Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 07.12.2005

LSG Berlin-Brandenburg: diabetes mellitus, versorgung, wohnung, pflegebedürftigkeit, ernährung, körperpflege, einverständnis, beweismittel, ausbildung, demenz

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
24. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 24 P 2/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 103 S 1 SGG
Sozialgerichtliches Verfahren - Amtsermittlungsgrundsatz -
Parteivorbringen kein zulässiges Beweismittel
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom
07. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das
Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Pflegegeld.
Die ... 1935 geborene Klägerin beantragte am 15. November 2003 bei der Beklagten
Pflegegeld. Diese ließ die Klägerin durch den Sozialmedizinischen Dienst S-C – SMD –
begutachten. Für den SMD suchte die Ärztin M die Klägerin in häuslicher Umgebung auf
und erstattete am 08. April 2004 ein Gutachten mit den Diagnosen Insuffizienz und
insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Diese Beeinträchtigungen führten dazu, dass bei der
Klägerin ein täglicher Hilfebedarf in der Grundpflege von 24 Minuten und in der
hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten durchschnittlich täglich vorliege. Daraus
ergebe sich keine Pflegebedürftigkeit im Sinne der Gesetzlichen Pflegeversicherung.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. April 2004 die Bewilligung von
Pflegegeld ab.
Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 16. Dezember 2004 zurück.
Gegen diesen der Klägerin am 03. Januar 2005 zugestellten Widerspruchsbescheid hat
diese am 01. Februar 2005 Klage beim Sozialgericht Cottbus erhoben. Zur Begründung
hat sie im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte habe den bei ihr bestehenden
Pflegeaufwand unzutreffend ermittelt, insbesondere benötige sie zweimal täglich
Spritzen und Hilfe bei der Zubereitung der Nahrung. Wegen der Polyneuropathie beider
Beine sei bei allen wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe erforderlich.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. April 2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2004 zu verurteilen, der Klägerin ab 24.
November 2003 Pflegegeld nach Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung hierzu auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
verwiesen.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der behandelnden Allgemeinmedizinerin W
beigezogen, in dem diese dargelegt hat, die Klägerin habe weder im Bereich der
Körperpflege noch der Ernährung, der Mobilität oder der hauswirtschaftlichen Versorgung
einen ständigen Hilfebedarf.
Sodann hat das Sozialgericht mit Urteil vom 07. Dezember 2005 die Klage abgewiesen
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Sodann hat das Sozialgericht mit Urteil vom 07. Dezember 2005 die Klage abgewiesen
und zur Begründung ausgeführt, der Befundbericht der behandelnden Ärztin habe die
Darlegungen der Sachverständigen des SMD bestätigt, so dass die Voraussetzungen für
die Gewährung der Pflegestufe I nicht festzustellen seien.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Dezember 2005
zugestellte Urteil hat dieser am 12. Januar 2006 Berufung erhoben. Die Beurteilung der
Pflegebedürftigkeit der Klägerin sei unzutreffend, wie sich aus einem neurologisch-
psychiatrischem Gutachten des Prof. E ergebe, der für das Amtsgericht
Brandenburg/Havel am 07. September 2004 festgestellt hatte, die Klägerin könne wegen
einer leichten bis mittelschweren Demenz nicht mehr alle ihre Angelegenheiten selbst
besorgen und benötige eine Betreuung.
Aus dem Vorbringen des Betreuers der Klägerin ergibt sich der Antrag,
das Urteil des Sozialgericht Cottbus vom 07. Dezember 2005 zu ändern und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. April 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2004 zu verurteilen, der Klägerin Pflegegeld
der Pflegestufe I ab 24. November 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und durch die Ermittlungen des Senats
im Berufungsverfahren bestätigt.
