Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.02.2008
LSG Berlin und Brandenburg: ersetzung, geschäftsjahr, bindungswirkung, verwaltungsakt, leistungsklage, anfechtungsklage, erlass, zivilprozessordnung, ermessensausübung
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 15.02.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 101 AS 12925/07
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 28 B 1869/07 AS PKH
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 2007 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für das
Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M G, Sstraße , B
beigeordnet. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind
nicht zu erstatten.
Gründe:
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), der das Sozialgericht Berlin nicht
abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Dem Kläger ist für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin nach § 73 a
Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)
Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die von dem
bedürftigen Kläger beabsichtigte Rechtswahrnehmung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig
erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Angefochten ist im Hautsacheverfahren der Bescheid des
Beklagten vom 5. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2007, mit dem der
Beklagte Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II) auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in
Verbindung mit § 328 Sozialgesetzbuch (SGB III) vorläufig gewährt hat und dabei die vom Kläger begehrte Gewährung
höherer (vorläufiger) Leistungen abgelehnt hat.
Die Auffassung des SG im angefochtenen Beschluss, diese Klage sei schon unzulässig, weil ein
Rechtsschutzbedürfnis nicht bestehe, ist nach vorläufiger Ansicht des Senats unzutreffend. Die Möglichkeit gegen
eine Entscheidung über eine vorläufige Leistung Widerspruch und Klage zu erheben, ist in Literatur und
Rechtsprechung unumstritten. Zwar ist die Bindungswirkung (§ 77 SGG) eines solchen Bewilligungsbescheid von
vornherein bis zur Ersetzung durch den endgültigen Verwaltungsakt begrenzt. Ergeht die endgültige Entscheidung, so
erledigt sich dadurch der vorläufige Verwaltungsakt (§ 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]). Der
vorläufige Bescheid regelt aber im Sinne des § 31 SGB X bis zum Erlass des endgültigen Bescheides den Einzelfall.
Mit einer Klage kann also die fehlerfreie Ermessensausübung der Beklagten überprüft werden, hier konkret die
Entscheidung der Beklagten, nicht auf Grundlage einer Selbsteinschätzung und den bereits vorgelegten Unterlagen
des Steuerberaters für das Jahr 2006 zu entscheiden, sondern von den Ergebnissen des Jahres 2005 lediglich einen
pauschalen Abzug vorzunehmen. Allerdings kann der Kläger einen solchen Anspruch lediglich im Rahmen einer
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (nicht im Wege der isolierten Anfechtungsklage und nicht im Wege einer
Anfechtungs- und Leistungsklage) geltend machen, worauf im Klageverfahren hinzuwirken sein wird (§ 123 SGG).
Entgegen der Auffassung des SG ist auch nicht erkennbar, dass ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil einerseits der
Bewilligungsabschnitt bereits abgelaufen ist und andererseits der Steuerbescheid für das Jahr 2007 noch nicht
vorliegt, so dass eine abschließende Entscheidung nach § 2 a Abs. 4 ALG II-VO in der bis zum 31. Dezember 2007
geltenden Fassung noch nicht getroffen werden kann. Soweit das SG das Interesse des Klägers an einer günstigeren
vorläufigen Entscheidung zwar grundsätzlich anerkennt, ihn insoweit aber auf einen Antrags auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes verweisen will, ist dem entgegenzuhalten, dass ein solcher Antrag nur dort zulässig
sein kann, wo auch ein Hauptsacheverfahren zulässig ist. Soweit ein vorläufiger Bescheid nicht wegen der
behaupteten fehlerhaften Ermittlung der vorläufig festgestellten Höhe angegriffen ist, dürfte ein Antrag auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes wegen der dann eingetretenen Bindungswirkung des Bescheides dahin, was vorläufig
gelten soll, unzulässig sein.
Der zulässigen Klage kommt auch in der Sache die hinreichende Erfolgsaussicht zu. Es bestehen Zweifel daran, dass
die Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerfrei ist, abweichend von der üblichen Praxis im vorliegenden Fall der
Selbsteinschätzung des Klägers und den von der für ihn tätigen Steuerberatungsgesellschaft vorgelegten Unterlagen
für das Geschäftsjahr 2006 keinerlei Bedeutung für die Bemessung der Leistungen zuzumessen und die vorläufig
gewährten Leistungen allein nach dem zu versteuernden Einkommen für das Jahr 2005 zu bemessen. Anhaltspunkte
dafür, dass die Angaben des Klägers zu den erheblichen Rückgängen in seinen Einnahmen unwahr sind, bestehen
bislang nicht. Für die Richtigkeit eines erheblichen Umsatzrückgangs gegenüber dem Jahr 2005 spricht schon, dass
erst im laufenden Geschäftsjahr 2006 Leistungen nach dem SGB II beantragt worden sind, obwohl für davor liegende
Zeiträume wohl ebenfalls ein Anspruch auf ergänzende Leistungen bestanden hätte. Eine Auseinandersetzung mit
dem Vortrag des Klägers insoweit fehlt in der angefochtenen Entscheidung gänzlich, so dass Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung bestehen.
Ergeht im laufenden Klageverfahren eine endgültige Entscheidung über den streitigen Bewilligungszeitraum wird das
SG zu prüfen haben, ob die oben dargestellte Ersetzung des vorläufigen Bescheides dazu führt, dass der endgültige
Bescheid über die streitige Leistung Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG wird, soweit er der Beschwer des
Klägers nicht gänzlich abhilft (so zur Ersetzung eines vorläufigen Honorarbescheides durch einen endgültigen
Bescheid BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 23 RdNr. 11).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).