Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 06.08.2004

LSG Berlin und Brandenburg: anhaltende somatoforme schmerzstörung, aufnahme einer erwerbstätigkeit, psychotherapeutische behandlung, diabetes mellitus, buchhalter, klinik, zustand, arbeitsamt

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 06.08.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 3 RA 4155/01*14
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 RA 3/04
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2003 wird zurückgewiesen. Die
Beklagte hat dem Kläger auch für das Berufungsverfahren außer- gerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 26. Februar 1950 geborene Kläger absolvierte von September 1967 bis Juni 1969 eine Lehre als Elektriker und
war in diesem Beruf einige Jahre tätig, zuletzt von 1980 bis Juli 1985 bei den französischen Streitkräften. Nach einer
Bandscheibenoperation wurde er in der Dienststelle umgesetzt und von August 1985 bis September 1994 als EDV-
Buchhalter und Materialdisponent beschäftigt. Durch Abzug der Alliierten wurde der Kläger arbeitslos und durchlief
vom 1. Februar 1996 bis zum 31. Januar 1997 eine vom Arbeitsamt geförderte Umschulung zum Buchhalter mit
Abschluss. Zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kam es hernach aber nicht mehr.
Den ersten Rentenantrag des Klägers wegen Erwerbsminderung vom Oktober 1997 lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 8. Januar 1998 und Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1998 nach Einholung von vier Gutachten auf
orthopädischem, internistischem und nervenfachärztlichem Gebiet ab.
Am 23. Dezember 1999 stellte der Kläger, der weiterhin Leistungen vom Arbeitsamt bezog, erneut einen Rentenantrag
und machte geltend, wegen orthopädischer und internistischer Leiden, die zur Feststellung eines Grades der
Behinderung von 50 geführt hatten, sowie Depressionen und Angstzuständen zu keinerlei Erwerbstätigkeit mehr in der
Lage zu sein. Die Beklagte stellte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fest und holte ein
orthopädisches Gutachten von Dr. K ein, der unter dem 28. Januar 2000 ein vollschichtiges Leistungsvermögen als
EDV-Buchhalter bejahte, denn der Kläger könne leichte Tätigkeiten in wechselnder Haltung ohne schweres Heben und
Tragen und häufige Zwangshaltungen verrichten. Der danach beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie K
stellte in seinem Gutachten vom 31. Januar 2000 eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch seit vielen
Jahren bestehenden Alkoholmissbrauch bei nachweisbaren organischen Schäden, aber fehlender Krankheitseinsicht
fest und empfahl eine Entgiftung mit anschließender Entwöhnungstherapie.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil der Kläger auch unter
Berücksichtigung seiner Wirbelsäulen? und Gelenkbeschwerden sowie einer durch ambulante nervenärztliche
Behandlung besserungsfähige depressive Verstimmung seinen bisherigen Beruf noch vollschichtig ausüben könne.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger unter Vorlage eines Attestes seines behandelnden Nervenarztes Dr. I
geltend, dass er unter starken Depressionen leide und es häufig nicht wage, allein die Wohnung zu verlassen.
Daraufhin gewährte ihm die Beklagte eine 16-wöchige stationäre Alkoholentwöhnungsbehandlung mit Zahlung von
Übergangsgeld, die der Kläger vom 23. Oktober 2000 bis zum 22. Januar 2001 in der F-Klinik in M absolvierte. Die
Maßnahme wurde vorzeitig und mit der Einschätzung eines derzeit aufgehobenen Leistungsvermögens des Klägers
beendet, obwohl er sich laut ausführlichem Verlaufs- und Entlassungsbericht vom 8. März 2001 bei der
Abschlussuntersuchung körperlich in recht gutem Allgemeinzustand befand, seine Schmerzzustände gebessert
waren, die neuropsychologischen Tests erstaunlich gute Ergebnisse erbracht hatten, der Kläger in der Gruppe gut
integriert war und auch subjektiv seine körperliche und seelische Erholung als sehr positiv eingeschätzt hatte.
