Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.07.2006

LSG Berlin und Brandenburg: materielles recht, mangelnde sorgfalt, rechtliches gehör, befangenheit, voreingenommenheit, akteneinsicht, zivilprozessordnung, anzeichen, auskunft, auflage

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 26.07.2006 (nicht rechtskräftig)
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 SF 101/06
Das Gesuch des Antragstellers, die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Gründe:
Das Befangenheitsgesuch ist zulässig, insbesondere prozessual noch nicht überholt. Die abgelehnte Richterin hat
über das Rechtschutzbegehren des Antragstellers zwar bereits entschieden. Gleichwohl ist das erstinstanzliche
Eilverfahren noch nicht endgültig abge-schlossen. Die Richterin kann noch mit dem Rechtschutzbegehren befasst
sein. Denn der Antragsteller hat Beschwerde eingelegt, auf die hin das Sozialgericht zunächst zu entscheiden hat, ob
es ihr abhilft oder nicht (§ 174 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung einer Richterin wegen
Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu
rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und
vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass die Richterin nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die
nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist
dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist also nicht erforderlich;
es genügt schon der "böse Schein" der Parteilichkeit, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität.
Insbesondere kann das Verhalten des Richters im Prozess die Besorgnis der Befangenheit begründen. Je nach den
Umständen reicht gegebenenfalls schon das Übergehen eines bestimmten Vortrags oder Antrags eines Beteiligten
oder die fehlende Bereitschaft, das Vorbringen einer Partei vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Solche Gründe liegen hier nicht vor:
Der Antragsteller sieht Anlass für die Besorgnis einer Voreingenommenheit, weil die Richterin durch ihr Verhalten
gegen das "prozessuale Gleichbehandlungsverbot" verstoßen und ihn in seinem Recht auf Gehör verletzt habe. Zum
einen sei ihm der Schriftsatz des Antragsgegners erst am Tage der gerichtlichen Entscheidung per normaler Post
zugänglich gemacht worden. Zum anderen sei entschieden worden, bevor ihm Gelegenheit zu rechtlichem Gehör
geboten worden sei. Er habe ausdrücklich aber vergeblich um rechtliches Gehör zu Mitteilungen des Antragsgegners
zum Ergebnis des Hausbesuches bei ihm oder für den Fall der Übersendung des entsprechenden Berichts erbeten.
Aus der gebotenen objektivierten Sicht ergeben sich hieraus keine Indizien, welche auf etwaige Befangenheit
hindeuten: Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass von einem Richter unrichtige
Entscheidungen in materieller oder in verfahrensrechtlicher Hinsicht ge- troffen worden seien. Behauptete
Rechtsverstöße können eine Besorgnis der Befangenheit vielmehr nur dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan
werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters
gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Dies kann eine unsachgemäße Verfahrens-leitung
sowie evident mangelnde Sorgfalt sein. Davon ist auszugehen, wenn sich das pro-zessuale Vorgehen des Richters so
sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck
einer sachwidrigen, auf Vorein-genommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt (vgl. OLG Oldenburg FamRZ
1992, 192 f. mit weiteren Nachweisen) Das Institut der Richterablehnung ist hingegen kein geeignetes Mittel, sich
gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig ob diese
Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen. Hierfür steht dem Antragsteller ein Rechtsmittelverfahren zu,
nicht jedoch das Ablehnungsverfahren.
Hier ist eine Verletzung des Rechtes auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz [GG], § 62 SGG) nicht ersichtlich. Der
Antragsteller hatte Gelegenheit, sich zum maßgeblichen Prozessstoff zu äußern. Der Antragsteller ist insbesondere
nicht gehindert gewesen, zu seinen Wohnumständen vorzutragen und den im Eilverfahren geeigneten Beweis
anzubieten. Dies ist ihm nämlich unabhängig vom etwaigen Inhalt der Antragserwiderungsschrift und von der Kenntnis
des Berichts vom Hausbesuch möglich gewesen. Die Vorsitzende hat das Vorbringen ausweislich der Begründung
des Beschlusses vom 28. Juni 2006 auch zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es ist aus demselben Grunde auch
nicht ersichtlich, dass der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner in seiner Verfahrensstellung benachteiligt
worden sein könnte.
