Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 18.05.2006

LSG Berlin und Brandenburg: ddr, anerkennung, verbrechen gegen die menschlichkeit, verfolgter, kommission, gerichtsakte, beschwerderecht, verwaltungshandeln, eigenschaft, faschismus

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 18.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 16 RA 326/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 21 RA 250/03
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht
zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zuerkennung eines gegen die Beigeladene zu 2) gerichteten Rechts auf
Bewilligung einer Entschädigungsrente.
Nach seinen eigenen Angaben und den in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten vorliegenden Beschreibungen
anderer Personen wurde der 1940 geborene Kläger im Frühjahr 1942 seiner polnischen Mutter zwangsweise entzogen,
nachdem sich diese geweigert hatte, die so genannte Volksliste in Polen zu unterzeichnen. Der leibliche Vater des
Klägers war 1941 aus der Deutschen Wehrmacht desertiert und ist seitdem verschollen. Der Kläger wurde zunächst in
einem Kinderheim untergebracht und kam 1942 zu deutschen Pflegeeltern. Die leibliche Mutter war bis zum Ende des
Krieges in einem Konzentrationslager inhaftiert; sie verstarb im Jahr 1971, ohne dass der Kläger - trotz Suchhilfen
durch das Rote Kreuz - wieder Kontakt zu ihr finden konnte.
Der Kläger bezieht seit Oktober 1996 von der Beigeladenen zu 2) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und seit
November 2005 eine Regelaltersrente.
Am 04. Januar 1976 hatte der Kläger sich an den Rat des Kreises Potsdam der ehemaligen DDR gewandt und die
Feststellung der Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes - VdN - begehrt. In einer mündlichen Verhandlung vom
05. Februar 1976 wurde ihm nach eigener Schilderung nach geheimer Beratung der Kommission mitgeteilt, eine
Anerkennung als VdN könne nicht erfolgen, weil die vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten.
Der Kläger wandte sich 1992 an die Beklagte und begehrte eine Entschädigung nach dem
Entschädigungsrentengesetz - EntschRG -. Nachdem die Beklagte dem Kläger mitgeteilt hatte, dass ein Anspruch
nach dem EntschRG nicht bestünde und angeboten hatte, den Antrag zur Prüfung weiterer Entschädigungsleistungen
an das zuständige Bundesfinanzministerium abzugeben, leitete die Beklagte die Unterlagen an die Oberfinanzdirektion
Köln weiter. Am 05. Mai 1997 wandte der Kläger sich erneut an die Beklagte mit der Bitte um erneute Prüfung seiner
Ansprüche nach dem EntschRG. Er trug vor, dass sein Antrag damals im Beitrittsgebiet nicht nach den
anzuwendenden Richtlinien bearbeitet worden sei. So sei kein schriftlicher Verwaltungsakt erteilt und nicht auf ein
Beschwerderecht hingewiesen worden. Vom Deutschen Roten Kreuz der DDR sei ein Suchauftrag bewusst oder
unbewusst nicht korrekt bearbeitet worden. Ihm sei damit die Chance genommen worden, damals eine besser
fundierte Antragstellung vorzubereiten. Er reichte u. a. ein Gutachten des Hochschuldozenten Dr. phil. et. med. habil.
G Lvom 29. März 1995, ein Gutachten des Prof. Dr. med. W G vom 23. August 1996 sowie Ablichtungen von
Publikationen zur Gerichtsakte.
Nachdem die Beigeladene zu 1) mit Beschluss vom 15. Dezember 2000 der Beklagten vorgeschlagen hatte, den
Antrag des Klägers auf Bewilligung eines Rechts auf den Bezug einer Entschädigungsrente abzulehnen, lehnte die
Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 2001 den Antrag des Klägers ab und folgte dem Vorschlag der Beigeladenen
zu 1). Der Kläger gehöre nicht zu dem Personenkreis, bei dem am 30. April 1992 nur deshalb nicht die
Voraussetzungen für den Bezug einer Entschädigungsrente erfüllt gewesen seien, weil ihm die Anerkennung der
Eigenschaft als VdN in der DDR in mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder den Regelungen des Einigungsvertrages
unvereinbarer Weise vorenthalten worden sei. Der Kläger sei aus Sicht der DDR-Organe nicht als objektiv Verfolgter
anzuerkennen gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach der Verwaltungspraxis der DDR aus Sicht der
DDR-Organe objektiv Verfolgter gewesen sei, seien nicht gegeben. Mangels solcher Anhaltspunkte habe auch kein
Erfordernis bestanden, den Kläger bei der Beschaffung von Dokumenten aus der NS-Zeit zu unterstützen.
