerichts (BSG) als eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts im
Sinne von § 31 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG; vgl. etwa Urteil vom 31. Mai 2006, B 6
KA 13/05 R; Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA
31/09 R, jeweils zitiert nach juris). Zwar ist in der Rechtsprechung verschiedener Senate
des Bundessozialgerichts (inzwischen) umstritten, nach welchen Kriterien die besondere
Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten des
Vertragsarztrechts (§§ 10 Abs. 2, 31 Abs. 2 SGG) von der allgemeinen Zuständigkeit
einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten der gesetzlichen
Krankenversicherung (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) abzugrenzen ist. Im Interesse der
Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt der Senat bis zu einer abschließenden
höchstrichterlichen Klärung oder einer Klarstellung durch den Gesetzgeber wie schon
bisher der Auffassung des 6. Senats des Bundessozialgerichts und fasst den
vorliegenden Streit von Krankenhausträgern gegen den Gemeinsamen
Bundesausschuss unter das Vertragsarztrecht (vgl. insoweit schon Beschluss des
Senats vom 27. August 2010, L 7 KA 11/10 KL ER, zitiert nach juris [Otobacid ®]).
2.) Für die Streitigkeit ist der Senat erstinstanzlich zuständig. Der Eilantrag richtet sich
wie die Klage im Verfahren L 7 KA 125/09 KL unmittelbar „gegen Entscheidungen und
Richtlinien“ des Antragsgegners im Sinne von § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG, nämlich gegen
einen Verbindlichkeit entfaltenden Beschluss im Sinne von §§ 91 Abs. 6, 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 6 SGB V zur Verordnungsfähigkeit der von der Antragstellerin vertriebenen
Arzneimittel Monapax® Saft und Monapax® Tropfen.
a) Der Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass der Rechtsstreit über die
Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der im Antrag genannten Richtlinie inzwischen im
Revisionsverfahren vor dem BSG anhängig ist (unter dem Aktenzeichen B 6 KA 29/10 R).
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Revisionsverfahren vor dem BSG anhängig ist (unter dem Aktenzeichen B 6 KA 29/10 R).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Satz 1 SGG sind einstweilige Anordnungen durch das Gericht
der Hauptsache zu erlassen. § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG bestimmt zum Gericht der
Hauptsache das Gericht des ersten Rechtszuges und, wenn die Hauptsache im
Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Bei einer Anwendung der
letztgenannten Vorschrift ist der Senat nach der Legaldefinition des Gerichts der
Hauptsache durch die zitierte Vorschrift als Gericht des ersten Rechtszuges zuständig
für das vorliegende Verfahren; das BSG kann dagegen danach niemals Gericht der
Hauptsache sein.
b) Dies gilt allerdings nur so lange, wie der Senat für Entscheidungen über die
Wirksamkeit von Richtlinien des Antragsgegners in Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes weiterhin - wie auch im vorliegenden Verfahren - auf § 86b SGG und
nicht auf eine analoge Anwendung von § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
zurückgreift, was er in seinem Beschluss vom 26. Januar 2011 angekündigt hat, wenn
sich zeigen sollte, dass effektiver Rechtsschutz und sinnvolle Ergebnisse im Bereich der
Normenkontrolle nur über eine allgemein verbindliche Entscheidung zu erreichen sein
sollten (vgl. zu Vorstehendem LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011,
das
Gericht
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Gericht im Sinne des § 47
Abs. 6 VwGO grundsätzlich das Oberverwaltungsgericht ist, nach Einlegung der Revision
während der Dauer des Revisionsverfahrens aber das Bundesverwaltungsgericht wird
(BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998, 4 VR 2/98, zitiert nach juris). Bei einer analogen
Anwendung des § 47 Abs. 6 VwGO wäre deshalb konsequenter Weise auch das BSG für
die Entscheidung im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren zuständig; von
diesem Weg sieht der Senat allerdings (noch) ab.
Untersagung
Antragstellerin angegriffenen Nr. 31 der Anlage III AM-RL gegenüber dem Antragsteller
richtet, fehlt hierfür schon ein rechtlich schutzwürdiges Interesse. Denn der
Antragsgegner hat diese Richtlinie schon im Jahre 2009 veröffentlicht. Die Publikation
einer Rechtsvorschrift ist als Voraussetzung ihres Inkrafttretens ein einmaliger Akt.
