Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.02.2007

LSG Berlin-Brandenburg: befreiung von der versicherungspflicht, journalist, gesetzliche vermutung, firma, website, index, link, quelle, sammlung, projekt

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
27. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 27 R 709/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 2 Abs 1 Nr 10 SGB 6
Versicherungspflicht in der Rentenversicherung während des
Bezugs eines Existenzgründungszuschusses
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar
2007 wird, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist, zurückgewiesen.
Eine Kostenerstattung findet über das Anerkenntnis der Beklagten hinaus, dem Kläger
die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten des Rechtstreits zu erstatten, nicht statt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen
Rentenversicherung für die Zeit vom 1. August 2004 bis zum 10. Mai 2005.
Der 1969 geborene Kläger, der nach Bestehen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung
arbeitslos war, beantragte am 6. Mai 2003 bei der Bundesanstalt für Arbeit einen
Existenzgründungszuschuss für das Vorhaben „juristischer Presseinformationsdienst
(Presseagentur für juristische Inhalte)“. Zugleich wies er darauf hin, dass er – zeitlich und
finanziell untergeordnet – als Rechtsanwalt tätig sein werde. Der Antrag beziehe sich
allein auf die Tätigkeit als Journalist. Mit Bescheid vom 6. Juni 2003 wurde ihm der
Existenzgründungszuschuss für den Zeitraum vom 11. Mai 2003 bis 10. Mai 2004
bewilligt. Auf den Antrag vom 26. Mai 2004, mit dem der Kläger u.a. erklärte, es hätten
sich seit seinem letzten Antrag keine Änderungen hinsichtlich der Art und des Umfangs
der Tätigkeit ergeben, gewährte ihm die Bundesanstalt für Arbeit mit Bescheid vom 27.
Mai 2005 den Existenzgründungszuschuss auch für den Zeitraum vom 11. Mai 2004 bis
10. Mai 2005.
Mit dem am 25. Juni 2004 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben teilte der Kläger
mit, dass er als freischaffender Journalist und Rechtsanwalt tätig sei und davon ausgehe,
als Existenzgründer nicht versicherungspflichtig zu sein. Die Beklagte stellte mit
Bescheid vom 30. Juli 2004 fest, dass der Kläger ab 1. August 2004
versicherungspflichtig sei, weil er einen Existenzgründungszuschuss erhalte. Hiergegen
legte der Kläger Widerspruch ein.
Am 24. August 2004 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seine Pflichtmitgliedschaft
in der Rechtsanwaltskammer bei der Beklagten die Befreiung von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dem kam die Beklagte mit
Bescheid vom 5. Oktober 2004 nach.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück:
Da der Kläger neben der Tätigkeit als Rechtsanwalt als freischaffender Journalist tätig sei
und hierfür einen Existenzgründungszuschuss erhalte, bestehe für diese Tätigkeit
Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 10 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI).
Mit der am 20. April 2005 bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger
vorgebracht: Die Feststellung der Versicherungspflicht sei rechtswidrig, weil eine
eigenständige Tätigkeit als freischaffender Journalist nicht vorliege. Er betreibe unter der
Firma „Juristischer Presseinformationsdienst“ eine Website mit juristischen und
journalistischen Inhalten. Diese Tätigkeit nehme nur wenige Wochenminuten in Anspruch
und führe nicht zu regelmäßigen Einnahmen. Da er hoffe, über dieses Projekt einen
gewissen Bekanntheitsgrad zu erzielen, dürfe diese Tätigkeit nicht isoliert von seiner
Anwaltstätigkeit gesehen werden. Er behauptet, schon zu Beginn des Jahres 2004 die
praktische Tätigkeit seines juristischen Presseinformationsdienstes aufgegeben zu
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praktische Tätigkeit seines juristischen Presseinformationsdienstes aufgegeben zu
haben.