Verfahrensverstöße, wie etwa die Nichtweiterleitung eines Antrages und die unterlassenen Informationen über das
Beschwerderecht, führten nicht zur Annahme der Rechtsstaatswidrigkeit der Entscheidung der DDR-Organe. Dies
gelte auch für die mündliche Ablehnung eines Antrages.
Mit seinem Widerspruch vom 20. März 2001 verfolgte der Kläger sein Anliegen unter Berufung auf das
Bundesentschädigungsgesetz - BEG - weiter. Seine Verfolgung sei nach den vorgelegten Gutachten bestätigt. Die
Gruppenverfolgung von Kindern sei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Er könne auch nicht die
Behauptung hinnehmen, dass die DDR-Behörden nicht verpflichtet gewesen seien, ihm zu helfen. Er sei 1970 aus der
SED ausgetreten und nach der damaligen Diktion ein Arbeiterverräter und im Visier des Ministeriums für
Staatssicherheit in der ehemaligen DDR - MfS - dort auch aktenmäßig erfasst gewesen. Über ihn sei noch 1981 ein
IM-Bericht gefertigt worden.
Die Beklagte wies mit Bescheid vom 25. April 2001 den Widerspruch zurück. Sinn und Zweck der gesetzlichen
Regelung zur Neubewilligung von Entschädigungsrentenleistungen nach dem EntschRG sei die Gleichstellung von
allen NS-Verfolgten im Beitrittsgebiet gewesen. Diejenigen ehemaligen DDR-Bürger, die von dem DDR-Staat keine
Wiedergutmachung aus nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbarenden Gründen erhalten hätten, sollten
mit dem Gesetz denjenigen gleichgestellt werden, die Wiedergutmachungsleistungen erhielten. Der Gesetzgeber habe
das BEG nicht wieder in Kraft gesetzt. Die Bewilligung einer Entschädigungsrente scheitere bereits daran, dass keine
Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Kläger aus Sicht der zuständigen DDR-Organe objektiv Verfolgter im Sinne
bereits geltender Gesetze gewesen sei.
Mit seiner am 11. Mai 2001 vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren
weiterverfolgt und zur Begründung geltend gemacht, es sei keineswegs so, dass eine Verschleppung durch das NS-
Regime, von der auch die Beklagte ausgehe, von vornherein nicht unter die Katalogtatbestände fiele. Eine
Freiheitsentziehung habe jedenfalls vorgelegen, wenn nicht über den Aufenthaltsort habe disponiert werden können.
Seine Verschleppung in eine nationalsozialistische Erziehungsanstalt sei durchaus mit anderen
Verfolgungsschicksalen vergleichbar. Die damals anzuwendenden Richtlinien hätten in § 8 der Richtlinien eine
Öffnungsklausel enthalten, wonach eine Abweichung aus zwingenden Gründen möglich gewesen sei. Es bestünden
auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die zuständigen Behörden der DDR seine Verfolgteneigenschaft für
ausgeschlossen gehalten hätten. Sein Antrag sei damals vielmehr mit der Begründung abgelehnt worden, dass die
eingereichten Unterlagen für eine VdN-Anerkennung nicht ausreichend gewesen seien. Dabei sei zu berücksichtigen,
dass nach § 6 Abs. 2 der Richtlinien ein Anspruch auf Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes ohnehin nicht
bestanden habe. Es habe auch Veranlassung bestanden, bei der Beschaffung von Dokumenten aus der NS-Zeit
Unterstützung zu gewähren. § 3 EntschRG sei nicht dahingehend zu verstehen, dass nur ein Anspruchstatbestand für
jene Verfolgte geschaffen worden sei, die von den zuständigen Behörden der DDR ausdrücklich als Verfolgte
anerkannt worden seien. Das EntschRG habe ausdrücklich auch jene Personen erfassen wollen, die als Verfolgte
anzuerkennen gewesen wären, wenn nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gehandelt worden wäre. Die Anwendung
rechtsstaatlicher Grundsätze hätte es erfordert, ihn bei der Beschaffung der notwendigen Unterlagen zur
Glaubhaftmachung seiner Verfolgteneigenschaft zu unterstützen. Zudem hätte die Entscheidung zugestellt werden
müssen. Die Entscheidung der DDR-Behörden habe sowohl unter materiellen als auch unter formellen
Gesichtspunkten fundamental gegen Grundsätze des Rechtsstaates verstoßen.
