Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: adhs, behandlung, arzneimittel, krankenversicherung, konsens, verordnung, label, medikament, effektivität, erlass

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 110/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 S 1 SGB 5, § 12 Abs 1
SGB 5, § 13 Abs 3 Alt 2 SGB 5, §
27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 5, § 27
Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 5
Krankenversicherung - fachwissenschaftlicher Konsens iS der
Off-label-Use-Rechtsprechung des BSG - Zulassung des
Arzneimittels Ritalin für bestimmte Personengruppen -
Nichtübertragbarkeit der BVerfG-Rechtsprechung auf
Erwachsene mit ADHS
Leitsatz
Von fachwissenschaftlichen Konsens im Sinne der off-label-use-Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts kann bereits dann nicht die Rede sein, wenn der Nutzen des
Arzneimittels für die betreffende (neue) Indikation jedenfalls auch beachtlichen Einwendungen
unterliegt; letzteres ist derzeit für die Behandlung der adulten ADHS noch der Fall.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar
2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für das Arzneimittel Ritalin mit dem
Wirkstoff Methylphenidat außerhalb seines zugelassenen Anwendungsbereichs.
Der im Jahre 1976 geborene Kläger leidet nach den Feststellungen des behandelnden
Arztes für Neurologie und Psychiatrie Jan einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-
Störung (ADHS) im Erwachsenenalter.
Nach eigenen Angaben leidet der Kläger dadurch u.a. an leichter Ablenkbarkeit, Unruhe,
Impulsivität, Konzentrationsstörungen und Desorganisation. Der behandelnde Neurologe
und Psychiater verordnete dem Kläger – wie zuvor schon der Kinderarzt – das den
Wirkstoff Methylphenidat enthaltende Medikament Ritalin. Arzneimittelrechtlich sind
dieses Medikament sowie die übrigen Medikamente mit diesem Wirkstoff lediglich zur
Therapie der ADS/Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern
sowie zur Therapie von Narkolepsie bei Erwachsenen zugelassen.
Am 19. Juni 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme bzw.
Erstattung von Kosten für selbst beschafftes Ritalin. Er sei hierauf erfolgreich eingestellt,
seine Lebensqualität sei damit spürbar gestiegen. Andere Medikamente habe er ohne
Erfolg ausprobiert. Eine effektive Psychotherapie sei erst unter der Medikamention mit
Ritalin möglich geworden. Dazu legte er ein Attest seines behandelnden Neurologen und
Psychiaters vor. Dem Antrag beigefügt waren zwei ärztliche Verordnungen des
Medikaments Ritalin vom 26. Mai 2003 und vom 24. Juni 2003.
Die Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) vom 24. Juni 2003 ein. Darin stellte
der MDK (Ärztin B) fest, eine Kostenübernahme sei vor dem Hintergrund der aktuellen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Einsatz von Arzneimitteln außerhalb
ihrer Zulassungsindikation nicht möglich.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2003 lehnte die Beklagte, gestützt auf die vorgenannte
Stellungnahme des MDK, den Antrag des Klägers ab. Den Widerspruch wies sie unter
Berücksichtigung einer ergänzenden Stellungnahme des MDK vom 12. August 2003 mit
Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 (Eingang beim Kläger am 22. Dezember
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Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003 (Eingang beim Kläger am 22. Dezember
2003) zurück: Zwar möge der Kläger unter einer seine Lebensqualität auf Dauer
nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung leiden. Ritalin sei jedoch für die fragliche
Indikation nicht zugelassen. In der Fachwelt bestehe kein Konsens zur Behandlung von
ADHS bei Erwachsenen mit methylphenidathaltigen Präparaten. Es mangele an
positiven Arzneimittelstudien höherer Evidenzklasse. Die höchstrichterlich formulierten
Anforderungen an die Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung seien damit nicht erfüllt.
Mit seiner zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die
Erstattung von 622,04 Euro beantragt, die er bis zur Bekanntgabe des
Widerspruchsbescheides von Juni bis Dezember 2003 für die Beschaffung von Ritalin
aufgewandt hatte. Im Laufe des Klageverfahrens hat er die Forderung auf sämtliche
Beträge erweitert, die er seit der erstmaligen Verordnung von Ritalin am 26. Mai 2003
aufzuwenden hatte (2.292,13 Euro bis zum Tag der mündlichen Verhandlung am 21.
Februar 2006) und auch Kostenübernahme für die Zukunft beantragt.
Mit Urteil vom 21. Februar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen:
Methylphenidathaltige Medikamente seien zwar für die Behandlung der Erkrankung bei
Kindern bzw. zur Behandlung der so genannten Narkolepsie zugelassen, nicht jedoch für
die Behandlung von ADS/ADHS bei Erwachsenen. Eine solche die Zulassung
überschreitende Anwendung sei im Grundsatz von der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht zu erbringen. Auch ausnahmsweise komme eine Versorgung
nicht in Betracht, weil es jedenfalls an der Beantragung einer erweiterten Zulassung für
Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat fehle. Zudem seien bislang keine
Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden.