Der Senat hat zunächst einen Befundbericht des nunmehr behandelnden
Allgemeinmediziners Dr. Z vom 27. Juni 2006 beigezogen, in dem dieser mitgeteilt hat,
ohne jeweils die erbetenen konkreten Zeitangaben zu machen, die Klägerin benötige im
Rückenbereich Hilfe beim Waschen, gelegentlich auch beim Duschen und Baden. In der
Zahnpflege, beim Kämmen, bei der Darm- und Blasenentleerung, bei der
mundgerechten Zubereitung der Nahrung und der Nahrungsaufnahme sei keine Hilfe
erforderlich. Beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sei Hilfe in Abhängigkeit von jeweiligen
Befunden und beim Anziehen der Strümpfe erforderlich. Stehen sei möglich, Gehen mit
Einschränkungen. Treppensteigen sei in der Wohnung nicht erforderlich und die Klägerin
verlasse die Wohnung nicht, so dass insofern kein Hilfebedarf bestünde.
Sodann hat der Senat hat Dr. ... H zur Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung
eines Gutachtens über den bei der Klägerin vorhandenen Pflegebedarf beauftragt. Die
Sachverständige Dr. H hat ihr Gutachten unter dem Datum vom 04. September 2006
nach häuslicher Untersuchung der Klägerin in Anwesenheit von deren Betreuer und der
pflegenden Nichte mit folgenden Diagnosen erstattet:
1. Eine ausgeprägte Schwerhörigkeit beidseits, die seit der Jugend bekannt ist, die
aber nicht pflegerelevant ist.
2. Linksherzinsuffizienz mit Belastungsdyspnoe und derzeitig Ausbildung geringer
Unterschenkelödeme. Die Herzinsuffizienz wird bereits im Gutachten der
Pflegekasse im März 2004 beschrieben.
3. Außerdem besteht eine absolute Tachearhythmie, die aber unter Medikation
eine gute Einstellung zeigt.
4. Weiterhin besteht ein arterieller Hypertonus sei mindestens 15 Jahren.
5. weiterhin ist zu nennen ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Dieser ist seit
mindestens 15 Jahren bekannt. Insulinpflichtigkeit wird seit ca. 10 Jahren
angegeben. Infolge des insulinpflichtigen Diabetes mellitus besteht auch eine
Polyneuropathie (Schädigung der kleinen Nervenendigungen, mit Ausbildung von
Missempfindungen, was in diesem Gutachten nicht anamnestisch erfasst werden
konnte, was aber dem Gutachten von Prof. E von 09.04. zu entnehmen ist.
6. Außerdem besteht eine derzeitig leichtgradige Demenz. Diese wurde schon
während des Krankenhausaufenthaltes 07.03. beschrieben und wurde auch
durch das Gutachten von Prof. Dr. E in 09.04. bestätigt.
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7. Außerdem besteht eine Coxarthrose beidseits, rechts größer links, mit
erheblicher Bewegungseinschränkung rechts und entsprechender Gangstörung.
8. Außerdem besteht ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei
nachgewiesenen degenerativen Veränderungen.
9. Es ist auch die mäßige Sehschwäche beidseits zu benennen und
10. die Stressinkontinenz.
11. Weiterhin ist anhand der klinischen Untersuchung von einer Gonarthrose
(Kniegelenksarthrose) beidseits auszugehen. Diese wird nicht durch einen
Röntgenbefund bestätigt.
Daraus ergebe sich ein Hilfebedarf dahingehend, dass die komplette Übernahme der
hauswirtschaftlichen Versorgung notwendig sei, dass jedoch im Bereich der Grundpflege
für das Waschen ein Hilfebedarf von acht Minuten durchschnittlich täglich bestünde und
im Bereich der Zubereitung der Nahrung eine Teilhilfe von fünf Minuten täglich.
Nachdem die Beteiligten zu ihrem Gutachten Stellung genommen hatten, hat sich die
Sachverständige hierzu am 14. November 2006 dahingehend geäußert, dass keine
Veranlassung bestünde, an ihren Feststellungen etwas zu ändern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens und der gutachterlichen Rückäußerung
wird auf deren Inhalt verwiesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des
Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin erklärt.
Dem Landessozialgericht haben bei der Entscheidungsfindung die Gerichtsakten und die
Verwaltungsakte der Beklagten, den Pflegeantrag der Klägerin betreffend, vorgelegen,
auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.
Über die Berufung konnte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem
derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 124, 155 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Gewährung von Pflegegeld gegen die Beklagte, so dass die dies aussprechenden
Bescheide und das sie bestätigende Urteil des Sozialgerichts keiner Beanstandung
unterliegen, da sie die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Nach § 36 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf
Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe).
