Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.10.2010

LSG Berlin-Brandenburg: ausschreibung, versorgung, apotheker, arzneimittel, öffentlicher auftrag, aufschiebende wirkung, örtliche zuständigkeit, vergabeverfahren, exklusivität, einfluss

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 1 SF 191/10 B Verg
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 97 Abs 6 GWB, § 97 Abs 7
GWB, § 98 Nr 2 GWB, § 107 Abs
2 GWB, § 118 Abs 1 S 3 GWB
Gerichtliches Vergabenachprüfungsverfahren - Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde - spätere
Zuschlagsgestattung - Rahmenvereinbarung bzw - vertrag über
parenterale Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der
Onkologie - Zytostatika - Wettbewerbsrecht - sozialrechtliche
Wertentscheidungen - Krankenkasse - öffentlicher Auftraggeber
Leitsatz
Ein stattgebender Beschluss nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB über die Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im gerichtlichen Vergabenachprüfungsverfahren
steht nicht zwingend einer späteren Zuschlagsgestattung nach § 121 GWB entgegen.
§ 129 Abs. 3 S. 3 SGB V erlaubt für den Bereich der parenteralen Zubereitungen zu
onkologischen Behandlungen als speziellerer Vorschrift den Abschluss von Einzelverträgen,
auch wenn diese zwangsläufig von den rahmenvertraglichen Regelungen auf Grundlage des §
129 Abs. 2 SGB V und den ergänzenden Verträgen auf Landesebene (§ 129 Abs. 5 S. 1 SGB
V) abweichen. Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen insoweit bewusst die Möglichkeit
eingeräumt, das bisherige System vereinbarter Preise verlassen und auf diesem Gebiet die
Preise dem freien Markt überlassen zu können.
§ 11 Abs. 2 ApoG als Ausnahme von § 11 Abs. 1 ApoG ist nicht nur auf Zytostatika im
engeren Sinne beschränkt. Zytostatika sind vielmehr alle Arzneimittel mit zellwachstums-,
insbesondere zellteilungsverhindernder oder -verzögernder Wirkung.
Tenor
Der Beschwerdegegnerin wird der Zuschlag gestattet.
Gründe
I
Die Beschwerdegegnerin hat ihren Sitz in Potsdam. Sie schrieb im Supplement zum
Amtsblatt der Europäischen Union vom 19. Januar 2010 den Abschluss von Verträgen
gemäß § 129 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) (Rahmenvereinbarung mit
einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer) zur Versorgung mit in Apotheken hergestellten
parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren
ärztlichen Anwendung bei Patienten im Offenen Verfahren europaweit aus.
Sie hat den AOK-Bundesverband mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragt.
Der streitige Auftrag betrifft die Versorgung auf dem Gebiet des Landes Berlin und ist in
13 Gebietslose, aufgeteilt nach Postleitzahlen, unterteilt. Die Gebietslose weichen im
räumlichen Zuschnitt von der Aufteilung der Verwaltungsbezirke in Berlin ab.
Die Bekanntmachung bestimmte zunächst, dass Angebote „nur für ein Los" eingereicht
werden sollten. Die Rahmenvereinbarungen sollen grundsätzlich für ein Jahr
abgeschlossen werden. Zuschlagskriterium ist nach Ziffer IV.2.1 der niedrigste Preis.
Varianten/Alternativangebote waren nicht zugelassen. Als Schlusstermin für den Eingang
der Angebote war zunächst der 2. März 2010, 12.00 Uhr, bestimmt.
Bestandteil der an die Interessenten versandten Verdingungsunterlagen war als Anlage
1 der Entwurf des Vertrages gemäß § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V über die Versorgung mit in
Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der
Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten (Rahmenvertrag). Als
Anhang 1 zu diesem Rahmenvertrag übersandte die Beschwerdegegnerin ein
Produktblatt, das Angaben zu den Abgabevolumina je Gebietslos —jeweils in mg pro
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Produktblatt, das Angaben zu den Abgabevolumina je Gebietslos —jeweils in mg pro
Wirkstoff — abbildet. Je Wirkstoff soll durch die Bieter ein Preis pro Milligramm angeboten
werden. In Ziffer 10 der Bedingungen für die Auftragsvergabe wies die
Beschwerdegegnerin darauf hin, dass sie Angaben zu dem voraussichtlichen
Auftragsvolumen nur auf der Basis von Erfahrungswerten und Analysen aus der
Vergangenheit machen könne. Künftige Mengen der für die Versicherten
herzustellenden parenteralen Lösungen würden insbesondere vom Gesundheitszustand
der AOK-Versicherten, dem Verordnungsverhalten der Ärzte sowie der vom Gesetzgeber
vorgegebenen Struktur der ambulanten Versorgung abhängen. Auch die künftige
Struktur und Anzahl der onkologischen Praxen bzw. der ambulant behandelnden Ärzte in
dem jeweiligen Gebietslos könne Einfluss auf die Mengen haben. Insbesondere der Zu-
und/oder Wegzug von Ärzten und/oder Praxen könne solche Schwankungen bewirken.
Die im Produktblatt angegebenen Mengen seien auf das erste Halbjahr 2009 bezogen
und stellten das gesamte von den Ärzten verordnete Volumen in diesem Zeitraum dar,
das für Versicherte der AOK Berlin-Brandenburg in Berlin verordnet wurde.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2010, auf das ergänzend verwiesen wird, beanstandete die
Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin verschiedene Punkte der
Ausschreibung. Insbesondere gebe es keine Rechtsgrundlage für einen exklusiven
Selektivvertrag. Ferner lasse sich auf der Grundlage der im Rahmen der Ausschreibung;
mitgeteilten Informationen kein Angebot kalkulieren, da eine genaue Ermittlung und
Beschreibung des Auftragsvolumens fehle.
Mit Bieterrundschreiben vom 10. Februar 2010 zur Beantwortung von Bieterfragen
erläuterte die Beschwerdegegnerin unter anderem (Antworten zu Fragen 105ff), sie habe
bei „händischer“ Auswertung der 15.772 Verordnungen im Referenzzeitraum keine
Trägerlösungen oder primären Packmittel erfasst. Die Applikationsform richte sich nach
der verordneten Menge und sei in den Verordnungen ohnehin nicht explizit mit
aufgeführt. Die Daten zu den Trägerlösungen und primären Packmitteln könnten auch
nicht elektronisch ausgewertet werden. Denn es sei nicht elektronisch selektierbar, was
im Einzelnen in den Zubereitungen z.B. an Trägerlösungen und primären Packmitteln
enthalten sei. Die Erfassung per Hand wäre neben der Ermittlung der Mengen nur mit
unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich gewesen. Zu der Frage, wie hoch der Anteil
der Verordnungen sei, bei denen aufgrund eines Aut-idem-Ausschlusses die
Verwendung gegebenenfalls erheblich teurerer Arzneimittel erforderlich sei, lägen ihr
keine Auswertungen vor. Diese seien auf elektronischem Wege auch nicht valide zu
erfassen. Es sei aber davon auszugehen, dass speziell im Verordnungsbereich der
parenteralen Lösungen Aut-idem-Ausschlüsse zwar theoretisch vorkommen könnten,
sich in der Praxis aber auf zu vernachlässigende Ausnahmefälle beschränkten, da
grundsätzlich die Pflicht des Vertragsarztes zur wirtschaftlichen Verordnungsweise
bestehe. Dies stehe einem großzügigen Einsatz des Aut-idem-Kreuzes entgegen.
Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Originalpräparat und Generika im
Referenzzeitraum wies die Beschwerdegegnerin auch hier auf die fehlende Möglichkeit
der elektronischen Auswertbarkeit hin. Dieses wäre wiederum neben der Erfassung der
Mengen nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand festzustellen gewesen. Eine
solche Auswertung werde auch zusätzlich durch Wirkstoff-Verordnungen erschwert, die
keine Zuordnung in den Kategorien Originalpräparate und Generika erlaubten.