Die Beklagte hat vorgetragen, unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabes des Bundessozialgerichts - BSG -
habe die Entscheidung der DDR-Behörden nicht fundamental gegen die Grundsätze des Rechtsstaates verstoßen.
Nach § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG komme es entscheidend darauf an, ob die Behörden von einer Verfolgung
ausgegangen seien und ob rechtsstaatswidrige Gründe sie motiviert hätten, die Anerkennung gleichwohl zu
verweigern. Dies liege nicht vor. Die damals geltenden Richtlinien hätten an eine Inhaftierung durch das NS-Regime,
an besondere Widerstandsleistungen sowie an Verfolgungsmaßnahmen angeknüpft. Nach § 2 der Richtlinien habe
man unter Haft eine Freiheitsstrafe oder auch sonstige Form der Freiheitsentziehung verstanden. Aus der
Auffangvorschrift des § 8 VdN-Richtlinie folge nichts anderes. Die Anwendung dieser Vorschrift sei für die Frage, ob
die DDR-Verwaltung von einer Verfolgung objektiv ausgegangen sei, nicht maßgeblich. Denn es habe sich gerade um
eine Ausnahmevorschrift gehandelt, die es ermöglicht habe, von der regulären Verwaltungspraxis abzuweichen. Eine
darauf gestützte Anerkennung sei also nicht die Regelverwaltungspraxis gewesen. Selbst bei Anwendung der
Vorschrift ergebe sich kein anderes Ergebnis. Ein darin gefordertes vergleichbares Verfolgungsschicksal liege bei
dem Kläger nicht vor. Das EntschRG beabsichtige nicht die Wiedergutmachung aller NS-Gewaltverbrechen. Auch
soweit der Kläger fehlerhaftes Verwaltungshandeln anführe, läge kein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze vor.
Die damalige Verfahrenspraxis bei dem Kläger habe zwar nicht unbedingt heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben
entsprochen. Diese Fehler seien aber nicht als grob rechtsstaatswidrig zu werten. Ein Mindestmaß rechtsstaatlichen
Verfahrens sei im Übrigen auch dadurch gewahrt worden, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Gremium des
Rates der Stadt P stattgefunden habe.
Die Beigeladenen haben sich vor dem Sozialgericht der Auffassung der Beklagten ange-schlossen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. September 2003 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die
Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers nach dem allein in Betracht kommenden § 3 Abs. 1 Buchstabe b
EntschRG seien nicht erfüllt. Es sei unerheblich, ob der Kläger bei nachträglicher objektiver Betrachtung die
Voraussetzungen der VdN-Richtlinien für die Anerkennung der Verfolgteneigenschaft erfüllt hatte. § 3 Abs. 1
Buchstabe b EntschRG erfasse nur Verfolgte, deren Anerkennungsanträge in der DDR trotz schlüssiger Anerkennung
der Verfolgteneigenschaft aus rechtsstaatswidrigen Gründen abgelehnt worden seien. Die VdN-Richtlinie sei daher
kein anwendbares sekundäres Bundesrecht. Eine inhaltliche Überprüfung am Maßstab der DDR-Regelungen finde
nach dem EntschRG nicht statt. Eine ausdrückliche oder schlüssige Willensbekundung der DDR-Organe, der Kläger
sei von den Nationalsozialisten verfolgt worden oder Widerstandskämpfer im Sinne der Richtlinien gewesen, liege
nicht vor. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Willkürmaßnahme bei der Ablehnung der
Anträge des Klägers durch die DDR-Organe vor.
