Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.10.2009

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 23.10.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 50 SO 1629/09 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 23 SO 148/09 B ER
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Der Antragsteller begehrt mit der Beschwerde weiter die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des Erlasses
einer einstweiligen Anordnung, Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch -
SGB XII -, hilfsweise Hilfen bei Krankheit gemäß § 48 SGB XII in Form der Übernahme von Arzneimittel- und
Behandlungskosten zu gewähren. Mit Beschluss vom 10. Juli 2009 hat das Sozialgericht Berlin einen entsprechenden
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Antragsstellers abgelehnt. Die gegen den am 23. Juli 2009
zugestellten Beschluss am 17. August 2009 eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund)
und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.
V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Form von
Leistungen zum Lebensunterhalt und Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung. Er kann seinen Bedarf aus
seinem Renteneinkommen und dem Wohngeld decken. Nach § 42 SGB XII umfassen die Leistungen der
Grundsicherung im Alter den Regelsatz nach § 28 SGB XII, hier in Höhe von 359,00 Euro, sowie hier einen
Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII in Höhe von 61,03 Euro und Leistungen für Unterkunft und Heizung, hier
in Höhe von 344,78 Euro (Miete inklusive Heizung, der im Regelsatz enthaltenen Pauschale für Warmwasser in Höhe
von 6,53 EUR), insgesamt 764,81 Euro. Mit seinem Renteneinkommen in Höhe von 661,82 Euro und dem Wohngeld
in Höhe von 109,00 Euro verfügt der Antragsteller über ein monatliches einzusetzendes Einkommen in Höhe von
770,82 Euro, mit dem er seinen Bedarf decken kann.
Auch der hilfsweise gestellte Verpflichtungsantrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat einen Anspruch gegen den
Antragsgegner auf Übernahme von Arznei- und Behandlungskosten nicht glaubhaft gemacht.
Zwar kann der Antragsgegner nach § 48 SGB XII auch zur Übernahme von Kosten der Krankenbehandlung
(entsprechend den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V) verpflichtet sein. Einem
Anspruch des Antragstellers steht hier jedoch der Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII entgegen.
Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines
Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder
Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der Kläger könnte hier die begehrten Leistungen - Arznei- und
Behandlungskosten - von anderen erhalten, nämlich von einem Versicherungsunternehmen. Seit dem 01. Januar 2009
besteht für den Antragsteller eine Pflicht zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung, da er – so sein Vortrag -
nicht anderweitig gegen Krankheit abgesichert ist (§ 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz - VVG -). Private
Versicherungsunternehmen sind seit dem 01. Januar 2009 verpflichtet, Verträge mit Betroffenen zu einem Basistarif
nach § 12 Abs. 1a Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG - abzuschließen. Daraus folgt, dass der Abschluss eines
Versicherungsvertrages für den Eintritt von Risiken im Falle der Erkrankung für den Kläger nicht nur verpflichtend ist,
sondern ihm durch den Abschlusszwang seitens eines privaten Versicherungsunternehmens und den darüber
vermittelten Versicherungsschutz auch ein bereites Mittel zur Selbsthilfe zur Verfügung steht.
Soweit der Antragsteller geltend macht, er sei finanziell nicht in der Lage, Beiträge für einen privaten
Versicherungsschutz aufzubringen, führt dies nicht zu einem Anspruch auf Übernahme von Behandlungskosten.
Unabhängig davon, dass in diesem Fall mit Hilfe des Sozialhilfeträgers die Pflicht zur Absicherung der Risiken bei
Krankheit umgangen werden könnte, welches nicht Sinn und Zweck der Vorschrift des § 48 SGB XII ist, hat der
Gesetzgeber in § 12 Abs. 1c VAG ein Verfahren vorgesehen, um die Beitragshöhe bei möglicher Hilfebedürftigkeit
durch Beitragsforderungen zu regeln. Der Antragsteller ist daher gehalten, den Krankenversicherungsvertrag mit einem
Anbieter abzuschließen und entsprechend § 12 Abs. 1 c Satz 4 VAG unter Vorlage einer von ihm beizubringenden
Bescheinigung des Antragsgegners über eine Hilfebedürftigkeit eine Senkung der Beiträge herbeizuführen bzw.
entsprechend § 12 Abs. 1c Satz 5 VAG eine Beteiligung des Antragsgegners herbeizuführen. Gegenüber dem
Antragsgegner steht dem Antragsteller kein Wahlrecht dahin zu, auf welche Weise dieser Krankenhilfe zu erbringen
hat (LSG Berlin-Brandenburg vom 29. Februar 2008 - L 15 B 32/08 SO ER, juris).
Eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Beiträgen für einen privaten Krankenversicherungsschutz
kam - unabhängig davon, dass der Antragsteller dies im sozialgerichtlichen Verfahren nicht beantragt hat und der
Senat nicht zuständig wäre, erstinstanzlich über einen solchen Antrag zu entscheiden - nicht in Betracht, weil der
Antragsgegner über eine solche, nach § 41 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 32 Abs. 5 SGB XII antragsabhängige
Leistung mangels Antrages nicht entschieden hat und ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits
unzulässig wäre. Zudem kommt eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Beiträgen erst dann in
Betracht, sobald ein betragspflichtiger Versicherungsschutz besteht, was der Antragsteller gerade verneint.
Der Antragsteller ist nach allem zur Sicherung eines Schutzes bei Krankheit gehalten, einen Versicherungsvertrag bei
einem privaten Versicherungsunternehmen nach § 193 Abs. 3 VVG abzuschließen und sich hernach um eine
angemessene Beitragslast zu bemühen. Soweit er durch zu entrichtende Beiträge trotz eines möglichen
Betragszuschusses nach § 106 Satz 1 SGB VI hilfebedürftig werden sollte (was der Antragsteller im Zweifel
nachzuweisen haben wird), käme eine Leistungspflicht des Antragsgegners in Betracht.
Soweit der Antragsteller einen Krankenversicherungsschutz nicht kurzfristig mit einem Versicherungsunternehmen
realisieren kann, hat er einen Anordnungsgrund für eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme
von Krankheitskosten nicht glaubhaft gemacht.
Dem Antragsteller stehen nämlich noch Geldmittel aus einem ihm von Dr. A am 12. Januar 2009 (Darlehensvertrag
Blatt 167 der Gerichtsakte) bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers für
Behandlungskosten gewährten Darlehens in Höhe von anfangs 5000 EUR zur Verfügung. Die Darlehensmittel sind
noch nicht aufgebraucht. Nach den Kontoauszügen des Darlehensgebers, die vom Antragsteller zur Gerichtsakte
gereicht worden sind (Blatt 168 bis 76 der Gerichtsakte) und unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers
über die bei seiner ehemals bestehenden Versicherung eingereichten Rezepte (Blatt 34 bis 37 der Gerichtsakte)
ergeben sich für die Zeit ab Januar 2009 Kosten für Krankenbehandlungen und Arzneimittel in Höhe von ungefähr
1500,00 Euro, so dass dem Antragsteller aus dem Darlehen noch 3500,00 Euro für weitere Krankheitskosten zur
Verfügung stehen, die zur Abwendung von Nachteilen, die durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung
abzuwenden wären, einzusetzen sind.
Nach allem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war nicht zu bewilligen, da die Beschwerde keine Aussicht auf
Erfolg hatte (§ 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).