Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.06.2010

LSG Berlin und Brandenburg: altersrente, anpassung, bayern, anteil, aussetzung, belastung, beitragssatz, behandlung, leistungsfähigkeit, erhaltung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 24.06.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 17 R 1037/07 Potsdam
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 21 R 1889/08
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rentenanpassungsmitteilung zum 01. Juli 2007 und begehrt von der Beklagten die
Neuberechnung ihrer Altersrente unter Zugrundelegung des aktuellen Rentenwerts West anstelle des Rentenwerts
Ost.
Die 1929 geborene Klägerin, die nach dem Versicherungsverlauf ihre rentenrechtliche Biografie im Beitrittsgebiet
durchlief, bezog ab 01. Juni 1989 eine Rente aus dem Sozialversicherungssystem der ehemaligen DDR. Nach
Rentenanpassung und Umwertung erhielt die Klägerin mit Rentenbescheid vom 25. September 1995 eine
Regelaltersrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 01. Juli 1990. Die Rente wurde zuletzt
mit Rentenbescheid vom 09. August 2001 für die Zeit ab dem 01. Mai 1999 neu festgestellt.
Einen hiergegen unter dem 30. September 2001 erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Neufeststellung
ihrer Rente ab 01. Januar 1993 begehrt hatte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001,
der bestandskräftig wurde, zurück.
Auf einen als Überprüfungsantrag gewerteten Antrag der Klägerin vom 05. Oktober 2006 lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 25. Oktober 2006 die Rücknahme des Rentenbescheides vom 09. Oktober 2001 ab. Der
Überprüfungsbescheid wurde bestandskräftig.
Im Juni 2007 teilte die Beklagte der Klägerin eine Rentenanpassung zum 01. Juli 2007 mit. Der neue aktuelle
Rentenwert für die Zeit ab 01. Juli 2007 betrage 26,27 EUR und der neue aktuelle Rentenwert (Ost) 23,09 EUR. Die
Neubestimmung des aktuellen Rentenwerts/aktuellen Rentenwerts (Ost) führe zu einer Erhöhung des Rentenbetrages.
Der zuletzt erteilte Bescheid über die Höhe des Rentenbetrages für die Zeit ab 01. Juli 2007 werde durch diesen
Bescheid ersetzt. Mitgeteilt wurde der neue auszuzahlende Betrag vom 829,32 EUR anstelle des bisherigen
Monatsbetrages von 825,03 EUR.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23. Juli 2007 Widerspruch, mit dem sie geltend machte, dass die Rentenpassung
getrennt nach Rentenwert West und Rentenwert Ost gegen das Grundgesetz (GG) verstoße. Die mit der
Rentenanpassung verfolgte allmähliche Angleichung der Rente "Ost" an die Rente "West" werde mit der jetzigen
Rentenanpassung missachtet. Dadurch vergrößere sich die Trennung zwischen Ost und West, diese Praxis sei ein
Verstoß gegen das GG und diskriminiere die Bürger der neuen Bundesländer. Nachdem die Beklagte mit Schreiben
vom 30. Juli 2007 die Ermittlung der aktuellen Rentenwerte erläutert hatte, wies sie den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2007 zurück. Die Anpassung der Rente zum 01. Juli 2007 sei gemäß § 65
SGB VI in der Weise vorzunehmen, dass der in der Formel für die Berechnung des Monatsbetrags der Rente
enthaltene aktuelle Rentenwert oder aktuelle Rentenwert (Ost) durch den jeweils neuen aktuellen Rentenwert ersetzt
und die Rente mit den bisher ermittelten persönlichen Entgeltpunkten neu berechnet werde. Der Widerspruch richte
sich gegen eine Regelung, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Der Rentenversicherungsträger sei an diese
gesetzliche Regelung gebunden.
