Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.04.2009

LSG Berlin-Brandenburg: innere medizin, somatoforme schmerzstörung, diabetes mellitus, psychische störung, behinderung, zustand, facharzt, verordnung, verdacht, gonarthrose

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 11 SB 199/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 69 Abs 4 SGB 9, § 69 Abs 3
SGB 9, § 146 Abs 1 S 1 SGB 9,
Anl 1 Teil D Nr 1 Buchst c
VersMedV
Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen "G" - Einzel-GdB 50 -
Herzschaden - Beeinträchtigung des Gehvermögens
Leitsatz
Auch bei Vorliegen eines Einzel-GdB von 50 wegen eines Herzleidens, kommt es für die
Zuerkennung des Merkzeichens "G" auf die Beeinträchtigung des Gehvermögens an.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Beklagte entsprechend seinem Teilanerkenntnis
vom 08. Oktober 2008 dazu verurteilt, dem Kläger ab 01. September 2007 einen
Gesamt- GdB von 70 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu
erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB)
sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“
(erhebliche Gehbehinderung).
Der 1951 geborene Kläger beantragte im Februar 2003 unter Hinweis auf einen im
Dezember 2002 erlittenen Herzinfarkt erstmalig die Zuerkennung eines GdB. Diesen
stellte der Beklagte durch Bescheid vom 09. April 2003 in der Fassung eines
Widerspruchsbescheides vom 21. August 2003 mit 50 fest, die Voraussetzungen für das
Merkzeichen „G“ lägen nicht vor.
Im Oktober 2004 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, den er begründete
mit „Verschleiß der Wirbelsäule (WS), Bandscheibenvorfall, Verschleiß Kniegelenke,
Herzinfarkt, Herz-OP, Herzschrittmacher, Bypass rechts, Blutverdünner“. Nach
Einholung von Befundberichten und Beiziehung der Akte der ehemaligen
Landesversicherungsanstalt (LVA) Brandenburg mit darin enthaltenen medizinischen
Gutachten stellte der Beklagte durch Bescheid vom 21. April 2005 einen Gesamt-GdB
von 60 wegen folgender Beeinträchtigungen fest, deren verwaltungsintern zuerkannte
Einzel-GdB sich aus den Zusätzen in Klammern ergeben:
1. Herzleistungsminderung, Stent, Defibrillator, Bluthochdruck
(50)
2. operierte arterielle Verschlusskrankheit rechtes Bein, Antikoagulantientherapie (20)
3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
(10).
Die Voraussetzungen der Merkzeichen „G“ und „RF“ (Rundfunkgebührenbefreiung)
lägen nicht vor.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem er ausführte, tatsächlich nur noch eine
Wegstrecke von etwa 100 m unter Schmerzen zurücklegen zu können, wies der Beklagte
nach Einholung eines Befundberichtes der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W
vom 24. Mai 2005 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu durch
Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2005 zurück.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Neuruppin nach Einholung von Befundberichten
die den Kläger betreffenden Akten aus dem Rentenverfahren beigezogen. Hier hatte der
Facharzt für Innere Medizin Dr. F mit Gutachten vom 27. März 2006 ausgeführt, dass
keine Hinweise auf eine kardiale Minderleistung, auf einen Herzklappenfehler oder auf
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keine Hinweise auf eine kardiale Minderleistung, auf einen Herzklappenfehler oder auf
andere wesentliche pathologische Herzveränderungen vorlägen. Die im Rentenverfahren
ebenfalls gehörte Ärztin für Chirurgie Dr. H hatte mit Gutachten vom 10. August 2006 u.
a. ausgeführt, dass eine Wegstreckenlimitierung aus orthopädischer Sicht überhaupt
nicht erklärbar sei.
Das Sozialgericht hat sodann von dieser Ärztin ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt.
