Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.08.2008

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 20.08.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 69 U 503/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 3 U 37/04 -16
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. Mai 2004 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der dem Kläger gewährten Verletztenrente ein höherer Jahresarbeitsverdienst (JAV) zugrunde zu legen
ist.
Der 1952 geborene Kläger war nach seinen Angaben etwa von 1975 bis 1988/1989 als Erzieher tätig und wurde
anschließend arbeitslos. Er habe dann etwa ab Sommer 1990 bis Januar 1991 bei der Deutschen Post eine von
vorneherein befristete Aushilfstätigkeit verrichtet. Ab Februar 1991 sei er mit Förderung der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte durch Zahlung von Übergangsgeld zum Floristen umgeschult worden. Die
Umschulung sollte etwa im Januar 1993 abgeschlossen werden.
Am 02. September 1992 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, als er beim Anbringen einer Blumendekoration mit einem
Rollgestell umkippte und aus ca. sechs Meter Höhe auf den Steinboden fiel. Wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls
erhielt der Kläger mit Bescheid vom 23. März 1995 ab dem 01. April 1995 eine Verletztenrente als Dauerrente nach
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v. H. Der JAV wurde auf 25.200,- DM festgesetzt und betrug
aufgrund der jährlichen Anpassungen zum Rentenbeginn 27.124,20 DM. Zur Erklärung hieß es, der JAV sei gemäß §
577 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf den Mindest-JAV 1992 nach § 575 Abs. 1 RVO festgesetzt worden, da
zwischen den Vortätigkeiten als Erzieher und Paketzusteller und der zum Unfall führenden Tätigkeit als
Umschüler/Florist kein sachlicher Zusammenhang bestehe. Dies ergab einen Monatsbetrag der zu zahlenden Rente in
Höhe von 602,76 DM. Den dagegen ohne Begründung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1995 zurück. Mit seiner dagegen bei dem Sozialgericht Berlin eingelegten
Klage, die unter dem Aktenzeichen S 68 U 1014/95 geführt wurde, begehrte der Kläger eine höhere Verletztenrente
unter Berücksichtigung einer höheren MdE und eines höheren JAV. Der Kläger war der Auffassung, der Berechnung
der Rente sei der JAV eines Erziehers, hilfsweise eines ausgelernten Floristen zugrunde zu legen. Im Termin zur
mündlichen Verhandlung erkannte die Beklagte das Vorliegen einer MdE von 50 v. H. ab dem 01. April 1995 an. Der
Kläger nahm das Anerkenntnis jedoch nicht an.
Durch Urteil vom 24. August 1999 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte ihrem Anerkenntnis entsprechend, dem
Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 23. März 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.
Oktober 1995 ab dem 01. April 1995 eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. statt 40 v. H. zu gewähren. Im
Übrigen wies es die Klage ab. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für das Begehren, für die Berechnung des JAV
das Einkommen eines gelernten Erziehers oder eines Floristen in Ansatz zu bringen.
Mit seiner dagegen bei dem Landessozialgericht Berlin eingelegten Berufung, die unter dem Aktenzeichen L 2 U 94/99
geführt wurde, beantragte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 60 v. H. und einem
höheren JAV, der nach § 577 RVO zu berechnen sei. Der JAV solle den vom Versicherten erreichten Lebensstandard
widerspiegeln, der insbesondere durch die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und seine Tätigkeiten
bestimmt würden. Er sei zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls ein Fachschulabsolvent mit entsprechender
Berufserfahrung gewesen. Nach seinem bisherigen Ausbildungs- und Berufsweg bestehe kein Zweifel, dass er die
Ausbildung als Florist erfolgreich beendet hätte. Dies ergebe sich auch aus dem Bescheid über die
Zwischenprüfungen. Es sei daher in erheblichem Maße unbillig, für die Rente einen Mindest-JAV zugrunde zu legen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2001 verpflichtete sich die Beklagte, der dem Kläger
gewährten Verletztenrente gemäß § 573 Abs. 1 RVO den JAV nach dem Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das 1993
für einen Floristen durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich gewesen sei. Der Kläger nahm das Anerkenntnis an.