Hiergegen hat die Klägerin am 05. November 2007 Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben, mit der sie die
Aufhebung des Rentenanpassungsbescheides vom Juni 2007 und die Verurteilung der Beklagten, ihr eine Altersrente
für den Rentenbezugszeitraum ab dem 01. Juli 2007 auf der Grundlage der Berechnung mit dem Rentenwert (West) zu
gewähren, begehrt hat. Sie hat vorgetragen, dass die Beklagte die Berechnung zutreffend vorgenommen habe. Sie
wende sich jedoch gegen die Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Regelungen für die Versicherten in Ost und
West. Die besondere Ausnahmesituation, die eine unterschiedliche Festlegung der aktuellen Rentenwerte für
Versicherte in Ost und West begründet hatte, sei nicht mehr gegeben. Durch die Rentenanpassungen in gleicher Höhe
für die alten und neuen Bundesländer wie im Jahr 2007 erhöhe sich die Differenz der ausgezahlten Renten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. September 2008 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf Berechnung ihrer Altersrente unter Zugrundelegung eines anderen Rentenwerts nach §§ 63, 64 SGB VI. Für die
bei der Klägerin gegebenen Beitragszeiten im Beitrittsgebiet werde die Rentenberechnung in den §§ 256 a und 254 b
SGB VI geregelt. § 254 b SGB VI bestimme, dass bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland persönliche Entgeltpunkte (Ost) und ein aktueller Rentenwert (Ost) für die
Ermittlung des Monatsbetrages der Rente aus Zeiten außerhalb des Bundesgebietes gebildet werde, die an die Stelle
der persönlichen Entgeltpunkte und des aktuellen Rentenwertes nach den §§ 63 ff. SGB VI treten. Die Angleichung
der Einkommensverhältnisse sei nicht die Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung, die Beklagte habe damit
nicht die freie Entscheidung darüber, wann sie die Verwendung der Entgeltpunkte (Ost) nicht mehr für notwendig halte.
Die Kammer habe keinen Zweifel daran, dass die Rentenberechnung als solche den gesetzlichen Vorschriften
entspreche und korrekt durchgeführt worden sei. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG werde nicht gesehen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 07. November 2008 zugestellte Urteil am 03. Dezember 2008 Berufung eingelegt,
mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie begehre die nach dem Gebot des Einigungsvertrages unterlassene
Angleichung ihrer Rente entsprechend den im Beitrittsgebiet erbrachten Vorleistungen. Vom Bundessozialgericht
(BSG) seien zwar noch im Juli 2000 abweichende Regelungen für das Beitrittsgebiet im Hinblick auf die besondere
Ausnahmesituation nach der Wiedervereinigung angenommen worden. Diese Ausnahmesituation habe aber im Juli
des Jahres 2007 nicht mehr bestanden. Im Jahr 1999 habe das Verhältnis des Rentenniveaus der neuen zu den alten
Bundesländern 87 % betragen, im Jahr 2006 seien 87,9 % erreicht worden. Damit werde das Anpassungsgebot aus
Art. 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages (EV) verletzt. Eine Verfassungsmäßigkeit ergebe sich auch nicht aus den
angeblich noch bestehenden unterschiedlichen Einkommensverhältnissen in den neuen und alten Bundesländern.
Diese Unterschiede seien in vielen Branchen bereits nicht mehr vorhanden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. September 2008 und den Rentenanpassungsbescheid der Beklagten
zum 01. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, bei der Berechnung der Rente der Klägerin anstelle des Rentenwerts (Ost) den Rentenwert (West)
zugrunde zu legen und ihr eine höhere Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie sei als Organ der Exekutive gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden und habe keine
Möglichkeit, über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu befinden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang
der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen
sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit
einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die
Klage ist statthaft als Anfechtungsklage gegen die einen Verwaltungsakt verlautbarende Rentenanpassungsmitteilung
sowie als unechte Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Festsetzung eines höheren Anpassungswertes und
Zahlung höherer Rente.
Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Neufeststellung ihres Rechts auf Altersrente unter Zugrundelegung des
aktuellen Rentenwerts an Stelle des aktuellen Rentenwerts (Ost) verfolgt, ist die Klage unzulässig. Die
Rentenhöchstwertfestsetzung ist nicht Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens gegen die Anpassungsmitteilung.
Zulässiger Streitgegenstand ist ausschließlich die Rentenanpassungsmitteilung zum 01. Juli 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2007, nur hierüber hat die Beklagte entschieden und ist ein Vorverfahren (§
78 SGG) durchgeführt worden. Der Rentenanpassungsbescheid bildet einen selbständigen Streitgegenstand, in ihm
wird nicht über den Geldwert der Rente, sondern ausschließlich über den Grad der Anpassung, d.h. über die
wertmäßige Fortschreibung eines (bereits zuerkannten) Werts des Rechts auf Rente, entschieden (vgl. BSG SozR 4
2600 § 260 Nr. 1 m. w. N.).