Mit Gutachten vom 14. Februar 2007 kam Dr. H hier zu dem Ergebnis, dass die
Feststellung des Gesamt-GdB mit 60 aus ihrer Sicht zutreffend sei. Insbesondere ergäbe
sich auch durch eine Höherbewertung der Wirbelsäulenerkrankung im Einzel-GdB und
durch das Hinzutreten eines diätetisch geführten Diabetes mellitus keine andere
Gesamteinschätzung. In Folge eines Zustandes nach Bypassoperation im Bereich des
rechten Beines und damit bedingter Schwellneigung ergebe sich eine leichte
Behinderung des Gehvermögens des Klägers; die vom Kläger selbst beschriebene
erhebliche Einschränkung der Wegstrecke habe durch keinerlei apparative Untersuchung
belegt werden können.
Mit Urteil vom 18. April 2007 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage daraufhin
abgewiesen. Der Gesamt-GdB von 60 sei nach den gutachterlichen Feststellungen unter
Beachtung der Vorgaben der Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) zutreffend bewertet,
die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ lägen nicht vor.
Gegen dieses ihm am 08. Juni 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 25. Juni 2007
eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass sein
GdB mit 80 zu bewerten sei und dass die Voraussetzungen des Merkzeichens „G“
vorlägen. Er werde es nicht akzeptieren, dass man seine chronischen Krankheiten weg-
oder schönrede. Einen darunter liegenden Wert könne er nicht akzeptieren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 18. April 2007 aufzuheben, den Bescheid
des Beklagten vom 21. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.
Oktober 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen Grad der
Behinderung von 80 zuzuerkennen und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Zuerkennung des Merkzeichens „G“ festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen, soweit sie über sein Teilanerkenntnis vom
08. Oktober 2008 hinausgeht.
Der Beklagte hat im Anschluss an im Berufungsverfahren durchgeführte medizinische
Ermittlungen mit Schriftsatz vom 08. Oktober 2008 ein Teilanerkenntnis dahin
abgegeben, dass der GdB ab 01. September 2007 70 betrage wegen der
Beeinträchtigungen:
1. Herzleistungsminderung, Stent, Kardioverter-Defibrillator, Bluthochdruck,
2. arterielle Verschlusskrankheit des Beines rechts, Antikoagulantientherapie,
3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule,
4. psychosomatische Störungen.
Hierzu hat er ausgeführt, dass die psychosomatischen Störungen und die
Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu
bewerten seien, was zur Erhöhung des Gesamt-GdB führe. Darüber hinausgehend sei
der vom Kläger aufrechterhaltene Antrag in Auswertung des Ergebnisses der
medizinischen Ermittlungen weiterhin abzulehnen.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes zunächst Befundberichte eingeholt.
Hier hat u. a. der Facharzt für Innere Medizin Dr. B am 08. Oktober 2007 ausgeführt,
dass der Kläger im letzten Jahr 32 Mal mit ihm Kontakt aufgenommen hätte; insgesamt
lägen Funktionsbeeinträchtigungen mittlerer Art vor, die Wegstrecke werde durch kardio-
pulmonale Beschwerden nicht beeinträchtigt. Der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. R
führte mit Befundbericht vom 10. Oktober 2007 aus, dass der Kläger aufgrund seiner
kardialen Grunderkrankung sowie der bestehenden peripheren Durchblutungsstörungen
als „nicht wegefähig“ einzuschätzen sei. Auf Rückfrage wegen der Kostenübernahme für
die Fahrt zur Begutachtung teilte Dipl.-Med. R mit Schreiben vom 27. Mai 2008 mit, dass
der Kläger derzeit in der Lage sei, eine einfache Wegstrecke von 500 m zurückzulegen,
und dass er uneingeschränkt fähig sei, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
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Das Gericht hat sodann ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. T
vom 07. Juli 2008 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger
Funktionsbeeinträchtigungen mit folgenden Einzel-GdB vorlägen:
Einzel-
GdB
1. Pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom bei muskulärer Dysbalance,
mäßigen degenerativen Veränderungen und leichten bis mäßigen
Funktionsstörungen,
pseudoradikuläres Halswirbelsäulensyndrom mit intermittierenden Cephalgien,
leichten degenerativen Veränderungen und leichten bis mäßigen
Funktionsstörungen
20
2. Leichte Funktionsstörungen der Schultergelenke beidseits bei beginnender
AC-Gelenksarthrose
unter
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3. Initiale medial betonte Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits mit
leichten
Funktionsstörungen
10
4. Initiale Coxarthrose/Coxalgie mit leichten Funktionsstörungen
unter
10
5. Schmerzchronifizierung Stadium III nach Gerbershagen mit Verdacht auf
somatoforme Schmerzstörung
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6. Zustand nach femoropoplitealem Bypass rechts bei peripherer arterieller
Verschlusskrankheit II b
am 13. September 2004 sowie Zustand nach Thrombektomie der Arteria
femoralis superficialis rechts
und Patch-Plastik am 19. Februar 2006 - gutes funktionelles Ergebnis
20
7. Zustand nach Herzinfarkt (11/02), Implantation eines Kardiodefibrillators
(1/03) und Wechsel
dieses (4/07) - leichte Funktionsstörungen
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8. Diabetes mellitus, arterieller Hypertonus
10.
