Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.05.2006

LSG Berlin-Brandenburg: anfechtungsklage, berufungsschrift, leistungsklage, klagebefugnis, verwaltungsakt, ddr, altersrente, zugehörigkeit, nachzahlung, rechtsstillstand

1
2
3
4
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
16. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 16 R 971/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 AAÜG, § 7 AAÜG, § 8 AAÜG,
§ 54 Abs 1 S 2 SGG, § 114 SGG
Zulässigkeit einer Klage auf höhere Rentenwertfestsetzung bei
noch anhängiger Klage gegen den Versorgungsträger;
vorläufige Rentenwertfestsetzung
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2006
wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Rentenhöhe.
Der am 1934 geborene Kläger war in der früheren Deutschen Demokratischen Republik
(DDR) vom 01. September 1960 bis zum 31. März 1990 Mitarbeiter des M f S/A f N S
(MfS/AfNS), zuletzt im Range eines Oberstleutnants. Nach einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung bei der Deutschen Reichsbahn vom 01. April 1990 bis zum 31. März 1991
bezog er ab 01. April 1991 Altersübergangsgeld. Die Bundesrepublik Deutschland hat als
Sonderversorgungsträger für das in der Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) aufgeführte Sonderversorgungssystem
Zugehörigkeitszeiten des Klägers zu diesem Sonderversorgungssystem vom 01. Juni
1961 bis zum 31. März 1990 und das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen
für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 7 Abs. 1 Satz 1
AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG festgestellt (Bescheide des
Bundesverwaltungsamtes vom 19. Dezember 1995 und 15. Oktober 1999 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2002). Hiergegen hat der Kläger Klage
erhoben. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen S 29 RA 7311/02 noch beim
Sozialgericht (SG) Berlin anhängig und ruht.
Mit Bescheid vom 08. Februar 1996 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente (AR)
wegen Arbeitslosigkeit für die Zeit ab 01. April 1994. Der Wert des Rechts auf AR wurde
mit Bescheid vom 19. Oktober 2000 rückwirkend zum 01. April 1994 neu festgestellt
(Zahlbetrag ab 01. Dezember 2000 = monatlich 1.700,41 DM). Der Widerspruch des
Klägers, mit dem dieser sich u.a. gegen die Höhe seiner bei der Rentenberechnung
berücksichtigten Entgelte während der Zeit der Zugehörigkeit zum
Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum AAÜG wandte, blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2003).
Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Änderung der
angefochtenen Rentenbescheide zu verurteilen, seine AR für die Zeit ab 01. April 1994
„auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Entgelte oberhalb der jeweiligen
Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet vorläufig neu zu berechnen und eine
entsprechende Nachzahlung vorläufig vorzunehmen, hilfsweise die Beklagte zu
verurteilen seine Rente ab 01. Juli 2004 auf der Grundlage der tatsächlich erzielten
Arbeitsentgelte oberhalb der jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet bis zur
allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen“. Das SG hat diese
Klage mit Urteil vom 24. Mai 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die
Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf
Neufeststellung seiner AR unter Berücksichtigung von beitragspflichtigen Entgelten
oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 6 zum AAÜG. Die
Beklagte habe bei der Rentenberechnung zutreffend § 7 Abs. 1 AAÜG i.V. mit Anlage 6
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Beklagte habe bei der Rentenberechnung zutreffend § 7 Abs. 1 AAÜG i.V. mit Anlage 6
zum AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S.
1939) angewandt. Danach seien der Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte bzw.
des Rangstellenwertes Arbeitsentgelte nur in Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts
im Beitrittsgebiet zugrunde zu legen. Die Begrenzung der zu berücksichtigenden
Arbeitsentgelte von Mitarbeitern des MfS auf das jeweilige Durchschnittsentgelt im
Beitrittsgebiet sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Verweis auf BVerfGE 100,
138, 178; BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 = BVerfGK 3, 270-273).