Schließlich fehle es auch an außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen und
veröffentlichten Erkenntnissen, die über die Qualität und Wirksamkeit
methylphenidathaltiger Arzneimittel in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige und
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und auf deren Grundlage in den
einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe.
Gegen das ihm am 9. März 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. März 2006
Berufung eingelegt. Er macht geltend: Die Voraussetzungen für Kostenerstattung und
Kostenübernahme seien erfüllt. Er leide unter einer schwerwiegenden Erkrankung. Eine
andere Therapie als diejenige mit Methylphenidat sei nicht verfügbar. So sei
beispielsweise die im Jahre 2002 versuchte Therapie mit dem Medikament Strattera
(Wirkstoff Atomoxetin) wegen erheblicher Nebenwirkungen erfolglos gewesen. Aufgrund
umfangreicher und dokumentierter Forschungen sei der Nutzen methylphenidathaltiger
Medikamente nachgewiesen.
Nachdem die Beklagte sich bereit erklärt hat, im Falle des Obsiegens des Klägers auch
eine Kostenerstattung durchzuführen, die sich auf die Versorgung mit Methylphenidat
nach Erlass des Widerspruchsbescheides bezieht, hat der Kläger seine
Erstattungsforderung auf 622,04 Euro (Aufwendungen ab erstmaliger Verordnung bis
zum Erlass des Widerspruchsbescheides) beschränkt und die Berufung im Übrigen
zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2006 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 30. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die
Beschaffung des Medikaments Ritalin in Höhe von 622,04 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat den behandelnden Neurologen und Psychiater J. als Zeugen
vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im
Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der
Entscheidung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.
Als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachte Erstattung von 622,04
Euro kommt allein § 13 Abs. 3 zweite Alternative Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V)
in Betracht. Danach hat eine Krankenkasse die Kosten für selbst beschaffte Leistungen
zu erstatten, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem
Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
Hieran gemessen besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf
Kostenerstattung nicht, weil die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung des Medikaments Ritalin zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherung.
Um vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst zu sein, bedarf
ein Fertigarzneimittel zur Anwendung bei einem Versicherten grundsätzlich der
arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es eingesetzt wird.
Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz
1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst,
wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG])
arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung, vgl. hierzu und zum
Folgenden Urteil des Senats vom 4. Juli 2007, L 9 KR 52/05, m.w.N. zur Rspr. des BSG,
zitiert nach juris). So liegt es im vorliegenden Fall. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung
in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige
Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll (vgl. § 22
Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG). Das Arzneimittel Ritalin ist zwar ein im Sinne der
Krankenversicherung verordnungsfähiges Arzneimittel, jedoch beschränkt sich seine
Zulassung auf die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS und
auf die Therapie von Narkolepsie bei Erwachsenen. Es hat weder in Deutschland noch
innerhalb der Europäischen Union die erforderliche Arzneimittelzulassung für das
Indikationsgebiet ADS/ADHS im Erwachsenenalter, für das es von dem Kläger eingesetzt
wird. Ausnahmsweise ist unter engen Voraussetzungen die Verordnung eines
Arzneimittels zwar auch außerhalb des nach den Bestimmungen des AMG
vorgegebenen Zulassungsbereichs möglich, jedoch bestimmt § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG,
dass die Erweiterung des Anwendungsbereiches eines Arzneimittels einer erneuten
Zulassung bedarf, an der es bei dem von dem Kläger begehrten Arzneimittel derzeit
mangelt.
Der Kläger konnte und kann das Medikament auch nicht nach den Grundsätzen des so
genannten Off-Label-Use beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts , der der Senat nach eigener Prüfung folgt, kann - abgesehen von
Fällen einer extrem seltenen Erkrankung (diese liegt hier nicht vor) - die Verordnung
eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet
grundsätzlich in Betracht kommen, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden
(lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden)
Erkrankung geht (erste Voraussetzung), wenn keine andere Therapie verfügbar ist
(zweite Voraussetzung) und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht
besteht, dass mit dem betreffenden Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder
palliativ) erzielt werden kann (dritte Voraussetzung).
Der Senat kann offen lassen, ob der Kläger an einer schwerwiegenden Erkrankung in
diesem Sinne leidet. Offen bleiben kann auch, ob eine andere Therapie verfügbar ist.
Denn jedenfalls fehlt es an der genannten dritten Voraussetzung für einen Off-Label-Use
zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Von einer „begründeten
Erfolgsaussicht“ kann dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse
vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation
zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder die
Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer
kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard und Placebo)
veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen
klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über
Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsbereich
zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in
den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem
vorgenannten Sinne besteht. Von fachwissenschaftlichem Konsens in diesem Sinne
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vorgenannten Sinne besteht. Von fachwissenschaftlichem Konsens in diesem Sinne
kann bereits dann nicht die Rede sein, wenn der Nutzen des Arzneimittels für die
betreffende (neue) Indikation jedenfalls auch beachtlichen Einwendungen unterliegt.