Die vom Kläger angegebene Schmerzintensität im Bereich von Lendenwirbelsäule,
Halswirbelsäule, Schultergelenken und Kniegelenken auf der visuellen Analogskala
jeweils mit 10 korreliere nicht mit objektivierbaren Funktionsstörungen, die insgesamt
jeweils allenfalls leicht bis mäßig seien, und sei mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit der psychischen Komorbidität zuzuordnen. Aufgrund der sozialen
Anamnese sei davon auszugehen, dass der Kläger in ausreichendem Maße sozial
integriert sei, eine signifikante Isolation bzw. Rückzugstendenzen hätten nicht erkannt
werden können. Insgesamt sei der Gesamt-GdB mit 70 zu bewerten. Objektive klinische
Befunde, die für eine Einschränkung des Gehvermögens sprächen, hätten nicht erkannt
werden können. Der Einzel-GdB für die Lendenwirbelsäule unter Berücksichtigung der
initialen medialen Gonarthrose und Retropatellararthrose betrage 20.
Nachdem der Kläger Berichte der R Kliniken GmbH vom 25. und 26. August 2008 und 02.
Oktober 2008 über Befunde aufgrund von Koronarinterventionen beigebracht hatte, hat
der Beklagte nach erneuter Einholung von Befundberichten eine versorgungsärztliche
Stellungnahme der Dr. H vom 09. Dezember 2008 erstellen lassen, die ausführte, dass
sich aus diesen Unterlagen zwar eine vorübergehende Verschlimmerung im Oktober
2008 ergebe, nach der Herzkatheteruntersuchung habe jedoch Beschwerdefreiheit
bestanden. Eine wesentliche Herzleistungseinschränkung liege danach nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch, soweit sie über das vom Beklagten am 08. Oktober
2008 abgegebene Teilanerkenntnis über einen Gesamt-GdB von 70 ab 01. September
2007 hinausgeht, nicht begründet. Der Beklagte war, da der Kläger dieses
Teilanerkenntnis nicht ausdrücklich angenommen hat, diesem Teilanerkenntnis
entsprechend zur Zuerkennung des höheren Gesamt-GdB von 70 zu verurteilen. Der
vom Kläger darüber hinausgehend geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung eines
Gesamt-GdB von 80 bzw. auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für
das Merkzeichen „G“ besteht hingegen nicht, so dass die Berufung insoweit
zurückzuweisen war. Denn eine rechtlich wesentliche Verschlimmerung der Leiden, die
die Zuerkennung eines höheren GdB oder des begehrten Merkzeichens gerechtfertigt
hätte, liegt nicht vor (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch).
