Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.06.2009

LSG Berlin-Brandenburg: innere medizin, verrechnung, vergleich, aufrechnung, auszahlung, verwaltungsakt, genehmigung, rücknahme, hauptsache, bindungswirkung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 104/09 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 77 SGG, § 86b Abs 2 S 2 SGG,
§ 44 Abs 2 SGB 10, § 398 BGB
Die Bestandskraft von Honorarbescheiden wird bei einem
Antrag nach § 44 SGB 10 erst durch die Rücknahme beendet
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam
vom 15. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 11.424,36 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist als Ärztin für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung in S
zugelassen. Das Recht, die Schwerpunktbezeichnung Kardiologie zu führen, verlieh ihr
die Landesärztekammer Brandenburg mit Wirkung vom 2. April 2008. Ihren bereits im
Februar 2005 gestellten Antrag auf Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von
schwerpunktspezifischen internistischen Leistungen - Kardiologie - nach Abschnitt 13.3.5
des seit dem 1. April 2005 geltenden Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) lehnte
die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. April 2005 und Widerspruchsbescheid vom 9.
Dezember 2005 ab. Über die hiergegen zum Sozialgericht Potsdam erhobene Klage (S 1
KA 31/06) ist bisher nicht entschieden. In einem auf vorläufige Genehmigung gerichteten
einstweiligen Rechtsschutzverfahren verglichen sich die Beteiligten vor dem
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 7 B 89/06 KA ER) auf Grund eines
Vorschlages des Berichterstatters vom 27. April 2006 und einer Abänderung der
Antragsgegnerin vom 31. August 2006 wie folgt:
1. Die Antragsgegnerin zahlt der Antragstellerin für die Quartale II/2006 bis VI/2006
zusätzlich zu ihren Honoraren für diese Quartale mit der Restzahlung Abschläge je
Quartal in Höhe von 11.600,- € abzüglich Verwaltungskosten. Dieser Betrag ergibt sich
aus der Differenz des Honoraranspruchs der Antragstellerin für das Quartal I/2006 zu
dem fiktiv berechneten Honoraranspruch der Antragstellerin unter Zugrundelegung des
Regelleistungsvolumens für Fachärzte für Innere Medizin mit SP Kardiologie und wird zur
Vermeidung von Verzögerungen in der Auszahlung des Betrages und einer ansonsten
erforderlichen quartalsweisen Neuberechnung für alle o.g. Quartale angewandt.
2. Diese Abschläge werden vorbehaltlich einer Überprüfung der Honorarbescheide
für die Quartale II/2006 bis IV/2006 in einem Widerspruchs- bzw. Klageverfahren gezahlt.
Die Antragstellerin ist im Falle eines bestands- bzw. rechtskräftigen Unterliegens in
einem solchen Verfahren verpflichtet, die gezahlten Abschläge in einem Zeitraum von
maximal einem Jahr nach Bestands- bzw. Rechtskraft einer solchen Entscheidung
zurückzuzahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Dieses einstweilige Rechtsschutzverfahren mit dem Aktenzeichen L 7 B 89/06 KA
ER ist damit insgesamt erledigt.
Die Auszahlung der unter Punkt 1. des Vergleichs vereinbarten zusätzlichen Abschläge
erfolgte mit den Honorarbescheiden vom 26. Oktober 2006 für das Quartal II/2006, vom
25. Januar 2007 für das Quartal III/2006 und vom 26. April 2007 für das Quartal IV/2006.
Über den gegen den Honorarbescheid für das Quartal II/2006 erhobenen Widerspruch
entschied die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2007. Hierbei
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entschied die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2007. Hierbei
ergab sich eine Nachvergütung in Höhe von 2.266,22 €. Mit Widerspruchsbescheid vom
26. Juli 2007 entschied die Antragsgegnerin über den Widerspruch gegen den
Honorarbescheid für das Quartal III/2006; es ergab sich eine Nachvergütung von
3.255,53 €. In beiden Widerspruchsbescheiden führte sie aus, eine Neuberechnung auf
Grundlage der Parameter der Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt
Angiologie/Kardiologie habe nicht erfolgen können; der Widerspruch sei daher
zurückzuweisen gewesen. Die ermittelten Nachvergütungen für die Quartale II/2006 und
III/2006 verrechnete sie mit den auf Grund des Vergleichs gezahlten Abschlägen. Den
gegen den Honorarbescheid für das Quartal IV/2006 erhobenen Widerspruch wies die
Antragsgegnerin am 29. April 2008 wegen Fristversäumnis als unzulässig zurück. Gegen
die drei Widerspruchsbescheide hat die Antragstellerin keine Klage erhoben.
