Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.12.2007

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, arbeitsunfähigkeit, vollziehung, hauptsache, sanktion, wohnung, link, quelle, sammlung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
26. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 26 B 288/08 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 86b Abs 1 SGG
Anordnung der aufschiebenden Wirkung; Erfolgsaussicht;
Aussetzungsinteresse; Entscheidung in der Hauptsache
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
10. Dezember 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174
Sozialgerichtgesetz [SGG)), ist gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 SGG zulässig, aber
unbegründet. Der Antrag des Antragstellers, mit dem er sich noch gegen die Minderung
des ihm in dem Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 29. Februar 2008 gewährten
Arbeitslosengeldes II wendet, nachdem der Antragsgegner mit Änderungsbescheid vom
27. Dezember 2007 die streitbefangene Sanktion jedenfalls für Dezember 2007
aufgehoben hat, kann keinen Erfolg haben.
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass das vorliegende Verfahren nach § 86
b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu beurteilen ist. Denn mit Bescheid vom 30./31. August 2007
hat der Antragsgegner dem Antragsteller u. a. jedenfalls für den Bewilligungszeitraum
vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2008 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in ungekürzter
Höhe von monatlich 556,00 Euro monatlich gewährt. Wenn der Antragsgegner meint,
diese Bewilligungsentscheidung sei rechtswidrig, so bedarf sie der Aufhebung. Dieser
Bescheid, der hier unter dem 14. November 2007 ergangen ist und der mit dem
zugleich erlassenen Änderungsbescheid vom selben Tag eine rechtliche Einheit bildet,
stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar. Einstweiliger Rechtsschutz ist - anders als
bei der Ablehnung von Leistungen von vorne herein - nach § 86 b Abs. 1 SGG zu
gewähren.
Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem Vorliegenden, in dem die
Klage des Antragstellers gegen die Bescheide vom 14. November 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2007 und des vorgenannten
Änderungsbescheides vom 27. Dezember 2007 nach § 39 Nr. 1 SGB II keine
aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung dieser Klage ganz oder teilweise
anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht,
entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer
Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung
der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass je größer die
Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind, umso geringer die Anforderungen an
das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen sind. Denn an der Vollziehung
eines offenbar rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse.
Andererseits ist die aufschiebende Wirkung bei einer aussichtslosen Klage nicht
anzuordnen.
Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist deshalb
jedenfalls zunächst erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an
der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das
sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 197 ff.) und dass ein Aussetzungsinteresse,
mithin zumindest ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht, dem Betroffenen also
das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann,
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das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann,
(Beschlüsse des Senats vom 15. Mai 2007 - L 26 B 521/07 AS ER - und vom 10. Oktober
2007 - L 26 B 1688/07 AS ER - sowie bereits Beschlüsse des Landessozialgerichts [LSG]
Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER -, - 6. März 2007 - L 28 B
290/07 AS ER -, 2. Mai 2007 - L 28 B 517/07 AS ER - und vom 12. November 2007 - L 28
B 1830/07 AS ER -, jeweils abrufbar unter: www.sozialgerichtsbarkeit.de).
An diesen Grundsätzen gemessen war die aufschiebende Wirkung der Klage des
Antragstellers gegen die angefochtene Entscheidung des Antragsgegners nicht
anzuordnen. Denn nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist bereits eine
Erfolgsaussicht der Klage des Antragstellers im vorgenannten Sinne gegen die
angefochtene Entscheidung nicht gegeben. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass er
vom 1. bis zum 26. August 2007 in der Charité in ärztlicher Behandlung gewesen ist und
er deshalb nicht an der Maßnahme habe teilnehmen können, vermag dieses Vorbringen
die geforderte Erfolgsaussicht nicht zu begründen. Der Antragsteller ist vom 23. Mai
2007 bis zum 12. Juni 2007 in der Charité stationär behandelt worden. Nach Aktenlage
befand er sich in der Folgezeit dort lediglich noch zur ambulanten Nachkontrolle.
Arbeitsunfähigkeit wurde ihm dann vom 18. Juni 2007 bis zum 29. Juni 2007
(Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung [AUB] als Erstbescheinigung der Ärztinnen W und B
vom 19. Juni 2007) bzw. vom 18. Juni 2007 bis zum 6. Juli 2007 (AUB als
Erstbescheinigung der Ärztinnen W und B vom 2. Juli 2007) bescheinigt. Am 28. August
2007 haben dieselben Ärztinnen dem Antragsteller dann wieder vom 27. August 2007
bis zum 3. September 2007 Arbeitsunfähigkeit attestiert (AUB als Erstbescheinigung
vom 28. August 2007). Erst im Oktober 2007 haben die Ärztinnen dem Antragsteller
dann unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen
Arbeitsunfähigkeits-Richlinien vom 1. Dezember 2003 (BAnz 2004 Nr.61 S. 6501), nach
dem die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ersten Inanspruchnahme des Arztes liegende
Zeit nicht bescheinigt werden soll (Satz 1) und eine Rückdatierung des Beginns der
Arbeitsunfähigkeit auf einen vor der dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ebenso wie
eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur
ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu zwei
Tagen zulässig (Satz 2) ist, für die Zeit vom 9. bis zum 15. Juli 2007 (AUB als
Erstbescheinigung vom 1. Oktober 2007) und vom 30. bis zum 31. Juli 2007 (AUB als
Erstbescheinigung vom 11. Oktober 2007) sowie letztlich für den hier streitbefangenen
Zeitraum vom 1. bis zum 26. August 2007 (AUB als Erstbescheinigung vom 1. Oktober
2007) Arbeitsunfähigkeit attestiert. Letztere AUB wurde zudem zeitnah erstellt,
nachdem der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 26. September 2007
über die beabsichtigte Absenkung des Arbeitslosengeldes II wegen Nichtteilnahme an
der Maßnahme in der Zeit vom 1. August 2007 bis zum 26. August 2007 angehört hat.
Gegebenenfalls wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob hier eine
Gefälligkeitsbescheinigung ausgestellt worden ist.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht erkennbar, dass dem Antragsteller ein Abwarten
einer solchen Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist. Im vorliegenden Fall
kann Antragsteller mit seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner
Klage ausschließlich noch erreichen, dass ihm die begehrten Leistungen für den noch
streitbefangenen Sanktionszeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 29. Februar 2008, also
für einen gänzlich in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, nachgezahlt werden. Dass
ihm insoweit ein Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist, ist
nach Aktenlage weder ersichtlich noch hat er Entsprechendes vorgetragen. Soweit der
Antragsteller vorträgt, dass er infolge der gegen ihn festgesetzten Sanktion seine Miete
habe nicht zahlen können, vermag dies eine Eilbedürftigkeit nicht zu begründen. Der
Antragsteller hat nicht im Ansatz glaubhaft gemacht, dass ihm die Wohnung gekündigt
worden ist oder ihm gar eine Zwangsräumung droht. Der Antragsteller kann ggf. einen
Antrag auf Übernahme von Schulden zur Sicherung der Unterkunft nach § 22 Abs. 5
SGB II stellen, über den der Antragsgegner dann gesondert zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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