Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.04.2008

LSG Berlin und Brandenburg: unwirksamkeit der kündigung, anspruch auf beschäftigung, gestaltungsrecht, rechtsgrundlage, verfügung, suspendierung, öffentlich, erlass, arbeitsvermittler, zustandekommen

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 28.04.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 65 AS 29212/07 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 14 B 2282/07 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2007 wird
zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die Fortsetzung einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung.
Der Antragsteller steht im Leistungsbezug des Antragsgegners. Mit Schreiben vom 3. September 2007 "schlug" der
Antragsgegner eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung "vor". Das Schreiben enthielt eine
Rechtsfolgenbelehrung, wonach ein pflichtwidriges Verhalten z.B. vorliege, wenn der Antragsteller die Anbahnung der
Arbeitsgelegenheit, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten
verhindere. Der Antragsteller schloss am 1. Oktober 2007 mit dem Maßnahmeträger eine "Vereinbarung über die
Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung", in der für beide Seiten das Recht zur
fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund vorgesehen war. Die am 1. Oktober 2007 begonnene Arbeitsgelegenheit
wurde vom Maßnahmeträger "nach Absprache mit dem zuständigen Arbeitsvermittler" mit Schreiben vom 16. Oktober
2007 zum 16. Oktober 2007 gekündigt. Der Antragsteller wandte sich daraufhin über seine Bevollmächtigte an den
Antragsgegner und den Maßnahmeträger und begehrte die Fortsetzung der Maßnahme.
Mit dem am 14. November 2007 beim Sozialgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
will der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Fortsetzung der Arbeitsgelegenheit erreichen. Das
Sozialgericht hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 29. November 2007). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass
es an einer besonderen Eilbedürftigkeit fehle, da dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
fortlaufend bewilligt seien.
Mit der am 19. Dezember 2007 beim Sozialgericht erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Anliegen
weiter. Er habe einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung der Maßnahme. Die Zuweisung der Arbeitsgelegenheit sei bis
zum heutigen Tag nicht aufgehoben worden. Auch habe der Antragsgegner die Leistungen schon abgesenkt. Durch
weiteres Zuwarten gehe der Beschäftigungsanspruch unwiederbringlich verloren, der dem grundrechtlich verbürgten
allgemeinen Persönlichkeitsrecht entstamme.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2007 aufzuheben und dem Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm bis zur bestandskräftigen Beendigung der Maßnahme die
Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung gemäß Bescheid vom 3. September 2007 zur Verfügung zu
stellen.
Der Antragsgegner hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Vorgang betreffende
Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, welche bei der Entscheidung vorgelegen haben.
II.
Der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des Sozialgerichts ist nur im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist kein Anordnungsanspruch ersichtlich. Der Antragsteller begehrt, dass
dem Antragsgegner aufgegeben werde, ihm eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung entsprechend
dem Bescheid vom 3. September 2007 zur Verfügung zu stellen. Ein solcher Anspruch ist bereits deswegen
ausgeschlossen, weil der Antragsteller durch das Schreiben vom 3. September 2007 nicht wirksam in eine Maßnahme
eingewiesen worden ist.
Nach verbreiteter Auffassung, welcher der Senat beitritt, kommt bei Arbeitsgelegenheiten gegen
Mehraufwandsentschädigung entsprechend § 16 Abs. 3 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB II) ein
öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Maßnahmeträger zustande
(LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 12. September 2005 – L 3 ER 79/05 AS –; Niewald in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 16
Rdnr. 48, 64; anderer Ansicht aber Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. § 16 Rdnr. 239). Die Zuweisung in die
Maßnahme setzt einen Verwaltungsakt des JobCenters oder eine (öffentlich-rechtliche) Vereinbarung zwischen Job-
Center und Hilfebedürftigem voraus. Das Schreiben des Antragsgegners vom 3. September 2007 weist dem
Antragsteller aber nur die Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages nach, es beinhaltet keine verbindliche
Zuweisung, wie bereits die Rechtsfolgenbelehrung zeigt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ablauf der
Arbeitsgelegenheit werden in dem Schreiben gerade nicht geregelt. Ohne wirksame Zuweisung kann der Antragsteller
keine Rechte aus der Maßnahme herleiten - ebenso wenig wie der Antragsgegner Sanktionen an einen "Abbruch"
knüpfen kann.