Die Bundesagentur für Arbeit hat dem Kläger auf seinen Antrag vom 5. Mai / 24. Juni
2005, in dem dieser mitteilte, dass er nur noch die Anwaltskanzlei betreibe, mit Bescheid
vom 28. Juli 2005 den Existenzgründungszuschuss weiter für den Zeitraum vom 11. Mai
2005 bis zum 10. Mai 2006 bewilligt.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 23. Februar 2007 abgewiesen. Die
Beklagte hatte zu Recht die Versicherungspflicht des Klägers nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB
VI festgestellt, da er für den Zeitraum von August 2004 bis Mai 2006 einen
Existenzgründungszuschuss erhalten habe. Maßgebend sei die jeweils konkret
ausgeübte Tätigkeit, für die der Existenzgründungszuschuss gewährt werde. Auch neben
der Ausübung einer versicherungsfreien Tätigkeit könne für eine weitere Tätigkeit
Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI vorliegen. Das Betreiben des
juristischen Presseinformationsdienstes sei kein Teilbereich der Rechtsanwaltstätigkeit.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren
weiter verfolgt.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12. Februar 2008 den Kläger ab 20. Juli 2005 von der
Versicherungspflicht befreit. Zur Begründung hat sie im Schriftsatz vom 12. Februar
2008 ausgeführt, der Kläger habe in dessen Antrag vom 20. Juli 2005 auf
Weitergewährung des Existenzgründungszuschusses angegeben, nur noch anwaltlich
tätig zu sein. Hinsichtlich dieser Tätigkeit sei er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von
der Versicherungspflicht zu befreien, da er Mitglied der Rechtsanwaltskammer sei.
Gleichzeitig gab sie ein Kostenanerkenntnis dergestalt ab, dem Kläger dessen
notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten. Der Kläger hat das
Teilanerkenntnis am 20. März 2008 angenommen, jedoch darauf hingewiesen, dass ihm
der Existenzgründungszuschuss bereits vom 11. Mai 2005 an bewilligt worden sei.
Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2008 anerkannt, dass die
Versicherungspflicht mit dem 10. Mai 2005 geendet hat. Dieses Teilanerkenntnis hat der
Kläger am 2. August 2008 angenommen.
Zur Begründung seiner – sich auf den Zeitraum vom 1. August 2004 bis zum 10. Mai
2005 beschränkenden – Berufung bringt der Kläger insbesondere vor:
Gesetzgeberisches Ziel der Versicherungspflicht des § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI sei, dass
Existenzgründer Altersvorsorge betrieben. Dies sei bei Rechtsanwälten, die in den
Rechtsanwaltsversorgungswerken versichert seien, bereits gewährleistet. Deshalb
müsse sich die Befreiung nach § 6 SGB VI auf sämtliche Tätigkeiten des
Existenzgründers erstrecken. Anderenfalls würden Rechtsanwälte im Gegensatz zu allen
anderen Beziehern des Existenzgründungszuschusses verpflichtet sein, sich mehrfach
zu versichern. Im Übrigen habe er im streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt keine
selbständige Tätigkeit als Journalist ausgeübt. Denn er habe Ende 2003 seine
Bemühungen endgültig aufgegeben, Einnahmen durch den Rechteverkauf eigener
journalistischer Beiträge zu erzielen. Jedenfalls habe der Rentenversicherungsträger,
wenn wie vorliegend ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB
VI gestellt worden sei, zu prüfen, welche selbständigen Tätigkeiten tatsächlich ausgeübt
würden. Seine Tätigkeit als Betreiber einer Website sei nicht als eigenständige
journalistische Tätigkeit zu werten, da eine Vielzahl von Rechtsanwälten eine Homepage
betrieben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 aufzuheben und den
Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17. März 2005 in der Fassung des Bescheides vom 12. Februar 2008 und des
angenommenen Anerkenntnisses vom 17. Juli 2008 insoweit aufzuheben, als die
Beklagte die Rentenversicherungspflicht des Klägers vom 1. August 2004 bis zum 10.
Mai 2005 festgestellt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten
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Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll
und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 ist
unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid der
Beklagten vom 30. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März
2005 in der Fassung des Bescheides vom 12. Februar 2008 und des angenommenen
Anerkenntnisses vom 17. Juli 2008 rechtmäßig ist. Zutreffend hat die Beklagte
festgestellt, dass der Kläger während des Zeitraumes vom 1. August 2004 bis zum 10.
Mai 2005 der Rentenversicherungspflicht unterlag.
