Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.09.2001

LSG Berlin und Brandenburg: mitgliedschaft, versicherungspflicht, beitragspflicht, krankenversicherung, arbeitsunfähigkeit, beendigung, verwaltungsakt, arbeitsentgelt, aufnehmen

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 26.09.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 75 KR 827/97
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 117/99
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1997 in der
Kranken- und Rentenversicherung versicherungspflichtig und zur Bundesanstalt für Arbeit beitragspflichtig beschäftigt
war.
Die 1941 geborene Klägerin arbeitete zuletzt bis zum 31. März 1995 als Angestellte bei der Beigeladenen zu 4) und
war im Hinblick auf diese Beschäftigung pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. In der Zeit vom 1.
April 1995 bis zum 31. Dezember 1996 gewährte ihr die Beigeladene zu 4) Sonderurlaub ohne Fortzahlung der
Bezüge. Am 2. Januar 1997 konnte die Klägerin ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen nicht wieder aufnehmen, da
sie arbeitsunfähig krank war; die Beigeladene zu 4) zahlte ihr während der Arbeitsunfähigkeit bis zum 16. April 1997
das Arbeitsentgelt fort.
Mit Bescheid vom 16. Mai 1997, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 4. November 1997 lehnte die
Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab und stellte außerdem fest, dass die Klägerin ab 1. Januar 1997 nicht in
einem versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gearbeitet habe. Wegen des Vorliegens von
Arbeitsunfähigkeit habe die Klägerin den Dienst am Tage der vereinbarten Arbeitsaufnahme nicht aufgenommen. Eine
durch Krankheit/Arbeitsunfähigkeit verursachte Verhinderung an der Arbeitsaufnahme führe dazu, dass der Eintritt in
die Beschäftigung nicht erfolgen könne und damit eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nicht begründet
werde.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin das Fortbestehen eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses in der Kranken- und Rentenversicherung und eine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für
Arbeit über den 1. Januar 1997 hinaus im Hinblick auf ihre langjährige Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4)
behauptet. Außerdem habe ihr die Beklagte mit Schreiben vom 10. April 1997 auf eine Mitteilung ihrer
Arbeitsunfähigkeit hin bescheinigt, dass sie ab 1. Januar 1997 bis fortlaufend bei der Beklagten pflichtversichert sei
und ihr durch Schreiben vom 2. September 1998 die Übersendung einer Krankenversicherungskarte angekündigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Juli 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die
Versicherungspflicht der Klägerin, die bis zum 31. März 1995 auf ihrer Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis gegen
Entgelt beruht hätte, habe aus Anlass des unbezahlten Urlaubs geendet. Nach § 190 Abs. 2
Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch -SGB V- ende die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit Ablauf des
Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis ende. Auch wenn in dieser Vorschrift nicht auf die Beschäftigung,
sondern auf das Beschäftigungsverhältnis abgestellt werde, könne damit jedoch nicht das Bestehenbleiben der
Mitgliedschaft bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses auch dann gemeint sein, wenn zuvor die Beschäftigung
aufgegeben und die Entgeltlichkeit weggefallen sei. Vielmehr sei mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses in §
190 Abs. 2 SGB V nur der Regelfall der Beendigung von Versicherungspflicht und Mitgliedschaft durch Aufgabe eines
Beschäftigungsverhältnisses gemeint, ohne dass damit eine frühere Beendigung bei Entfallen eines entscheidenden
Elementes der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden sollte. Damit aber seien die Versicherungspflicht und die
Mitgliedschaft beendet, sobald infolge eines unbezahlten Urlaubs die Beschäftigung nicht mehr ausgeübt und Entgelt
nicht mehr gezahlt werde. An dieser versicherungsrechtlichen Beurteilung ändere das Fortbestehen des
Arbeitsverhältnisses während des unbezahlten Urlaubs nichts.
Eine Versicherungspflicht der Klägerin und eine Mitgliedschaft bei der Beklagten bzw. den Beigeladenen zu 1) bis 3)
habe nach dem Ende ihres unbezahlten Urlaubs am 1. Januar 1997 auch nicht neu begonnen. Zu diesem Termin habe
die Klägerin zwar vereinbarungsgemäß ihre Tätigkeit wieder aufnehmen sollen. Allein aufgrund derartiger
arbeitsvertraglicher Vereinbarungen lebten die Versicherungspflicht und die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung
jedoch nicht wieder auf. Denn wenn die Versicherungspflicht geendet habe und die Mitgliedschaft nicht mehr
fortgesetzt worden sei, sei das Krankenversicherungsverhältnis abgeschlossen. Es bestehe nicht etwa latent weiter.
