Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 01.07.2009

LSG Berlin und Brandenburg: darlehen, verfügbarer teil, erwerb, kaufvertrag, geschäft, einverständnis, pfändung, verbrauch, erfüllung, eltern

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 01.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 99 AS 21223/07
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 32 AS 316/09
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das
Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit zwischen den Beteiligten ist, ob ein Darlehen zur Gründung eines selbständigen Gewerbes als Einkommen
beziehungsweise Vermögen zum Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II führt.
Der 1973 Kläger bezog seit 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Mit Darlehensverträgen vom 1. Juni 2007 mit Frau R M und vom 5.
Juni 2007 mit der D Bank gewährten diese dem Kläger jeweils Darlehen von 25.000,00 EUR.
Bereits am 29. Mai 2007 hatte der Kläger von Frau A G einen Imbissstand im Einkaufszentrum A, B, für 30.000,00
EUR erworben, zur Abgeltung des Kaufpreises und zur Anschubfinanzierung des beabsichtigten selbständigen
Gewerbes dienten diese Darlehen. Zugrunde lagen ein Geschäftskonzept und ein Investitionsplan, wonach der Kläger
zur Betriebsgründung ein Gesamtkapital von 46.824,07 EUR benötigte und in dem ein von einem Steuerberater
geprüftes Geschäftskonzept vorgelegen haben. Der Beklagten wurden diese Unterlagen zugeleitet. Das Darlehen der
D Bank war ausdrücklich als Geschäftsdarlehen bezeichnet, mithin zur Gründung des selbständigen Gewerbes nach
dem Geschäftskonzept und dem Investitionsplan bestimmt.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2007 hob die Beklagte den letzten Bewilligungsbescheid vom 25. April 2007 mit Wirkung
zum 1. Juli 2007 auf, da mit Erhalt der Darlehen die Hilfebedürftigkeit des Klägers entfallen sei. Den Widerspruch des
Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2007 zurück.
Hiergegen hat sich die am 5. September 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gerichtet, mit der
vorgetragen worden ist, Darlehen, die zur Aufnahme eines selbständigen Gewerbes dienten, seien kein Einkommen
im Sinne des § 11 SGB II.
Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid entgegengetreten.
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2008 den Bescheid vom 20. Juni 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2007 aufgehoben.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keine Einnahmen erzielt, weil er durch den
Empfang der Darlehen unmittelbar mit einer Rückforderung - aufgrund der zu zahlenden Zinsen - sogar in einen
höheren Umfang belastet worden sei. Andere Einnahmen habe er ausweislich der Einnahmeüberschussrechnung
seines Gewerbes nicht erzielt.
Gegen den der Beklagten am 20. Januar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 19. Februar 2009 Berufung
eingelegt. Zur Begründung hat sie die Auffassung vertreten, es hätten Einnahmen vorgelegen, die auch nicht
zweckgebunden gewesen seien.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne
mündliche Verhandlung über die Berufung erklärt.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Leistungsakte der Beklagten,
den Kläger betreffend, verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Über die zulässige Berufung konnte der Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die
Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs.
3 und 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet; der angefochtene Gerichtsbescheid ist zumindest im Ergebnis zutreffend.
Der 14. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 27. Juni 2008 (L 14 B
648/08 AS ER), betreffend ein Darlehen zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges, ausgeführt, es erscheine schon
fraglich, ob die Zahlungen als Einnahmen anzusehen seien, da der Antragsteller behauptet, diese lediglich als
Darlehen erhalten zu haben und darlehensweise gewährte Leistungen möglicherweise als einkommensneutral
angesehen werden müssen, weil sie von vornherein mit der Pflicht zur Rückgewähr belastet seien (vgl. BSG, Urteil
vom 13. Juni 1985 - 7 Rar 27/84 -). Aber auch wenn die Zahlungen als Einnahmen anzusehen wären, könnte ihrer
Anrechnung noch entgegenstehen, dass sie als zweckbestimmte Zahlungen zu werten seien. Der erkennende Senat
teilt diese Zweifel, kann jedoch offen lassen, ob diese tatsächlich, wie das Sozialgericht in dem angefochtenen
Gerichtsbescheid annimmt, ausreichen, um die Berufung zurückzuweisen, da es im Weiteren der Auffassung des 14.
