Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.08.2000

LSG Berlin und Brandenburg: aussetzen des verfahrens, gerichtshof für menschenrechte, europäische menschenrechtskonvention, altersrente, egmr, prozess, beweisantrag, diskriminierungsverbot, umrechnung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 30.08.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 35 RA 482/98 W05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 3 R 16/07
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob dem Kläger eine höhere Altersrente zusteht.
Der 1931 geborene Kläger legte seine Erwerbsbiographie im Beitrittsgebiet zurück. Er gehörte dort aufgrund seiner
Tätigkeit in verschiedenen Ministerien und dem Minister-rat der DDR seit dem 01. August 1955 bis zum 30. Juni 1990
mit Ausnahme der Zeit vom 01. Mai 1958 bis zum 30. April 1964 dem Zusatzversorgungssystem der freiwilligen
zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparats (Anlage 1 Nr.19 des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes – AAÜG -) an. Mit Bescheid vom 03. Juli 1995 bewilligte die Beklagte dem
Kläger ab dem 01. Januar 1995 eine Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres, die unter Berücksichtigung
eines Feststellungsbescheids der Beklagten als zuständiger Zusatzversorgungsträger vom 23. Mai 1995 und unter
Zugrundelegung von 49,2194 Entgeltpunk-ten (EP) Ost in Höhe von 1.661,19 DM ausgezahlt wurde. Mit dem dagegen
eingelegten Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Begrenzung seiner Arbeitsentgelte nach den Werten der
Anlagen 5 und 8 des AAÜG. Mit Bescheid vom 04. Juni 1997 wurde die Rente des Klägers unter Berücksichtigung
des neuen Feststellungsbescheids vom 20. Januar 1997 nach den Vorgaben des AA-ÜG-Änderungsgesetzes vom 11.
November 1996 ab dem 01. Januar 1997 neu fest-gestellt und nunmehr auf der Grundlage von 68,3469 EP Ost
berechnet. Mit Wider-spruchsbescheid vom 23. Januar 1998 wies die Beklagte im Übrigen den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben.
Nach Erlass des Feststellungsbescheids des Zusatzversorgungsträgers vom 22. Feb-ruar 2002 ist die Altersrente mit
Bescheid vom 19. Februar 2002 nach den Regelun-gen des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 bereits
ab dem 01. Januar 1995 neu berechnet worden. Mit weiterem Bescheid vom 23. April 2003 ist eine Neuberechnung
der Rente wegen einer geänderten Beitragzeit im Jahr 1982 erfolgt. Dadurch haben sich die EP Ost auf 68,4262
erhöht.
Mit Bescheid vom10. März 2003 hat die Beklagte den Antrag auf eine Vergleichsbe-rechnung gemäß § 4 Abs. 4
AAÜG abgelehnt, weil der Kläger das 65. Lebensjahr nicht bis zum 30. Juni 1995 vollendet habe (Art 2 § 4 Abs. 1
Satz 2 Rentenüberlei-tungsgesetz – RÜG -). Dagegen hat der Kläger keine Einwendungen erhoben. Am 09. Juli 2003
hat er dann erstmals die Aufhebung der Rentenanpassungsmitteilungen zum 01. Juli 2000, 01. Juli 2001, 01. Juli 2002
und 01. Juli 2003 beantragt.
Mit Bescheid vom 01. Februar 2006 ist die Altersrente letztmals ab dem 01. Januar 1995 wegen der Regelungen des
1. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 21. Juni 2005 neu berechnet worden und unter Zugrundelegung von 71,7591 EP
Ost gezahlt worden. Nunmehr wurden sämtliche Arbeitsentgelte bis zur allgemeinen Beitragsbemes-sungsgrenze
berücksichtigt.
Durch Urteil vom 24. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage schließlich abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er, ohne einen konkreten Antrag zu stellen, nur beantragt, das
Urteil aufzuheben und nach den Anträgen aus der ersten Instanz zu erkennen. Er bekräftige sein bisheriges
Vorbringen einschließlich der Forderungen, die auf eine umfassende Gewährung des Rechts auf Gehör und die
Wahrnehmung des Amtser-mittlungsprinzips durch eine Beweiserhebung sowie auf die Berücksichtigung der für die
Renten- und Versorgungsüberführung gemäß dem Einigungsvertrag und dem Grundgesetz geltenden Grundsätzen und
auf eine ordnungsgemäße Verfahrensweise gerichtet seien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 03. Juli 2009 sind die Beteiligten zu der beabsichtig-ten Entscheidung des Senats
durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsge-setz (SGG) gehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er
hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Zwar bestehen Bedenken
hinsichtlich der Zulässigkeit der Anträge des Klä-gers, die er im erstinstanzlichen Verfahren gestellt hat und auf die er
sich im Beru-fungsverfahren bezieht, denn es mangelt ihnen an Bestimmtheit und Eindeutigkeit, allerdings ist der
Senat gemäß § 123 SGG nicht an die Fassung der gestellten Anträge gebunden. Dem klägerischen Vorbringen lässt
sich ein hinreichend deutliches Be-gehren auf Gewährung einer höheren Altersrente entnehmen. Mit diesem Begehren
kann die Berufung jedoch keinen Erfolg haben.
Gegenstand des Verfahrens sind der Altersrentenbescheid vom 03. Juli 1995 in der Fassung des Bescheids vom 04.
Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 1998 sowie die weiteren Altersrentenbescheide
vom 19. Februar 2002, 23. April 2003 und 01. Februar 2006, die gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des
Klageverfahrens geworden sind.
Die Rentenanpassungsmitteilungen zum 01. Juli 2000, 01. Juli 2001, 01. Juli 2002 und 01. Juli 2003 sind dagegen
nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG und auch nicht kraft gewillkürter Klageänderung gemäß § 99 SGG Gegenstand des
erstinstanzlichen Ver-fahrens geworden, denn die wertmäßige Fortschreibung eines bereits zuerkannten Werts des
Rechts auf Rente (vgl. dazu BSG in SozR 3-2600 § 248 Nr. 8 m. w. N.) bil-det einen selbständigen Streitgegenstand.
Insoweit wird nicht über den Geldwert des Rechts auf Rente, sondern ausschließlich über den Grad der Anpassung
entschieden. Im Übrigen sind die Rentenanpassungsmitteilungen zum 01. Juli 2000 und 01. Juli 2001 erstmals am 09.
Juli 2003 angefochten worden. Zu diesem Zeitpunkt war die wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 66
Abs. 2 SGG ein Jahr dauernde Widerspruchsfrist bereits lange abgelaufen und die Bescheide sind bindend geworden
(§ 77 SGG). Der Bescheid über die Änderung der Beitragstragung zum 01. April 2004 ist ebenfalls weder über § 96
Abs. 1 SGG noch über § 99 SGG in das Klageverfahren einzubezie-hen gewesen. In diesem Bescheid erfolgte die
Änderung der Beitragstragung der Be-klagten zur Pflegeversicherung des Klägers durch ersatzloses Streichen des
den Zu-schuss zur Pflegeversicherung regelnden § 106 a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) aufgrund des
Gesetzes vom 27. Dezember 2003 mit Wirkung zum 01. April 2004. Er betrifft damit lediglich die Höhe des Abzugs für
die Kranken- und Pflegever-sicherung. Dies wirkt sich zwar auf den Auszahlungsbetrag der Rente aus; die Ren-
tenhöhe als solche, die hier streitig ist, bleibt davon aber unberührt.
Die Beklagte hat die Altersrente des Klägers nach den Vorgaben der §§ 64 ff SGB VI berechnet. Der Senat hat keine
Anhaltspunkte dafür, dass der Wert der dem Kläger zuerkannten Altersrente nicht korrekt ermittelt, sachlich
unzutreffend und rechnerisch falsch festgestellt worden wäre. Auch der Kläger erhebt keine konkreten Einwendun-gen
oder macht Fehler in der Berechnung geltend. Der Klägerbevollmächtigte hat sich im Berufungsverfahren im
Wesentlichen darauf beschränkt, den von ihm angenom-menen Aussagegehalt des Einigungsvertrags und der
obergerichtlichen Rechtspre-chung und seine eigenen sozialpolitischen Vorstellungen, die sich hauptsächlich gegen
die sog. Systementscheidung richten, darzustellen. Eine konkrete Auseinander-setzung mit den von der Beklagten
getroffenen Entscheidungen ist nicht erfolgt. Entgegen seiner Auffassung ist § 307 b SGB VI in der Fassung des 2.
AAÜG-Änderungsgesetzes nicht Grundlage der Rentenwertfestsetzung, denn der Kläger ist mit einem Rentenbeginn
am 01. Januar 1995 kein Bestandsrentner. Deshalb ist auch keine Rechtsgrundlage für eine
Vergleichsrentenberechnung ersichtlich. Außerdem verkennt der Kläger den Regelungsgehalt der §§ 228 a, 256 a
SGB VI. Darin wird im Hinblick auf die geringere Wirtschaftskraft und das niedrigere Entgeltniveau im Beitrittsgebiet
über die nur stufenweise Heranführung der Beitragsbemessungsgrenze Ost an die allgemeine
Beitragsbemessungsgrenze nicht eine Benachteiligung, son-dern eine Vergünstigung für den Beitragszahler im
Beitrittsgebiet gewährt, indem trotz nominell gleicher bzw. niedriger Beiträge gegenüber den Beitragszahlern in der
alten Bundesrepublik durch die Anhebung der Entgelte im Wege der Umrechnung mit den Werten nach der Anlage 10
zum SGB VI auf Westniveau höhere Entgelte als tatsäch-lich erzielt der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden.
Im Übrigen ist die Anwendung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze auch im Rahmen des Überleitungs-rechts
verfassungsgemäß. Ein Aussetzen des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
kommen nicht in Betracht. Die Art der Überfüh-rung ist verfassungsgemäß (BVerfG in SozR 3-8570 § 10 Nr. 3)und
verstößt auch nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (BSG vom 30. August 2000, Az.: B 5/4 RA
87/97 R). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Entscheidung vom 25. September
2007 zum Aktenzeichen 12923/03 (veröf-fentlicht in juris) einen Verstoß gegen die in Artikel 1 des Protokolls Nr. 1
garantierten Eigentumsrechte sowie gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 14 der Men-
schenrechtskonvention in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 ausdrücklich verneint. Dem hilfsweise
gestellten Beweisantrag brauchte der Senat bereits deshalb nicht nachzugehen, weil der Kläger ihn nach Erhalt des
gerichtlichen Anhörungsschreibens vom 03. Juli 2009 nicht mehr aufrecht gehalten hat. Außerdem ist er nicht
prozess-ordnungsgerecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.