Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.11.2009

LSG Berlin-Brandenburg: verordnung, form, krankenkasse, wagen, transportmittel, wirtschaftlichkeit, krankenversicherung, beförderung, verfügung, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 B 62/08 KA NZB
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 SGB 5, § 60 Abs 1 S
2 SGB 5, § 60 Abs 2 S 1 Nr 3
SGB 5, § 73 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB
5, § 92 Abs 1 S 2 Nr 12 SGB 5
Krankenversicherung - Verordnungsfähigkeit eines Mietwagens
in Form eines Tragestuhlwagens - Benutzung eines möglichen
Krankenbeförderungsmittels - Berufungszulassung
Leitsatz
Ob ein Mietwagen in Form eines Tragestuhlwagens verordnungsfähig ist, hängt von den
Umständen des zu entscheidenden Einzelfalles ab. Liegen die erforderlichen Genehmigungen
nach den §§ 19 Abs. 1, 21 StVZO hinsichtlich des Kraftfahrzeugs und den §§ 15, 2 Abs. 1, 4,
46, 49 PBefG hinsichtlich des Un-ternehmers vor, so entfalten diese tatbestandliche Wirkung,
so dass die ordnungsbehördlichen Voraussetzungen für den Betrieb von Tragestuhlwagen
nicht durch die Sozialgerichte zu prüfen sind.
Welches der möglichen Krankenbeförderungsmittel zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung benutzt werden kann, richtet sich darüber hinaus gemäß § 60 Abs. 1 S.
2 SGB V und § 4 der Krankentransport-Richtlinien unter Berücksichtigung der
Wirtschaftlichkeit nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des
Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten
der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 34,12 Euro
festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des
Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2008 ist gemäß § 145 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) zulässig, aber unbegründet. Denn weder ist die Berufung gegen das Urteil bereits
kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG
gegeben.
Die im Grundsatz nach § 143 SGG statthafte Berufung ist hier kraft Gesetzes
ausgeschlossen und bedürfte daher nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG der Zulassung, weil
der Wert des Beschwerdegegenstandes des Rechtsstreits in Höhe von 34,12 Euro den
maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der ab
1. April 2008 geltenden Fassung) nicht übersteigt.
Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG bestehen nicht, insbesondere hat die
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Eine
Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher
nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die
Rechtseinheit zu erhalten und die weitere Entwicklung des Rechts zu fördern (vgl.
Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 144 Rdnr. 28). Die
Rechtsfrage muss dabei streitentscheidend, klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.
Eine Tatsachenfrage kann dagegen auch dann die Zulassung der Berufung nicht
begründen, wenn ihre Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen haben kann
(Leitherer, a. a. O., Rdnr. 29, m. w. N.).
Soweit der Kläger die Frage aufwirft, ob Tragestuhlwagen in der durch die Berliner
Krankenkassen eingeführten Art und Weise zu den verordnungsfähigen Mitteln zur
Krankenbeförderung gehören, handelt es sich um eine Tatsachenfrage, da diese
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Krankenbeförderung gehören, handelt es sich um eine Tatsachenfrage, da diese
Feststellung im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalles abhängig ist.
Dass als Transportmittel, für dessen Benutzung die Krankenkasse die Kosten nach § 60
des Sozialgesetzbuchs, Fünftes Buch (SGB V) unter den dort genannten
Voraussetzungen übernimmt und die deshalb von den Vertragsärzten gemäß § 73 Abs.
2 Nr. 7 SGB V verordnet werden können, auch Mietwagen anzusehen sind, ergibt sich
bereits aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 3 Nr. 2 SGB V. Zu den Mietwagen, deren Betrieb
gemäß den §§ 49 Abs. 4, 2 Abs. 1 Nr. 4 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG)
genehmigungspflichtig ist, gehören, wie der Kläger selbst einräumt, u.a. sog.
Tragestuhlwagen (so auch: Kammergericht (KG), Beschluss vom 13. Februar 2007, 5 W
35/07). Das Gesetz beschränkt dagegen die verordnungsfähige Krankenbeförderung
gerade nicht auf Krankentransporte im Sinne des § 60 Abs. 2 Nr. 3 SGB V. Es ist deshalb
entgegen der Ausführungen des Klägers unerheblich, ob Tragestuhlwagen den
gesetzlichen Anforderungen an Kranken- oder Rettungstransporte in diesem Sinne
entsprechen. Eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Mietwagen ergibt sich in
diesem Zusammenhang auch nicht aus § 7 Abs. 1 S. 1 der nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12
SGB V erlassenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die
Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten
(Krankentransport-Richtlinien). Soweit dort ausgeführt wird, zu den Mietwagen gehörten
„z.B. auch Wagen mit behindertengerechter Einrichtung zur Beförderung von
Rollstuhlfahrern“, so ist dies allein eine beispielhafte Aufzählung, ohne dass dadurch die
Verordnungsfähigkeit von Mietwagen auf derartige Wagen beschränkt wird. Es kommt
daher nicht darauf an, ob Tragestuhlwagen als Wagen mit behindertengerechter
Einrichtung zur Beförderung von Rollstuhlfahrern im Sinne des § 7 der Krankentransport-
Richtlinien anzusehen sind.