Senates des erkennenden Gerichts folgt. Dieser hat (a.a.O., Nr. 5 nach juris) ausgeführt, nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a
SGB II seien zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienten
und die die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussten, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht
gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Dazu würden im Schrifttum auch Zuwendungen
privater Dritter gezählt (Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 54; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. § 11
Rdnr. 38), so dass ebenfalls vorerst im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zugunsten des
Antragstellers von diesem Verständnis auszugehen ist. Der Antragsteller habe vorgetragen, dass er die Überweisung
von seinem in den Vereinigten Staaten lebenden Bruder mit der Zweckbestimmung erhalten habe, sich ein
gebrauchtes Auto zu kaufen. Er habe eine entsprechende schriftliche Darlehensabrede von dem Darlehensgeber
vorgelegt und das Darlehen sei bestimmungsgemäß verwendet worden. Die Anschaffung eines Autos aber sei ein
Zweck, der außerhalb der Zweckbestimmung der Regelleistungen nach dem SGB II stehe. Die Leistungen nach dem
SGB II seien nämlich nicht so bemessen, dass sie den Erwerb eines Autos ermöglichten. Die Möglichkeit zur
Anschaffung eines Autos verändere die Lebenssituation des Antragstellers auch nicht so erheblich, dass nunmehr die
Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht mehr angemessen erschiene. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II sei
ein angemessenes Kraftfahrzeug nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Hier dient das Darlehen nicht zum Erwerb eines Kraftfahrzeuges, sondern zum Aufbau eines selbständigen Gewerbes.
Von der Darlehenssumme von 50.000,00 EUR mussten 30.000,00 EUR dazu verwandt werde, einen bereits vor
Darlehensgewährung geschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen. Es verblieb mithin ohnehin nur noch ein "verfügbarer"
Teil des Darlehens von 20.000,00 EUR. Diese 20.000,00 EUR jedoch waren zweckbestimmt gemäß § 11 Abs. 3 Ziffer
1 a SGB II. Der Kläger selbst hat diese Mittel ausweislich des vorgelegten Geschäfts- und Investitionsplans, der der
Beklagten bekannt war, ausgegeben wie durch die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Rechnungen belegt
wurde. Er hat zumindest das Darlehen der Dresdner Bank als Geschäftsdarlehen zum Aufbau dieses Gewerbes
erhalten. Die Auffassung der Beklagten, dies sei lediglich eine unverbindliche Zweckbestimmung gewesen, vermag
der Senat nicht zu teilen. Vielmehr hätte der Kläger sich, wenn er bei der D Bank ein Darlehen zur Gründung eines
selbständigen Gewerbes und zum Erwerb von eines Ladengeschäfts aufgenommen hätte, dieses Geld jedoch
unmittelbar danach tatsächlich zur Sicherung des Lebensunterhalts verbraucht hätte, der Gefahr einer Strafverfolgung
gemäß § 263 des Strafgesetzbuches (Betrug) ausgesetzt. Er hätte nämlich bei den Darlehensgebern, insbesondere
bei der D Bank, einen Irrtum dahingehend erregt, das Darlehen sei zum einen dazu bestimmt, dass der Kläger durch
ein damit zu gründendes Geschäft Einnahmen erziele, mit denen er in der Lage sei, das Darlehen zurückzuzahlen,
und zum anderen Gegenstandswerte von 30.000,00 EUR erworben werden, die grundsätzlich der Pfändung zugänglich
gewesen wären. Diese Zweckbestimmung hat die Darlehensgeber zur Darlehensgewährung bestimmt. Hätte der
Kläger jedoch, wie die Beklagte dies von ihm verlangt, tatsächlich die beiden Darlehen zur Sicherung seines
Lebensunterhaltes verbraucht, so wäre es ihm nicht möglich gewesen, die Darlehen zurückzuzahlen, da er nach
Verbrauch der Darlehen wiederum Leistungen zur Grundsicherung erhalten hätte, die aber nicht geeignet gewesen
wären, seine Verpflichtungen aus den Darlehensverträgen zu erfüllen.
Darüber hinaus würde es in Bezug auf die 30.000,00 EUR, die zunächst zur Erfüllung der Forderung aus dem
Kaufvertrag verbraucht werden mussten, eine unbillige Härte gemäß § 12 Abs. 3 Ziffer 6 darstellen, wenn dies als
Vermögen berücksichtigt würden. Es ist offensichtlich unwirtschaftlich, ein Geschäft zu erwerben und sofort danach
wieder zu verkaufen, um davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Auch ist unklar, ob die Weiterveräußerung tatsächlich möglich gewesen wäre, also insoweit tatsächlich Vermögen und
wenn, in welcher Höhe, erlangt worden wäre.
Das von der Beklagten zur Begründung ihrer Berufung angeführte Urteil des Landessozialgerichts Bremen-
Niedersachsen vom 14. Juli 2008 (L 13 AS 97/08) hingegen ist hier nicht einschlägig, so dass der Senat auch nicht
von ihm abweicht. Denn dort war das Darlehen der Eltern zur Sicherung des Lebensunterhaltes bestimmt, ihm lag also
keine andere Zweckbestimmung gemäß § 11 Abs. 3 SGB II zugrunde.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in § 160 Abs. 2 SGG dargelegten Gründe vor, hier ist die Einzelfrage
einer Zweckbestimmung entschieden worden, so dass grundsätzliche Bedeutung nicht erkennbar ist.