Die Beschwerdeführerin stellte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. Februar 2010 bei
der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag. Sie teilte
unter anderem mit, sie beabsichtigte, ein Angebot für Gebietslose abzugeben.
Die Beschwerdegegnerin nahm mit Schreiben vom 19. Februar 2010 zum Vorbringen
einer fehlenden Rechtsgrundlage Stellung und stellte ihren Rechtsstandpunkt dar.
Am 3. März 2010 machte die Beschwerdegegnerin im Supplement zum Amtsblatt der
Europäischen Union eine Änderung der Ausschreibungsbedingungen bekannt. Mit E-Mail
vom 5. März 2010 stellte sie den interessierten Unternehmen geänderte
Verdingungsunterlagen zur Verfügung. Die Änderungen betrafen im Wesentlichen die
Aufhebung der Loslimitierung (Angebote können nunmehr auf alle 13 Lose abgegeben
werden, die Zahl der möglichen Zuschläge wurde limitiert auf vier) die Erhöhung der
Rahmenvertragspartner auf zwei sowie einzelne Regelungen des Rahmenvertrages. Die
Angebotsfrist wurde bis zum 20. April 2010, 12.00 Uhr, verlängert.
Mit Telefax vom 12. März 2010 teilte sie den Interessenten weitere Änderungen mit. Sie
versandte die hierzu relevanten Unterlagen am 15. März 2010. Eine weitere
Bekanntmachung erfolgte im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am
17. März 2010.
Darin reduzierte sie die Anzahl der Rahmenvertragspartner wiederum auf einen. Jetzt hat
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Darin reduzierte sie die Anzahl der Rahmenvertragspartner wiederum auf einen. Jetzt hat
der Bieter hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit zu erklären, dass er im
Auftragsfalle in der Lage sei, bezogen auf die Vertragslaufzeit die Doppelten der in den
Ausschreibungsunterlagen näher ausgewiesenen Mengen an parenteralen
Zubereitungen zu liefern.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2010 teilte die Beschwerdeführerin u. a. mit, ihr
Nachprüfungsantrag konzentriere sich nach den Änderungen der
Ausschreibungsbedingungen bzw. der Vergabeunterlagen vor allem auf die Vorwürfe,
dass keine Rechtsgrundlage für den Abschluss exklusiver Selektivverträge bestünde und
keine ausreichende Kalkulationsmöglichkeit gegeben sei.
Sie beantragte im Nachprüfungsverfahren unter anderem, die Beschwerdegegnerin zu
verpflichten, den von der Beschwerdeführerin gerügten Vergaberechtsverstößen
abzuhelfen und das Ausschreibungsverfahren nur unter der Voraussetzung der Abhilfe
hinsichtlich der Verstöße weiter fortzuführen. Hilfsweise beantragte sie ferner, die
Ausschreibung aufgrund schwerwiegender Vergaberechtsverstöße aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 30. März 2010 nahm die Beschwerdegegnerin zu den
Beanstandungen der Beschwerdeführerin detailliert Stellung.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig. Die Beschwerdeführerin könne in diesem
Verfahren nicht die Rechte der Versicherten oder sozialrechtliche Wertentscheidungen
geltend machen (Bezugnahme auf LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 30.01.2009 -L 1 KR
1/08-), genauso wenig wie Bestimmungen des Kartellrechts.
Die Beschwerdegegnerin dürfe jedenfalls die angestrebten Selektivverträge abschließen.
§ 129 Abs. 5 S. 3 SGB V sei eine Spezialvorschrift für die Versorgung von Ärzten mit
parenteralen Rezepturen. Aus der Verwendung des Begriffes „Sicherstellung“, der
Systematik des SGB V, den Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV)
und den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass die Krankenkassen ihre Leistungspflicht
auf diesem Gebiet ausschließlich im Rahmen dieser Verträge erbringen könnten (u. a.
Bezugnahme auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20.
Oktober 2009).
Die Ausschreibung verletze auch nicht das Recht des Versicherten auf freie
Apothekenwahl, das kein allgemeiner Grundsatz des Sozialversicherungsrechts sei,
sondern sich aus einzelnen Bestimmungen ergebe. Diese seien nicht tangiert. So gelte §
31 Abs. 1 S. 5 SGB V nur bei der unmittelbaren Versorgung des Versicherten, nicht
jedoch – wie hier - bei Anwendung des § 11 Abs. 2 Apothekengesetz (ApoG). § 11 Abs. 2
ApoG liefe anderenfalls schlicht ins Leere.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin seien weiter die mitgeteilten Daten
ausreichend für eine Angebotskalkulation. Rahmenverträgen wohne bereits der Natur
der Sache nach eine kalkulatorische Ungewissheit inne. Die Vergabekammer des
Bundes habe eine Beschränkung auf die Mitteilung der Packungsmengen der einzelnen
Medikamente bezogen auf das Vorjahr für ausreichend erachtet (Bezugnahme auf VK
Bund, B. v. 29.09.2009 –VK 2-162/09).
Mit Beschluss vom 1. April 2010 im schriftlichen Verfahren, der der Beschwerdeführerin
am 6. April 2010 zugestellt wurde, verwarf die Vergabekammer den
Nachprüfungsantrag. Dieser sei bereits unzulässig.
Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt nach § 107 Abs. 2 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Sie habe nicht -wie erforderlich- geltend gemacht,
dass ihr durch die behaupteten Vergabeverstöße ein Schaden entstanden sei, weil sie
kein Angebot abgegeben habe. Das Auftragsvolumen in der vorliegenden Ausschreibung
sei durch Angabe der Abgabevolumina je Gebietslos bezogen auf das erste Halbjahr
2009 in ausreichendem Maße mitgeteilt worden. Im Falle einer Rahmenvereinbarung sei
nach Abschnitt 2 § 3 a Nr. 4 Abs. 1 Satz 2 der Verdingungsordnung für Leistungen –Teil
A Ausgabe 2006 (VOL/A) das in Aussicht genommene Auftragsvolumen so genau wie
möglich zu ermitteln und zu beschreiben, brauche aber nicht abschließend festgelegt
werden. In der Regelung spiegele sich die Besonderheit des Rahmenvertrages wider, die
gerade darauf beruhe, dass das konkrete Beschaffungsvolumen nur prognostiziert
werden könne. Dies gelte hier aufgrund der Besonderheiten des Arzneimittelmarktes, da
die Beschwerdegegnerin keinen unmittelbaren Einfluss auf das Verordnungsverhalten
der Ärzte habe, ebenso wenig wie auf den krankheitsabhängigen Bedarf der
Versicherten. Darauf habe sie ausdrücklich hingewiesen. Da weder sie noch die
Beschwerdeführerin einen Einfluss auf das Verhalten von Ärzten und Patienten hätten,
stelle die Mitteilung der Verordnungszahlen der Vergangenheit die einzige statistisch
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stelle die Mitteilung der Verordnungszahlen der Vergangenheit die einzige statistisch
belastbare Basis zur Prognostizierung des zu erwartenden Auftragsvolumens dar. Es
liege in der Natur der Sache, dass eine exaktere Prognose nicht möglich sei. Die
Auftraggeberin habe alles getan, um eine optimale Kalkulationsgrundlage zur Verfügung
zu stellen. Welche Applikationsformen, Trägerlösungen, primäre Packmittel etc.
verwendet würden, stehe im Voraus nicht fest, sondern könne nur mehr oder weniger
vage abgeschätzt und im Wege eines nach Erfahrungswerten vorzunehmenden
Zuschlages auf die Kalkulation berücksichtigt werden.