Bezüglich seiner Zukunftspläne wurde mitgeteilt, dass er sich "ein Leben als gesunder Rentner mit intakter Familie"
vorstelle. Nachdem die Beratende Ärztin H beanstandet hatte, dass die von der Reha-Klinik abschließend geäußerte
Annahme eines aufgehobenen Leistungsvermögens nicht mit dem mitgeteilten Therapieverlauf in Einklang stehe, wies
die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 30. Mai 2001 als unbegründet zurück. Es sei
unerheblich, dass er nach der Reha-Maßnahme noch arbeitsunfähig gewesen sei. Schwerwiegende Befunde, die die
Annahme von Berufs? oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der §§ 43, 44 SGB VI rechtfertigen würden, seien während
der Maßnahme nicht festgestellt worden, so dass er weiterhin vollschichtig als Buchhalter einsetzbar sei.
Mit der am 28. Juni 2001 erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgt und unter Hinweis auf
ein weiteres Attest des Dr. I geltend gemacht, dass er vorwiegend wegen seiner neurologisch-psychiatrischen Leiden
erwerbsunfähig sei.
Das Sozialgericht hat zunächst ein nervenfachärztliches Gutachten von der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr.
S eingeholt. In ihrem Gutachten vom 29. November 2001, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat
die Sachverständige folgende Diagnosen gestellt: a) Alkoholabhängigkeit bei gegenwärtiger Abstinenz, b) Zustand
nach Hirninfarkt rechts 1992 mit klinisch bedeutungslosen Residuen, c) toxisch-alimentär bedingte Polyneuropathie
mit sensiblen Störungen sowie d) Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor dem Hintergrund
des Zustandes nach Bandscheibenoperation 1984.
Dem Kläger sei es nach der stationären Therapie gelungen, die Alkoholabstinenz aufrechtzuerhalten, wodurch er
selber nicht nur einen deutlichen Rückgang der Schmerzen, sondern auch seiner depressiv gefärbten Passivität
verzeichne. Nach eigenen Angaben sei er wesentlich zukunftsorientierter und könne sich, da sein Gedächtnis nicht
mehr durch "Filmrisse" beeinträchtigt sei, zu verschiedenen Themen "engagieren". Dessen ungeachtet bestehe ein
auch von den behandelnden Ärzten unterstütztes somatisches Krankheitskonzept ("Rücken kaputt"), das den Kläger
an der Aufrechterhaltung seines Rentenbegehrens festhalte. Es bestehe aus nervenärztlicher Sicht aber weiterhin ein
vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Haltung unter Vermeidung extremer
klimatischer Bedingungen, Zwangshaltungen, einseitiger körperlicher Belastung, Wechsel? und Nachtschicht, Arbeiten
auf Leitern und Gerüsten sowie das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg. Arbeit an laufenden Maschinen bzw. in
festgelegtem Arbeitsrhythmus sei grundsätzlich möglich, die Fingergeschicklichkeit erhalten. Der Kläger sei an der
Ausübung einfacher geistiger Arbeiten nicht gehindert. Die Auffassungsgabe, Entschluss?, Verantwortungs? sowie die
Kontaktfähigkeit seien unbeeinträchtigt. Lern? und Merkfähigkeit, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Anpassungs?
und Umstellungsfähigkeit erschienen nur geringgradig beeinträchtigt. Nachdem Dr. I in seinem Attest vom 24. Februar
2002 ausgeführt hatte, dass das Gesamtbild des Klägers durch einen Wechsel von depressiven Verstimmungen bis
hin zu Suizidalität und aggressiven Durchbrüchen mit Tätlichkeiten besonders der Ehefrau gegenüber gekennzeichnet
sei, sich diese Symptomatik seit der Alkoholabstinenz verstärkt habe und bei einer Rückkehr ins Arbeitsleben mit
einem erneuten Auftreten der Alkoholkrankheit zu rechnen sei, ist die Sachverständige Dr. S in ihrer ergänzenden
Stellungnahme vom 2. April 2002 bei ihrer Leistungseinschätzung verblieben, da der Kläger sehr ausdrücklich die
Verbesserung seines Befindens unter alkoholabstinenten Bedingungen zu schildern gewusst habe. Die Ausführungen
des behandelnden Arztes seien nicht nachvollziehbar und würden, wenn sie zutreffend seien, eher die Indikation zu
einer durch stimmungsstabilisierende Medikamente unterstützten spezifischen Behandlung darstellen als die
Leistungsbeurteilung des Klägers verändern.