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Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche
Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen
auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft waren bis 31. Dezember 2008 nach den
“Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden
Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) zu bewerten. Diese waren zwar kein Gesetz
und auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Es handelte sich
jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende
Ausarbeitung, die die möglichst gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe im gesamten
Bundesgebiet zum Ziel hatte. Die AHP engten das Ermessen der Verwaltung ein, führten
zur Gleichbehandlung und waren deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen
zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist
nach der Rechtsprechung grundsätzlich von diesen auszugehen (Bundessozialgericht -
BSG -, Urteil vom 18. September 2003, BSGE 91, 205-211, SozR 4-3250 § 69 Nr. 2 Rdnr.
18). Deshalb stützt sich der Senat nach wie vor für Sachverhalte bis zum 31. Dezember
2008 auf die genannten AHP. In der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung verweist § 69
Abs. 1 Satz 5 SGB IX nunmehr auf die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene
„Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1
des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV)“ vom
10. Dezember 2008 (BGBl I 2008 S. 2412), in deren Anlage zu § 2 nunmehr die zuvor in
den AHP enthaltenen Grundsätze für die GdB-Feststellung wiedergegeben sind.
Einzel-GdB sind entsprechend diesen Anhaltspunkten als Grad der Behinderung in 10er
Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1
Bundesversorgungsgesetz festzustellen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen
mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen
der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Nr. 3 a) VersMedV (Seite 10,
ebenso bereits Nr. 19 AHP 2008, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode
verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen
Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf
des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der
Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von
der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und
dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der
weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr
Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die
einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die
nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des
Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit
einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche
Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Nr. 3 c), d) aa) – ee) der Anlage
zu § 2 VersMedV, ebenso zuvor AHP 2008 Nr. 19, Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).
Unter Beachtung dieser Vorgaben ist der Gesamt-GdB des Klägers mit 70 zu bewerten,
wie der Beklagte dies anerkannt hat. Das Sozialgericht hat im erstinstanzlichen Urteil
bereits ausgeführt, dass nach den AHP Nr. 26.9 (S. 71 ff.) eine höhere Bewertung der
Herzleistungsminderung als mit 50 nicht in Betracht kam, weil Dr. F keinen Hinweis auf
eine kardiale Minderleistung, keinen Herzklappenfehler oder andere wesentliche
Herzveränderungen festgestellt hat; insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen,
denen sich der Senat anschließt. Etwas anderes gilt auch nicht aufgrund der seit 01.
Januar 2009 geltenden VersMedV, deren Nr. 9.1.3 (Seite 47) für die Feststellung eines
GdB von 50 bis 70 gleich lautende Einschränkungen voraussetzt, die beim Kläger
weiterhin nicht vorliegen. Dies hat zuletzt die Versorgungsärztin Dr. H in ihrer
Stellungnahme vom 09. Dezember 2008 unter Auswertung der Unterlagen über
Koronarinterventionen im Herbst 2008 ausgeführt und begründet; dem schließt sich der
Senat an.
Dieser höchste Einzel-GdB von 50 war maximal um insgesamt 20 auf 70 zu erhöhen.
Der Senat schließt sich diesbezüglich und auch insgesamt den Feststellungen des Dr. T
in dessen Gutachten vom 07. Juli 2008 an, da dieser seine Feststellungen aufgrund
umfassender Untersuchung und Anamneseerhebung getroffen und nachvollziehbar
begründet hat. Erhöhend wirkte hier zum einen der Zustand nach femoropoplitealem
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begründet hat. Erhöhend wirkte hier zum einen der Zustand nach femoropoplitealem
Bypass bei arterieller Verschlusskrankheit. Derartige Einschränkungen sind nach Nr.