Hiergegen hat sich die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 19. April 2010
gerichtet. Ihr fehle nicht die Antragsbefugnis. Sie habe immer klar geäußert, sich an der
Ausschreibung beteiligen zu wollen. Sie habe nach den Änderungen im
Ausschreibungsverfahren erklärt, sich auf die Vorwürfe zu beschränken, es gebe keine
exklusiven Selektivverträge aufgrund § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V und eine vernünftige
Kalkulation sei nicht möglich. Im Gegensatz zu den Berliner Apothekern, welche die
verordnenden Ärzte aufgrund früherer Kooperationen vermutlich persönlich oder
jedenfalls namentlich kennen würden, könnten Auswärtige ohne die Marktkenntnisse vor
Ort, also ohne Kenntnis der im Referenzzeitraum verordneten Applikationsformen,
Trägerlösungen, primären Packmitteln, der Aut-idem-Quote und dem Verhältnis Original-
zu Generikaverordnungen, ohne eine erhebliches wirtschaftliches Risiko kein
wirtschaftliches Angebot erstellen.
Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, die Vergabekammer habe den
Nachprüfungsantrag zu Recht bereits als unzulässig verworfen. Die Beschwerdeführerin
habe im Antragsschriftsatz (dort S. 13f) deutlich ausgeführt, kein Angebot abgeben zu
wollen. Allerdings habe sie dies mittlerweile nachgeholt.
In der Sache halte sie an ihrer Auffassung fest, dass sie aufgrund § 129 Abs. 5 S. 3 SGB
V zum Abschluss von Selektivverträgen zur Sicherstellung der Versorgung berechtigt
sei, wie sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der des §
129 Abs. 5a SGB V ergeben. Es liege auch kein Verstoß gegen das Apothekenwahlrecht
des Versicherten vor. Im Sonderfall des § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V werde nicht der
Versicherte versorgt, sondern der Arzt. Der Versicherte erhalte die Behandlung
einschließlich der Verabreichung der Infusionen. Dies sei die Folge der Besonderheit
parenteraler Zubereitungen, bei der die bloße Abgabe an den Versicherten nicht
ausreiche, sondern der Arzt das Arzneimittel verabreichen müsse. Das Wahlrecht nach §
31 Abs. 1 S. 5 SGB V beziehe sich nur auf die Fälle, bei denen der Versicherte selbst mit
den Arzneimitteln versorgt werde. Dann sei § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V von vornherein nicht
anwendbar. Die Vorschrift müsse im Lichte des § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V ausgelegt
werden und müsse zurücktreten, wenn ein Selektivvertrag bestehe. Aus § 11 Abs. 2
ApoG folge schließlich keinesfalls ein Wahlrecht des Arztes.
Sie habe ferner die Kalkulationsgrundlagen ausreichend genau mitgeteilt und sei ihren
Pflichten nach § 3a Nr. 4 Abs. 1 S. 2 VOL/A hinreichend nachgekommen. Ihren
Ausführungen vor der Vergabekammer sei die Beschwerdeführerin nicht substantiiert
entgegengetreten. Ihr Vortrag zu landestypischer Aut-Idem-Substitution sei nicht
nachvollziehbar. Für unterschiedliches Verordnungsverhalten gebe es keine rechtliche
Grundlage. Es seien der Beschwerdegegnerin auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte
bekannt, dass Berliner Ärzte signifikant anders verordneten als in anderen
Bundesländern.
Einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Beschwerdeführerin hätten allenfalls diejenigen
Berliner Apotheker, die bereits zur Zeit parenterale Zubereitungen zur Krebsbehandlung
herstellten, weil sie Erfahrungswissen über das Verordnungsverhalten der Berliner Ärzte
hätten. Es sei nicht Aufgabe der Beschwerdegegnerin, diesen Wettbewerbsvorteil durch
Berufserfahrung zu nivellieren.
Mit Beschluss vom 07. Mai 2010 hat der Senat den Beschluss der Vergabekammer vom
01. April 2010 in der Fassung vom 12. April 2010 aufgehoben und die Vergabekammer
verpflichtet, über die Anträge der Beschwerdeführerin erneut unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Vergabekammer hat auf der Grundlage dieses Beschlusses am 26. Mai 2010 einen
Aufklärungs- und Auflagen-Beschluss erlassen. Der Beschwerdegegnerin ist aufgegeben
worden darzustellen, in welchem Umfang sich im Referenzzeitraum Versicherte unter
Berufung auf ihr Apothekenwahlrecht gegenüber dem behandelnden Arzt parenterale
Zubereitungen direkt in Apotheken beschafft hätten, ferner Inhalt und Ergebnis einer
Abstimmung mit dem Berliner Berufsverband der Onkologen darzulegen, Angaben zur
Verschreibungspraxis durch Vertragsärzte, Gemeinschaftspraxen und Medizinische
Versorgungszentren (MVZ) zu liefern, den Ausgleich von Informationsvorsprüngen durch
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Versorgungszentren (MVZ) zu liefern, den Ausgleich von Informationsvorsprüngen durch
den gewählten Loszuschnitt zu belegen und stichprobenartig die Verordnungen nach
Applikationsformen, Trägerlösungen, primären Packmitteln, Aut-idem-Ausschlüssen und
Originalpräparaten/Generika aufzuschlüsseln.
Die Beschwerdegegnerin ist dem mit Schriftsatz vom 01. Juli 2010 nachgekommen:
Anhand der konkreten Verordnungen aus dem Referenzzeitraum könne keine Aussage
darüber getroffen werden, ob und in wie vielen Fällen die verordnenden Ärzte das
Verordnungsvolumen an ihre Patienten ausgehändigt hätten. Daher habe die
Beschwerdegegnerin ein Gespräch mit Vertretern des Vereins der Niedergelassenen
Internistischen Onkologen (NIO) e. V. geführt. Das Ergebnis der Aufklärung bestätige
klar, dass die Annahme einer unmittelbaren Abgabe an die Versicherten mit der
Versorgungsrealität nichts zu tun habe. Dies ergäbe sich auch aus den Website-
Aussagen von in der Zytostatikaversorgung tätigen Apothekern, so auch des
Apothekers N T, dem unmittelbaren Vorgänger der Beschwerdeführerin, der jetzt die C-
Apotheke in H betreibe. Auch im Vorfeld der Ausschreibung habe sich die
Beschwerdegegnerin mehrmals mit Vertretern des NIO e. V. ausgetauscht. Zu keinem
Zeitpunkt habe man darüber gesprochen, ob und in welchem Umfang Versicherte selbst
die Apotheke auswählten. Vielmehr sei von den konsultierenden Vertretern der
Ärzteschaft stillschweigend und selbstverständlich vorausgesetzt worden, dass die
behandelnden Ärzte die Zubereitungen stets unmittelbar in der Apotheke bestellten.
Auch im Rahmen der Erläuterung des Bestellvorganges sei nie erwähnt worden, dass
überhaupt die Möglichkeit der Aushändigung der Verordnungen an die Versicherten
bestehe.
Im Referenzzeitraum stammten 55,68 % der Verordnungen von Gemeinschaftspraxen
und MVZ. Es werde deutlich, dass für die Zuschlagsempfänger die Belieferung von MVZ
und Gemeinschaftspraxen in allen Losen eine zentrale Aufgabe sei. Zu Spezialisierungen
und Vorlieben unter Onkologen habe die Beschwerdegegnerin im Vorfeld der
Ausschreibung keine Auswertungen vorgenommen. Ihr sei aber bekannt, dass die
Ärzteschaft der Gemeinschaftspraxen und MVZ starken Schwankungen unterliege.
Diese Kenntnis sei nach Ergehen des Aufklärungs- und Auflagenbeschlusses verifiziert
worden. Nach ihrer Auffassung sei insbesondere durch die Fluktuation unter den Ärzten
in den einzelnen Betriebsstätten sichergestellt, dass einzelne Apotheker nicht über
einen unzulässigen Informationsvorsprung verfügten. Der Wechsel von Ärzten in den
erfassten Betriebsstätten habe in jedem Fall Auswirkungen auf den Umfang und die
Zusammensetzung der Verordnungsmengen in den jeweils betroffenen Gebietslosen.