Unter Berufung auf eine eingetretene Bestandskraft der Honorarbescheide bat die
Antragsgegnerin um Vorschläge, in welcher Weise die Antragstellerin die auf Grund des
Vergleichs gezahlten zusätzlichen Abschläge zurückzahlen wolle. Da diese eine
Rückzahlung vor einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem
Sozialgericht Potsdam (S 1 KA 31/06) ablehnte, kündigte die Antragsgegnerin unter dem
12. Januar 2009 die Verrechnung von noch bestehenden „Schulden“ in Höhe von
22.848,72 € in zwei Teilbeträgen zu je 11.424,36 € mit den Honorarbescheiden III/2008
und IV/2008 an. Dieser Betrag ergab sich aus der Summe der durch Vergleich
vereinbarten Abschläge (3 x 11.600,- €) abzüglich der bereits durchgeführten
Verrechnung mit den Nachvergütungen (2.266,22 € und 3.255,53 €) sowie unter
Berücksichtigung weiterer Honorarberichtigungen (eine Nachzahlung für das I. und III.
Quartal 2007 in Höhe von insgesamt 10.008,23 € sowie eine zwischen den Beteiligten
unter dem 13. Februar 2008 vereinbarte Honorarrückforderung von insgesamt 5.435,85
€ für die Quartale II/2006 bis IV/2006 unter gleichzeitiger Berücksichtigung einer
Umbuchung des RF-Betrages von 1.857,15 €.).
Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 12. Januar 2009 teilte die Antragstellerin
unter dem 20. Januar 2009 mit, der beabsichtigten Verrechnung stehe der geschlossene
Vergleich entgegen, da der Rechtsstreit in der Hauptsache noch nicht entschieden sei.
Mit Honorarbescheid vom 22. Januar 2009 für das Quartal III/2008 und mit
Honorarbescheid vom 23. April 2009 für das Quartal IV/2008 führte die Antragsgegnerin
die Verrechnung in Höhe von jeweils 11.424,36 € durch.
Mit einem Schreiben vom 27. Januar 2009 legte die Antragstellerin - ohne jegliche
Bezugnahme auf den Honorarbescheid vom 22. Januar 2009 - nochmals ihre Auffassung
dar und stellte vorsorglich einen Antrag auf Überprüfung der Honorarbescheide für die
Quartale II/2006 bis IV/2006 nach § 44 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X).
Am 31. März 2009 beantragte sie beim Sozialgericht Potsdam, „die Antragsgegnerin im
Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, die
Abschlagszahlungen, die auf Grund des gerichtlich geschlossenen Vergleichs im
einstweiligen Anordnungsverfahren beim LSG Potsdam gezahlt worden sind, bis zur
rechtskräftigen Hauptsachenentscheidung beim SG Potsdam S 1 KA 31/06 mit den
aktuellen Honoraransprüchen zu verrechnen.“ Über die Honoraransprüche sei nicht
rechtskräftig entschieden, da die Honorarbescheide nach § 44 SGB X zu korrigieren
seien, wenn das Sozialgericht in dem Rechtsstreit wegen Genehmigung der Erbringung
und Abrechnung schwerpunktspezifischer Leistungen zu ihren Gunsten entscheide. Ein
Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass ihre derzeitige Praxiskalkulation auf der
Annahme beruhe, sie könne die Abschläge behalten. Mit der Verrechnung des Betrages
werde dieser Kalkulation die Grundlage entzogen, obwohl eine
Hauptsachenentscheidung noch nicht vorliege.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 15. Juni 2009 abgelehnt. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei
zulässig, aber unbegründet, da die Verrechnung rechtmäßig erfolgt sei. In dem Vergleich
habe sich die Antragstellerin verpflichtet, bei Bestandskraft der Honorarbescheide die
Abschlagszahlungen innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen. Die Bestandskraft sei, da
gegen die Widerspruchsbescheide keine Klage erhoben worden sei, eingetreten. Die
Möglichkeit der Überprüfung der Honorarbescheide nach § 44 SGB X ändere daran
nichts. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch bei Obsiegen in dem Rechtsstreit
S 1 KA 31/06 keinen Anspruch auf rückwirkende Vergütung der nach Ziffer 13.3.5 EBM
erbrachten Leistungen habe. Ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben, da nicht davon
auszugehen sei, dass die Antragstellerin in eine Notlage geraten sei.