Eine neue verfassungsrechtliche Überprüfung sei nicht geboten, weil neue
rechtserhebliche Tatsachen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht
vorlägen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf seine Berufungsschrift
vom 03. Juli 2006 wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte
unter Änderung der Bescheide vom 08. Februar 1996 und 19. Oktober 2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2003 zu verurteilen, seine Altersrente
ab 01. April 1994 auf der Grundlage des tatsächlich erzielten Entgelte oberhalb der
jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet bis zur allgemeinen
Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen und eine entsprechende
Nachzahlung vorläufig vorzunehmen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, seine Rente
ab 01. Juli 2004 auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte oberhalb der
jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet bis zur allgemeinen
Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen,
ferner,
das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat mit Schriftsatz vom 25. Januar
2007 erklärt, dass die festgesetzten Rentenwerte in den angefochtenen Bescheiden im
Hinblick auf die noch nicht bestandskräftigen Überführungsbescheide des
Sonderversorgungsträgers als vorläufige anzusehen seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren
eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind
Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung
durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die
Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Denn die beim SG erhobene, auf
Festsetzung eines höheren Wertes des Rechts auf AR für die Zeit ab 01. April 1994,
hilfsweise ab 1. Juli 2004, gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54
Abs. 4 SGG ist bereits unzulässig.
Soweit sich der Kläger gegen den von der Beklagten zuerkannten monatlichen Wert
seiner AR für die Zeit ab 01. August 1994 wendet, ist die Klage hinsichtlich des
Rentenbescheides vom 08. Februar 1996 schon deshalb unzulässig, weil die
Wertfestsetzung in diesem Bescheid durch den nachfolgend ergangenen
wertfestsetzenden Verwaltungsakt im Bescheid vom 19. Oktober 2000 für die Zeit ab 01.
April 1994, d.h. in vollem Umfang, ersetzt worden ist; der Bescheid vom 08. Februar
1996 hat sich daher im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch –
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) - erledigt.
Auch die Klage gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2003 ist unzulässig. Für die Anfechtungsklage gilt
dies schon deshalb, weil der Kläger nicht klagebefugt ist. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG
19
dies schon deshalb, weil der Kläger nicht klagebefugt ist. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG
ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den
angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Die Klagebefugnis liegt somit nur vor,
wenn die Möglichkeit besteht, dass der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist. Dies kann
aber vorliegend von vornherein nicht der Fall sein. Denn der von dem Kläger geltend
gemachte Aufhebungs- bzw. Änderungsanspruch gegen die Beklagte kann ihm
frühestens dann zustehen, wenn der für versorgungsrechtliche Vorfragen allein
zuständige Sonderversorgungsträger bindend entschieden hat, ob dem Kläger im
Zeitpunkt der Überführung des Versorgungsrechts in das Rentenversicherungsrecht des
Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 ein Recht oder eine Anwartschaft auf
Versorgung nach dem bis dahin maßgeblichen und zu Bundesrecht gewordenen
Sonderversorgungsrecht des Beitrittsgebiets zustand, und wenn er außerdem in einem
so genannten Entgeltbescheid gemäß § 8 AAÜG die nach § 5 AAÜG gleichgestellten
Pflichtbeitragszeiten, die darin erzielten Entgelte und gegebenenfalls die tatsächlichen
Voraussetzungen einer besonderen Beitragsbemessungsgrenze unanfechtbar
festgestellt hat (vgl. BSG SozR 3-8570 § 14 Nr. 1; BSG SozR 3-8570 § 10 Nr. 4; BSG,
Urteil vom 29. Oktober 2002 – B 4 RA 22/02 R – veröffentlicht in juris). Solange – wie hier
– ein noch nicht unanfechtbar abgeschlossenes Verwaltungsverfahren über diese Fragen
bei einem Versorgungsträger anhängig ist, darf der Rentenversicherungsträger keine
abschließende Entscheidung über den Wert des Rechts auf Rente treffen. Erst nach
Abschluss des Verfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland als
Sonderversorgungsträger (SG Berlin – S 29 RA 7311/02 -) ist es der Beklagten möglich,
abschließend über den Wert des Rechts des Klägers auf AR für die Zeit ab 01. April 1994
zu befinden. Denn erst dann liegen die maßgeblichen Ausgangswerte endgültig fest. Der
Kläger kann daher gegenwärtig keine endgültige, sondern nur eine vorläufige
Wertfeststellung begehren. Dass es sich bei den angefochtenen
Rentenwertfestsetzungen um solche vorläufigen Feststellungen handelt, ist durch die
Erklärung der Beklagten vom 25. Januar 2007 klargestellt. Derartige vorläufige und
ausschließlich begünstigende einstweilige Verwaltungsakte können aber unter keinem
denkbaren rechtlichen Aspekt in Rechte des Klägers eingreifen; die Anfechtungsklage ist
somit mangels Klagebefugnis unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – B 4
RA 22/02 R -). Da der Kläger gegenwärtig auch keinen Anspruch auf eine abschließende
Entscheidung über den Wert seines Rechts auf AR haben kann, ist die Leistungsklage
ebenfalls unzulässig. Dies gilt auch, soweit der Kläger ausweislich seines in der
Berufungsschrift formulierten Antrages lediglich eine Verurteilung der Beklagten
erstrebt, seine AR „vorläufig“ nach Maßgabe der Berufungsanträge neu festzustellen.