Versicherungspflichtig sind nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI in der hier maßgeblichen
Fassung vom 4. Dezember 2004 selbständig tätige Personen für die Dauer des Bezugs
eines Zuschusses nach § 421l Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III). Die
Bundesanstalt für Arbeit gewährte dem Kläger auf der Grundlage des Bescheides vom
27. Mai 2004 für den Zeitraum vom 11. Mai 2004 bis zum 10. Mai 2005 – also
einschließlich des hier streitgegenständlichen Zeitraumes – einen
Existenzgründungszuschuss. Die Bewilligung beschränkte sich auf dessen Tätigkeit als
freischaffender Journalist. Dies ergibt sich aus dem ursprünglichen Antrag des Klägers
vom 6. Mai 2003, in welchem er ausführt, dass der Antrag sich auf die angestrebte
Tätigkeit als Journalist beziehe, weil seine Tätigkeit als Anwalt untergeordnet sein solle.
Hiervon wich der Weitergewährungsantrag des Klägers vom 26. Mai 2004 nicht ab.
Mit der Behauptung, er habe seine journalistische Tätigkeit Ende 2003 oder Anfang 2004
eingestellt, kann der Kläger nicht gehört werden. Noch im Schreiben vom 28. Juni 2004
hat der Kläger gegenüber der Beklagten ausdrücklich erklärt, „als freischaffender
Journalist und Rechtsanwalt“ tätig zu sein. Dieser Widerspruch kann jedoch offen bleiben.
Denn es kommt für die Versicherungspflicht nicht darauf an, ob der Betroffene
tatsächlich die Tätigkeit ausübt, deretwegen ihm der Existenzgründungszuschuss
gewährt wurde. Denn § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI stellt allein auf den Bezug des
Zuschusses ab und nicht – wie die Tatbestände der Nrn. 1 bis 9 dieser Vorschrift – auf
bestimmte Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsmerkmale.
Auch ist es ohne Belang, ob der Kläger – was er bestreitet – „selbständig“ tätig im Sinne
des § 2 Satz 1 vor Nr. 1 SGB VI war. Denn nach § 7 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch,
Viertes Buch (SGB IV) in der seinerzeit maßgeblichen Fassung vom 23. Dezember 2002
gelten Personen, die einen Zuschuss nach § 421l SGB III erhalten, für die Dauer des
Bezugs dieses Zuschusses als selbständig Tätige. Hierbei handelt es sich um eine
unwiderlegliche gesetzliche Vermutung; Bezieher eines Existenzgründungszuschusses
sind für diese Zeit in die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung
einbezogen, ohne dass es einer weiteren Prüfung der Merkmale, die für die Annahme
der Selbständigkeit maßgeblich sind, bedarf (so Gürtner, in: Kasseler Kommentar, Rn. 41
zu § 2 SGB VI).
Der Umstand, dass der Kläger – seinem Vortrag zufolge – neben der journalistischen
Tätigkeit in eingeschränktem Umfang auch als Rechtsanwalt tätig war, ist für die
Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI schon deshalb ohne Belang, weil er,
wie oben ausgeführt, für diese Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum keinen
Existenzgründungszuschuss erhielt.
Der Beklagte war auch nicht gehalten, den Kläger hinsichtlich seiner journalistischen
Tätigkeit im Hinblick darauf, dass er wegen seiner Rechtsanwaltstätigkeit Mitglied der
Rechtsanwaltskammer als einer berufsständische Versorgungseinrichtung war, nach § 6
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht zu befreien. Der Internetauftritt
des Klägers unter der Firma „Juristischer Presseinformationsdienst“ steht in keinem
unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Rechtsanwaltstätigkeit. Anders als die von
ihm angeführten Homepages diverser Rechtsanwaltskanzleien, fehlt ein direkter Hinweis
auf die Kanzlei des Klägers. Im Gegenteil ist die Firma „Juristischer
Presseinformationsdienst“ den eigenen Angaben des Klägers im Impressum seiner
Website (http://www.jupid.de/index.php?w=900_sa_273__) zufolge die
Geschäftsbezeichnung für seine freiberufliche Tätigkeit als „Justizberichterstatter“.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und
27 Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und
Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.
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