Dass die Richterin der Bitte des Antragstellers, ihm eine Stellungnahme zur Ansicht des Antragsgegners zu seiner
häuslichen Situation zu ermöglichen, nicht entsprochen und sogleich in der Sache entschieden hat, beruht auch nicht
auf einer vom üblichen Verfahren ungewöhnlich abweichenden Verhalten oder sonst unsachlichen Gesichtspunkten.
Der Antragsteller verkennt, dass Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes Eilverfahren sind. Diese Verfahren
verlangen grundsätzlich eine kurzfristige Entscheidung. Eine zügige Entscheidung ohne Eingehen auf diese Bitte mag
hier nicht unbedingt nötig gewesen sein. Sie ist jedoch keinesfalls Ausdruck einer unsachgemäßen Vorgehensweise,
zumal die Anträge nach Auffassung der Vorsitzenden bereits aus einem anderen Grund als der hier zwischen den
Beteiligten streitigen häuslichen Situation des Antragsstellers sowie deren rechtlicher Relevanz und Folgen - nämlich
wegen mangelnder Eilbedürftigkeit - zurückzuweisen gewesen sei. Insofern ist auch eine Missachtung des § 128 Abs.
2 SGG nicht ersichtlich.
Auch soweit die Richterin gegen die Verfahrensvorschrift des § 107 SGG verstoßen haben könnte, indem sie vor der
Entscheidung dem Antragsteller nicht das Ergebnis der von ihr bei der Meldebehörde eingeholten Auskunft (§ 106
Abs. 3 Nr. 3 SGG) mitgeteilt hat, hat ihre Verfahrensweise jedenfalls diesen sachlichen Hintergrund und lässt nicht im
Ansatz auf Voreingenommenheit oder Parteilichkeit gegenüber dem Antragsteller schließen. Entsprechendes gälte
auch bei einer Verletzung des § 128 Abs. 2 SGG.
Nicht nachvollziehbar ist das Vorbringen des Antragsstellers, die Richterin habe bloß behauptetes, noch nicht
bestehendes, materielles Recht angewendet. Die von ihr im Rahmen der zusätzlichen Begründung der Abweisung
herangezogenen §§ 41 und 36 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) sind jedoch geltendes Recht, unabhängig
von einem Gesetzes-entwurf zur Änderung unter anderem des § 20 SGB XII.
Soweit der Antragsteller der Richterin vorwirft, aufs gröbste ihre Pflicht aus § 106 Abs. 1 SGG verletzt zu haben, eine
Berichtigung des Sachantrages zu 2.) –Verpflichtung zur Herausgabe des Berichtes über den Hausbesuch- zu
ermöglichen, entbehrt dies einer Grundlage. Es kann dem Beschluss nämlich nicht entnommen werden, dass die
Richterin die Ablehnung dieses Antrages auch auf eine Falschbezeichnung gestützt hat. Der Sache nach ist vielmehr
-zusätzlich zur fehlenden Eilbedürftigkeit - ein eigenständiger Anspruch gegen den Antrags-gegner mit dem Hinweis
auf die mögliche Akteneinsicht abgelehnt worden. Dieser Hinweis im Beschluss kann aus objektiver Sicht nicht als
Verhöhnung aufgefasst werden, weil er zutreffend ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Weigerung des
Antragsgegners, Akteneinsicht zu gewähren, wohl rechtswidrig gewesen ist. Es ist bereits nach Aktenlage rein
tatsächlich falsch, dass es sich bei dem Bericht um einen Entwurf im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch gehandelt hat.
Eine Besorgnis der Befangenheit folgt zuletzt auch nicht aus der dienstlichen Stellungnahme der Richterin. Sinn einer
solchen dienstlichen Äußerung ist die Klärung des Sach-verhalts (vgl. Heinrich in Musielak, Zivilprozessordnung, 4.
Auflage 2005, § 44 RdNr. 9). Aus der Stellungnahme hier folgt, dass die Richterin den zugrunde liegenden Tatsachen,
die sich aus den Akten ergeben, nichts hinzuzufügen hat. Anzeichen für Voreingenommenheit sind deshalb nicht
ersichtlich.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe isoliert für das Ablehnungsverfahren scheidet aus (ebenso: Zöller-Phillipi,
ZPO, § 119 Rdnr. 2). Dieses ist als Zwischenverfahren Teil des erstinstanzlichen Rechtszuges im Sinne der §§ 73a
SGG, 119 Abs. 1 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).