Durch Urteil vom 13. Februar 2001 wurde die Berufung im Übrigen, soweit der Kläger die Gewährung der
Verletztenrente nach einer MdE von 60 v. H. ab dem 01. April 1995 begehrte, als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 02. April 2001 führte die Beklagte das Anerkenntnis aus. Allerdings ergab sich kein höherer JAV,
da nach dem Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Deutscher Floristen – Landesverband Berlin/Brandenburg – und
der Gewerkschaft Gartenbau vom 12. Mai 1992 bzw. dem Zentralen Lohntarifvertrag Nr. 14 die
Bruttomonatsvergütung nach der für den Kläger einschlägigen Vergütungsgruppe A2 im ersten Jahr der Tätigkeit
1.784,- DM betrage. Hinzuzurechnen seien 13,- DM vermögenswirksame Leistungen monatlich. Weitere Zulagen
ergäben sich nicht aus dem Tarifvertrag. Insgesamt mache dies einen JAV von 21.564,- DM aus. Dieser JAV
übersteige nicht den Mindest-JAV. Der durchgeführten rechnerischen Bestimmung des Vergleichs-JAV gemäß § 573
Abs. 1 RVO a. F. könne widersprochen werden. Den ohne Begründung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2001 zurück.
Mit seiner dagegen bei dem Sozialgericht Berlin eingelegte Klage hat der Kläger erneut geltend gemacht, die
Festsetzung des Mindest-JAV sei grob unbillig, denn er habe vor dem Arbeitsunfall als Paketzusteller monatlich
zwischen 3.500,- DM und 3.600,- DM verdient. Auch als Erzieher hätte er ohne Weiteres noch arbeiten und einen
höheren Verdienst erzielen können. Eine Bemessung des JAV nach dem Anfangsgehalt eines Floristen erscheine
unbillig. Erst eine Einstufung in die Tarifgruppe A4 entspräche wirtschaftlich der Tätigkeit als Paketzusteller der Post.
Da er keinen Vergleich mit der Beklagten über den JAV geschlossen habe, sondern diese ein Teilanerkenntnis
abgegeben habe, sei er nicht gehindert, Einwendungen gegen den Ausführungsbescheid zu erheben.
Durch Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger mit der Klage die Berechnung des JAV unter Zugrundelegung
einer Tätigkeit als Paketzusteller bzw. Erzieher anstrebe. Der Einlegung von Rechtsmitteln gegen den
Ausführungsbescheid vom 02. April 2001 stehe das vom Kläger angenommene Teilanerkenntnis der Beklagten
entgegen. Denn das angenommene Anerkenntnis erledige nach § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) insoweit die
Hauptsache. Gegen den das Anerkenntnis ausführenden Bescheid könne nur vorgebracht werden, dass der Bescheid
das Anerkenntnis nicht oder nur unvollständig umsetze. Dies werde von dem Kläger jedoch nicht vorgebracht, denn
ihm gehe es in erster Linie um die Zugrundelegung eines JAV nach billigem Ermessen gemäß § 577 RVO. Damit
würden von ihm Rechtsfolgen angestrebt, die gerade nicht Gegenstand des angenommenen Teilanerkenntnisses
gewesen seien. Dieses habe sich entsprechend seines eindeutigen Wortlauts auf die Zugrundelegung eines JAV nach
§ 573 Abs. 1 RVO in Bezug auf eine Tätigkeit als Florist bezogen. Mit seiner dagegen eingelegten Berufung macht
der Kläger wiederum geltend, der JAV sei nach seinen Vortätigkeiten als Erzieher bzw. Paketzusteller gemäß § 571
RVO zu berechnen.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 02. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2001
zu verurteilen, den der Verletztenrente zugrunde liegenden Jahresarbeitsverdienst auf der Grundlage eines
Arbeitsentgelts eines Erziehers oder eines Paketzustellers zu berechnen und ihm ab Rentenbeginn eine höhere
Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsakten sowie auf die Verfahrensakten des Sozialgerichts Berlin S 68 U 1014/05/ L 2 U 94/99
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen
Anspruch darauf, der Berechnung seiner Verletztenrente einen höheren JAV zugrunde zu legen. Dem Senat liegt
keine anfechtbare Entscheidung der Beklagten über die Höhe des JAV vor, die der Senat in dem vom Kläger
gewünschten Sinne überprüfen könnte.