Nach ihrer Kenntnis spielten bei der Auswahl des Wirkstoffes durch den Arzt mehrere
krankheitsbildabhängige Faktoren eine Rolle. Neben der Zulassung der Arzneimittel
seien z. B. die Krankheitsprognose des Patienten und dessen allgemeiner
Gesundheitszustand zu beachten.
Nach den Vorgaben der Vergabekammer habe die Beschwerdegegnerin schließlich 50
Verordnungen pro Gebietslos stichprobenartig ausgewertet. Vorliegend komme
ausschließlich die Applikation als Infusion in Betracht. Als Trägerlösungen seien
ausschließlich Kochsalzlösungen und Glukoselösungen verordnet worden. Dabei handle
es sich um niedrigpreisige Stoffe, unter denen es auch keine nennenswerten
Preisunterschiede gebe. Die Frage, welche Lösung verwendet werde, sei für die
Kalkulation damit nicht relevant. Primärpackmittel seien in 81,55 % der Fälle nicht
ausdrücklich verordnet worden. Sei ein Packmittel nicht gesondert verordnet, werde der
jeweils verordnete Wirkstoff direkt in den Infusionsbeutel gespritzt, in dem die
Trägerlösung bereits enthalten sei. Die Beutel seien relativ niedrigpreisig und könnten
problemlos in den anzubietenden mg-Preis einbezogen werden. In den übrigen 18,45 %
der Fälle seien verschiedene Pumpen als Primärpackmittel verordnet worden. Solche
Primärpackmittel würden gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 der ausgeschriebenen
Rahmenverträge gesondert vergütet.
Bei den ausgewerteten Verordnungen habe sich eine Aut-Idem-Ausschlussquote von
8,42 % ergeben. Der Umstand, dass der ausgeschrieben Vertrag keine gesonderten
Regeln für Verordnungen treffe, in denen die Aut-Idem-Substitution ausgeschlossen sei,
sei daher nicht zu beanstanden. Zudem habe die Auswertung ergeben, dass es bei der
Verordnung parenteraler Rezepturen bei den Ärzten weit verbreitet sei, nur den Wirkstoff
und nicht ein bestimmten Fertigarzneimittel unter Bezeichnung des Herstellers zu
verordnen. Damit obliege es ohnehin in aller Regel dem Apotheker, das entsprechende
Fertigarzneimittel auszuwählen.
Die Beschwerdeführerin hat dazu vor der Vergabekammer vorgetragen, es sei
lebensfremd anzunehmen, dass sich der Patient sich die Zytostatika selbst beschaffe
und selbst an die Arztpraxis liefere. Auch dann werde die Apotheke direkt an den Arzt
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und selbst an die Arztpraxis liefere. Auch dann werde die Apotheke direkt an den Arzt
liefern. Bei langjährigen Lieferverhältnissen zwischen Arztpraxis und Apotheke
entstünden Netzwerke, die eine optimale Schnittstellen- und Homecare-Versorgung
böten. Die von der Ausschreibung betroffenen Apotheker würden (deshalb) nicht
stillschweigend den Verlust eines erheblichen Teil des Marktes hinnehmen, sondern die
Patienten auf die Möglichkeit hinweisen, weiterhin von ihr versorgt zu werden. Gerade die
langjährigen Netzwerke seien für die Beschwerdeführerin als auswärtige Anbieterin
unkalkulierbar. Ferner habe die Beschwerdegegnerin nicht dargelegt, dass die von ihr
kontaktierten Ärzte die Onkologen repräsentierten.
Auch können aus den ausgeschriebenen Wirkstoffen keine Rückschlüsse auf die
Tumorerkrankung gezogen werden: Viele Wirkstoffe seien für mehrere Tumore
zugelassen. Es möge zwar in größeren Gemeinschaftspraxen oder MVZ eine höhere
Fluktuation der Ärzte geben. Jedoch hätten ein oder mehrere Partner das strategische
Übergewicht. Diese bestimmten maßgeblich die Behandlungseinrichtung. Die
Behauptung der Beschwerdegegnerin, der Wechsel der Ärzte in den erfassten
Betriebsstätten habe Auswirkungen auf den Umfang und die Zusammensetzung der
Verordnungsmengen, sei unsubstantiiert. Ferner sei das Verfahren der
Stichprobenerhebung nicht repräsentativ. Viele onkologisch tätige Apotheker
bevorzugten das Primärpackmittel „E“. Dieses Produkt koste pro Beutel knapp über 7,00
€, sei also keineswegs niedrigpreisig. Der Aut-Idem-Ausschlussanteil sei mit 8,42 % zu
niedrig geschätzt: Einerseits seien die Kreuze bei patentgeschützten Arzneimitteln außer
Betracht geblieben, andererseits auch alle handschriftlich gesetzten.
Die Vergabekammer des Landes Brandenburg hat mit Beschluss vom 29. Juli 2010 den
Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die
Beschwerdegegnerin sei aufgrund des § 129 Abs. 5 S. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
(SGB V) befugt, die Leistungen auszuschreiben. Dem stünden weder der seit März 2003
bestehende Arzneimittelversorgungsvertrag Berlin noch der „Vertrag über die
Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen (§§ 4, 5 der
Arzneimittelpreisverordnung - AMPreisV -) (vom 10. September 2009, gültig ab 1.
Oktober 2009) in der Fassung des Ergänzungsvertrages (hinsichtlich der Anlage 3 Teil 1)
vom 22. Dezember 2009 (Hilfstaxe) entgegen. Dies folge aus der Gesetzessystematik
und auch der Gesetzesbegründung. Insbesondere könne § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V als
Grundlage für den Abschluss von Einzelverträgen über parenterale Zubereitungen aus
Fertigarzneimitteln in der Onkologie zwischen einzelnen Krankenkassen und einzelnen
Apothekern nicht durch die rangniedrigere Rechtsanwendungsregelung des § 5 AMPreisV
verdrängt werden, welche die Grundlage für die Neufassung der Anlage 3 der
Hilfstaxenvereinbarung zum 01. Januar 2010 über die Honorierung parenteraler
Rezepturen sei.
Weiter bedürfe die Auffassung des Senates, aus dem Zusammenspiel des § 129 Abs. 5
S. 3 SGB V mit § 11 Abs. 2 Apothekengesetz (ApoG) ergäbe sich nicht, dass der
normale Versorgungsweg ausgeschlossen sei, keiner weiteren Erörterung. Die
Beschaffung der parenteralen Zubereitungen auf dem normalen Versorgungsweg könne
zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, stelle aber die absolute Ausnahme dar. Bei der
gebotenen vergaberechtlichen Betrachtungsweise sei es ohne Bedeutung, an wen die
Arzneimittel ausgehändigt würden. Für das Auftragsvolumen komme es nämlich nur auf
den Umfang der jeweiligen Liefermenge der Apotheken an, die nicht danach
unterschieden, ob der Arzt oder der Versicherte Abnehmer sei. Hierfür sprächen auch
das Ergebnis des Gespräches mit Vertretern des NIO e. V. und die Aussage des
unmittelbaren Vorgängers der Beschwerdeführerin, der jetzt die C-Apotheke in H
betreibe.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sei das Auftragsvolumen der
Ausschreibung durch Angabe der Abgabevolumina je Gebietslos - jeweils in mg pro
Wirkstoff - bezogen auf das erste Halbjahr 2009 in ausreichendem Maße im Sinne des §
3 a Nr. 4 Abs. 1 Satz 2 VOL/A ermittelt und beschrieben werden. Die Regelung spiegele
die Besonderheit des Rahmenvertrages wider, die gerade darauf beruhe, dass das
konkrete Beschaffungsvolumen nur prognostiziert werden könne. Dies gelte aufgrund
der Besonderheiten des Arzneimittelmarktes in besonderem Maße. Die
Beschwerdeführerin habe keinen unmittelbaren Einfluss auf das Verordnungsverhalten
der Ärzte, ebenso wenig wie auf den krankheitsabhängigen Bedarf ihrer Versicherten.
