Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.01.2010

LSG Berlin und Brandenburg: bedingung, erwerbsfähigkeit, rechtsirrtum, behinderung, zivilprozessordnung, krankheit, rente, zweifelsfall, prozesskosten

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 26.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 133 AS 25125/09
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 AS 1949/09 B PKH
hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg am 26. Januar 2010 durch die die Richterin am
Landessozialgericht Lowe als Vorsitzende, den Richter am Landessozialge-richt Bumann und den Richter am
Sozialgericht Dr. Gädeke ohne mündliche Verhandlung be-schlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2009 wird
zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nicht begründet. Das
Sozialgericht hat den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskosten-hilfe zu Recht abgelehnt. Die Klägerin
hat keinen Anspruch nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1
Zivilprozessordnung (ZPO) auf Gewäh-rung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach den genannten Vorschriften voraus, dass die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die
Klage ist bereits unzulässig, da sie bislang nicht wirksam erhoben ist und dies nicht mehr innerhalb der Monatsfrist
des § 87 Abs. 1 S. 1 SGG nachgeholt werden kann. Die Verfahrens-bevollmächtige der Klägerin hat "ausdrücklich nur
unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe" Klage erhoben (Unterstreichung wie in der Klageschrift).
Die Auslegung dieser Erklärung ergibt nach Auffassung des Senats, dass in dem Schriftsatz vom 31. Juli 2009 keine
wirksame Klageerhebung zu sehen ist (vgl. zum Folgenden: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
3. Januar 2007 – L 5 B 1178/06 AS PKH, juris). Grundsätzlich wird nach § 90 i. V. m. § 94 SGG eine Klage in
Schriftform mit Eingang bei Gericht rechtshängig. Eine wirksame Klageerhebung darf unter keiner Bedingung stehen;
eine bedingte Klageerhebung, zum Beispiel für den Fall der Prozesskostenhilfebewilligung, ist un-zulässig (vgl.
Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 90 SGG Rn. 4, § 73 a SGG Rn. 5b;
Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Oktober 1992, 4 RA 36/92, SozR 3-1500 § 67 Nr. 5; Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen, Be-schluss vom 27. Mai 2009 – L 19 B 217/08 AS, juris). Allein ein Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wahrt die Rechtsbehelfsfrist (§ 87 SGG) nicht; die Auslegung muss im Zweifelsfall ergeben, ob
neben dem Prozesskostenhilfeantrag auch Klage erhoben werden soll-te. Grundsätzlich kann es sich (1.) um einen
unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilli-gung eingelegten oder (2.) um einen unter der Bedingung der
Prozesskostenhilfegewährung erhobenen und damit unzulässigen Rechtsbehelf oder schließlich (3.) um einen
Schriftsatz han-deln, der lediglich einen der Begründung des Prozesskostenhilfeantrages dienenden Entwurf eines
erst zukünftig einzulegenden Rechtsbehelfs enthält. Im Rahmen der Auslegung kommt es nicht auf den inneren Willen
der Beteiligten, sondern auf den in der Erklärung verkörperten Willen an (Bundessozialgericht, a. a. O.;
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Okto-ber 1990 – 9 B 92/90, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 22). Zur
Überzeugung des Senats handelt es sich vorliegend um eine unter der Bedingung der Pro-zesskostenhilfegewährung
erhobene und damit unzulässige Klage. Eine am Empfängerhorizont orientierte Auslegung lässt kein anderes Ergebnis
zu. Durch den Zusatz, dass Klage "ausdrück-lich nur unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe"
erhoben werde, hat die Verfahrensbevollmächtige der Klägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass mit dem
Schriftsatz vom 31. Juli 2009 nur das Prozesskostenhilfeverfahren eingeleitet und die Durch-führung des
Klageverfahrens von der Prozesskostenhilfebewilligung abhängig gemacht werden sollte. Dies mag ein im
Zivilprozess zur Vermeidung eines Kostenrisikos gängiges Verfahren sein, das seine Grundlage in § 253 Abs. 1 i. V.
m. § 261 Abs. 1 ZPO hat. Unerheblich ist, dass die Verfahrensbevollmächtige der Klägerin dem Rechtsirrtum
unterlag, die Klageerhebung im sozialgerichtlichen Verfahren folge denselben Regeln wie im Zivilprozess. Damit ist
der ange-fochtene Bescheid bestandskräftig geworden; eine wirksame Klageerhebung liegt nicht vor. Ein
Wiedereinsetzungsantrag ist nicht gestellt und hätte auch keine Aussicht auf Erfolg: der Rechtsirrtum, der in der
Übertragung der zivilprozessualen Verfahrensweise auf den Sozialge-richtsprozess liegt, war jedenfalls verschuldet (§
67 Abs. 1 SGG; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27. Oktober 2009 – L 5 AL 7/09, juris). Selbst
wenn man die Zulässigkeit der Klage unterstellte, müsste gleichwohl die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels
hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt werden, was das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat. Die Klägerin
begehrt die Gewährung ernährungsbe-dingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
begehrt die Gewährung ernährungsbe-dingten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
wegen diver-ser Erkrankungen für die Monate April und Mai 2009. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Erwerbs-fähigkeit aber
nicht mehr gegeben, welche nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II Voraussetzung für Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II ist. Der Klägerin war nach-träglich ab dem 1. September 2008 durch Bescheid
vom 31. März 2009 eine Rente wegen vol-ler Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung – Bund -
bewilligt worden. Dies setzt nach § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass die
Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den übli-chen
Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. § 43 Abs. 2 SGB VI
entspricht insoweit der Definition der Erwerbsfähigkeit des § 8 Abs. 1 SGB II. Dass sie erwerbsfähig ist, behauptet
auch die Klägerin nicht. Allein der Umstand, dass ihr der Beklagte – in Unkenntnis der fehlenden Erwerbsfähigkeit –
rechtswidrig Leistungen nach dem SGB II bewilligt hat, berechtigt sie nicht zu weiteren Leistungen wie den Mehrbe-
darf nach § 21 Abs. 5 SGB II. Der Träger der Grundsicherung nach dem SGB XII hat der Klägerin nach Einstellung
der Leis-tungen nach dem SGB II ohne Einwendungen Leistungen nach dem SGB XII gewährt, so dass auch die
Regelung des § 44 a Abs. 1 S. 3 SGB II nicht eingreift. Hiernach erbringen die Agen-tur für Arbeit und der kommunale
Träger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, solange kein Einvernehmen über die
fehlende Erwerbsfähigkeit zwischen den Leistungsträgern hergestellt werden konnte und die gemeinsame
Einigungsstelle noch nicht entschieden hat. Ein fehlendes Einvernehmen zwischen dem JobCenter und dem Träger
der Grundsicherung nach dem SGB XII besteht jedoch ersichtlich nicht. Das Sozialgericht hat die Gewährung von
Prozesskostenhilfe daher zu Recht abgelehnt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4
ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).