Der in erster Linie geltend gemachte Anspruch auf Beschäftigung würde sich im Übrigen selbst dann nicht ohne
weiteres ergeben, wenn eine wirksame Zuweisung des Antragstellers in die Maßnahme vorhanden wäre. Der
Maßnahmeträger hat nämlich die Befugnis, die Einzelheiten der Ausgestaltung der Beschäftigung selbst zu regeln
(Harks in Juris PK-SGB II, 2. Aufl. § 16 Rdnr. 114). Denn er muss um die Beschäftigung tatsächlich vollziehen zu
können – den Hilfebedürftigen in seine betriebliche Organisation eingliedern. Im Rahmen des arbeitsorganisatorisch
Erforderlichen hat der Maßnahmeträger daher sachnotwendig ein eigenes Gestaltungsrecht in Bezug auf den Ablauf
der Maßnahme. Das Gestaltungsrecht umfasst auch die Möglichkeit, die Beschäftigung des Hilfebedürftigen zu
suspendieren, wenn anderenfalls der Hilfebedürftige die betrieblichen Abläufe beim Maßnahmeträger erheblich stören
würde. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hier auszugehen, weil – nach Mitteilung des Maßnahmeträgers an
den Antragsgegner - der Antragsteller sich in den vorgesehenen Ablauf der Maßnahme nicht einordnen wollte. Dass
die Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprächen, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Danach erfolgte eine
Suspendierung des Antragstellers, um den Ablauf der Maßnahme zu sichern, wozu der Maßnahmeträger berechtigt
war. Eine berechtigte Suspendierung stünde aber auch arbeitsrechtlich einem Beschäftigungsanspruch entgegen (vgl.
LAG München Urt. v. 19. August 1992 – 5 Ta 185/92 - = NZA 1993, 1130ff mit. weit. Nachw.). Für eine Beschäftigung
im Rahmen einer Maßnahme gegen Mehraufwandsentschädigung kann nichts anderes gelten.
Ergänzend weist der Senat jedoch darauf hin, dass selbst aus der Minderheitsauffassung, wonach ein sog. "Ein Euro-
Job" seine Rechtsgrundlage in einem (privatrechtlichen) Vertrag zwischen dem Maßnahmeträger und dem
Hilfebedürftigen findet (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. § 16 Rdnr. 235), sich nichts für den geltend gemachten
Anspruch des Antragstellers ergeben würde. Es fehlte bereits an einem Anspruch gegen den Antragsgegner, wenn die
Beschäftigung Gegenstand einer Vereinbarung zwischen Maßnahmeträger und Antragsteller wäre. Ebenso wenig
könnte die Unwirksamkeit der Kündigung aus einer Zuständigkeit des JobCenters hergeleitet werden. Vielmehr
müsste der Antragsteller seine Ansprüche gegen den Maßnahmeträger geltend machen. Materiell wäre dann aber zu
beachten, dass auch im Arbeitsrecht – dessen Regeln möglicherweise wegen der Ähnlichkeit einer Maßnahme gegen
Mehraufwandsentschädigung mit einem Beschäftigungsverhältnis entsprechende Anwendung finden würden
("arbeitnehmerähnlich") – nach einer Kündigung ein (Weiter )Beschäftigungsanspruch über den Ablauf der
Kündigungsfrist hinaus jedenfalls solange nicht besteht, wie die Unwirksamkeit der Kündigung noch nicht durch ein
Gericht festgestellt worden ist - wobei es allerdings auf die Rechtskraft einer entsprechenden Feststellung nicht
ankommt (Bundesarbeitsgericht [Großer Senat], Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 ). Vorliegend ist die
Unwirksamkeit der Kündigung aber weder bereits gerichtlich festgestellt worden, noch ist sie offensichtlich. Eine
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Beschäftigung ist demnach auch insoweit nicht ersichtlich.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Senat hält es für
angemessen, dass der Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten hat, weil er ihm
keine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung zugewiesen, sondern lediglich eine Gelegenheit
aufgezeigt und damit Unsicherheiten in Bezug auf den rechtlichen Status geschaffen hat, welche Anlass zu dem
vorliegenden Verfahren gegeben haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).