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Rentenanpassung zum 01. Juli 2007 ist rechtmäßig und ein
Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren Anpassungswertes und Zahlung höherer Rente demzufolge
nicht gegeben. Eine gesetzliche Grundlage für eine Erhöhung der Rente ab 1. Juli 2007 über den festgesetzten
Prozentsatz von 0,54 Prozent hinaus besteht nicht.
Weder die der Rentenanpassung zum 1. Juli 2007 zu Grunde liegende Vorschrift des § 255 e SGB VI (vgl. BSG,
Urteile vom 21.01.2009 - B 12 R 1/07 R - und vom 13.11.2008 - B 13 R 13/08 R - jeweils Juris) noch die Auslegung
und Anwendung dieser Vorschrift durch die Beklagte verstößt gegen höherrangiges Recht. Fehler bei der
Rentenberechnung als solcher sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der hier maßgebenden Vorschriften der Rentenanpassung zum 1. Juli 2007
bestehen nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der Regelungen zur Rentenanpassung
ein breites Einschätzungsrecht zusteht und sich die verfassungsrechtliche Prüfungskompetenz auf eine
Evidenzkontrolle beschränkt (vgl. BVerfG 76, 220, 241). Es kann erst dann von einem unangemessenen bzw.
unverhältnismäßigen staatlichen Grundrechtseingriff gesprochen werden, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen
der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr
gewahrt ist. Hierbei ist bei der Abwägung zwischen der Belastung des Versicherten durch eine Schmälerung von
Rentenansprüchen und Rentenanwartschaften einerseits sowie der Sicherung der finanziellen Stabilität der
gesetzlichen Rentenversicherung andererseits zu beachten, dass der Versicherte in das Solidarsystem eingebunden
ist und auch die Risiken dieses Systems trägt. Zu berücksichtigen ist gerade im Hinblick auf langfristig wirkende
Rentenreformen die Generationengerechtigkeit zwischen den Vergleichsgruppen der gegenwärtigen Beitragszahler und
der Rentenempfänger, die einen sozialverträglichen Ausgleich beinhaltet (Sodan, Verfassungsrechtliche
Determinanten der gesetzlichen Rentenversicherung, NZS 2005, 561). Die demographische Last kann nicht
ausschließlich von den Beitragszahlern getragen werden. Auch von den Rentenbeziehern kann ein sozialverträglich
ausgestalteter Anteil eingefordert werden, wobei zwar ein Eingriff in die eigentliche Substanz ausscheidet, jedoch bei
der Rentenanpassung möglich ist (Urteil des LSG Bayern vom 10. Mai 2006, Az.: L 1 R 4018/04). Das BSG hat im
Übrigen zur Frage, ob die Aussetzung der sich aus § 68 SGB VI eigentlich ergebenden Rentenanpassung 2004 infolge
Art. 2 des 2. SGB VI-Änderungsgesetzes entgegen § 69 Abs. 1 SGB VI zu beanstanden war, darauf hingewiesen,
dass das GG keine Anspruchsgrundlage enthält, aus der sich ein Anspruch auf höhere Rentenzahlung gegen die
Rentenversicherungsträger ergeben könnte und keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht festgestellt (BSG, Urteil vom
20. Dezember 2007, Az.: B 4 RA 51/05 R). Der Gesetzgeber verfolgte mit den bisher getroffenen Maßnahmen das
Ziel, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren. Schon dieses öffentliche Interesse ist
geeignet, die hierzu getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen zu rechtfertigen, denn sie tragen zur Erhaltung der
Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung bei. Andererseits führen diese
Maßnahmen nicht dazu, dass die Rente ihre Funktion als substanzielle Alterssicherung verliert (vgl. ausführlich
Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. Oktober 2008 - L 1 R 504/08 - veröffentlicht in Juris).
Der Senat sieht auch in der gleichmäßigen Rentenanpassung West und Ost beziehungsweise der von der Klägerin
angemahnten Rentenangleichung Ost und West keinen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG). Zutreffend hat das
Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 31. Juli 2002 (B 4 RA 120/00, zitiert nach Juris) ausgeführt, dass Art. 3
Abs. 1 GG erst dann verletzt ist, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte bezogen auf den in
Rede stehenden Sachbereich und seiner Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt und dass dies bei einer
prozentual gleichen Anpassung der Renten in West und Ost nicht gegeben ist.
Eine Verletzung verfassungsrechtlicher Vorschriften durch die ab 1. Juli 2007 vorgenommene Rentenanpassung liegt
somit nicht vor und wird von der Klägerin auch nicht substantiiert behauptet.
Die Berufung der Klägerin war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.