Der Senat hat nicht ermittelt, ob der Hersteller von Ritalin einen Antrag auf Erweiterung
der Zulassung für die Indikation „ADHS im Erwachsenenalter“ gestellt hat; auch der
Kläger hat dies nicht behauptet. Denn fest steht jedenfalls, dass zum jetzigen Zeitpunkt
keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber
Standard und Placebo) veröffentlicht worden sind, die eine klinisch relevante Wirksamkeit
bzw. klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen.
Im Übrigen sind auch keine außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen
Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem
neuen Anwendungsbereich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
zulassen. Insbesondere kann nach bisheriger Datenlage nicht davon ausgegangen
werden, dass derzeit in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (ebenso jüngst LSG
Hamburg, Beschluss vom 14. August 2008, L 1 B 258/08 ER KR; SG Düsseldorf, Urteil
vom 5. März 2008, S 2 KA 84/07; zitiert jeweils nach juris). So hat etwa die Autorin
Miriam Alexandra Maier in einer aktuellen, vom Senat ins Verfahren eingeführten
Dissertation zum Thema „Die Behandlung der adulten ADHS mit Methylphenidat versus
Atomoxetin: systematische Review“ (2007) die Effektivität beider genannten
Medikamente zur Behandlung der adulten ADHS untersucht (http://tobias-lib.ub.uni-
tuebingen.de/volltexte/2007/3053/pdf/Doktorarbeit_ENDVERSION_27032007). Sie hat
hierbei zahlreiche Studien zu Methylphenidat ausgewertet und festgestellt, dass die
Studien „Mängel wie kurze Dauer, kleine Stichproben, fehlende Intention-To-Treat
Analyse, uneinheitliche Ausschlusskriterien und ebensolche Messung der Response“
aufwiesen. Die Ergebnisse der Studien seien „weit gestreut und teilweise konträr“. Das
größte Problem bei der Auswertung habe die uneinheitliche Messung der Response auf
die Medikation dargestellt. Die Widersprüchlichkeit der Ergebnisse der
Methylphenidatstudien habe auch andere Reviewer vor Probleme gestellt. Es hätten sich
zwar Hinweise auf die Effektivität der Behandlung der adulten ADHS finden lassen, wobei
die Effektivität von Atomoxetin besser untersucht sei, wenn man die methodischen
Mängel der Studien zu Methylphenidat in Rechnung stelle. Es müsse unter
Berücksichtigung der Vorteile des Atomoxetins eine Ablösung des Methylphenidats als
Standardmedikation für die adulte ADHS in Erwägung gezogen werden (vgl. die
Zusammenfassung auf S. 55-58 der Arbeit).
Die genannte Arbeit ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung,
weil sie in der Auseinandersetzung um die Indikation von Methylphenidat zur Behandlung
der ADHS im Erwachsenenalter keine Partei ergreift, sondern sich als „Studie über
Studien“ begreift und analysiert, dass die Studienlage uneinheitlich bis widersprüchlich
sei. Gerade deshalb ist die Studie der Autorin Maier, die keine erkennbaren
methodischen Mängel enthält, für den Senat von besonderem Gewicht und gerade
deshalb sieht der Senat es als erwiesen an, dass ein fachwissenschaftlicher Konsens
über den Nutzen von Methylphenidat für die Behandlung der adulten ADHS jedenfalls
derzeit nicht besteht; es gibt beachtliche Stimmen, die für einen solchen Nutzen
sprechen, doch eben auch nennenswerte Gegenstimmen.
Auch sonst ist keine gesicherte Datenlage ersichtlich, die den Rückschluss auf einen
Behandlungserfolg mit methylphenidathaltigen Medikamenten zur Behandlung der
adulten ADHS zuließen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 20. Dezember
2005 beschlossen, insoweit eine Expertengruppe im Sinne von § 35 b Abs. 3 SGB V
einzusetzen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat die
Bearbeitung des Auftrags derzeit jedoch im Hinblick auf entsprechende klinische
Prüfungen seitens einzelner Hersteller methylphenidathaltiger Arzneimittel
zurückgestellt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Regelungen des
Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung
insbesondere dann einer verfassungskonformen Auslegung bedürfen, wenn Versicherte
an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leiden, bei
der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen
ausscheidet und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen
(Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, S. 25 =
). Diese auf den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Grundsätze sind auf den Fall
des Klägers jedoch nicht übertragbar, da seine Erkrankung trotz ihrer spürbaren
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des Klägers jedoch nicht übertragbar, da seine Erkrankung trotz ihrer spürbaren
Ausprägung nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden
Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann oder etwa mit einer akut drohenden
Erblindung eines Auges zu vergleichen wäre (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom
19. Oktober 2004, B 1 KR 27/02 R, zitiert nach juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des
Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.
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