Mit der am 20. Juli 2009 eingelegten Beschwerde gegen den der Antragstellerin am 25.
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Mit der am 20. Juli 2009 eingelegten Beschwerde gegen den der Antragstellerin am 25.
Juni 2009 zugestellten Beschluss trägt sie ergänzend vor, der Vergleich sei im
Zusammenhang mit dem Hauptsacheverfahren S 1 KA 31/06 geschlossen worden und
habe nur mittelbar mit den von der Antragsgegnerin erlassenen Bescheiden zu tun.
Wenn nunmehr der Bestand des Vergleichs von den Honorarbescheiden abhängig
gemacht werden sollte, stelle dies eine Störung der Geschäftsgrundlage dar, so dass der
Vergleich nach den Regeln über die Anpassung des Vertragsinhaltes ergänzt werden
müsse.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 172 Abs. 1, § 173 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Erlass einer
einstweiligen Anordnung abgelehnt.
1.) Statthafte Verfahrensart des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG. Allerdings ist der auf
Unterlassung der Verrechnung gerichtete Antrag unzulässig und daher entsprechend
des Begehrens der Antragstellerin in einen zulässigen Antrag des Inhaltes auszulegen,
dass sie im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin
begehrt, die Honoraransprüche für die Quartale III/2008 und IV/2008 ohne Verrechnung
mit Rückforderungsansprüchen, die sich aus dem im Verfahren L 7 B 89/06 KA ER
geschlossenen Vergleich ergeben, auszuzahlen.
Ein auf (vorbeugende) Unterlassung gerichtetes Rechtschutzbegehren setzt sowohl in
einem Hauptsache- als auch in einem einstweiligen Rechtschutzverfahren ein
qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis voraus (BSGE 25, 116). Es muss ein gerade auf die
Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse
vorliegen, das regelmäßig nicht gegeben ist, solange auf nachträglichen Rechtsschutz
verwiesen werden kann; nur dann, wenn trotz der Möglichkeit der Inanspruchnahme
nachträglichen Rechtsschutzes ein erneutes, als widerrechtlich beurteiltes Vorgehen der
Gegenseite ernstlich zu befürchten ist, ist eine Unterlassungsklage zulässig (BSG, Urteil
vom 15. November 1995, 6 Rka 17/95, zitiert nach juris, Rn. 15). Die Antragsgegnerin
hat die Verrechnung bereits mit den Honorarbescheiden vom 22. Januar 2009 und 23.
April 2009 durchgeführt, so dass hiergegen - nach Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens - die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne
des § 54 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGG hätte erhoben werden müssen
(vgl. zur richtigen Klageart bei der Aufrechnung in Honorarbescheiden: BSG, Urteil vom
7. Februar 2007, 6 KA 6/06 R, zitiert nach juris, Rn. 13 = BSGE 98, 89). Daher muss ein
zulässiger einstweiliger Rechtsschutzantrag auch auf die Auszahlung eines höheren
Honorars ohne Verrechnung gerichtet sein. Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für
einen Unterlassungsantrag ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin
selbst in dem Fall, dass sie im nachträglichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren
unterliegt, in der Zukunft erneut Verrechnungen durchführen wird. Denn es ist weder
dargelegt noch ersichtlich, dass sie eine getroffene gerichtliche Entscheidung bei
zukünftigen Honorarabrechnungen nicht beachten werde.
2.) Der so verstandene Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Der Erlass einer
solchen einstweiligen Anordnung setzt nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit
§§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich die Glaubhaftmachung
eines Anordnungsanspruchs(d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die
einstweilig begehrte Leistung) und eines Anordnungsgrundes (im Sinne einer
Eilbedürftigkeit des Verfahrens) voraus. Sie sind glaubhaft gemacht, wenn das Vorliegen
der insoweit beweisbedürftigen Tatsachen überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. Zöller,
Zivilprozessordnung, 25. Auflage, § 920 Rdnr. 1 und 6).
