Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.05.2005

LSG Berlin-Brandenburg: ablauf der frist, juristische person, befristete rente, vergleich, zustellung, beschwerdeschrift, mitwirkungspflicht, prozessvertretung, rechtsmittelbelehrung, verfahrensmangel

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
16. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 16 R 1139/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 66 Abs 3 SGB 1
Verletzung der Mitwirkungspflicht; fehlende Fristsetzung;
fehlender schriftlicher Hinweis
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2005
geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2005 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Rente wegen voller
Erwerbsminderung für die Zeit ab 01. Februar 2004 in Anspruch.
Der Kläger, geboren am 1947, war zuletzt bis zum 31. Mai 1994 als Kaufmann der
Grundstücks- und Wohnungswirtschaft versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.
Nachdem er im März 1999 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Rente
wegen Erwerbsminderung gestellt hatte, schloss er mit der Beklagten in dem Verfahren
vor dem Sozialgericht (SG) Berlin – S 11 RA 1167/00 – am 13. Juni 2003 einen das
Verfahren beendenden Vergleich. In diesem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte,
dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalls vom 27. Oktober 2000 eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab 01. Mai 2001, befristet bis zum Ende einer von ihr anzubietenden
medizinischen Leistung zur Rehabilitation, zu gewähren. Der Kläger verpflichtete sich
seinerseits zur ordnungsgemäßen Mitwirkung an dieser Leistung.
Mit Bescheid vom 04. August 2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen
voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 01. Mai 2001 als befristete Rente, die mit Ablauf
des Kalendermonats wegfallen sollte, in dem die Leistung zur medizinischen
Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet würde. Nach Bewilligung einer
Kur in der H Klinik ab 07. November 2003 verließ der Kläger noch am Tag der Aufnahme
diese Klinik.
Nachdem die Beklagte zunächst die Rente bis zum 31. März 2004 weiter gezahlt und
dann für die Monate Februar und März 2004 die Rentenzahlungen vom Kläger
zurückgefordert hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 29. Juni 2004 den “Antrag des
Klägers vom 29. März 2004 auf Weiterzahlung über den 31. Januar 2004“ hinaus ab. Zur
Begründung ist ausgeführt: Sie habe den Sachverhalt, der zu einer Rentengewährung
führen könne, klarzustellen. Dies sei nur möglich, wenn der Antragsteller seinen
Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 und 65 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil –
(SGB I) nachkomme. Der Kläger habe trotz der Aufforderung vom 13. Mai 2004 die
Antragsvordrucke nicht eingesandt. Aus diesem Grund müsse der Antrag abgelehnt
werden. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 07.
Januar 2005).
Das SG Berlin hat mit Urteil vom 10. Mai 2005 die auf Aufhebung der angefochtenen
Bescheide und auf Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung über den 31. Januar
2004 hinaus gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die
Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente
wegen voller Erwerbsminderung über den Monat Januar 2004 hinaus. Ein derartiger
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wegen voller Erwerbsminderung über den Monat Januar 2004 hinaus. Ein derartiger
Anspruch folge zunächst nicht aus dem in dem Verfahren – S 11 RA 1167/00 –
geschlossenen Vergleich. Auch aufgrund des Weitergewährungsantrages vom 20.
November 2003 ergebe sich kein derartiger Anspruch. Die Beklagte habe die
Rentenzahlung zu Recht gemäß § 66 Abs. 2 SGB I abgelehnt. Auch die Voraussetzungen
des § 66 Abs. 3 SGB I für die Ablehnung einer Leistung wegen mangelnder Mitwirkung
seien erfüllt.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2005 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab 01. Februar 2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren
eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Akten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch die
Vorsitzende einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG
-).
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
Der mit der – zulässigen – Anfechtungsklage angefochtene Bescheid der Beklagten vom
29. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2005 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ausweislich des
Verfügungssatzes des Bescheides vom 29. Juni 2004 hat die Beklagte zwar den Antrag
des Klägers auf Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab
01. Februar 2004 abgelehnt. Eine Begründung dafür, welche der in der maßgebenden
Vorschrift des § 43 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI)
enthaltenen Anspruchsvoraussetzungen nach Auffassung der Beklagten nicht vorliegen,
ist in diesem Bescheid allerdings nicht enthalten. Vielmehr stellt sich die getroffene
Entscheidung der Sache nach als Versagungsentscheidung nach § 66 SGB I dar. Denn
die Beklagte hat darin ausschließlich darauf abgestellt, dass der Kläger trotz der
Aufforderung vom 13. Mai 2004 die Antragsvordrucke nicht eingesandt habe. Eine
derartige Versagungsentscheidung ist indes nach den in § 66 Abs. 3 SGB I geregelten
Voraussetzungen nur zulässig, wenn der Leistungsberechtigte zuvor auf die Folgen
fehlender Mitwirkung schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht
nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. In dem
Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 13. Mai 2004 fehlt jedoch jedweder Hinweis
darauf, dass die beantragte Rente wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 SGB I
versagt werden kann und es fehlt überdies auch an der nach § 66 Abs. 3 SGB I
erforderlichen Fristsetzung. Allein aus diesem Grunde sind die angefochtenen
Entscheidungen der Beklagten fehlerhaft.
Die Beklagte wird nunmehr über den Weitergewährungsantrag des Klägers nochmals zu
befinden haben (vgl. dazu im Einzelnen, BSG, Urteil vom 26. August 1994 – 13 RJ 17/94
= SozR 3-1500 § 88 Nr. 2).
Soweit der Kläger mit dem in der Berufungsinstanz weiter verfolgten Begehren eine
Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung erstrebt, ist die Berufung nicht
begründet; sie war daher zurückzuweisen. Für eine zulässige – unechte – Leistungsklage
im Sinne des § 54 Abs. 4 SGG fehlt es an einer – ablehnenden – Entscheidung der
Beklagten, die sich mit den Voraussetzungen des in § 43 SGB VI normierten
Rentenanspruchs befasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte mit
den von ihr fehlerhaft getroffenen Entscheidungen Veranlassung zur Klageerhebung
gegeben hat.
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Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht
vor.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich
vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung
der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen
Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich
beim Bundessozialgericht Postfach 41 02 20, 34114 Kassel, Graf-Bernadotte-Platz 5,
34119 Kassel, einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist
bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
- die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen
von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen
von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche
Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem
sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und
die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres
Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten und
die kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind,
- Bevollmächtigte, die als Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, handeln, wenn
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Vereinigung für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet,
- jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt.
Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie private
Pflegeversicherungsunternehmen brauchen sich nicht durch einen
Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils schriftlich zu
begründen.
In der Begründung muss
- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder
- die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts von der das Urteil
abweicht, oder
- ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann,
bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 I
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz
nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne
hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht
schon durch einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der oben genannten Gewerkschaften
oder Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines
Rechtsanwalts beantragen.
Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim
Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen
Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
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Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und
Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der
Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen
Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen
der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse -
gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die
Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim
Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt
benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht,
einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende
Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die
übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
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