Anschließend hat das Sozialgericht Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt, und zwar
von der praktischen Ärztin Dr. B, dem Internisten A, dem Nervenarzt Dr. I und dem Orthopäden Dr. M. Schließlich hat
das Gericht noch ein weiteres schriftliches Gutachten von dem Praktischen Arzt, Diplompsychologen und
Psychotherapeuten B angefordert, das dieser unter dem 28. Februar 2003 erstattet hat und auf das wegen der
Einzelheiten verwiesen wird. Folgende Diagnosen hat der Sachverständige aufgeführt: 1. Mäßiggradige
Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule nach Bandscheibenoperation 1984 und nach Bruch des 2.
Lendenwirbelkörpers aus dem Jahre 1994 2. Beginnende Arthrose linkes Hüftgelenk 3. Bluthochdruck (medikamentös
angemessen eingestellt) 4. Tablettenpflichtige Zuckererkrankung 5. Polyneuropathie mit Missempfindungen im
Bereich beider Unterschenkel und Füße ohne motorische Ausfälle 6. Seelisches Leiden 7. Beiderseitige
Schwerhörigkeit, durch Hörgeräte gut ausgeglichen
Bezüglich des seelischen Leidens hat der Gutachter unter anderem ausgeführt, seit der stationären
Alkoholentwöhnungsbehandlung bestehe nachvollziehbar Alkoholabstinenz. Als Folgeschaden sei eine
Polyneuropathie eingetreten, andere organtoxische Folgeschäden seien nicht festzustellen. Der aktuelle
psychopathologische Befund sei gänzlich unauffällig, Depressionen oder Ängste seien nicht spürbar und von dem
Kläger auch nicht angegeben worden. Er fühle sich jedoch nicht mehr vollwertig aufgrund seiner körperlichen
Beschwerden und empfinde es als kränkend, dass er seiner vorzeitig pensionierten zweiten Ehefrau finanziell auf der
Tasche liege. Als Diagnose könne eine rezidivierende depressive Störung festgestellt werden, bei
Alkoholabhängigkeitssyndrom im Stadium der Abstinenz. Kognitive Störungen im Sinne eines hirnorganischen
Psychosyndroms seien nicht festzustellen, womit auch der Befund der Alkoholentwöhnungsbehandlung korreliere.
Diese habe ganz offensichtlich zu einer deutlichen Entlastung der seelischen Beschwerden geführt. Aktuell sei
diesbezüglich überhaupt kein Leidensdruck festzustellen gewesen. Hierfür spreche auch, dass eine nachvollziehbar
konsequente nervenfachärztliche oder psychotherapeutische Behandlung nicht stattfinde. Der Kläger begebe sich
nach eigenen Angaben alle zwei bis drei Monate zu seinem Nervenarzt. Es bestehe ein Rentenbegehren und
Versorgungswunsch. Ein sekundärer Krankheitsgewinn sei ganz offensichtlich eingetreten. Die
Funktionseinschränkungen von Seiten der seelischen Erkrankung seien aktuell als geringgradig einzuschätzen. Das
Leistungsvermögen des Klägers hat der Sachverständige bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen
vergleichbar denen im Vorgutachten der Dr. S als vollschichtig beurteilt und daran nach Vorlage von Attesten des
Orthopäden Dr. M und des Nervenarztes Dr. I in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 28. August
2003 festgehalten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. November 2003 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen, auf
die Bezug genommen wird, im Wesentlichen sinngemäß ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente
wegen Erwerbs? bzw. Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 44 SGB VI in der hier maßgebenden, bis zum 31. Dezember
2000 geltenden Fassung. Er sei schon nicht berufsunfähig gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI. Auszugehen sei von seiner
letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit als EDV-Buchhalter und Materialdisponent, wobei die Kammer zu seinen
Gunsten davon ausgehe, dass diese Tätigkeit im Rahmen des vom Bundessozialgericht entwickelten
Mehrstufenschemas der Gruppe der angelernten Angestellten mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung zuzuordnen
sei. Ob er diesen Beruf noch ausüben könne, könne dahinstehen, weil er jedenfalls sozial und gesundheitlich auf die
Ausübung einer Tätigkeit als Registrator verwiesen werden könne. Hinsichtlich der Leistungsbeurteilung folge das
Gericht den Einschätzungen der Gerichtsgutachter Dr. S und B. Die davon abweichende Einschätzung der Reha-
Klinik und des behandelnden Nervenarztes Dr. I seien demgegenüber nicht nachvollziehbar. Angesichts des noch
vollschichtigen Leistungsvermögens komme auch kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser
Erwerbsminderung nach den seit dem 1. Januar 2001 geltenden geänderten Vorschriften des SGB VI in Betracht.