Gegen das ihm am 24. September 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Oktober 2003 Berufung eingelegt, mit
der er sein Begehren weiterverfolgt. Er macht geltend, es sei nicht unerheblich, ob er bei nachträglich objektiver
Betrachtung die Voraussetzungen nach den damals anzuwenden Richtlinien erfüllt gehabt hatte. Dem
Bundesgesetzgeber sei es darauf angekommen, mit dem EntschRG den NS-Verfolgten, die in der DDR haben leben
müssen, jedenfalls rechtsgrundsätzlich gleichartige Wiedergutmachungsrechte zukommen zu lassen. Deshalb komme
es darauf an, ob die Anerkennungsbehörden die Verfolgteneigenschaft eines bestimmten Verfolgten schlüssig
anerkannt hätten, um sodann dessen Verfolgteneigenschaft aus rechtsstaatswidrigen Gründen abzulehnen. Das
EntschRG könne seine Funktion, die NS-Verfolgten im wiedervereinigten Deutschland rechtlich im Wesentlichen
gleichzustellen, nur dann erfüllen, wenn gerade nicht auf die ausdrückliche oder schlüssige Anerkennung als NS-
Verfolgter durch DDR-Behörde abgestellt werde. Ein solches Verständnis folge auch aus der Wortlautinterpretation.
Die Auffassung des Sozialgerichts, das Merkmal einer Rechtsstaatswidrigkeit einer Ablehnung sei nur dann erfüllt,
wenn gegen elementare Rechtsgrundsätze verstoßen worden sei, lasse all jene Fälle außer Acht, in denen eine
Anerkennung der Verfolgteneigenschaft durch die Behörden der DDR gerade nicht gewollt gewesen sei. Soweit das
Sozialgericht der seinerzeitigen Entscheidung der zuständigen Organe der DDR keine Anhaltspunkte für eine
schlüssige Anerkennung seiner Verfolgteneigenschaft habe entnehmen können, wälze es ihm, dem Kläger, eine nicht
zu tragende Beweislast auf. Das Gesetz verlange weiter nicht eine Willkürmaßnahme der DDR-Organe. Es erscheine
höchst fragwürdig, ob eine Anerkennungspraxis, die bestimmte Verfolgtengruppen unberücksichtigt gelassen habe,
mit den Grundsätzen des Rechtsstaates zu vereinbaren gewesen sei. Würden jene Verfolgte, denen die Anerkennung
in der DDR aus politischen Gründen versagt geblieben sei, nunmehr anerkannt, so würde dem Ziel der
Gleichbehandlung der NS-Verfolgten im wiedervereinigten Deutschland Rechnung getragen. Stelle man hingegen mit
dem Sozialgericht allein auf Fälle der schlüssigen oder ausdrücklichen Anerkennung der Verfolgteneigenschaft und
sodann rechtsstaatswidrige Ablehnung der Anerkennung ab, so liefe die Norm des EntschRG letztlich leer. Nach der
Rechtsposition der Beklagten wäre eine Anerkennung eines Verfolgten auf der Grundlage des § 3 Satz 1 Buchstabe b
EntschRG tatsächlich nahezu undenkbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar
2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm
- dem Kläger - ein Recht auf Entschädigungsrente gegen die Beigeladene zu 2) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und führt in Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrags aus, mit
dem EntschRG sei nicht die Wiedergutmachung aller NS-Gewaltverbrechen beabsichtigt. Der Umfang des
tatbestandlichen Anwendungsbereiches und insbesondere der Einschränkungen im Entschädigungsrecht seien
politische Fragen, die nur der Gesetzgeber lösen könne.
Die Beigeladene zu 1) beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Unzutreffend sei der Vortrag des Klägers, dass eine Bewilligung nach § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG unter
Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabs des Sozialgerichts kaum denkbar wäre. Seit Inkrafttreten des EntschRG
seien rund 90 Bewilligungen und die meisten nach § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG ausgesprochen worden. Dabei
seien u. a. Personen betroffen gewesen, die in der NS-Zeit der Glaubensgemeinschaft der ernsten Bibelforscher
(später Zeugen Jehovas) angehört hätten. Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft seien von den
Nationalsozialisten verfolgt worden und hätten sich zum Teil über mehrere Jahre in Haft befunden. Sie seien in der
DDR wegen ihres Glaubens nicht als Verfolgte anerkannt worden. Gleiches habe auch für Personen gegolten, die
aufgrund ihrer politischen Überzeugungen von den Nationalsozialisten verfolgt und über längere Zeit inhaftiert worden
seien.