a.) Hier fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch, da die Honorarbescheide
vom 22. Januar 2009 und 23. April 2009, mit denen die Verrechnungen durchgeführt
wurden, insoweit rechtmäßig sind. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob ein Anspruch
auf ein ungeschmälertes Honorar bereits deshalb nicht besteht, weil die
Honorarbescheide für die Quartale III/2008 und IV/2008 bestandskräftig geworden sein
könnten. Hierfür spricht einiges, da die Antragstellerin sich zu keinem Zeitpunkt
ausdrücklich gegen die erteilten Honorarbescheide gewandt hat. Diese umfassten dabei
in ihren Verfügungssätzen jeweils auch die Verrechnung mit den
Rückzahlungsansprüchen der Antragsgegnerin, die sich aus Punkt 2 des vor dem LSG
Berlin-Brandenburg (L 7 B 89/06 KA ER) geschlossenen Vergleich ergeben, so dass auch
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Berlin-Brandenburg (L 7 B 89/06 KA ER) geschlossenen Vergleich ergeben, so dass auch
sie an der Bindungswirkung des Bescheides nach § 77 SGG teilnehmen. Ob die
Einwendungen der Antragstellerin gegen eine Verrechnung, die sie mit den Schreiben
vom 20. Januar und 27. Januar 2009 sowie mit der Stellung des Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung vom 31. März 2009 geltend machte, als Widerspruch gegen die
Honorarbescheide auszulegen wären, kann dahingestellt bleiben. Denn ungeachtet einer
möglichen Bestandskraft der Honorarbescheide hat die Antragstellerin keinen Anspruch
auf ungeschmälerte Auszahlung der Honorare für die Quartale III/2008 und IV/2008, da
durch die Verrechnungen, die sich rechtstechnisch als Aufrechung im Sinne der §§ 387 ff
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) darstellen, die Honoraransprüche entsprechend §
389 BGB insoweit erloschen sind.
aa) Da für eine Aufrechnung mit Honorarforderungen die Vorschriften der §§ 51, 52 des
Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) nicht anwendbar sind, weil vertragsärztliche
Honoraransprüche keine Sozialleistungen darstellen, die dem Vertragsarzt zur
Verwirklichung seiner sozialen Rechte zukommen sollen, sind für die öffentlich-
rechtlichen Schuldverhältnisse des Vertragsarztrechts die Vorschriften des Allgemeinen
Schuldrechts über die Aufrechnung in den §§ 387 ff BGB anwendbar (BSG, Urteil vom 7.
Februar 2007, 6 KA 6/06 R, zitiert nach juris, Rn. 16, 17; BSG, SozR 3-2500 § 75 Nr. 11, S.
55 f). Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung entsprechend § 387 BGB, dass sich
zwei gegenseitige, gleichartige und fällige Forderungen gegenüberstehen, sind erfüllt.
Insbesondere ist die Gegenforderung, der Rückzahlungsanspruch der Antragsgegnerin,
fällig.
bb) Gemäß Punkt 2 des Vergleichs wurden die zusätzlichen Abschläge vorbehaltlich der
Überprüfung der Honorarbescheide für die Quartale II/2006 bis IV/2006 in einem
Widerspruchs- bzw. Klageverfahren gezahlt. Für den Fall des bestandskräftigen
Unterliegens in einem solchen Verfahren verpflichtete sich die Antragstellerin, die
Abschläge in einem Zeitraum von maximal einem Jahr zurückzuzahlen. Damit wurde die
Rückzahlungsverpflichtung ausdrücklich von der Bestandskraft der entsprechenden
Honorarbescheide abhängig gemacht, nicht aber von dem Ausgang des Rechtsstreits
vor dem Sozialgericht Potsdam (S 1 KA 31/06). Zwar mag zwischen diesem Verfahren
und der Frage, in welcher Höhe der Antragstellerin Honoraransprüche für die Quartale
II/2006 bis IV/2006 letztendlich zustehen, ein inhaltlicher Zusammenhang bestehen.