Sie können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein
Pflegegeld beantragen. Der Anspruch auf Pflegegeld setzt somit Pflegebedürftigkeit
voraus. Der Kläger war bei Erlass des Ausgangsbescheides auch pflegebedürftig im
Sinne dieser Vorschrift und ist dies jetzt nicht mehr.
Gemäß § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Personen, die
wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die
gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen
Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder
höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen.
Nach § 14 Abs. 3 SGB XI besteht die Hilfe im Sinne des Abs. 1 in der Unterstützung, in
der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen
Lebens oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen
Übernahme dieser Verrichtungen.
Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen in diesem Sinne sind
gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI:
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1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das
Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der
Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An-
und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen
der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das
Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI sind für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI
pflegebedürftige Personen im Sinne des § 14 SGB XI einer von drei gesetzlich näher
umschriebenen Pflegestufen zuzuordnen. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI sind
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) Personen, die bei der
Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus
einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und
zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung
benötigen.
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft
ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der
hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI
wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen,
wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.
Diese Voraussetzungen konnten bei der Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als
auch im erstinstanzlichen und im Berufungsverfahren nicht festgestellt werden. Alle die
Klägerin behandelnden Ärzte haben sich nicht in der Lage gesehen, dem Gericht einen
Hilfebedarf in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich zu bescheinigen. Die
Sachverständige des SMD und die vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. H haben
dargelegt, dass die Klägerin zwar im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen
erheblichen Pflegeaufwand hat, dass jedoch im Bereich der Grundpflege 45 Minuten
nicht erreicht werden. Notwendig für die Gewährung von Pflegeleistungen jedoch ist nach
dem Gesetz, wie dargelegt, dass zum einen in der Grundpflege mehr als 45 Minuten
täglich aufzuwenden sind und dass zum anderen die gesamte Pflegebedürftigkeit 90
Minuten täglich überschreitet. Bei der Klägerin überschreitet zwar die
Pflegenotwendigkeit 90 Minuten täglich, nicht jedoch die Grundpflegebedürftigkeit 45
Minuten. Zumindest hat die Beweisaufnahme dies nicht ergeben. Auf die Darlegungen
der Klägerin selbst und ihres Betreuers kann ein Urteil nicht gestützt werden: Das
Parteivorbringen ist im sozialgerichtlichen Verfahren kein zulässiges Beweismittel und
die Darlegungen von medizinischen Laien sind regelmäßig nicht geeignet,
Sachverständigengutachten von Ärzten zu erschüttern.
Lediglich ergänzend seien die Klägerin und ihr Betreuer darauf hingewiesen, dass das
Vorbringen im Schriftsatz des Betreuers der Klägerin vom 11. Januar 2007
widersprüchlich ist:
Zum einen wird eine schnelle Entscheidung des Gerichts erbeten, diese kann jedoch
nur nach dem Ergebnis der stattgehabten Beweisaufnahme erfolgen und muss beim
gegenwärtigen Erkenntnisstand negativ sein. Zum anderen wird darauf hingewiesen,
dass sich der Zustand der Klägerin erneut verschlechtert habe, ohne dass irgendwelche
Unterlagen beigefügt sind, die dies belegen.
Insofern hätte allenfalls in eine erneute Beweisaufnahme eingetreten werden können in
Bezug darauf, ob eine Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin
eingetreten ist. Dann jedoch wäre die erbetene schnelle Entscheidung nicht möglich
gewesen. Das Gericht hat sich, da dem Schriftsatz keine objektiven Beweismittel über
den bloßen Vortrag hinaus, dass eine Verschlechterung eingetreten ist, dazu
entschlossen, nunmehr die erbetene Entscheidung zu fällen, und weist die Klägerin
darauf hin, dass sie, falls sie der Auffassung ist, nunmehr lägen auch im Bereich der
Grundpflege mehr als 45 Minuten täglich an Pflegebedarf vor, bei der Beklagten einen
neuen Antrag stellen sollte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des
Rechtsstreits.
Für die Zulassung der Revision ist keiner der in § 160 SGG dargelegten Gründe
ersichtlich.
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