Deshalb fehlt der Antragstellerin für dieses Begehren schon das Rechtsschutzbedürfnis.
4.) Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz
Aufrechterhaltung
Anlage III AM-RL wenden sollte, scheitert dieser Antrag ebenso wie der zusätzlich geltend
gemachte Anspruch auf eine Entfernung der Nr. 31 der Anlage III AM-RL in der geltenden
Fassung auf der Internetseite zur AM-RL jedenfalls am fehlenden Anordnungsanspruch:
Eine solche Maßnahme würde nämlich die Wirkung der Beschlüsse und Urteile
ausschließlich zwischen den Beteiligten („ inter-partes“, vgl. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG)
überschreiten und bei einer Beendigung der Veröffentlichung der Nr. 31 der Anlage III
AM-RL in der geltenden Fassung sowie der entsprechenden Information auf der
Internetseite zur AM-RL eine Wirkung inter-omnes herbeiführen, die weder § 86b SGG
noch § 141 SGG zulassen. Entscheidungen mit Verbindlichkeit nicht nur für die
Beteiligten, sondern auch für Dritte sind im SGG derzeit nicht vorgesehen; erst recht
fehlt im SGG eine Rechtsgrundlage für die hier begehrte Publikation. Auch wenn der
Rechtsschutz im Bereich der Normenkontrolle gegenüber dem bereits zitierten § 47
VwGO damit defizitär ist, hält der Senat - wie bereits dargelegt - in Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes (noch) an einer nur zwischen den Beteiligten wirkenden
Entscheidung nach § 86b SGG fest, weil eine solche Entscheidung in einer Art. 19 Abs. 4
GG (wohl) noch entsprechenden Weise die Gewährung von Individualrechtsschutz auch
im Bereich der Normenkontrolle gewährleistet (in diesem Sinne: LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011, L 7 KA 79/10 KL ER, [Perinatalzentrum
Level 1]).
5.)Hiervon ist im vorliegenden Verfahren auch nicht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG
deshalb abzuweichen, weil der Senat die angegriffene Rechtsvorschrift mit seinem (noch
nicht rechtkräftigen) Urteil vom 17. März 2010 (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.
März 2010, L 7 KA 125/09 KL [Monapax®] - zitiert nach juris) für rechtswidrig und nichtig
gehalten hat. Stattgebende Feststellungsurteile sind (im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren wie im Hauptsacheverfahren) nicht vollstreckbar und werden erst
mit Eintritt der Rechtskraft zwischen den Beteiligten verbindlich (vgl. etwa Kopp/Schenke,
VwGO, 14. Auflage, § 47 RdNr. 141f.). Aus der Tatsache, dass die Verbindlichkeit des
stattgebenden Urteils des Senats (für die Beteiligten) auf den Eintritt der Rechtskraft
hinausgeschoben wird, folgt unter Beachtung des Art. 19 Abs. 4 GG, dass die
Antragstellerin grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, auch schon vor diesem
Zeitpunkt um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen, andererseits aber auch, dass
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Zeitpunkt um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen, andererseits aber auch, dass
auch in einem solchen Fall dieser Rechtsschutz nur dann zu gewähren ist, wenn unter
Beachtung der gegenläufigen Interessen des Antragsgegners der Eintritt
schwerwiegender Nachteile durch die Anwendung der Richtlinie bis zur rechtskräftigen
Entscheidung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes abgewehrt werden muss.