9.2.1 (Seite 49) VersMed-VO (übereinstimmend mit Punkt 26.9 der zuvor einschlägigen
AHP 2008, S.. 73 f.) bei eingeschränkter Restdurchblutung im Stadium II, wie Dr. T es
beim Kläger festgestellt hat, mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, wenn
Schmerzen nach dem Gehen einer Wegstrecke in der Ebene von mehr als 500 m
auftreten. Diese Einordnung durch Dr. T begegnet trotz der vom Kläger seit jeher
beschriebenen höheren Einschränkung seiner Gehstrecke aufgrund von Schmerzen
deshalb keinen Bedenken, weil die Bewertung der Schmerzen durch Dr. T gesondert im
Rahmen der Schmerzchronifizierung Stadium III nach Gerbershagen mit Verdacht auf
somatoforme Schmerzstörung Berücksichtigung gefunden hat, so dass eine höhere
Bewertung im Rahmen der arteriellen Verschlusskrankheit zu einer Doppelbewertung
geführt hätte.
Das Gleiche gilt für die Bewertung der Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule.
Wirbelsäulenschäden sind auch nach der VersMedV (Pkt. 18.9, Seite 90,
übereinstimmend mit Punkt 26.18 AHP 2008, S. 116) bei geringen funktionellen
Auswirkungen mit einem Einzel-GdB von 10 und bei mittelgradigen funktionellen
Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder
anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig
rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB
von 20 zu bewerten. Dr. T hat den Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden
ausdrücklich bereits als Maximalwert bezeichnet. Diese Bewertung beruht darauf, dass
die Einschränkungen von Seiten der Hals- und Lendenwirbelsäule aufgrund der
objektivierbaren klinischen Befunde von Dr. T als „allenfalls leicht“ beschrieben wurde
(Bl. 17 des Gutachtens), so dass fraglich ist, ob hier nicht auch ein noch geringerer
Einzel-GdB angemessen gewesen wäre. Die Höhe dieses Einzel-GdB stimmt im Übrigen
überein mit den Feststellungen der Dr. H in deren im erstinstanzlichen Verfahren am 14.
Februar 2007 erstellten Gutachten, die für den Bereich von HWS und LWS unter
Einbeziehung der Beeinträchtigungen der Schulter lediglich einen GdB von 20
festgestellt hat. Dieser nur sehr knapp überhaupt mit 20 zu bewertende Einzel-GdB
wirkte unter Anwendung der o. g. Vorgaben, wonach es bei leichten, nur mit 20 zu
bewertenden Einzel-GdB vielfach nicht gerechtfertigt ist, den Gesamt-GdB zu erhöhen,
vorliegend nicht Gesamt-GdB-erhöhend.
Erhöhend wirkte hingegen die Schmerzchronifizierung bei Verdacht auf somatoforme
Schmerzstörung, die als leichtere psychische Störung nach Nr. 26.3 AHP 2008 (S.
48)/Nr. 3.7 VersMedV (S. 27) zu Recht mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet wurde, was
wegen der auch von Dr. T beschriebenen Wechselwirkung mit den kardialen und
orthopädischen Leiden den Gesamt-GdB von 70 begründet.
Auch die übrigen Feststellungen des Dr. T zu leichten Funktionsstörungen der
Schultergelenke, Kniegelenke und der Diabeteserkrankung begegneten insgesamt
keinen Bedenken, so dass sich diese Erkrankungen nicht auf den Gesamt-GdB
auswirkten.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die
Zuerkennung des Merkzeichens „G“. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein
schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, der
infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge
von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche
Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im
Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ ist es allerdings nicht ausreichend, dass der
Kläger eine Wegstrecke von 2000 Metern nicht in einem bestimmten Zeitraum
zurückzulegen oder dass er sich nur unter den von ihm beschriebenen Schwierigkeiten
auf Straßen und Wegen zu bewegen vermag. Denn die Anhaltspunkte 2008 und ihm
folgend die VersMedV gaben bzw. geben als antizipierte Sachverständigengutachten
auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor
angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung
des Gehvermögens „in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich
beeinträchtigt ist“. Damit tragen sie dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen
des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu den neben den
anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen,
vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens
sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen
Faktoren filtern die AHP bzw. die VersMedV all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben
haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer
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haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer
behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden,
oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern
möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die AHP und die
gleichlautende VersMedV beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das
Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten
Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August
1997, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).