Denn auch auf eine vorläufige Neufeststellung der AR in dem vom Kläger erstrebten
Sinne kann der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Rechtsanspruch
haben. Sie käme von vornherein nur dann in Betracht, wenn es ansonsten zu einer
Anwendungsbehinderung des gültigen Rechts bzw. einem Rechtsstillstand käme (vgl. für
einen derartigen Fall: BSG, Urteil vom 3. August 1999 – B 4 RA 24/98 R – veröffentlicht in
juris). Dies kann aber schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Beklagte bei ihrer
vorläufigen Wertfeststellung des Rechts auf AR das geltende Bundesrecht
beanstandungsfrei angewendet hat. Sie hat bei ihrer vorläufigen Rentenberechnung die
Entgeltpunkte des Klägers für dessen Zeit der Zugehörigkeit zum
Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum AAÜG – allein darüber besteht
zwischen den Beteiligten Streit – zutreffend ermittelt. Sie hat dabei die besondere
Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 4 i.V. mit § 7 Abs. 1 AAÜG und der Anlage 6
zum AAÜG angewendet. Diese besondere Beitragsbemessungsgrenze nach Maßgabe
der jeweiligen Durchschnittsverdienste in der DDR ist verfassungsgemäß, was durch die
bereits vom SG zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
bindend klar gestellt ist. Der Gesetzgeber war und ist von Verfassungs wegen nicht
verpflichtet, eine höhere Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen (vgl. zum Ganzen
auch BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 24/03 R = SozR 4-8570 § 7 Nr. 1).
Bei dieser Sach- und Rechtslage war ein Ruhen des Verfahrens bzw. dessen Aussetzung
nicht angezeigt. Ungeachtet dessen, dass bereits wegen der Unzulässigkeit des
Klagebegehrens in der Sache nicht abschließend über die Wertfestsetzung der AR des
Klägers zu befinden war, weist der Senat indes ergänzend darauf hin, dass auch bei
einer Sachentscheidung keine Gesichtspunkte erkennbar gewesen wären, die die
Grundlage der Entscheidungen des BVerfG zu § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG berührt und deren
Überprüfung nahe gelegt hätten. Soweit der Kläger vorträgt, es lägen neue Erkenntnisse
über die Einkommenssituation im MfS/AfNS vor, so sind diese rechtlich schlechterdings
nicht relevant. Zum einen beziehen sie sich auf Tatsachen, die bereits vor der
Entscheidung des BVerfG vom 28. April 1999 vorlagen. Zum anderen hat das BVerfG in
dieser Entscheidung mit bindender Wirkung nach § 31 Abs. 1
Bundesverfassungsgerichtsgesetz ausgeführt, dass es bei der Abgrenzung des von § 7
Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Anlage 6 AAÜG erfassten Personenkreises zur pauschalierenden
Einstufung und Bewertung der Tätigkeiten im Bereich des MfS/AfNS im Hinblick auf
20
21
Einstufung und Bewertung der Tätigkeiten im Bereich des MfS/AfNS im Hinblick auf
Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz weder einer Auswertung noch vorhandenen dienstinternen
Materials des MfS/AfNS noch sonstiger langwieriger Ermittlungen des Gesetzgebers zur
Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des beim MfS/AfNS erzielten
Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommens bedurfte (vgl. BVerfGE 100, 138, 179 = SozR
3-8570 § 7 Nr. 1 S 21; BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 24/03 R -). Auch eine
Entscheidung des Senats in der Sache hätte daher nur zur Zurückweisung der Berufung
führen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht
vor.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum