Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.09.2006

LSG Berlin und Brandenburg: ermessen, verein, rechtsgrundlage, kündigung, gewinnerzielungsabsicht, versorgung, behandlung, abrechnung, vorsorge, tagessatz

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 14.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 58 KR 131/03 -88
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 B 50/05 KR
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. September 2004 wird geändert. Der Streitwert wird auf 145.000 Euro
festgesetzt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Kläger ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein, der unter anderem Träger einer Drogen-Entzugsstation mit 12
Plätzen zur körperlichen Entgiftung Drogenabhängiger (sog kalter Entzug) ist. Zwischen ihm und den beklagten
Landesverbänden der Krankenkassen war ein Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
(SGB V) geschlossen worden, mit dem er zur Erbringung von Drogenentzugsbehandlungen als medizinischen
Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen zu Lasten der beklagten Krankenkassen berechtigt und verpflichtet war. Auf
Grundlage dieses Vertrages sind im Jahre 2002 insgesamt 2795 Belegtage zu Lasten der Beklagten mit einem
Tagessatz von 163,61 EUR (entspricht 320 DM) abgerechnet worden. Dem vereinbarten Tagessatz lag eine
Kostenaufstellung zur Pflegesatzermittlung aus dem Jahre 1994 zugrunde, wonach je Pflegetag ein
Personalkostenanteil in Höhe von 244,44 DM (abzüglich 12,90 DM Förderung für AB-Maßnahmen) und ein Sach- und
Kapitalkostenanteil in Höhe von 91,09 DM(abzüglich 2,64 DM sonstige Einnahmen) entstehen. Dabei fließen in den
Personalkostenanteil jährliche Gehälter für 1,25 Ärzte in Höhe von 104.013 DM (also 33,75 DM pro Pflegetag) ein.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2002 ist der Versorgungsvertrag zum 28. Februar 2003 gekündigt worden. Der
Widerspruch hiergegen blieb ohne Erfolg. Im Laufe des am 17. Februar 2003 anhängig gewordenen Klageverfahrens
haben die Beteiligten einen Versorgungsvertrag nach § 108 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit § 109 SGB V
abgeschlossen, der mit Wirkung vom 1. Juli 2003 in Kraft getreten ist. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit
daraufhin übereinstimmend für erledigt erklärt.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Beschluss vom 9. September 2004 entschieden, dass die Beteiligten die Kosten
des Rechtsstreits je zur Hälfte tragen und der Streitwert auf 4000 EUR festgesetzt werde. Zur Entscheidung über den
Streitwert hat es ausgeführt, der nach dem wirtschaftlichen Wert der Angelegenheit festzusetzende Streitwert könne
nicht nach konkreten Gesichtspunkten annähernd eingegrenzt werden. Es sei daher sachgerecht, ihn nach billigem
Ermessen mit dem Auffang-Wert von 4000 EUR anzusetzen.
Gegen den Streitwertbeschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.
Der Kläger macht geltend, dass es ihm um den Fortbestand der Einrichtung gegangen sei. Damit belaufe sich der
Wert der Angelegenheit auf ca 750.000 EUR. Er hat im Laufe des Verfahrens auf Hinweise des Gerichts weiter
ausgeführt, auf der Grundlage von 5450 Belegtagen ergebe sich ein Gesamtvolumen von 876.985, 66 EUR, wovon 81
% auf die beklagten Krankenkassenverbände entfielen (entspricht 715.620,29 EUR). Es sei mit einer Gewinnspanne
von bis zu 25 % zu rechnen gewesen (mithin 143.124 EUR jährlich). Es sei schließlich zu berücksichtigen, dass die
Pflegesatzkalkulation aus dem Jahre 1994 stamme und sich die Kalkulationsgrundlagen mittlerweile verändert hätten,
was sich auch darin zeige, dass der nunmehr ausgehandelte Pflegesatz höher sei.
Die Beklagten sind der Beschwerde entgegengetreten. Bei der Einschätzung des wirtschaftlichen Interesses, das mit
dem Fortbestand des Vertrages nach § 111 SGB V verbunden gewesen sei, sei zu berücksichtigen, welche
Leistungen bei einem ungekündigten Vertrag durch die Einrichtung des Klägers hätten erbracht werden können. Dies
seien lediglich Leistungen zur Vorsorge bzw. zur medizinischen Rehabilitation gewesen, nicht dagegen Leistungen der
Krankenbehandlung, die beim Drogenentzug aber in erster Linie erbracht würden. Da der frühere Vertrag also nicht
Grundlage für die Abrechnung dieser Leistungen hätte sein können, sei das wirtschaftliche Interesse an seinem
Fortbestand gering gewesen. Über das Verhältnis von Gesamteinnahmen und Betriebsausgaben lägen den Beklagten
im Übrigen keine Informationen vor. Die letzte Belegungsstatistik aus dem Jahre 2002 habe 383 Aufnahmen mit 2795
Belegtagen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgewiesen. Nach alledem sei der Auffangwert von
4000 EUR angemessen. II. Die zulässige Beschwerde hat zum Teil Erfolg.
In Verfahren, in denen weder der Kläger noch der Beklagte zu den kostenmäßig privilegierten Personen gehören, die
in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seiner ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung durch das 6. SGG-
Änderungsgesetz vom 17. August 2001 (BGBl I 2144) genannt sind, werden nach § 197a SGG nunmehr Kosten nach
den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Dazu gehören auch Verfahren wie der vorliegende
Rechtsstreit zwischen dem Träger einer Rehabilitationseinrichtung und den Landesverbänden der Krankenkassen über
die Zulassung der Einrichtung als Vertragskrankenhaus nach § 109 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Nach § 13 Abs. 1 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 gültig gewesenen Fassung (= a.F.) ist in Verfahren vor den
Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert vorbehaltlich der folgenden Vorschriften
nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen
(Satz 1). Bietet der bisherige Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von
4.000,- EUR anzunehmen (Satz 2). Er darf in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht über 2,5
Millionen EUR angenommen werden (§ 13 Abs. 7 GKG aF).
In Streitigkeiten über die Zulassung von Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und nichtärztlichen
Leistungserbringern zur Versorgung der Versicherten der Krankenkassen richten sich der Streitwert und der
Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Regelfall nach dem Gewinn, den der Kläger in drei Jahren aus der
Behandlung der Versicherten erzielen könnte (BSG Beschluss vom 10. 11. 2005 - B 3 KR 36/05 B - SozR 4-1920 § 52
Nr. 2 im Anschluss an BSG Beschluss vom 1.9.2005 – B 6 KA 41/04 R - SozR 4-1920 § 52 Nr. 1 zum
Vertragsarztrecht). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Streitwertfestsetzung in
Zulassungsverfahren im Grundsatz. Es sind im vorliegenden Einzelfall keine Gesichtspunkte erkennbar, abweichend
lediglich den Auffangwert von 4000 EUR zugrunde zu legen.
Vor allem soweit die Beklagte zu 1.) vorbringt, bei den von dem Kläger erbrachten Leistungen habe es sich schon vor
2003 um Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung gehandelt, auf der Grundlage des bisherigen Vertrages
hätten diese Leistungen aber nicht abgerechnet werden können, vermag dies eine andere Sichtweise nicht zu
rechtfertigen, unabhängig davon, ob diese Rechtsauffassung zutreffend ist. Denn der Versorgungsvertrag war
unstreitig Rechtsgrundlage für die Abrechnung der vom Kläger in der Vergangenheit erbrachten Leistungen und er hat
folglich die Kündigung mit dem Ziel angegriffen, diese bisherige Praxis weiterhin – auf Grundlage des Vertrages – in
Anspruch nehmen zu können. Dafür dass auch die Beklagten davon ausgegangen sind, dass der Vertrag als
Rechtsgrundlage geeignet war, entsprechende Ansprüche des Klägers in vollem Umfang zu begründen, spricht im
Übrigen immerhin, dass aus ihrer Sicht eine Kündigung des Vertrages notwendig war. Demgegenüber ist die Frage, ob
und in welchem Umfang der Kläger mit seinem Begehren durchgedrungen wäre und die Frage, ob die Beklagten den
Vertrag rechtmäßig überhaupt hätten schließen bzw. auf seiner Grundlage die Leistungen hätten vergüten dürfen, für
die Beurteilung des Streitwertes nicht erheblich. Diese Fragen spielen allein im Rahmen der Erfolgaussicht der Klage
und also bei der nach billigem Ermessen zu treffenden Kostengrundentscheidung des SG eine Rolle, die nicht
angegriffen worden ist.