Die Mitteilung der Verordnungszahlen der Vergangenheit stelle die einzige statistisch
belastbare Basis zur Prognostizierung des zu erwartenden Auftragsvolumens dar. Eine
exaktere Prognose sei nicht möglich. Ein Referenzzeitraum von sechs Monaten stehe
auch in einem angemessenen Verhältnis zu einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten.
Künftige Entwicklungen könnten nur mehr oder weniger vage abgeschätzt und im Wege
eines nach Erfahrungswerten vorzunehmenden Zuschlages auf die Kalkulation
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eines nach Erfahrungswerten vorzunehmenden Zuschlages auf die Kalkulation
berücksichtigt werden. Die Leistungsbeschreibung erlaubte auch dann keine bessere
Kalkulation und Preismitteilung, wenn die von der Beschwerdegegnerin von der
Beschwerdeführerin verlangten Angaben zu Trägerlösungen, Primärverpackungen und
Aut-idem-Ausschlussverhalten erfolgt wären. Dies sei das Ergebnis der nach den
Vorgaben der Vergabekammer durch die Beschwerdegegnerin stichprobenartig
erfolgten Auswertung von 50 Verordnungen pro Gebietslos. Die mit der Kalkulation
verbundenen Risiken lägen nicht in der Verantwortungssphäre der Beschwerdegegnerin,
sondern werde durch das Verordnungsverhalten der Ärzte und die im Voraus nicht
bekannten Erkrankungen ihrer Versicherten hervorgebracht.
Aus deren Feststellungen zur Fluktuation der Ärzte in den einzelnen Betriebsstätten
könne ferner abgeleitet werden, dass einzelne Apotheker nicht über einen unzulässigen
Informationsvorsprung verfügten. Die Regelung des § 5 Abs. 4 des Rahmenvertrages sei
vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß Erläuterungen zur Vereinbarung über
Vordrucke über die vertragsärztliche Versorgung - Muster 16: Arzneiverordnungsblatt -
seien für die zeitgleiche Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln getrennte
Verordnungsblätter zu verwenden. § 5 Abs. 4 des Rahmenvertrages setze diese
Verpflichtung im Verhältnis Arzt - Apotheker im Sinne einer Information des Arztes durch
den Apotheker fort. Die Verpflichtung des Apothekers, ausschließlich die Arzneimittel zu
liefern und abzurechnen und das Hilfsmittel auf der Verordnung zu streichen, stehe nicht
im Widerspruch zu § 17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Auch die
Beanstandung, die Vertragsstrafenregelung sei unverhältnismäßig, sei nicht begründet.
Gegen diesen der Beschwerdeführerin am selben Tag zugegangenen Beschluss richtet
sich deren Beschwerde vom 10. August 2010. Sie hat vorgebracht, nach der Intension
des Gesetzgebers sollten die Landessozialgerichte im Vergabenachprüfungsverfahren
darauf achten, dass die ausgeschriebenen Versorgungsverträge die Erbringung der
medizinisch notwendigen Versorgung nicht gefährdeten. Deshalb habe das Sozialgericht
Berlin im Rahmen eines Verfahrens über eine einstweilige Anordnung zu der
vorliegenden Ausschreibung die Auffassung vertreten, dass die sozialrechtlichen
Bedenken im Vergabeverfahren zu prüfen seien (SG Berlin, Beschluss vom 25. April
2010 - S 166 KR 619/10 ER). In einem Verfahren nach § 69 Abs. 2 SGB V müsse anders
als in herkömmlichen Vergabeverfahren die rechtliche Zulässigkeit des
ausgeschriebenen Vertrages in weiterem Umfang überprüft werden. Dafür spreche auch
die besondere Schutzbedürftigkeit der einzelnen Apotheken gegenüber den
Krankenkassen. Hier verstoße die ausgeschriebene Vereinbarung gegen die zwingenden
Vorgaben des § 129 SGB V i. V. m. den kollektiven Rahmenverträgen. Sie garantiere
eine unzulässige Exklusivität des erfolgreichen Bieters. Es werde auch gegen § 129 Abs.
5 c SGB V und damit gegen zwingendes Arzneimittelpreisrecht verstoßen. Es würden
unzulässigerweise Rabatte von den Apotheken eingefordert, obwohl nach § 129 Abs. 5
Satz 3 SGB V nur unmittelbare Rabattverträge zwischen Krankenkassen und der
Industrie zulässig seien. Zuletzt verstoße der Rahmenvertrag gegen das in § 31 Abs. 1
Satz 6 SGB V normierte Apothekenwahlrecht der Versicherten. Unabhängig davon sei
der Apotheker durch § 11 Abs. 2 ApoG daran gehindert, andere Verordnungen als
Zytostatika-Zubereitungen direkt an die Apotheke zu geben. Ein erheblicher Teil der
ausgeschriebenen Substanzen seien jedoch keine Zytostatika. In allen übrigen Fällen
verbiete vielmehr § 11 Abs. 1 ApoG eine entsprechende Absprache zwischen Arzt und
Apotheke.
Soweit die Vergabekammer ferner von einer Absatzgarantie für die vertragsschließende
Apotheke ausgehe, sei dies nicht mit dem Apothekenwahlrecht des Versicherten gemäß
§ 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V vereinbar. Es sei rechtsirrig anzunehmen, dass der Patient mit
seiner Entscheidung für den Vertragsarzt gleichzeitig auch die Entscheidung über die
von diesen zu verordnenden Zubereitungen und dessen Apothekenauswahl treffe.
Das weiter bestehende Apothekenwahlrecht führe dazu, dass die Versicherten sich
nunmehr erstmals für ein „Zwei-Apotheken-Modell“ entscheiden müssten, bei dem zum
einen die Versorgung mit parenteralen Zubereitungen durch eine unbekannte und ggf.
auswärtige Apotheke und zum anderen die Versorgung mit der nicht ausgeschriebenen
Begleitmedikation und allen anderen apothekenpflichtigen Arzneimitteln weiterhin durch
die „eigene“ Apotheke vor Ort vorgenommen werde. Dass alleine mit Blick auf bisherige
(Nicht-)Ausübung des Apothekenwahlrechts in der Vergangenheit davon auszugehen
sei, dass praktisch alle Versicherte auf ihr Apothekenwahlrecht verzichteten und damit
eine faktische Exklusivität der bezuschlagten Apotheke entstehe, sei fern liegend.
Jedenfalls sei dieser Aspekt im Rahmen der Angebotskalkulation von erheblicher
Bedeutung. Die betroffenen Ärzte würden bei allen anderen Patienten der anderen
Krankenkassen weiterhin mit ihrer bisherigen Apotheke zusammenarbeiten. Selbst die
Beschwerdegegnerin spreche von „gewachsenen Strukturen“. Darüber hinaus würden in
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Beschwerdegegnerin spreche von „gewachsenen Strukturen“. Darüber hinaus würden in
der onkologischen Therapie regelmäßig Arzneimittel als Begleitmedikation eingesetzt,
die nicht zuzubereiten seien, z. B. Antibiotika, Kortison, ACE-Hemmer u. a. Hinsichtlich
dieser Präparate müsse der Arzt weiterhin die Rezepte dem Patienten übergeben, damit
dieser die Verschreibungen in einer Apotheke seiner Wahl einlöse. Der Patient bleibe
also weiterhin in engem Kontakt zu den Apotheken, welche die Praxis bisher mit
Arzneimitteln versorgten.