Der Kläger wendet sich seit dem Erlass des Bescheides vom 23. März 1995 über die Gewährung einer
Verletztenrente ab dem 01. April 1995 gegen die Höhe der Rente. Die Höhe der Verletztenrente wird gemäß § 56 Abs.
3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) bzw. dem bis zum 31. Dezember 1996 geltenden § 581 Abs. 1 RVO von
der MdE und dem JAV bestimmt.
Bei der MdE und dem JAV handelt es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände, über deren Höhe die Beklagte
verbindliche Entscheidungen zu treffen hat. Dies hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 23. März 1995 getan. Sie
hat eine MdE von 40 v. H. und einen Mindest-JAV von 25.200,- DM, angepasst zum Rentenbeginn auf 27.124,20 DM,
nach § 577 i. V. m. § 575 RVO festgestellt und der Berechnung der Verletztenrente zugrunde gelegt.
In der mündlichen Verhandlung des Landessozialgerichts Berlin vom 13. Februar 2001 in dem Verfahren L 2 U 94/99
hatte der Vertreter der Beklagten ein Anerkenntnis zur Höhe des JAV abgegeben, mit dem er sich verpflichtete, den
JAV nach § 573 Abs. 1 RVO zu berechnen und dazu das 1993 für einen Floristen durch Tarif festgesetzte oder sonst
ortsübliche Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Dieses Anerkenntnis hatte die Bevollmächtigte des Klägers
angenommen. Der Kläger muss sich deren Prozesshandlungen zurechnen lassen, denn er hatte die Rechtsbeiständin
dazu ausdrücklich bevollmächtigt (§ 73 Abs. 3 S. 2 SGG). Bei dem Anerkenntnis handelte es sich nur deshalb um ein
Teilanerkenntnis, weil es allein den Streitgegenstand "JAV" betraf, während über den weiteren Streitgegenstand
"MdE" noch durch Urteil zu entscheiden war. Durch das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten
Anspruchs auf einen höheren JAV hatte sich insoweit der Rechtsstreit erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Dementsprechend
hatte der Kläger sein Berufungsbegehren auf eine höhere MdE beschränkt. In dem Urteil des Landessozialgerichts
Berlin vom 13. Februar 2001 wurde auch nur dieses Begehren geprüft. Außerdem wurde die Beklagte wegen des
Teilanerkenntnisses verpflichtet, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Durch Bescheid vom 02. April 2001 hat die Beklagte das Anerkenntnis ausgeführt. Sie hat zutreffend erkannt, dass
der JAV bei Zugrundelegung eines Arbeitsentgelts als Florist im ersten Jahr der Tätigkeit nach der Vergütungsgruppe
A2 des Tarifvertrags zwischen dem Fachverband Deutscher Floristen und der Gewerkschaft Gartenbau vom 12. Mai
1992 einschließlich vermögenswirksamer Leistungen 21.564,- DM beträgt. Ein höheres Arbeitsentgelt ergibt sich auch
nicht aus dem Zentralen Lohntarifvertrag Nr. 14 für Floristen vom 13. März 1992. Es liegen außerdem keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass das ortsübliche Arbeitsentgelt höher ist. Damit würde nach dem Anerkenntnis der
Beklagten dem Kläger nur ein geringerer als der zuerkannte JAV zustehen. Zugunsten des Klägers ist die Beklagte
deshalb weiter von dem höheren Mindest-JAV ausgegangen. Weitergehende Ansprüche kann der Kläger bei einem
Ausführungsbescheid wie dem hier angefochtenen nicht geltend machen. Denn dieser enthält grundsätzlich keine
Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), soweit die Beklagte nur der
eingegangenen Verpflichtung entspricht, was hier der Fall ist (Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 18.
September 2003 – B 9 V 82/02 B -, zitiert nach juris; von Wulffen/Engelmann, SGB X, 4. Auflage 2001, § 31 Rdnr. 30
m. w. N.). Die Beklagte hat den Kläger deshalb zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Bescheid vom 02. April
2001 nur hinsichtlich der rechnerischen Bestimmung des JAV widersprochen werden könne, die der Kläger jedoch
nicht angreift.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.