Nach Nr. 30 Abs. 3 AHP (S. 136) bzw. Teil D. Nr. 1 Buchstabe d) (S. 114) der Anlage zur
Versorgungsmedizin-Verordnung sind die Voraussetzungen für die Annahme einer
erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer
behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt anzusehen, wenn
auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen
und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50
bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den
unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen
sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenkes,
Versteifung des Knie- und Fußgelenkes in ungünstiger Stellung, arteriellen
Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei
der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an.
Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Einzel-GdB des Klägers für
den Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und der unteren Gliedmaßen aufgrund der
initialen medialen Gonarthrose und Retropatellararthrose beträgt nach Dr. T 20, so dass
die für die Zuerkennung des Merkzeichens erforderlichen 50 auch nicht annähernd
erreicht werden. In Übereinstimmung mit den Vorgutachtern hat Dr. T ausgeführt, dass
keine objektiven klinischen Befunde zu erheben waren, die eine Einschränkung des
Gehvermögens des Klägers begründen könnten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung
der Herzerkrankung. Herzschäden wenigstens nach Gruppe 3 (Nr. 9.1.1 VersMedV, S.
47) liegen zwar vor, diese sind mit einem Einzel-GdB von 50 zutreffend gewürdigt
worden; für das Merkzeichen „G“ kommt es aber auch diesbezüglich lediglich auf die aus
der Erkrankung folgende Beeinträchtigung des Gehvermögens an. Es bestanden auch
insoweit keine Bedenken, sich den aufgrund sorgfältiger Untersuchung und
Anamneseerhebung getroffenen Feststellungen des Dr. T anzuschließen. Dies galt umso
mehr, als auch der behandelnde Facharzt für Innere Medizin Dr. B im Befundbericht vom
08. Oktober 2007 ausdrücklich ausgeführt hat, dass kardio-pulmonale Beschwerden das
Laufvermögen nicht beeinflussten. Der behandelnde Arzt für Orthopädie und
Chirotherapie Dipl.-Med. R führte in seinem Befundbericht vom 10. Oktober 2007
Einschränkungen der Fortbewegungsfähigkeit allein auf die kardiale Grunderkrankung
und die peripheren Durchblutungsstörungen zurück, nicht also auf die orthopädischen
Leiden. Für den kardialen Bereich war insoweit aber die Einschätzung des behandelnden
Facharztes für Innere Medizin überzeugender als die des Orthopäden. Für sein eigenes
Fachgebiet hat damit keiner der behandelnden Ärzte Gründe für eine Einschränkung der
Wegefähigkeit erkannt. Insgesamt ließ sich damit eine objektivierbare Einschränkung der
Gehfähigkeit des Klägers nicht feststellen.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der
Hauptsache. Die Verurteilung des Beklagten aufgrund des abgegebenen
Teilanerkenntnisses führte nicht zur Auferlegung von Kosten, da der Beklagte insoweit
lediglich auf eine erstmals während des Berufungsverfahrens objektivierbar festgestellte
Verschlimmerung im Sinne einer GdB-Erhöhung reagiert hatte, so dass im Zeitpunkt der
getroffenen Entscheidungen sowohl die Bescheide des Beklagten als auch das
erstinstanzliche Urteil rechtmäßig waren und eine Kostentragung durch den Beklagten
daher nicht in Betracht kam. Die Zuerkennung des höheren GdB zu einem früheren
Zeitpunkt kam nicht in Betracht. Dr. T führte in seinem Gutachten vom 07. Juli 2008 aus,
dass der von ihm festgestellte Zustand „zirka ein bis zwei Jahre“ bestehe, dass eine
genaue zeitliche Positionierung jedoch nicht möglich sei. Die fehlende Möglichkeit, den
Zeitpunkt der Verschlimmerung näher einzugrenzen, führt dazu, dass der vom
Beklagten vorgenommenen Höherbewertung erst ab September 2007 nichts
entgegenzusetzen war.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG bestanden
nicht.
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