Ferner könne die von der Vergabekammer und vom Landessozialgericht Nordrhein-
Westfalen angenommene „faktische Exklusivität“ nur eintreten, wenn nicht
vertragsgebundene Apotheken, für welche sich ein Versicherter entscheide, die
Belieferung unter Verweis auf die von der Beschwerdegegnerin vertraglich zugesagte
Vergütungsverweigerung gemäß § 4 Abs. 3 Rahmenvertrag ablehnten. Die „faktische
Exklusivität“ sei allenfalls für die Vergangenheit feststellbar. Für die Zukunft sei es eine
rechtlich nur schwer einzuordnende und nicht kalkulierbare Prognose.
Falsch sei auch die Annahme der Vergabekammer, ergänzende Informationen über
Trägerlösungen, Primärverpackungen, Aut-idem-Ausschlussquoten hätten keine bessere
Kalkulation ermöglicht. Die Verwendung des weit verbreiteten E führe zu einer
erheblichen kalkulatorisch relevanten Preisspreizung. Die von der Beschwerdegegnerin
selbst eingereichte Tabelle zeige gravierende Unterschiede bei der Aut-idem-
Ausschlussquote in den einzelnen Losen. Sie zeigten erhebliche Unterschiede im
Verordnungsverhalten der Ärzte, welche die Beschwerdeführerin als auswärtige
Apotheke nicht kennen könne. Sie habe bereits darauf hingewiesen, dass handschriftlich
gesetzte Kreuze nicht berücksichtigt worden seien. Es sei weiter davon auszugehen,
dass die Ärzte bei ihnen unbekannten auswärtigen Apotheken den Aut-idem-Ausschluss
häufiger ankreuzten. Dass handschriftlich gesetzte Kreuze unbeachtlich seien, sei eine
lebensfremde Betrachtung. Vielmehr werde ein Apotheker meist aus der langen
Versorgungserfahrung sicher sagen können, dass der Arzt auch ein handschriftliches
Kreuz beachtet sehen wolle.
Im Einvernehmen der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 25. August 2010 die
aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über diese
verlängert.
Er hat mit Beschlüssen vom 17.09.2010 in zwei Parallelverfahren (Az.: L 1 SF 98/10 B
Verg und L 1 SF 110/10 B Verg) die Beschwerden zweier anderer Apotheken
zurückgewiesen, die ebenfalls bereits vor der Vergabekammer Brandenburg keinen
Erfolg gehabt hatten.
Die Beschwerdegegnerin hat darauf hingewiesen, dass in dem Parallelverfahren (L 21 SF
152/10 Verg) vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in der mündlichen
Verhandlung am 22. Juli 2010 die dort beteiligten Apotheker sinngemäß erklärt hätten,
dass die praktische Bedeutung einer Versorgung durch die Patienten selbst bei
parenteralen Zubereitungen „praktisch bei Null“ bzw. „zwar nicht bei Null, aber im ganz
untergeordneten Prozentbereich“ liege. Auf die „gewachsenen Strukturen“ bei der
gegenwärtigen Versorgung mit parenteralen Rezepturen komme es nicht an, weil die
Patienten daran weitestgehend unbeteiligt seien. Eine institutionalisierte
Zusammenarbeit könne im Wesentlichen nur auf das Zusammenwirken von Ärzten und
Apothekern zurückzuführen sein. Hinzu komme, dass es bei den Patienten, die sich in
onkologischer Behandlung befänden, üblicherweise zu einer hohen Fluktuation komme.
Die daran beteiligten behandelnden Ärzte unterlägen jedoch uneingeschränkt dem
sozialversicherungsrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot und seien verpflichtet, sich
umfassend wirtschaftlich zu verhalten. Sie müssten deshalb parenterale Rezepturen
ausschließlich bei dem Zuschlagsempfänger beziehen. Dies habe das
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt kürzlich für die Ausschreibung mehrerer
Krankenkassen für Grippeimpfstoffe als Sprechstundenbedarf bestätigt (Beschluss vom
20. Juni 2010 - L 10 KR 38/10 B ER).
Zum Primärpackmittel sei aus ihrer Sicht darauf hinzuweisen, dass der E-Infusionsbeutel
im Wesentlichen den Vorteil biete, dass das Infusionssystem bereits vom Hersteller an
den Infusionsbeutel angeschlossen sei. An die Infusionsbeutel anderer Hersteller
müssten hingegen in der Apotheke (oder der Arztpraxis) die Infusionssysteme noch von
Hand angeschlossen werden. Der Vorteil des E liege also allenfalls in der Vermeidung
eines Arbeitsschrittes, mache jedoch eine erhebliche Preisdifferenz aus.
Selbst wenn man ferner der Auffassung der Beschwerdeführerin folge, dass § 11 Abs. 2
ApoG lediglich Zubereitungen aus Zytostatika im engeren Sinne - und insbesondere
nicht die Zubereitungen aus monoklonalen Antikörpern - umfasse, folge daraus nicht,
dass das Verbot des § 11 Abs. 1 ApoG einer Umsetzung der ausgeschriebenen
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dass das Verbot des § 11 Abs. 1 ApoG einer Umsetzung der ausgeschriebenen
Rahmenverträge entgegenstehe. Diese Vorschrift untersage nämlich ausschließlich
Absprachen zwischen Apothekern und Ärzten. Hier sollten aber die Absprachen zwischen
der Beschwerdegegnerin - einer Krankenkasse - und den den Zuschlag gewinnenden
Apothekern erfolgen.
Einem Auftraggeber sei nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB in der heutigen Fassung der
Zuschlag zu gestatten, wenn der Nachprüfungsantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit
keinen Erfolg haben werde. Dies sei hier der Fall. Soweit sich bei der
Stichprobenauswertung im Hinblick auf die Aut-idem-Ausschlussquoten bei den Losen 6
und 8 entsprechende „Ausreißer“ ergeben hätten, sei dies auf die Verordnungsweise
von jeweils nur einer Betriebsstätte zurückzuführen. Die betreffenden Ärzte seien von ihr
angeschrieben worden, um die ungewöhnlichen Aut-idem-Ausschlussquoten zu
diskutieren und aufzuklären und um ggf. für die Vertragslaufzeit Möglichkeiten zur
Sicherstellung üblicher Quoten auszuloten sowie deren Ausschöpfung sicherzustellen.
Sie beantragt,
ihr vorab den Zuschlag zu gestatten.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug
genommen.
II
1. Der Antrag auf Gestattung des Zuschlages ist zulässig.
Nach § 142a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 116 GWB entscheidet das
Landessozialgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammer, die
Rechtsbeziehungen nach § 69 SGB V betreffen. Maßgeblich ist das GWB in der Fassung
des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790),
weil das streitgegenständliche Vergabeverfahren erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes
am 24.04.2009 begonnen hat, § 131 Abs. 8 GWB.
Im Rahmen dieses Verfahrens besteht nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB die Möglichkeit,
den weiteren Fortgang des Vergabeverfahrens und die Erteilung des Zuschlages
gestatten.
Der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg betrifft die Ausschreibung
selektiver Lieferverträge zwischen einzelnen Apotheken und einer Krankenkasse und
damit Rechtsbeziehungen nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
ergibt sich aus § 29 Abs. 5 S. 1 SGG.
2. Nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB kann das Gericht den Fortgang des Verfahrens und die
Zuschlagserteilung gestatten, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise
geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur
Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen.
Gemäß § 121 Abs. 1 Satz 3 GWB sind dabei neben dem Interesse der Allgemeinheit an
einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens auch die Erfolgsaussichten der
sofortigen Beschwerde und die allgemeinen Aussichten des Antragstellers im
Vergabeverfahren, den Auftrag zu erhalten, zu berücksichtigen.