Gegen das seinem früheren Prozessbevollmächtigten am 5. Dezember 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.
Januar 2004 Berufung eingelegt, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt und zur Begründung geltend macht,
dass das Hauptleiden, nämlich seine starken orthopädischen Einschränkungen, nicht ausreichend gewürdigt worden
seien. Ferner habe das Arbeitsamt in einem sozialmedizinischen Gutachten (nach Aktenlage) vom 10. April 2003 sein
Leistungsvermögen nur auf täglich drei bis unter sechs Stunden eingeschätzt.
Der Senat hat (auf Anregung der Beklagten) ein schriftliches Fachgutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr. W
angefordert. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 28. Mai 2004, auf das verwiesen wird, folgende
Diagnosen aufgeführt: 1. Degeneratives LWS-Syndrom mit maximal mittelgradigen Funktionseinschränkungen bei
Osteochondrose auf der Etage L 5/S 1 und Zustand nach Bandscheibenoperation L 4/5 und L 5/S 1, Zustand nach
folgenlos verheilter LWK 2?Fraktur 2. Cervicocephalgien 3. Vertigo unklarer Genese 4. Zustand nach knöchern
verheilten Ermüdungsbrüchen der Ossa metatarsalea bds. 5. Behandlungsbedürftige Osteoporose 6. Sensible
Polyneuropathie (distal betont) 7. Tablettenpflichtiger Diabetes mellitus 8. Bluthochdruckleiden 9. Seelische Leiden
10. Beidseitige Schwerhörigkeit
Der Kläger könne mit der vollen üblichen Arbeitszeit von acht Stunden täglich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen
bewältigen. Besondere klimatische Expositionen seien zu vermeiden, ebenso einseitige körperliche Belastungen,
Arbeiten unter Zeitdruck, an laufenden Maschinen, auf Leitern und Gerüsten, in Nachtschicht sowie mit häufigerer
Bewältigung von Lasten über 5 kg. Die neu zu berücksichtigenden Veränderungen am Knochenstoffwechsel und die
mehrfachen Ermüdungsbrüche beider Mittelfußknochen seien in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen gewesen,
woraus sich eine grundsätzliche Veränderung des bisher angenommenen Leistungsprofils aber nicht ergebe.
Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen, die üblichen Pausen reichten aus. Die
sozialmedizinische Einschätzung des Arbeitsamtes sei aus orthopädischer Sicht nicht zu unterstützen.
Der Kläger hat Atteste seines behandelnden Orthopäden Dr. P vom 17. Juni 2004 sowie des Dr. I vom 4. Juli 2004
übersandt und hält an seinem Rentenbegehren fest.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2000
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm
vorgezogenes Übergangsgeld vom 1. Januar bis zum 22. Oktober 2000 sowie Rente wegen voller Erwerbsminderung
ab dem 23. Januar 2001 zu gewähren, hilfsweise ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt Rente wegen voller bzw.
teilweiser Erwerbsminderung.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge
der Beklagten (zwei Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts beurteilt die Sach- und Rechtslage zutreffend. Die Beklagte hat es mit
ihrem Bescheid vom 23. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2001 zu Recht
abgelehnt, dem Kläger Rente bzw. vorgezogenes Übergangsgeld wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Maßgebend für den im Dezember 1999 geltend gemachten Rentenanspruch des Klägers sind gemäß § 300 Abs. 2
SGB VI noch die §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Das Sozialgericht hat die
dort normierten Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsfähigkeit zutreffend dargestellt. Darauf
wird Bezug genommen.
Der Kläger ist schon nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. Maßgebender bisheriger Beruf des
Klägers ist der eines Buchhalters, den er - als Angelernter - jahrelang bis September 1994 ausgeübt hat.
Anschließend erwarb er nach einjähriger, vom Arbeitsamt geförderter Fortbildung auch einen entsprechenden
Berufsabschluss. Mit dem Sozialgericht kann zu seinen Gunsten angenommen werden, dass ihm Berufsschutz als
Angestellter mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung zusteht. Letztlich bedarf dies jedoch keiner abschließenden
Prüfung, weil der Kläger weiterhin in seinem bisherigen Beruf als Buchhalter einsetzbar ist; ferner kann er zumutbar
auf eine Tätigkeit als Registrator verwiesen werden.