6.) a) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist im Rahmen der Prüfung des
Anordnungsgrundes zu beachten, dass die von der Antragstellerin angegriffene Richtlinie
der Sicherstellung des therapeutischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und
insbesondere der Wirtschaftlichkeit des Arzneimitteleinsatzes nach § 92 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V und damit einem der nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V
maßgeblichen Grundsätze des SGB V dient. Die Durchsetzung des
Wirtschaftlichkeitsgebots insbesondere beim Arzneimitteleinsatz steht im Zentrum der
Bemühungen des Antragsgegners zur Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV und
der Aufrechterhaltung der Beitragssatzstabilität, weil die Kosten für Arzneimittel seit
Jahren ständig steigen. Selbst wenn die Einsparungen durch den Ausschluss von
Monapax® Saft und Tropfen aus der Versorgung der in § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V
genannten Kinder und Jugendlichen gemessen an den Gesamtausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Arzneimittelversorgung gering erscheinen,
sind sie jedoch für das System der GKV wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit
kompensiert werden kann. Allen Maßnahmen zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit durch
den Antragsgegner kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl grundsätzlich gleich großes
Gewicht zu. Denn erst die Summe aller Einsparungen kann eine Ausweitung der Kosten
der Arzneimittelversorgung vermeiden; anderenfalls müssten sich die Krankenkassen
auf Mehrausgaben einstellen und hierauf gegebenenfalls mit Beitragserhöhungen oder
mit Einsparungen bei anderen Leistungen reagieren (vgl. zu den Grundsätzen der hier
dargestellten Kriterien die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG,
Beschlüsse vom 14. Januar 2003, 1 BvQ 51/02; vom 15. Januar 2003, 1 BvQ 53/02; vom
22. Mai 2001, 2 BvQ 48/00, alle zitiert nach juris).
Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass bei einer Umsetzung des Urteils des Senats vor dem
Eintritt der Rechtskraft nach einem Unterliegen der Antragstellerin im Revisionsverfahren
die für die Krankenkassen entstehenden Mehrkosten nicht beizutreiben wären: Denn im
Falle der Außervollzugsetzung der streitigen Richtlinie dürften die Vertragsärzte
jedenfalls Monapax® Tropfen den in § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V genannten Kindern und
Jugendlichen verordnen, die damit einen nicht wieder rückgängig zu machenden
Anspruch auf die Versorgung mit dem Arzneimittel besäßen.
b) Demgegenüber fallen die zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin weitaus
weniger schwer ins Gewicht: Zwar könnten die in § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V genannten
Kinder und Jugendlichen bei einem vorübergehenden Verordnungsausschluss bis zum
Eintritt der Rechtskraft nicht mit Monapax® Tropfen zu Lasten der GKV versorgt werden.
Nach einem entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei
der Verhandlung der Hauptsache haben die Vertreter der Antragstellerin aber darauf
hingewiesen, dass von dem genannten Personenkreis ohnehin im wesentlichen
Monapax® Saft nachgefragt werde. Monapax® Saft ist jedoch in der GKV derzeit
ohnehin nicht verordnungsfähig: Denn dieses Arzneimittel verfügt nur über eine
Zulassung kraft Verfahrensrechts und seine Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
sind nach dem AMG nicht belegt (vgl. den Tatbestand des Urteils des Senats vom 17.
März 2010; grundsätzlich dazu: BSG, Urteil vom 27. September 2005, - B 1 KR 6/04 R,
[Wobe-Mugos], BSG, Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 3/08 R, [Wobe-Mugos], zitiert jeweils
nach juris). Erwachsene Versicherte haben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V ohnehin
keinen Anspruch auf Versorgung mit Monapax®, so dass die Antragstellerin nur
hinsichtlich einer Darreichungsform für einen kleinen Kreis der Versicherten mit Einbußen
rechnen muss. Dass diese ihre Existenz gefährden würden oder auch nur bezüglich des
Gesamtumsatzes erheblich ins Gewicht fielen, hat sie nicht einmal schlüssig dargelegt,
geschweige denn nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung
(ZPO) glaubhaft gemacht. Schließlich bliebe ihr die Möglichkeit, im Falle eines
(rechtskräftig festgestellten) rechtswidrigen Verordnungsausschlusses von Monapax®
Tropfen ihre Ansprüche im Wege der Amtshaftungsklage geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit
§§ 52 Abs. 1 und Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat hat den Wert des
Verfahrensgegenstandes abweichend von seiner sonstigen Rechtsprechung nicht auf die
Hälfte des Streitwertes des Hauptsacheverfahrens, sondern ein Drittel dieses Wertes
festgesetzt, weil nur der Zeitraum des bereits anhängigen Revisionsverfahrens betroffen
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festgesetzt, weil nur der Zeitraum des bereits anhängigen Revisionsverfahrens betroffen
ist.
Dieser Beschuss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden, § 177 SGG.
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