Vielmehr müsse es neu begründet werden. Dazu müssten alle Voraussetzungen, die für den erstmaligen Eintritt der
Versicherungspflicht erforderlich seien, erneut gegeben sein, nämlich die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt und der
Eintritt in die Beschäftigung. In der Regel solle danach eine Versicherung erst mit der Arbeitsaufnahme beginnen, und
hierzu stünde es im Widerspruch, eine Versicherung bereits entstehen zu lassen, wenn die Arbeitsaufnahme an der
Arbeitsunfähigkeit scheitere. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es deshalb unmaßgeblich, dass sie vor Antritt
des Sonderurlaubs eine nicht nur unerhebliche Zeit gearbeitet habe. Etwas anderes folge auch nicht aus dem
Umstand, dass die Klägerin vom Zeitpunkt der beabsichtigten Aufnahme der Arbeit vom 2. Januar 1997 an bis zum
16. April 1997 Entgeltfortzahlung erhalten habe. Denn aus den aufgeführten Gründen sei für den Wiederbeginn von
Versicherungsschutz und Mitgliedschaft die tatsächliche Arbeitsaufnahme zu verlangen, die durch die
arbeitsrechtliche Entgeltzahlung nicht ersetzt werden könne.
Ein anderes Ergebnis folge entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aufgrund der von der Beklagten noch
unter dem 10. April 1997 erstellten „Bescheinigung über die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung“.
Insbesondere habe es sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, der lediglich unter den Voraussetzungen
des § 45 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch -SGB X- hätte zurückgenommen werden dürfen. Die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts habe eine Regelung bei Begrüßungsschreiben von Krankenkassen und ähnlichen Schreiben der
Versicherungsträger verneint und diese deshalb nicht als Verwaltungsakte im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X gewertet.
Diese Rechtsprechung sei auch hier zu beachten. Der Bescheinigung vom 10. April 1997 sei ersichtlich zu
entnehmen, dass keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Mitgliedschaft in der
Krankenversicherung erfolgt und hierauf aufbauend eine tatsächliche Entscheidung über die Mitgliedschaft getroffen
worden sei, so dass auch vorliegend der erforderliche Regelungscharakter nicht habe festgestellt werden können.
Schließlich sei es unerheblich, dass ein Missbrauchstatbestand im vorliegenden Fall nicht habe festgestellt werden
können. Auf die Rechtsfigur des missglückten Arbeitsversuchs sei bereits deshalb nicht einzugehen, weil diese seit
Inkrafttreten des SGB V nicht mehr anzuwenden sei. In der bloßen Zusendung einer Versicherungskarte habe
schließlich auch kein Anerkenntnis im prozessrechtlichen Sinne gesehen werden können, weil es insoweit an einer
notwendigen Erklärung in Bezug auf das Versicherungsverhältnis gefehlt habe.
Gegen das ihr am 21. September 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Oktober 1999 Berufung eingelegt. Sie
hat ihr Begehren im Hinblick auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit ab 1. März 1997
auf die Feststellung eines versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Beigeladenen
zu 4) für die Monate Januar und Februar 1997 beschränkt. Zur Begründung ihres Rechtsmittels wiederholt und vertieft
sie ihr bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend: Das Schreiben vom 10. April 1997 enthalte einen
eindeutigen Regelungscharakter mit einer für jeden Außenstehenden ersichtlichen verbindlichen Rechtsfolge. Es gehe
nach seinem Wortlaut über die Wirkung einfacher Begrüßungsschreiben weit hinaus. Hinzu komme, dass die Beklagte
am 30. April 1997 für die Klägerin eine Berechnung der Rentenversicherungszeit unter Einbeziehung eines Zeitraumes
bis zum 22. April 1997 vorgenommen habe. Bei diesen Bestätigungen der Mitgliedschaft handele es sich deshalb sehr
wohl um Verwaltungsakte, die nur unter engen Voraussetzungen zurückgenommen werden dürften. Schließlich habe
die Klägerin auf den ihr bestätigten Krankenversicherungsschutz der Beklagten vertraut und weitere Dispositionen
getroffen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 1997 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheid des vom 4. November 1997 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der
Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Februar 1997 bei der Beigeladenen zu 4) versicherungspflichtig in der Kranken- und
Rentenversicherung und beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit beschäftigt gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beruft sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen
sozialgerichtlichen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakt sowie des
Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klägerin war
in der hier allein noch streitigen Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 28. Februar 1997 nicht versicherungspflichtig in der
Kranken- und Rentenversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch -
SGB VI-) und beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit (vgl. § 168 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-).