Die Beigeladene zu 2) schließt sich den Ausführungen der Berufungsbeklagten an und beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen. Sie hat den Bescheid über die Bewilligung einer Regelaltersrente vom 16. Oktober 2005
zur Gerichtsakte gereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten
(Aktenzeichen ) und der Beigeladenen zu 2) (Aktenzeichen ) sowie auf die Gerichtsakte verwiesen, die vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen; der angefochtene
Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Zuerkennung eines Rechts gegen die Beigeladene zu 2) auf Zahlung einer
Entschädigungsrente nach dem Gesetz über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet
vom 22. April 1992 - EntschRG - (BGBl I S. 906). Soweit der Kläger im Verwaltungsverfahren auch Ansprüche nach
den Richtlinien für eine ergänzende Regelung über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im
Beitrittsgebiet vom 13. Mai 1992 - EntschRL - (BAnz. Nr. 95 S. 4186, Aichberger II Nr. 130 a) geltend gemacht hat,
sind diese nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden; hierüber hat die Beklagte nicht entschieden; ein
Antragsverfahren läuft beim Bundesfinanzministerium als dafür zuständige Stelle (§ 8 EntschRL).
Zu Recht hat die Beklagte die Bewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente nach dem EntschRG abgelehnt. Der
Kläger hat bis zum 30. April 1992 keine Ehrenpension nach der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen
den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene vom 20. September 1976
(vertrauliche Dienstsache - VD 26/19/76) bezogen, so dass ein Anspruch auf eine Entschädigungsrente nach § 2
EntschRG nicht besteht. Da der Kläger in der Zeit vom 01. März 1990 bis 02. Oktober 1990 weder als Verfolgter nach
§ 2 der Anordnung über Ehrenpensionen anerkannt war, ihm auch keine Ehrenpension entzogen oder die Eigenschaft
als Verfolgter aberkannt worden ist, kommt für einen Anspruch auf ein Recht auf Bewilligung einer
Entschädigungsrente als gesetzliche Grundlage nur § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG in Betracht.
Danach erhalten Personen, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Entschädigungsrente nur deshalb nicht
erfüllen, weil sie eine Ehrenpension oder Hinterbliebenenpension am 30. April 1992 nicht bezogen haben, eine
Entschädigungsrente, wenn sie die Voraussetzungen für die Anerkennung der Eigenschaft als Verfolgte erfüllt haben
und die Ablehnung der Anerkennung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des
Einigungsvertrages unvereinbar war. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Voraussetzung dafür ist
nämlich, dass ein Verhalten der mit der Anerkennung als VdN befassten Organe der ehemaligen DDR vorliegen muss,
welches in der Weise zu verstehen ist, dass die Voraussetzungen für den Verfolgtenstatus in der DDR von den
Organen anerkannt worden sind, die Anerkennung aus Gründen, die mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht vereinbar
sind, abgelehnt worden ist (BSG, Urteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 33/95, BSGE 80, 54 - 71). Dies folgt aus der
Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des EntschRG.
In § 2 EntschRG werden die Leistungsbezieher in der ehemaligen DDR aufgrund eines anerkannten Verfolgungsstatus
hinsichtlich eines Rechts auf Entschädigungsrente erfasst. Sinn und Zweck des § 3 EntschRG ist es, über das Recht
auf Neubewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente Verfolgte des Nationalsozialismus, die in der DDR leben
mussten, gleichartige Wiedergutmachungsrechte unter Berücksichtigung eines Bestandschutzes hinsichtlich der
Leistungen, die in der ehemaligen DDR vorgesehen waren (§ 1 EntschRG), zuzuerkennen. Alle NS-Verfolgten, die im
Beitrittsgebiet gelebt haben, sollen untereinander "wiedergutmachungsrechtlich" möglichst gleichgestellt werden
können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der DDR von vornherein nach den maßgeblichen Richtlinien (Richtlinie
für die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes vom 10. Februar 1950 - VdN-RL – [GVBL S. 92]) nicht alle Opfer
nationalsozialistischer Verfolgung zu entschädigen waren, sondern in § 1 VdN-RL 18 Fallgruppen genannt waren und
mit § 8 VdN-RL ein Auffangtatbestand geschaffen war. Mit § 3 EntschRG ist nicht die nachträgliche Erfassung und
Entschädigung von in der DDR anzuerkennenden Verfolgten des Naziregimes bezweckt. Es sollte für diejenigen
Personen eine (Neu-)Bewilligung einer Entschädigungsrente ermöglicht werden, denen eine Ehrenpension in
rechtsstaatswidriger Weise versagt oder eine bereits zuerkannte Entschädigungsleistung rechtsstaatswidrig entzogen
worden ist (BT-Drucks. 12/1790, S. 5). § 3 EntschRG stellt in Ergänzung zu § 2 EntschRG diesen Berechtigten die
Personen gleich, denen in rechtsstaatlich oder in nach dem Einigungsvertrag unerträglicher Weise eine Zuerkennung
eines Entschädigungsrechts verweigert worden ist, obwohl ihr Status als Berechtigter ausdrücklich oder schlüssig
anerkannt war und knüpft damit an die Gründe für die Nichtgewährungsentscheidung der DDR an (BT-Drucks.
