Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.10.2003
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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 29.10.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 9 RA 4499/00
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 17 RA 60/01
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Beitragszeit.
Die 1922 geborene und in W lebende Klägerin war vom 1. Juli 1937 bis 31. März 1941 bei der Westdeutschen K AG in
K, zunächst als Lehrling, dann als Verkäuferin, beschäftigt. Vom 1. April 1941 bis 31. Dezember 1943 war sie als
Postangestellte beim Fernsprechamt II in K tätig. In der Zeit nach dem 6. August 1942 heiratete sie. Wegen ihrer
Schwangerschaft schied die Klägerin am 31. Dezember 1943 aus dem Dienst der D R aus. In dieser Zeit wohnte sie
in Köln-Riehl, S 3.
Am 1. Juni 1944 brachte die Klägerin in W einen Sohn zur Welt. Nach ihren Angaben im Klageverfahren hielt sie sich
in W etwa drei Wochen vor und zwei Wochen nach der Geburt auf.
Im Jahr 1977 wandte sich die Klägerin im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension
bei langer Versicherungsdauer aus der österreichischen Rentenversicherung an die Beklagte mit der Bitte um
Feststellung von Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung. Die Beklagte ermittelte in ihren
Unterlagen eine grüne Schriftwechselkarte, in der der Geburts- und Ehename der Klägerin, sowie ihr Geburtsort und
Geburtstag eingetragen sind. Ferner ist darin vermerkt, dass ein Schriftstück vom 1. Januar 1944 eingegangen ist und
mit einem Bescheid vom 12. Mai 1944 78 Beiträge zur Angestelltenversicherung vom 1. Juli 1937 bis 31. Dezember
1943 zur Hälfte im Gesamtbetrag von 188,70 RM erstattet worden sind. Der Betrag ist in Zahlungsliste 260
eingetragen worden.
Die Hauptkasse der Beklagten teilte intern mit:
Am 18.5.44 ist der Erstattungsbetrag in Höhe von 188,70 RM an Frau K P, geb. R Anschrift: Köln-Riehl, S überwiesen
worden.
Die Überweisung erfolgte vom Postscheckkonto Berlin Nr. 30000 der fr. RfA durch Postbarscheck Heft 693 Blatt 50
und ist nach den vorliegenden Aufzeichnungen nicht zurückgekommen.
Die Lastschrift-Quittung des Postscheckamtes liegt vor.
Die Bescheinigung von zwei Kassenbeamten über die ordnungsgemäße Ausführung der
Überweisung (§ 108 der RB von 1931/§ 44 RKO) liegt vor.
Mit Bescheid vom 15. Februar 1979 lehnte die Beklagte die Wiederherstellung der Beitragsunterlagen für die Zeit vom
1. Juli 1937 bis 31. Dezember 1943 ab. Nach ihren im Kontenarchiv vorhandenen Unterlagen sei auf den Antrag vom
1. Januar 1944 der Gegenwert der in dieser Zeit entrichteten Beiträge erstattet worden. Dadurch sei das Konto mit der
Folge erloschen, dass daraus keine Ansprüche mehr hergeleitet werden könnten.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe seinerzeit keinen Antrag auf Erstattung der Beiträge
gestellt. Auch könnten die Beiträge nicht an sie ausgezahlt worden sein, denn sie sei im März 1944 nach Österreich
übergesiedelt und habe am 1. Juni 1944 in Mg bei W entbunden. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1979 wies
die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück.
Mit einem Schreiben vom 6. März 2000 (Eingang: 10. März 2000) bat die Klägerin um Prüfung, ob aus ihren
Dienstzeiten in Deutschland Ansprüche auf Rente bestünden. Die Beklagte sah dieses Schreiben als
Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) an, den sie mit Bescheid vom 30. März
2000/Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2000 zurückwies.
Gegen den im Ausland zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 2. Oktober 2000 Klage beim
Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Vorbringen wiederholt, sie habe seinerzeit keinen Antrag auf
Beitragserstattung gestellt. Das Geld sei auch an sie nicht ausgezahlt worden, zumal sie sich zu der Zeit wegen der
heftigen Bombenangriffe auf Köln bei Verwandten in W aufgehalten habe. Da Köln im Mai 1944 Ziel intensiver alliierter
Bombenangriffe gewesen sei, müsse - sofern der Postbarscheck tatsächlich an sie gesandt worden sei - davon
ausgegangen werden, dass eine Zustellung nicht stattgefunden habe.
Die Beklagte hat Kopien der Lastschrift-Quittung des Postscheckamts Berlin vom 18. Mai 1944 sowie der Anlage zum
Sammelscheck zur laufenden Liste Nr. 15 übersandt, in der die Klägerin mit ihrer Kölner Anschrift und der Betrag von
188,70 RM aufgeführt ist.
Mit Urteil vom 25. September 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine
Wiederherstellung von Beitragsunterlagen komme nicht in Betracht, da die Beiträge für die Zeit von 1937 bis 1943
erstattet worden seien. Dies schließe nach § 47 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a.F. in Verbindung mit
§ 1309 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) Ansprüche aus den bisher entrichteten Beiträgen aus. Nach dem
Lebenssachverhalt (Heirat, Schwangerschaft, Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis zum 31. Dezember
1943) spreche alles dafür, dass die Klägerin einen entsprechenden Erstattungsantrag gestellt habe. Anders sei nicht
zu erklären, dass die damalige Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) den Erstattungsbetrag an die
Klägerin angewiesen habe. Es sei auch nachgewiesen, dass die Klägerin den Erstattungsbetrag erhalten habe. Dies
ergebe sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen. Es sei zwar richtig, dass sich Köln zur damaligen Zeit
unter ständigen Bombenangriffen befunden habe. Dies bedeute aber nicht, dass die Post ihre Arbeit nicht mehr habe
ordnungsgemäß verrichten können. Insbesondere habe die Klägerin nicht vorgetragen, dass ihre Wohnung in der S in
Köln ausgebombt worden sei. Nur dann wäre eine Nichtzustellung des Geldes an die Klägerin wahrscheinlich
gewesen.
Gegen das am 25. Oktober 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24. November 2001 Berufung eingelegt und
vorgetragen, allein die Vorlage der Schriftwechselkarte genüge nicht, ihren Anspruch zu verneinen. Zum Zeitpunkt der
- angeblichen - Auszahlung habe sie sich nicht in Köln, sondern in Wien aufgehalten. Die Wohnung in Köln habe auch
nicht ihr, sondern ihren Eltern gehört, wo zu der Zeit ihre Mutter und ihre Schwester gewohnt hätten. Erst einige Zeit
nach ihrer Niederkunft sei sie mit ihrem Sohn wieder nach Köln zurückgekehrt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2000 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2000 aufzuheben sowie diese zu verurteilen, den Bescheid
vom 15. Februar 1979 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1979 zurückzunehmen und die Zeit
vom 1. Juli 1937 bis 31. Dezember 1943 als Beitragszeit in der Angestelltenversicherung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Erstattungsbetrag von 188,70 RM sei seinerzeit nicht auf das Konto der RfA zurücküberwiesen
worden. In derartigen Fällen seien Gutschriftsbelege an die Hauptkasse zurückgesandt worden, die hiervon die
Sachbearbeitung benachrichtigt habe. Die Belege seien archiviert worden. Derartige Vorgänge seien für die Klägerin
jedoch nicht aufgefunden worden.
Auf eine entsprechende Anfrage des Senats hat das Museum für Kommunikation Frankfurt mitgeteilt, dass der
Zustelldienst der Deutschen Reichspost im Mai 1944 grundsätzlich noch funktioniert habe. Allerdings sei der
Dienstbetrieb in Köln seit dem Frühjahr 1944 Unregelmäßigkeiten unterworfen gewesen. So seien z.B. nach
Bombenangriffen Postanstalten mehrfach verlegt und statt der Zustellung habe die Post bei Postausgabestellen
abgeholt werden müssen. Das Museum hat seiner Auskunft vom 13. Juni 2003 eine Kopie der Mitteilungen der
Bezirksgruppe Köln der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte e.V. von E. Meurer beigefügt, auf die Bezug
genommen wird.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen.
Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin haben
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichenVerhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der von der Klägerin angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30.
März 2000/Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2000, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 15.
Februar 1979 zurückzunehmen, ist nicht zu beanstanden. Hierzu wäre sie nach § 44 Abs. 2 SGB X nur verpflichtet,
wenn die damalige Entscheidung rechtswidrig gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 15. Februar 1979 war § 47 AVG i.V.m. § 1309 a RVO in der Fassung der
Verordnung vom 25. Juni 1942 - RGBl. I 411 -. Danach war vorgesehen, dass einer Versicherten bei Heirat auf Antrag
die Beiträge seit dem 1. Januar 1924 zur Hälfte zu erstatten waren. Bei Heirat nach dem 1. Mai 1942 war ein
Feststellungsbescheid nicht mehr erforderlich. Die Erstattung schließt weitere Ansprüche aus den bisher entrichteten
Beiträgen aus.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts tritt diese Folge bei aus Anlass der Heirat nach dem 1. Mai 1942
durchgeführten Beitragserstattungen nur ein, wenn der Nachweis der Auszahlung des Erstattungsbetrages an die
Berechtigte erbracht ist (BSG SozR 2200 § 1423 Nr. 7 im Anschluss an BSG SozR 2200 § 1309 a Nr. 1; ferner Urteil
vom 24. Januar 1973 - Az. 4 RJ 103/72 - nicht veröffentlicht). Es ist hier davon auszugehen, dass die Heirat nach
dem 1. Mai 1942 stattgefunden hat; in der Bescheinigung des Fernsprechamts 2 vom 6. August 1942 (Bl. 4 VA) wird
die Klägerin noch mit ihrem Mädchennamen K R bezeichnet, sie wird also erst danach geheiratet haben. In der
Bescheinigung der Post vom 20. Dezember 1943 wird sie bereits mit ihrem Ehenamen "P" angesprochen.
Der Nachweis der Auszahlung des Erstattungsbetrages kann im Regelfall mit den im Besitz des Versicherungsträgers
befindlichen Unterlagen - wie Sammelkarten, Beitragserstattungslisten sowie mit den sonst noch vorhandenen und auf
den Namen der Berechtigten lautenden Verwaltungsunterlagen - geführt werden. Auf diese kann die Schlussfolgerung
gestützt werden, dass nach der Lebenserfahrung und nach dem Grundsatz der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung
davon auszugehen ist, dass die Beiträge tatsächlich auch erstattet worden sind (BSG SozR § 128 Nr. 69; SozR 2200
§ 1309 a RVO Nr. 1).
Solche Unterlagen hat die Beklagte hier vorgelegt. Aus der Schriftwechselkarte ist zu ersehen, dass von der Klägerin
ein Antrag auf Heiratserstattung nach § 47 AVG a.F. i.V.m. § 1309 a RVO gestellt worden ist, auch wenn der Klägerin
dies heute nicht mehr erinnerlich sein mag. Von Amts wegen konnte ein Verfahren auf Beitragserstattung nicht
eingeleitet werden. Dafür bedurfte es eines Antrages, mit dem auch die Eheschließung sowie die Einhaltung der
Dreijahresfrist nach der Heirat nachgewiesen werden mussten. Hiervon ist auszugehen, da in der Schriftwechselkarte
ein Schriftstück vom 1. Januar 1944 sowie der Ehename der Klägerin mit ihren weiteren Personalien verzeichnet ist.
Im vorliegenden Fall reicht auch die von der Beklagten vorgelegte Liste mit den Lastschrift-Quittungen des
Postscheckamtes aus, um die Vermutung zu untermauern, dass der Betrag von 188,70 RM an die Klägerin (oder an
ein empfangsberechtigtes Familienmitglied) durch die Post (vgl. § 1297 RVO a.F.) ausgezahlt worden ist. Allerdings
gilt dies nur für einen Zeitraum, in welchem der Postverkehr in Deutschland während des Krieges noch intakt war (vgl.
BSG SozR 2200 § 1309 a Nr. 1). Hiervon ist trotz der von der Klägerin in der Klageschrift geschilderten
Kriegsverhältnisse auszugehen. Das Museum für Kommunikation Frankfurt hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt,
dass es im Dienstbetrieb der Deutschen Reichspost im Frühjahr 1944 im Bereich Köln zwar zu Unregelmäßigkeiten
gekommen sei; dennoch habe der Zustellbetrieb grundsätzlich funktioniert. Nach Bombenangriffen hätten die
Postanstalten mehrfach verlegt werden müssen, und die Post hätte statt der Zustellung bei Postausgabestellen
abgeholt werden müssen. Diese Einschränkung vermag die durch den Inhalt der vorliegenden Schriftwechselkarte
begründete Vermutung, dass die Beitragserstattung im vorliegenden Fall durchgeführt worden ist, nicht zu erschüttern.
Bestätigt wird dies auch dadurch, dass in den Unterlagen der Beklagten kein Vorgang aufgefunden worden ist, wonach
der Erstattungsbetrag zurücküberwiesen worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht
vorliegen.