Dieser hat aber nur mittelbar in den Vergleich Eingang gefunden, indem als formaler
Anknüpfungspunkt für eine Rückzahlungsverpflichtung die Bestandskraft der
Honorarbescheide gewählt wurde und die Antragstellerin durch Einlegung
entsprechender Rechtsbehelfe und Rechtsmittel bis zum Ausgang des Rechtsstreits S 1
KA 31/06 den Eintritt der Bestandskraft verhindern konnte. Die Annahme der
Antragstellerin, die Rückzahlungsverpflichtung entstehe unabhängig von der
Bestandskraft der Honorarbescheide erst, wenn zu ihren Ungunsten der Rechtsstreit S 1
KA 31/06 entschieden ist, entbehrt nach dem eindeutigen Wortlaut des geschlossenen
Vergleichs der Grundlage.
cc) Die Honorarbescheide für die Quartale II/2006 bis IV/2006 sind im Sinne des § 77
SGG bestandskräftig geworden, da die Antragstellerin nach Erlass der
Widerspruchsbescheide keine Klage erhoben hat. Soweit sie sich darauf bezieht, sie
habe einen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gestellt, so durchbricht der
gestellte Überprüfungsantrag, über den noch nicht entschieden ist, nicht die
Bestandskraft der Honorarbescheide. Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene
Rechtsbehelf nicht eingelegt, so wird er gemäß § 77 SGG für die Beteiligten bindend,
soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung, auf Grund
derer die Bestandskraft durchbrochen werden kann, ist zwar die Vorschrift des § 44 Abs.
2 SGB X, die auf Honorarbescheide Anwendung findet (vgl. BSG, SozR 3-1300 § 44 Nr.
23). Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein rechtswidriger nicht begünstigender
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit
Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann gemäß § 44 Abs. 2 S. 2 SGB X auch
für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Bindungswirkung wird aber nicht
durch das abstrakte Bestehen eines Rücknahmeanspruchs oder durch die Stellung eines
Antrages auf Überprüfung, sondern allein durch die Rücknahme des überprüften
Verwaltungsaktes bewirkt. Solange die Verwaltung den einmal bestandskräftig
gewordenen Verwaltungsakt nicht zurücknimmt, bleibt er weiterhin bestandskräftig.
dd) Die Antragstellerin kann auch nicht geltend machen, der Vergleich müsse deshalb
angepasst werden, weil eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten sei. Eine
solche setzt in entsprechender Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB voraus, dass sich
Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss
schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem
Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Einer
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Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Einer
Veränderung der Umstände steht es entsprechend § 313 Abs. 2 BGB gleich, wenn
wesentliche Vorstellungen, die Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch
herausstellen. Hier haben sich aber weder tatsächliche Umstände, die Grundlage des
Vergleichs wurden, geändert, noch haben sich Vorstellungen über solche Umstände als
falsch herausgestellt. Vielmehr hat die Antragstellerin sich allein über den konkreten
Inhalt des geschlossenen Vergleichs geirrt, indem sie annahm, nicht die Bestandkraft
der Honorarbescheide, sondern der rechtskräftige Abschluss des Rechtsstreits S 1 KA
31/06 sei für das Entstehen einer Rückzahlungsverpflichtung entscheidend. Sie hätte es
in der Hand gehabt, die vermeintliche Geschäftsgrundlage - keine
Rückzahlungsverpflichtung vor rechtskräftiger Entscheidung in dem Rechtsstreit S 1 KA
31 /06 - dadurch zu erreichen, dass sie Klage gegen die Honorarbescheide erhoben
hätte.
Der Rückzahlungsanspruch der Antragsgegnerin war auch gleichartig, einredefrei und
stand dem Honoraranspruch der Antragstellerin gegenüber. Die Antraggegnerin hat die
Aufrechnung entsprechend § 388 BGB erklärt.
b) Letztendlich steht der Antragstellerin auch kein Anordnungsgrund zur Seite. Denn an
das Vorliegen eines solchen werden im Vertragsarztrecht strenge Anforderungen
gestellt. Er kann regelmäßig nur beim Drohen erheblicher irreparabler Rechtsnachteile
angenommen werden, die bei honorarrelevanten Maßnahmen insbesondere dann zu
bejahen sind, wenn ohne Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der notwendige
Lebensunterhalt oder die Existenz der Praxis gefährdet wäre (vgl. LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2003, L 3 KA 447/03 R, zitiert nach juris). Zwar hat
die Antragstellerin vorgetragen, die Verrechnung entziehe dem Praxisbetrieb die
kalkulatorischen Grundlagen. Jedoch hat sie hierzu nichts Näheres vorgetragen, aus dem
sich ein irreparabler Rechtsnachteil ergeben würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197 a Abs. 1 SGG
in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit §§
52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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