12/1790, S. 6 zu § 3 EntschRG; BSG, Urteil vom 30. Januar 1997, Aktenzeichen 4 RA 33/95, a.a.O.). Damit
überhaupt ein rechtsstaatswidriges Ablehnungsverhalten festgestellt werden kann, muss durch Organe der
ehemaligen DDR erkennbar geworden sein, dass die entscheidende Stelle objektiv von der Verfolgteneigenschaft
ausgegangen ist (BSG, a.a.O.). Anderenfalls wären rechtstaatswidrige Gründe, sofern sie vorliegen, von vornherein
nicht kausal für die Ablehnung geworden. Deshalb muss ein Verhalten der DDR-Organe im Zusammenhang mit der
Feststellung des Verfolgtenstatus des Klägers vorliegen, aus dem zu erkennen ist, dass objektiv von der
Verfolgteneigenschaft des Klägers ausgegangen worden ist. Es kommt, was der Kläger verkennt, nicht darauf an, ob
aus heutiger Sicht und Sicht der für die Gewährung einer Leistung nach dem EntschRG zuständigen Stellen nach den
Gegebenheiten in der ehemaligen DDR eine Anerkennung als VdN zu erfolgen hatte oder möglich war. Dies kann
allenfalls ein Indiz bei der Überprüfung eines Verhaltens der DDR-Organe gegenüber dem Kläger dahingehend sein, ob
ein solches Verhalten in der Weise zu werten ist, dass diese ausdrücklich oder schlüssig von der
Verfolgteneigenschaft des Klägers ausgegangen sind. Nicht entscheidend ist, ob die zuständigen Stellen der
ehemaligen DDR die Anerkennung des Klägers als VdN für ausgeschlossen gehalten haben.
Ein solches Verhalten von DDR-Organen gegenüber dem Kläger lässt sich nicht feststellen. Der Kläger hat bei der
Beklagten bei der Beantragung der streitgegenständlichen Leistung ein von ihm gefertigtes Erinnerungsprotokoll über
den Ablauf der Verhandlung über seinen Antrag auf Anerkennung als VdN in der ehemaligen DDR/Eingabe vom 04.
Januar 1976 eingereicht. Danach war er am 05. Februar 1976 zu einer mündlichen Verhandlung in das Referat für
Verfolgte des Naziregimes in P eingeladen. Die Verhandlung fand vor einer Kommission von ca. 15 Personen statt.
Der Vorsitzende hat die Angaben des Klägers verlesen und ihn danach gefragt, ob weitere Unterlagen vorhanden
seien. Nach einer geheimen Beratung wurde dem Kläger durch den Vorsitzenden im Namen der Kommission das tiefe
Bedauern über sein Schicksal ausgedrückt und die Ablehnung der Anerkennung damit begründet, dass die
eingereichten Unterlagen für die Feststellung der Anerkennung als VdN nicht ausreichend gewesen seien. Der Bitte
des Klägers, ihn bei der Beschaffung von Beweisen aus Polen zu unterstützen, wurde entgegnet, dass dazu die
Kommission nicht berechtigt sei.
Aus dieser Beschreibung der Verfahrungsabläufe ergibt sich nicht, dass die Kommission davon ausgegangen ist,
dass der Kläger als VdN anzuerkennen war, vielmehr wurde gerade die Entscheidungsgrundlage für nicht ausreichend
erachtet.
