Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.02.2007

LSG Berlin und Brandenburg: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, eheähnliche gemeinschaft, hauptsache, interessenabwägung, haushalt, vollziehung, aufnehmen, verminderung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 13.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 13 AS 1266/06 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 19 B 1042/06 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Oktober 2006 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Herabsetzung der ihm bewilligten Leistungen.
Der Antragsteller bewohnte bis 15. August 2006 allein ein ihm gehörendes Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von
ca. 90 qm (Größenangabe laut Wohngeldbescheid vom 7. September 2004). Zuvor hatte er das Haus mit seiner
geschiedenen Ehefrau bewohnt. Nach einem Hinweis der Antragsgegnerin auf die Nichtangemessenheit des
Wohnraumes für eine Person zog die geschiedene Ehefrau des Antragstellers am 15. August 2006 mit dem
gemeinsamen Sohn wieder bei ihm ein.
Die Antragsgegnerin, die dem Antragsteller zuletzt mit Bescheid vom 7. Juni 2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von
758,15 EUR monatlich vom 1. Juli bis 30. November 2006 bewilligt hatte, erließ am 7. August 2006 einen
Änderungsbescheid, in dem ausgeführt wurde, der Leistungsanspruch und die Kosten der Unterkunft seien überprüft
und neu berechnet worden. K B gehöre ab 15. August 2006 zur Bedarfsgemeinschaft und werde bei der Berechnung
der Leistungen berücksichtigt. Unter Zugrundelegung von Kosten der Unterkunft von insgesamt 339,70 EUR (für
August 2006) bzw. 275,44 EUR (für September bis November 2006) und Regelsätzen in Höhe von jeweils 311 EUR
wurden für August 2006 842,93 EUR und für September bis November 2006 897,44 EUR monatlich bewilligt. Weiterhin
heißt es in dem Änderungsbescheid, gegen den der Antragsteller am 11. August 2006 Widerspruch einlegte: "Die
bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen werden insoweit aufgehoben". Am 11. August 2006 hat
der Antragsteller beim Sozialgericht Potsdam beantragt, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, bis zum
Abschluss des Widerspruchsverfahrens Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 758,15 EUR
weiter zu zahlen. Er bilde mit seiner geschiedenen Ehefrau nur eine Haushalts- nicht aber eine eheähnliche
Gemeinschaft. Sie sei nur zu ihm gezogen, weil er aufgefordert worden sei, sich um kleineren Wohnraum zu
bemühen. Den Rechtstreit führe er nur im eigenen Namen.
Am 19. September 2006 hat die Antragsgegnerin einen Hausbesuch durchgeführt. Auf das darüber erstellte Protokoll,
das Bestandteil der Gerichtsakten ist, wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
Mit Beschluss vom 26. Oktober 2006 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abgelehnt. Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund, weil der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau
weiterhin Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelsatzes und der Kosten der Unterkunft erhielten, so dass
eine wirtschaftliche Notsituation nicht vorliege. Es fehle aber auch an einem Anordnungsanspruch, denn aufgrund der
beim Hausbesuch getroffenen Feststellungen sei davon auszugehen, dass eine Bedarfsgemeinschaft bestehe.
Gegen den ihm am 2. November 2006 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der am 14. November
2006 eingelegten Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Er macht geltend, "das Urteil" entspreche
nicht der Wahrheit und enthalte "falsche Vermutungen".
Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, sie habe über den Widerspruch noch nicht entschieden.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verfahren wird allein vom Antragsteller geführt. Er bestreitet in
einer Bedarfsgemeinschaft zu leben und beantragt deshalb, Leistungen ohne Berücksichtigung anderer Personen
allein an ihn zu gewähren. Der Antragsteller hat auch auf ausdrückliche Anfrage angegeben, er führe das Verfahren
allein im eigenen Namen.
Der vom Antragsteller begehrte einstweilige Rechtschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder
Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Im
vorliegenden Verfahren hat der Widerspruch entgegen der allgemeinen Regelung in § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG keine
aufschiebende Wirkung, weil dies durch Bundesgesetz vorgeschrieben ist (§ 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1
Sozialgesetzbuch 2. Buch - SGB II -).