Die wirtschaftlichen Interessen bemessen sich in Rechtsstreitigkeiten über die Zulassung von Krankenhäusern und
Ärzten zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit Leistungen nach dem SGB V
grundsätzlich nach dem angestrebten wirtschaftlichen Erfolg, der sich aus dem Überschuss aus Gesamteinnahmen
und Betriebsausgaben der betroffenen Einrichtung ergibt (vgl. Bundessozialgericht (BSG) vom 8. Oktober 2002 – Az.:
B 3 KR 63/01 R - SozR 3-1930 § 8 Nr. 5 und vom 11. November 2003 – Az.: B 3 KR 8/03 B - SozR 4-1930 § 8 Nr. 1).
Ein Fall, in dem sich diese Gewinnaussichten nicht näher quantifizieren ließen, liegt nicht vor, so dass der Rückgriff
auf den Auffangwert auch als Ausgangswert für einen Jahresgewinn, der gegebenenfalls um ein Vielfaches zu
erhöhen wäre (zu einem ähnlichen Fall vergleiche BSG Beschluss vom 19. 7. 2006 B 6 KA 33/05 B- zitiert nach juris),
nicht sachgerecht erscheint.
Allerdings handelt es sich beim Kläger um einen gemeinnützigen Verein, der eine Gewinnerzielungsabsicht nicht
verfolgt. In einem solchen Fall ist nach Auffassung des Senats als "Gewinn" im dargestellten Sinne der Teil der
Personalkosten anzusehen, der auf die Vergütung der vom Kläger angestellten Ärzte entfällt. Denn es ist davon
auszugehen, dass im Falle des Betriebes einer privaten, auf Gewinnerzielung ausgerichteten Einrichtung wie der
Vorliegenden durch Ärzte diese erwarten, zumindest einen Gewinn in dieser Höhe durch die Behandlung von Patienten
zu Lasten der Krankenkassen zu erwirtschaften (ähnlich BSG SozR 3-1930 § 8 Nr. 4 für den Fall, dass eine auf
Gewinnerzielungsabsicht ausgerichtete Einrichtung erst noch zugelassen werden soll und Zahlenmaterial für
vergleichbare, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Krankenhausunternehmen fehlen). Da der im Jahre 1994
ausgehandelte Pflegesatz noch im Jahre 2002 maßgebend war und streitig der weitere Bestand der Einrichtung als
zugelassene Versorgungseinrichtung zu diesen Konditionen, nicht aber die erstmalige Entscheidung über ihren Status
war, ist dabei die Frage unerheblich, ob die Pflegesatzkalkulation im Zeitpunkt der Klageerhebung noch die tatsächlich
an die Ärzte gezahlten Gehälter widerspiegelt.
Im Ergebnis ist also ausgehend von einem Personalkostenanteil in Höhe von 33,75 DM pro Pflegetag, der auf die
Entlohnung der Ärzte entfällt, und rund 2800 Belegtagen, die jährlich zuletzt zu Lasten der Beklagten abgerechnet
werden konnten, von einen Streitwert von dreimal 94.500 DM, mithin 283.500 DM auszugehen, was einem Streitwert
von 145.000 EUR entspricht.
Die weitergehende Streitwertbeschwerde war dagegen zurückzuweisen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 GKG).