Ein weiteres Verhalten staatlicher Stellen im Zusammenhang der von dem Kläger begehrten Anerkennung als VdN,
das darauf schließen lassen würde, dass die DDR-Organe davon ausgegangen sind, dass der Kläger - und nicht
andere Personen in vergleichbarer Lage - aufgrund der VdN-Richtlinien von den Nationalsozialisten verfolgt worden ist,
hat der Kläger nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen. Mangels
Vorliegens eines ausdrücklichen oder schlüssigen Anerkennungsverhaltens staatlicher Stellen der DDR bezogen auf
den Kläger ist damit ein Anspruch nach § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG schon ausgeschlossen.
Selbst bei Annahme eines schlüssigen "Anerkennungsverhaltens" fehlte es an Anhaltspunkten dafür, dass die Gründe
für die Ablehnung der Anerkennung des Status als VdN in der ehemaligen DDR mit rechtsstaatlichen Grundsätzen
oder mit Regelungen des Einigungsvertrages nicht vereinbar gewesen sind. Dass eine nicht ausreichende
Entscheidungsgrundlage zur Ablehnung eines Antrages führt, verstößt nicht gegen Grundsätze des Rechtsstaats,
selbst wenn in der mangelnden Aufklärung ein Verfahrensfehler gelegen haben sollte. Ein Verstoß gegen die in § 3
Abs. 1 Buchstabe b EntschRG genannten Grundsätze des Rechtsstaats erfordert nämlich eine Verletzung der
unabänderlichen Kerngehalte des Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes - GG - , z.B. ein Verstoß gegen das
Verbot, die Menschenwürde und die im GG näher ausgestalteten unveräußerlichen Menschenrechte in ihrem
Kerngehalt zu verletzen, eine Verletzung des Gebots der Sachgerechtigkeit staatlichen Verhaltens, eine Verletzung
des Gebots, Entscheidungen nicht aufgrund sachfremder Erwägungen zu treffen sowie ein Verstoß gegen das
Willkürverbot (BSG, Urteil vom 30. Januar 1997, 4 RA 33/95 a.a.O.). Ein Verstoß gegen weitere rechtsstaatliche
Grundsätze wie Verfahrens- und Mitwirkungsrechte im Verwaltungsverfahren reicht für die Annahme eines Verstoßes
gegen die Grundsätze des Rechtsstaates nicht aus (BSG, a.a.O.). Dies folgt allein aus der Bezugnahme auf Art. 19
Einigungsvertrag in § 3 Abs. 1 Buchstabe b EntschRG, nach dem Verwaltungsakte der DDR auch nach dem Beitritt
zum 03. Oktober 1990 wirksam bleiben, selbst wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen
des Einigungsvertrages unvereinbar sind. Dies schließt die Bestandskraft auch formell rechtswidriger Verwaltungsakte
mit ein. Das EntschRG knüpft an die vorrechtsstaatliche Normalsituation in der DDR an. Anderenfalls gäbe es keine
belastenden Staatsakte der DDR, denen Bestand zukommen könnte. Der Vortrag des Klägers, eine unzuständige
Stelle habe über seinen Antrag auf Anerkennung des VdN-Status entschieden, zudem sei kein schriftlicher
Verwaltungsakt erlassen worden, beschreibt daher keinen Verstoß gegen solche Grundsätze des Rechtsstaates. Dies
gilt auch soweit der Kläger vorträgt, dass er nicht auf ein Beschwerderecht hingewiesen worden ist. Zudem trägt der
Kläger damit auch keine Gründe für die Ablehnung seines Antrages durch DDR-Organe vor, sondern beschreibt ein
fehlerhaftes Verwaltungshandeln. Dass die Ablehnung im Februar 1976 mutmaßlich weltanschaulich oder "politisch"
motiviert und damit willkürlich war (BSG, a.a.O.), hat der Kläger nicht dargelegt. Soweit er vorträgt, dass er wegen
seines Austritts aus der SED im Visier des MfS gestanden habe und ihm deshalb bei den weiteren Ermittlungen des
Sachverhalts zur Anerkennung des VdN-Status nicht geholfen worden sei, nimmt er wiederum Bezug auf ein
fehlerhaftes Verwaltungshandeln. Im Übrigen hat der Kläger nach der erstmaligen Ablehnung seines Antrages durch
DDR-Organe mit Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes in der DDR versucht, Unterlagen zu beschaffen, ohne dass ihn
daran offenbar Organe der DDR gehindert haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.
Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.