2.1Nach dem Wortlaut ist die Gestattung nach § 121 Abs. 1 GWB nicht davon abhängig,
dass zuvor der Auftraggeber vor der Vergabekammer unterlegen ist. Sie hat auch zu
erfolgen, wenn dies der Auftraggeber beantragt, weil er – wie hier - durch einen
Beschluss nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB an der Zuschlagserteilung gehindert ist. Nach der
Gesetzessystematik hebt die Zuschlagsgestattung die Verlängerung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde mit Wirkung für die Zukunft auf.
Im konkreten Fall steht einer Gestattung der Zuschlagserteilung nicht die Rechtskraft
des Beschlusses des Senats vom 25. August 2010 entgegen.
Es kann dabei dahinstehen, ob ein Beschluss nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB eine
Bindungswirkung für die Entscheidung nach § 121 GWB entfalten kann.
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Dagegen spricht, dass die Antragsverfahren getrennt geregelt sind und das Gericht
gerade nicht - anders als bei § 86b Abs. 1 S. 4 SGG - über die Aufhebung bzw.
Abänderung des Verlängerungsbeschlusses nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zu entscheiden
hat.
Jedenfalls bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage ist eine (konkludente)
Aufhebung des Beschlusses nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB möglich. In einem solchen Falle
ist eine Änderung einer im vorläufigen Rechtsschutz getroffenen Entscheidung immer
zulässig (im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf, B. v. 02.07.2008 - VII-Verg 43/08 unter
Bezugnahme Jaeger, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 121 GWB, Rdnr. 1214).
Hier ist der Beschluss vom 25. August 2010 nicht aufgrund einer eigenen
Interessenabwägung des Senats und/oder einer Prognose über den voraussichtlichen
Erfolg der Beschwerde in der Sache selbst erfolgt. Den Senat etwaig bindende
Feststellungen gibt es insoweit nicht. Die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist
vielmehr erfolgt, weil die Beschwerdegegnerin dagegen keine Einwände erhoben hat und
sich das Begehren damit als einvernehmlich dargestellt hat.
Dieses Einvernehmen ist nunmehr weggefallen, wie sich im Antrag nach § 121 GWB
zeigt. Der Sachverhalt hat sich geändert: Nunmehr hat der Senat – erstmals - die
gebotene Interessenabwägung vorzunehmen.
2.2 Nach wohl einhelliger Rechtsauffassung ist auch nach der Neuformulierung des § 121
Abs. 1 Satz 1 GWB der Zuschlag zu gestatten, wenn der Auftraggeber mit hoher
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 03.
Juni 2010 - 13 Verg 6/10 - mit Literaturnachweisen).
Hier ist davon auszugehen, dass die Beschwerde der Beschwerdeführerin in der Sache
wohl erfolglos bleiben wird.
Zur Rechtslage allgemein und zu den maßgeblichen Einwänden der Beschwerdeführerin
gegen die geplante Ausschreibung hat sich der Senat bereits in seinen genannten
Beschlüssen vom 17. September 2010 geäußert:
Die Rügen der Beschwerdeführerin sind bereits unzulässig, soweit durch die angestrebte
Gebietsmonopolisierung die Rechte der Versicherten bzw. der Sicherstellungsauftrag
diesen gegenüber verletzt werde. Im Rahmen der §§ 97 Abs. 7, 107 Abs. 2 GWB können
keine sozialrechtlichen Wertentscheidungen angemahnt werden können.
Sie kann sich auch nicht auf die Rechte berufen, welche ihr als Apotheke nach dem SGB
V einschließlich der Rahmenverträge zustehen. Sie kann im Vergabeverfahren nicht
erfolgreich vorbringen, dass das Vergütungssystem nach der Hilfstaxe rechtswidrig
umgangen bzw. verdrängt werden soll. Entsprechendes gilt für Einlassung, das
herkömmliche Vergütungssystem, welche dem Apotheker eine Bezahlung seiner
Lieferungsleistungen unabhängig von der Preisentwicklung der Medikamente
gewährleistet, müsse erhalten bleiben.
Konstitutives Merkmal eines öffentlichen Auftrages ist, dass der öffentliche Auftraggeber
eine Auswahlentscheidung trifft. Rügt ein Bieter jedoch, dass der öffentliche
Auftraggeber Selektivverträge schließen will und daher eine Auswahlentscheidung zu
treffen beabsichtigt, stellt dieses Vorbringen keinen vergaberechtlichen Einwand dar, da
der Bieter letztlich keine Auswahlentscheidung durch den öffentlichen Auftraggeber will
und es ihm somit nicht darauf ankommt, durch den Nachprüfungsantrag seine
Zuschlagschancen zur Erlangung eines öffentlichen Auftrages zu verbessern (so treffend
LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 22.07.2010 –L 21 SF 152/10).
Im übrigen teilt der Senat die Auffassung der Vergabekammer des Landes Brandenburg,
dass § 129 Abs. 3 S. 3 SGB V als speziellere Vorschrift den Abschluss von
Einzelverträgen erlaubt, auch wenn diese zwangsläufig von den rahmenvertraglichen
Regelungen auf Grundlage des § 129 Abs. 2 SGB V und den ergänzenden Verträgen auf
Landesebene (§ 129 Abs. 5 S. 1 SGB V) abweichen (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, a.
a. O.). Die Ausschreibung missachtet auch nicht § 129 Abs. 5c SGB V. Auch insoweit
dürfte § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V bereits spezieller sein. Jedenfalls verweist § 129 Abs. 5c
SGB V hinsichtlich verbindlicher Preisregelungen in S. 1 lediglich auf die Vereinbarungen
aufgrund des Arzneimittelgesetzes und ist nicht selbst Grundlage für Vereinbarungen.
Die hier bislang die Preise bestimmende Hilfstaxe ist – wie die Vergabekammer
Brandenburg zutreffend ausgeführt hat - lediglich auf der Grundlage einer
Rechtsverordnung – konkret §§ 4 und 5 Arzneimittelpreisverordnung erlassen worden,
die im Range unter der förmlichen Norm des § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V steht.
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Der parlamentarische Gesetzgeber hat also - zusammenfassend auf den Punkt
gebracht - den Krankenkassen für den Bereich der parenteralen Zubereitungen zu
onkologischen Behandlungen bewusst die Möglichkeit eingeräumt, das bisherige System
vereinbarter Preise verlassen und auf diesem Gebiet die Preise dem freien Markt
überlassen zu können.
2.3 Die Beschwerde dürfte im Übrigen unbegründet sein. Die Vergabekammer des
Landes Brandenburg hat den Nachprüfungsantrag jedenfalls aus jetziger Sicht zu Recht
abgewiesen:
Die Beschwerdegegnerin ist als gesetzliche Krankenkasse ein öffentlicher Auftraggeber
im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Gesetzliche Krankenkassen werden direkt oder jedenfalls
mittelbar durch Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber zur GKV durch den Bund
finanziert (vgl. §§ 3, 220 sowie 221, 271 SGB V). Sie unterliegen einer engmaschigen
staatlichen Rechtsaufsicht. Dies reicht für die Qualifikation als öffentlicher Auftraggeber
aus (ebenso LSG NRW, B. v. 10.09.2009 – L 21 KR 53/09 SFB - juris Rdnr. 47 mit
Bezugnahme u. a. auf den Europäischen Gerichtshof, Urteil vom 11.06.2009 - C-300/07).
Ein öffentlicher Auftrag ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn durch vertragliche
Abreden Exklusivität vereinbart und ein tatsächlicher Wettbewerbsvorteil für den
Auftragnehmer bewirkt werden soll. Dies ist hier der Fall: Der Losgewinner soll exklusiv
für sein Gebiet die Vertragsärzte zur Behandlung der Versicherten der
Beschwerdegegnerin mit den Zubereitungen versorgen.
Die neue Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV)
in der Fassung der Verordnung zur Anpassung der VgV vom 07.06.2010 (BGBl I S. 724
ff) und die neue VOL/A (Abschnitt 2) ist nicht anzuwenden. Nach § 23 S. 1 der neuen VgV
sind bereits begonnene Vergabeverfahren nach dem Recht zu beenden, das zum
Zeitpunkt des Beginns des Verfahrens gegolten hat.