Bei der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes nach § 86 b Abs. 1 SGG ist von den
Gerichten eine Interessenabwägung durchzuführen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und ist der
Betroffene dadurch in seinen subjektiven Renten verletzt, ist in der Regel die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil
dann ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes nicht erkennbar ist. Ist
dagegen der Widerspruch bzw. die anschließende Klage offensichtlich aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung
nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs- bzw. des Klageverfahrens bei der im einstweiligen
Rechtschutzverfahren in der Regel nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht
abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist dabei neben dem
mutmaßlichen Verfahrensausgang in der Hauptsache vor allem das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Dieses
Aussetzungsinteresse wird im Wesentlichen bestimmt durch die Folgen, die eintreten, wenn die Eilentscheidung nicht
erginge, der Widerspruch oder die Klage aber später Erfolg hätte. Entstünden in der Zwischenzeit wesentliche
Nachteile, zu deren folgenloser Beseitigung auch eine spätere Hauptsacheentscheidung nicht mehr in der Lage wäre,
wird das Aussetzungsinteresse in der Regel zu bejahen sein, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht
lediglich ganz gering sind.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen musste dem Antrag der Erfolg versagt bleiben. Die
Erfolgsaussichten des Widerspruches sind eher als gering einzuschätzen. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II in der seit
1. August 2006 geltenden Fassung gehört zu einer Bedarfsgemeinschaft auch eine Person, die mit dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach verständiger
Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und für einander
einzustehen. Nach Abs. 3 a der genannten Vorschrift ist ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu
tragen und für einander einzustehen, zu vermuten, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammen leben, 2. mit einem
gemeinsamen Kind zusammen leben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über
Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Es kann im vorläufigen Verfahren dahingestellt bleiben, ob
aufgrund des erneuten Zusammenziehens hier bereits die Voraussetzungen der Nr. 1 erfüllt sind. Der nach dem
Gesetz erforderliche Wille, für einander Verantwortung zu tragen und für einander einzustehen, kann hier nämlich
bereits der Angabe der geschiedenen Ehefrau beim Hausbesuch entnommen werden, sie sei wieder eingezogen, weil
sonst ihr Mann hätte wegen nicht angemessener Kosten der Unterkunft wieder ausziehen müssen. Dies belegt mit
hinreichender Deutlichkeit, dass die geschiedene Ehefrau bereit war, für den Antragsteller Verantwortung zu tragen,
indem sie ihn durch ihren Einzug davor bewahrte, aus seinem Eigenheim ausziehen oder eine andere Person dort
aufnehmen zu müssen. Auch die Verhältnisse des Zusammenlebens sprechen gegen eine bloße Wohngemeinschaft,
denn bei dem Hausbesuch wurde von der geschiedenen Frau auch eingeräumt, dass wegen der nicht
abgeschlossenen Wohnbereiche eine Vermietung der von ihr genutzten Räume an Fremde gar nicht denkbar sei. Der
Bescheid vom 7. August 2006 begegnet auch keinen durchgreifenden formellen Bedenken. Aus ihm lässt sich gerade
noch hinreichend deutlich entnehmen, dass der Bewilligungsbescheid vom 7. Juni 2006 wegen einer Veränderung der
Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft teilweise aufgehoben werden sollte.
Neben den - wie dargelegt - nur geringen Erfolgsaussichten fällt auch eine allgemeine Interessenabwägung zum
Nachteil des Antragstellers aus. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, dass der Antragsteller und auch Frau K
B weiterhin Regelleistungen nach dem SGB II und auch Kosten der Unterkunft erhalten. Die dem Antragsteller
zustehende Regelleistung wurde aufgrund der von der Antragsgegnerin angenommenen Bedarfsgemeinschaft
entsprechend § 20 Abs. 3 SGB II auf 90 v. H. der Regelleistung nach Abs. 2 des § 20 SGB II zwar abgesenkt, durch
diese Verminderung der Regelleistung um 34 EUR entstehen dem Antragsteller aber keine schweren und
unzumutbaren sowie nachträglich nicht wieder gut zu machenden Nachteile, denn er wird lediglich so behandelt wie
erwachsene Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, die Leistungen nach dem SGB II beziehen. Einwendungen gegen
die von der Antragsgegnerin anerkannten monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von nur noch
275,44 EUR (für die gesamte Bedarfsgemeinschaft) seit September 2006 wurden vom Antragsteller nicht geltend
gemacht. Im vorläufigen Rechtschutzverfahren sah der Senat auch keine Veranlassung, von Amts wegen nähere
Ermittlungen darüber anzustellen, ob diese Kosten zutreffend ermittelt worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Gegen diesen Beschluss ist keine Beschwerde an das Bundessozialgericht möglich (§ 177 SGG).