Ob ein Mietwagen in Form eines Tragestuhlwagens aber letztendlich verordnungsfähig
ist, hängt von den Umständen des zu entscheidenden Einzelfalles ab. Soweit der Kläger
darauf abstellt, dass Tragestuhlwagen straßenverkehrs- und
personenbeförderungsrechtlich nicht zulässig seien, ist dies eine vom jeweiligen
Kraftfahrzeug und Unternehmer abhängige Tatfrage, über die die jeweils zuständigen
Behörden und im Streitfalle die Verwaltungsgerichte nach § 40 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu entscheiden haben. Liegen die erforderlichen
Genehmigungen nach den §§ 19 Abs. 1, 21 der Straßenverkehrszulassungsordnung
(StVZO) - hinsichtlich der Kraftfahrzeuges - und den §§ 15, 2 Abs. 1 Nr. 4, 46, 49 PBefG -
hinsichtlich des Unternehmers - vor, so entfalten diese tatbestandliche Wirkung, so dass
die ordnungsbehördlichen Voraussetzungen für den Betrieb von Tragestuhlwagen nicht
durch die Sozialgerichte zu prüfen sind.
Welches der möglichen Krankenbeförderungsmittel zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung tatsächlich benutzt werden kann, richtet sich darüber hinaus
gemäß § 60 Abs. 1 S. 2 SGB V und § 4 der Krankentransport-Richtlinien unter
Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit nach der medizinischen Notwendigkeit im
Einzelfall. Es kommt daher zur Beurteilung, ob die besonderen Mittel eines
Krankenkraftfahrzeugs mit medizinisch-fachlicher Betreuung i.S.d. § 60 Abs. 2 Nr. 3 SGB
V notwendig oder aber ein Mietwagen (bei dessen Benutzung nach § 7 Abs. 1 S. 2 der
Krankentransport-Richtlinien keine solche stattfindet) ausreichend ist, auf den
Gesundheitszustand des betreffenden Versicherten an. Denn es ist konkret zu prüfen,
welche medizinischen Erfordernisse jeweils sowohl während der Fahrt als auch beim
Verbringen zum Fahrzeug bestehen und welches Transportmittel diesen genügt. Nur
unter Berücksichtigung der individuellen medizinischen Erfordernisse kann beurteilt
werden, ob ein Tragestuhlwagen das erforderliche, aber auch ausreichende und damit zu
verordnende sowie von der Krankenkasse zu übernehmende Krankenbeförderungsmittel
ist.
Die weiteren Ausführungen des Klägers, im Falle des hiesigen Versicherten sei die
Nutzung eines Tragestuhlwagens nicht ausreichend, sondern vielmehr ein
Krankentransport erforderlich gewesen, betreffen die sachliche Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung. Diese ist aber im Rahmen des Beschwerdeverfahrens
nicht zu überprüfen. Vielmehr soll es gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bei
Verfahren mit geringem Streitwert - wie hier - grundsätzlich mit einer gerichtlichen
sachlichen Überprüfung des Klagebegehrens sein Bewenden haben.
Die mit der Beschwerde gleichfalls aufgeworfene Frage, ob eine Verordnung als
unwirtschaftlich angesehen werden könne, wenn ihre alternative Verordnung
zwangsläufig oder doch mit einiger Wahrscheinlichkeit zu höheren Kosten für die
Versichertengemeinschaft geführt hätte, ist dagegen nicht streitentscheidend. Der
Kläger hat nicht dargelegt, dass und ggf. welche höheren Kosten im zu entscheidenden
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Kläger hat nicht dargelegt, dass und ggf. welche höheren Kosten im zu entscheidenden
Einzelfall bei der alternativen Verordnung eines Tragestuhlwagen entstanden wären. Da
für die vom Beklagten aufgezeigte alternative Versorgungsmöglichkeit keine höheren
Kosten ersichtlich sind als die, die durch die Nutzung des Transportmittels selbst
entstanden sind, kommt es auf die aufgeworfene Rechtsfrage nicht an. Der Kläger
bezieht sich mit seiner Frage vielmehr auch darauf, dass das Sozialgericht die
Notwendigkeit einer medizinisch-fachlichen Betreuung u. a. deshalb verneint habe, weil
dem Versicherten zuvor in seiner häuslichen Umgebung ebenfalls kein fachlich
qualifiziertes Personal zur Verfügung gestanden habe. Dies habe zur Konsequenz, dass
ein Krankentransportwagen nur dann verordnet werden könne, wenn gleichzeitig weitere
Nachsorgeleistungen verordnet werden. Ein solches Vorgehen führe dann im Ergebnis zu
höheren Kosten. Solche mittelbaren, nur hypothetischen finanziellen Fernwirkungen sind
aber bei der Beurteilung der Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall nicht zu berücksichtigen.
Darüber hinaus unterstellt er bei seiner Argumentation unzulässigerweise, dass
Vertragsärzte ungerechtfertigt, ohne medizinische Notwendigkeit, nur um einen
Krankentransport verordnen zu können, weitere Leistungen zu Lasten der Krankenkasse
veranlassen.
Die Berufung ist auch nicht gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen einer
Rechtsprechungs-abweichung oder nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG wegen eines
Verfahrensmangels zuzulassen. Für diese Zulassungsgründe ist weder etwas
vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs.1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 und
§ 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Wertfestsetzung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3
GKG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgerichts
angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des
Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht
rechtskräftig.
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