Der Schwellenwert des §§ 100 Abs. 1, 127 Nr. 1 GWB, § 2 Nr. VgV in Verbindung mit der
Art. 2 VO (EU) v. 30.11.2009 von 193.000 € ist überschritten.
2.4 Der Senat hat die maßgeblichen Rügen der Beschwerdeführerin in den genannten
Beschlüssen vom 17.09.2010 für unbegründet gehalten:
Nach der über §§ 97 Abs. 6, 98 Nr. 2 GWB, 4 Abs. 1 VgV zwingend anwendbaren
Vorschrift des § 3a Nr. 4 Abs. 1 S. 2 VOL/A muss bei Rahmenvereinbarungen das in
Aussicht genommene Auftragsvolumen so genau wie möglich ermittelt und beschrieben
werden. Die Vorschrift ist eine Vergabeverfahrensvorschrift. Die Beschwerdeführerin hat
nach § 97 Abs. 7 GWB ein Recht auf ihre Einhaltung. Die Beschwerdegegnerin hat das
Auftragsvolumen jedoch so genau wie möglich angegeben.
Nach Auffassung des Senats bleiben zwar Zweifel bestehen, ob die vertragsärztlichen
Onkologen – möglicherweise sogar in kollusivem Zusammenwirken mit Apothekern - die
„bisherige vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit ihrer jetzigen Apotheke fortsetzen
wollen und deshalb von einer Direktbeschaffung absehen. Jedenfalls die meisten
Vertragsärzte, die den Apotheker nicht wechseln wollen, werden jedoch vor einer
riskanten Konfrontation zurückschrecken.
Zur genauen Darlegung wird – auch für Nachfolgendes - auf die genannten Beschlüsse
verwiesen.
Gleichzeitig fehlt damit - obwohl theoretisch das Auftragsvolumen auch Einfluss auf den
Preis hat - kein für die Preisermittlung relevanter Umstand im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 2
VOL/A.
Schließlich kann gleichzeitig insoweit auch nicht von einem ungewöhnlichen Wagnis nach
§ 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A ausgegangen werden.
Ferner sind die in der Ausschreibung gelieferten Verordnungsdaten im Referenzzeitraum
ausreichend. Sie mussten nicht genauer aufgeschlüsselt werden. Insbesondere mussten
neben dem Wirkstoff weder die Trägerlösungen aufgeführt sein noch die Angaben zum
„Aut-Idem-Ausschluss“. Es sind auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
Zahlen ersichtlich. Die Beschwerdegegnerin darf schließlich das Risiko, eingekaufte
Arzneimittel teilweise vernichten zu müssen, weil bei der Zubereitung Reste übrig
bleiben (sogenannter „Verwurf“), auf die Vertragsapotheke abwälzen. Das Fehlen
genauerer Angaben stellt insbesondere keinen Verstoß gegen das einfachgesetzlich in §
97 Abs. 2 GWB normierte Diskriminierungsverbot in der indirekten Variante dar (vgl.
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97 Abs. 2 GWB normierte Diskriminierungsverbot in der indirekten Variante dar (vgl.
dazu näher B. des Senats v. 07.05.2010):
Die Pflicht des Ausschreibenden, bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile
potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen auszugleichen, ist
eingehalten.
Gleichzeitig wird den Bietern auch in dieser Hinsicht kein ungewöhnliches Wagnis im
Sinne § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A übergebürdet. Auch insoweit wird auf die Beschlüsse vom
17.09.2010 verwiesen.
Ein ungewöhnliches Wagnis im Sinne von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A begründet sich konkret
hier nicht darin, dass die Bieter die Herstellungskosten, Kosten für Packmittel und
Transporte im Rahmen einer Mischkalkulation schätzen müssen,
Entsprechendes gilt für die Rüge, es seien genauere Angaben zu den Packmitteln
erforderlich.
2.5 Zu ergänzen ist für das vorliegende Nachprüfungsverfahren nur noch, dass das
Ausschreibungsvolumen auch nicht deshalb zu ungenau ist, weil in der Ausschreibung
nicht nur Wirkstoffe enthalten sind, die Zytostatika im engeren Sinne sind. § 11 Abs. 2
ApoG als Ausnahme von § 11 Abs. 1 ApoG ist nämlich nicht nur auf solche Zytostatika
im engeren Sinne beschränkt. Zytostatika sind allgemein nämlich (alle) Arzneimittel mit
zellwachstums-, insbesondere zellteilungsverhindernder oder -verzögernder Wirkung
(Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. November 2007 - L 12 KA 16/06, juris,
Rdnr. 34; VG Minden, Urteil vom 05. Dezember 2005 - 3 K 3627/02, juris, Rdnr. 2;
Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, 421; vgl. auch Wikipedia, Stichwort Zytostatikum,
Stand: 04. Oktober 2010: „Zytostatika (...) sind natürliche oder synthetische
Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen (...). Neben den
klassischen Zytostatika werden heute in der Behandlung von Tumorerkrankungen noch
weitere Substanzen wie z. B. Hormone, therapeutische monoklonale Antikörper,
Zytokine und so genannte ‚small molecules’ wie z. B. Signaltransduktions-Inhibitoren,
Proteasominhibitoren etc. eingesetzt. Diese Substanzen werden meist nicht als
Zytostatika bezeichnet, da sie nicht direkt die Zellteilung bzw. das Zellwachstum
hemmen (...)“; ähnlich Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Zytostatika“).
Die den genannten Beschlüssen zugrunde liegende Prognose des Senats, dass die
Beschwerdegegnerin auf die Vertragsärzte einwirken wird, um diese zur Beachtung der
Regeln über den Aut-idem-Ausschluss anzuhalten, ist durch die Schreiben an die
konkreten Gemeinschaftspraxen der „Ausreißer“-Betriebsstätten bereits bestätigt
worden.
Der Senat geht schließlich mit der Beschwerdegegnerin davon aus, dass die Apotheke
ohne weiteres einkalkulieren kann, ob es sich zur Einsparung eines Arbeitsschrittes
lohnt, die teure Verpackung Ezu verwenden
3. Jedenfalls unter Einbeziehung der niedrigen Erfolgschancen der Beschwerde (vgl.
hierzu zur alten Rechtslage OLG Düsseldorf, B. v. 17.04.2008 -VII-Verg 15/08) überwiegt
das Interesse der Allgemeinheit am Abschluss des Vergabeverfahrens. Die
Beschwerdegegnerin soll möglichst bald ermöglicht werden, die mit der Ausschreibung
mutmaßlich zu erzielenden Kosteneinsparungen zu realisieren.
4. Der Senat hat von Beiladungen zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen
abgesehen. Dabei ist §§ 69 Nr. 3, 75 SGG durch die speziellere Regelung des § 142a
Abs. 1 SGG i. V. m. § 119 GWB verdrängt. Nach letztgenannter Vorschrift sind Beteiligte
der gerichtlichen Nachprüfungsverfahren (nur) die bei bereits am
Vergabekammerverfahren Beteiligten. Allerdings entspricht es wohl einhelliger
Auffassung, dass auch das Beschwerdegericht beiladen kann und muss, soweit die
Voraussetzungen des § 109 GWB (Beiladung durch die Vergabekammer) gegeben sind.
Beizuladen sind danach die Unternehmer, deren Interessen durch die Entscheidung
schwerwiegend berührt werden.
Die Apotheken, welche nach der Zuschlagsankündigung die Ausschreibungsgewinner
sein sollen, werden jedenfalls aufgrund der jetzt getroffenen Entscheidung nicht (mehr)
schwerwiegend berührt.
5. Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren nach § 121 GWB nicht zu treffen. Sie bleibt
der Beschwerdeentscheidung vorbehalten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
98 Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§§ 142 a, 177 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
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