Beim Kläger sind im Wesentlichen zwei Leidenskomplexe zu unterscheiden, die bei der Prüfung seiner
Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen, nämlich zum einen seine Alkoholkrankheit und sein seelisches Leiden, zum
anderen orthopädische Beschwerden. Nach Einleitung des Rentenverfahrens im Dezember 1999 stand zunächst aus
gutachterlicher Sicht die Alkoholproblematik des Klägers im Vordergrund, die zumindest eine Gefahr für seine
Erwerbstätigkeit darstellte. Von der dreimonatigen Alkoholentwöhnungsbehandlung, die der Kläger von Ende Oktober
2000 bis Ende Januar 2001 in der F-Klinik absolviert hat, konnte er offenbar objektiv und subjektiv erheblich
profitieren, wie aus dem detailliert mitgeteilten Therapieverlauf hervorgeht. Der Beklagten und dem Sozialgericht ist
darin beizupflichten, dass die sozialmedizinische Einschätzung eines bei Beendigung der Reha aufgehobenen
Leistungsvermögens im Heilverfahrensentlassungsbericht vom 8. März 2001 dazu in krassem Widerspruch steht und
auch nicht ansatzweise nachvollziehbar ist.
Die vom Kläger zur Begründung seiner im Juni 2001 erhobenen Klage behauptete Schwere insbesondere seiner
psychiatrischer Leiden hat sich im Verlauf des Rechtsstreits nicht objektivieren lassen. Die vom Sozialgericht
eingeholten Gutachten haben vielmehr den beachtlichen Erfolg der Langzeittherapie bestätigt. Bei der Untersuchung
durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S im November 2001 war der Kläger glaubhaft "trocken" und
berichtete von einem deutlichen Rückgang seiner Schmerzen wie auch seiner depressiv gefärbten Passivität. Die
Sachverständige hat ihre Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens des Klägers für leichte Arbeiten in
wechselnder Haltung mit gewissen Einschränkungen aus den von ihr erhobenen Befunden schlüssig abgeleitet. Die
von dem behandelnden Nervenarzt Dr. I daran geäußerte Kritik hat die Gutachterin mit überzeugenden Argumenten
zurückgewiesen. Auch im weiteren Verlauf des Klageverfahrens waren aus unabhängiger gutachterlicher Sicht die
beim Kläger zu objektivierenden Funktionseinschränkungen durch seelische Leiden und die Alkoholkrankheit gering.
Der Sachverständige B, der nicht nur als Praktischer Arzt, sondern auch als Dipl.-Psychologe und Psychotherapeut
tätig ist, hat im Februar 2003 den aktuellen psychopathologischen Befund beim Kläger als gänzlich unauffällig
beschrieben. Es bestehe weiterhin glaubhaft Alkoholabstinenz; außer einer Polyneuropathie seien keine weiteren
organtoxischen Folgeschäden des jahrelangen Alkoholmissbrauchs festzustellen. Depressionen oder Ängste seien
beim Kläger nicht spürbar gewesen und von ihm auch nicht angegeben worden. Die Alkoholentwöhnungsbehandlung
habe offensichtlich zu einer deutlichen Entlastung der seelischen Beschwerden geführt. Ausdrücklich erwähnt hat der
Sachverständige- wie auch die Gutachterin Dr. S und die Therapeuten in der Reha-Klinik -, dass der Kläger mit
Nachdruck seine Berentung anstrebe, wofür es aufgrund seiner umfassenden Untersuchung jedoch keinerlei
Rechtfertigung gab. Da deshalb auch dieser Gutachter das Leistungsvermögen des Klägers als nur - mäßig - qualitativ
eingeschränkt beurteilt hat, hat das Sozialgericht folgerichtig einen Rentenanspruch verneint, weil der Kläger
zumindest noch vollschichtig gesundheitlich, fachlich und sozial zumutbar als Registrator tätig sein könne und damit
nicht berufs- und erst recht nicht erwerbsunfähig sei.
Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Sachprüfung an, wobei aber auch nicht
ersichtlich ist, was einer Weiterbeschäftigung des Klägers als Buchhalter entgegenstehen sollte. Nachdem der Kläger
in erster Instanz erfolglos seine neurologisch-psychiatrischen Leiden in den Vordergrund gestellt hatte, hat er im
Berufungsverfahren geltend gemacht, dass sein "Hauptleiden", nämlich seine starken Einschränkungen auf
orthopädischem Gebiet, bisher nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Das vom Senat daraufhin eingeholte
fachorthopädische Gutachten bietet jedoch keinerlei Veranlassung, das Rentenbegehren des Klägers nunmehr positiv
zu beurteilen. Der Sachverständige Dr. W-R ist in seinem Gutachten vom 28. Mai 2004 nämlich ebenfalls zu der
Einschätzung gelangt, dass der Kläger noch acht Stunden täglich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen bei
Berücksichtigung gewisser Einschränkungen verrichten könne. Diese Einschätzung hat er nachvollziehbar aus den
von ihm erhobenen Befunden abgeleitet. Der Senat folgt seiner Beurteilung auch darin, dass die - lediglich nach
Aktenlage - abgegebene abweichende Beurteilung im arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 10. April 2003 nicht zu
überzeugen vermag. Mit dem von allen drei Gerichtsgutachtern festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen für
leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen oder in wechselnder Haltung ohne
Zwangshaltungen, einseitige körperliche Belastung, Wechsel- und Nachtschicht, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten
sowie das Heben und Tragen von Lasten über 10 bzw. 5 kg kann der Kläger noch als Buchhalter bzw. auch als
Registrator tätig sein, wobei es sich um körperlich leichte Bürotätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit
zum Haltungswechsel handelt.
Die vom Kläger zuletzt noch eingereichten Atteste seiner behandelnden Ärzte sind nicht geeignet, die Richtigkeit der
Leistungseinschätzung durch drei neutrale Gerichtssachverständige in Zweifel zu ziehen.
Soweit der Orthopäde Dr. P auf "Widersprüche" zwischen den von ihm erhobenen Befunden und den zuletzt
getroffenen gutachterlichen Feststellungen hinweist, ist zu bemerken, dass die Diagnosen beider Ärzte im
Wesentlichen übereinstimmen, für den Rentenanspruch aber die objektivierbaren Funktionseinschränkungen
maßgebend sind. Hinsichtlich der vom behandelnden Arzt angegebenen "unveränderten Schultersteife" muss
berücksichtigt werden, dass Dr. W-R auf deutliche Diskrepanzen zwischen den aktiven und passiven
Bewegungsumfängen bei der Untersuchung der Schultergelenke des Klägers hingewiesen hat. Die neu festgestellte
Osteoporose und die mehrfachen Spontanfrakturen im Bereich beider Mittelfußknochen hat der Gutachter ausführlich
gewürdigt. Hierdurch ist es nur vorübergehend zu einer verstärkten Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers
gekommen.
Das weitere Attest vom 4. Juli 2004 des Nervenarztes Dr. I, der den Kläger seit Jahren mit dramatisch formulierten
Bescheinigungen in seinem Rentenbegehren unterstützt, stimmt fast wörtlich mit dessen Attest vom 7. September
2002 überein, das durch die substantiiert wiedergegebenen Feststellungen des Sachverständigen B wiederlegt worden
ist. Neu ist lediglich der Hinweis auf eine durch "zunehmende Verschlechterung des Zustandes" erforderlich
gewordene Medikation mit "Amioxid, einem wirksamen Antidepressivum in hoher Dosis". Auch insoweit wird von Dr. I
aber offensichtlich dramatisiert, denn nach der vom Kläger zur Begutachtung bei Dr. WR am 25. Mai 2004 vorgelegten
Medikamentenliste nimmt er lediglich täglich eine halbe Tablette "Aminoxid neuraxpharm 60" ein, d.h. 30 mg und
damit die schwächste Dosis des bei von Unruhe geprägten Depressionen verabreichten Wirkstoffes Amitriptylinoxid,
den es unter dem Handelsnamen "Aminoxid neuraxpharm" in der Darreichungsform mit 30, 60, 90 und 120 mg gibt
(vgl. Stiftung Warentest, Handbuch Medikamente, Ausgabe 2002, S. 636, 644). Auch angesichts der zuletzt mit
Schreiben vom 8. Juli 2004 nebst Anlagen angegebenen Einnahme von täglich einer ganzen Tablette Aminoxid
neuraxpharm 60 kann von einer "hohen Dosis" nicht die Rede sein.
Das Rentenbegehren des Klägers kann damit keinen Erfolg haben. Das gilt auch mit Blick auf die seit 1. Januar 2001
modifizierten rentenrechtlichen Vorschriften des SGB VI, weil auch danach bei einem vollschichtigen
Leistungsvermögen ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung grundsätzlich nicht in
Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.