1. Rechtsfehlerfrei hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die Versicherungs- und
Beitragspflicht der Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 4) gemäß § 190 Abs. 2 SGB V mit
Einstellung der Entgeltzahlung während des Sonderurlaubs endete und zum 1. Januar 1997 gemäß § 186 Abs. 1 SGB
V in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung nicht (wieder) begann, weil die Klägerin
nicht in die Beschäftigung eingetreten ist, was die tatsächliche Wiederaufnahme der Arbeit bei der Beigeladenen zu 4)
vorausgesetzt hätte. Im Hinblick auf die ausführliche und fehlerfreie Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der
Klägerin nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zur Vermeidung von Wiederholungen auf
die gut begründeten Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts (insbesondere Seiten 5 bis 7 und Seite 9) Bezug,
denen er nach eigener Prüfung folgt; die damit im Zusammenhang stehenden Fragen sind auch durch die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 186 Nrn. 2 und 3, SozR 3-2200 § 306 Nr.
2, SozR 3-2500 § 5 Nr. 37 S. 144, USK 95 24), so dass sich eine weitere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der
Klägerin erübrigt.
2. Die streitige Versicherungs- und Beitragspflicht ist auch nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 10. April
1997, die Ankündigung der - später im Übrigen nicht ausgeführten - Übersendung der Krankenversicherungskarte vom
2. September 1998 oder die Entscheidung über die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR)
festgestellt worden.
Keines dieser Schreiben enthält einen feststellenden Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X, weil in ihnen
keine (feststellenden) Regelungen der Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin enthalten sind. Die Schreiben
vom 10. April 1997 und vom 2. September 1998 sind schon der äußeren Form nach keine Verwaltungsakte, weil sie
keinen Entscheidungssatz über die Versicherungs- und Beitragspflicht, keine Prüfung des maßgeblichen
Sachverhaltes vor dem Hintergrund der entscheidungserheblichen Normen und keine Rechtsbehelfsbelehrung
enthalten. Ihnen ist auch aus dem maßgeblichen Horizont der Adressaten keine konkludente Feststellung der
Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin im streitigen Zeitraum zu entnehmen. Die „Bescheinigung über die
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung“ vom 10. April 1997 ist für jedermann erkennbar nur darauf
gerichtet, der Empfängerin eine Information und gegebenenfalls eine Beweisurkunde über eine - kraft Gesetzes -
bestehende oder anderweitig festgestellte Mitgliedschaft bei der Beklagten zu übermitteln. Das Schreiben vom 2.
September 1998 kündigt nur eine - unzutreffende - Folgerung aus einer fehlerhaften Rechtsansicht an. Eine darüber
hinausgehende Feststellung einer Versicherungs- und Beitragspflicht im Sinne einer abschließenden Entscheidung
eines klärungsbedürftigen Sachverhaltes, die für eine Regelung des § 31 Satz 1 SGB X konstitutiv wäre, ist dem
Schreiben nicht einmal im Ansatz zu entnehmen. Ergänzend nimmt der Senat auch insoweit auf die zutreffenden
Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil (Seite 9) Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) und verweist auf
die diesem Urteil zugrunde liegenden maßgeblichen Erwägungen des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 21.
Mai 1996 (SozR 3-2200 § 306 Nr. 2), die auch auf den vorliegenden Fall anwendbar sind.
Soweit sich die Klägerin schließlich im Berufungsverfahren auf den Bescheid der Beklagten vom 30. April 1997
bezieht, ergibt sich daraus nichts anderes. Die darin enthaltene Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X bezieht
sich lediglich auf die Feststellung, dass für die Klägerin die erforderlichen Vorversicherungszeiten für eine
Pflichtmitgliedschaft in der KVdR nicht erfüllt seien. Die der Prüfung zugrunde liegenden einzelnen
Versicherungszeiten sind lediglich Begründungselemente dieser Regelung und damit nicht selbst Bestandteil des
Entscheidungssatzes des Verwaltungsaktes. Sie nehmen an der Bindungswirkung von Verwaltungsakten nicht teil
und sind nicht geeignet, Vertrauensschutz zu begründen.
Bei dieser Sachlage ist es deshalb unerheblich, ob die Klägerin aufgrund des Verhaltens der Beklagten darauf vertraut
hat, zu einem späteren Zeitpunkt einen Anspruch auf Leistungen der Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung
zu haben. Aus diesem Grunde ist auch ein Schadensersatzanspruch im Sozialrecht gegen die Beklagte
ausgeschlossen; er kann insbesondere nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch abgeleitet werden, weil
er auf ein gesetzwidriges Bestehen eines sozialen Versicherungsverhältnisses in der Kranken-, Renten- und
Arbeitslosenversicherung gerichtet wäre (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. insbesondere das Urteil vom 31.
Januar 1996 - L 9 KR 23/95 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht
vorliegen.