Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.02.2008

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, ärztliches gutachten, zumutbare arbeit, vollziehung, rechtsschutz, verweigerung, arbeitsbedingungen, gesundheitszustand, bestimmtheit, zumutbarkeit

1
2
3
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 10 B 445/08 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 1 Nr 1 SGB 2, § 16 Abs
3 S 2 SGB 2 vom 19.12.2007, §
31 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst d SGB
2
Absenkung des Arbeitslosengeld II - Verweigerung eines Ein-
Euro-Jobs - Unbestimmtheit des Arbeitsangebotes -
Verantwortung des Grundsicherungsträgers - Zumutbarkeit der
Arbeitsgelegenheit - Beurteilung des Leistungsvermögens
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt
(Oder) vom 11. Februar 2008 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage des
Antragstellers vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 06. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Januar 2008 (S 17 AS 88/08) sowie die Aufhebung der Vollziehung des zuvor
genannten Bescheides, mit der Folge, dass die Antragsgegnerin für die Monate
Dezember 2007 bis Februar 2008 jeweils 94,00 Euro an den Antragsteller auszuzahlen
hat, werden angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des gesamten einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Absenkung der nach § 20 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches
(SGB II) maßgebenden Regelleistung um 30 vH für die Zeit vom 01. Dezember 2007 bis
29. Februar 2008 nach § 31 Abs. 1 SGB II.
Der 1951 geborene Antragsteller, der mit seiner Ehefrau in einer Bedarfsgemeinschaft
lebt, bezieht seit 01. Januar 2005 von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger leidet unter einer
Herzkranzgefäßverengung mit Durchblutungsstörung des Herzens. Im Januar 2007
erfolgten eine Gefäßaufdehnung und die Einbringung einer Gefäßbrücke. Am 11. Mai
2007 erstellte der Vertragsarzt der Agentur für Arbeit Dr. E nach Aktenlage ein ärztliches
Gutachten. Der Antragsteller sei aus medizinischer Sicht leistungsfähig für bis zu
mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend stehend oder gehend oder sitzend oder
auch in wechselnder Arbeitshaltung unter Vermeidung von ständig vermehrtem
Zeitdruck, Nässe, Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen und häufigem Heben und
Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel. Am 18. Oktober 2007 unterbreitete die
Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag für eine
Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (MAE) als Hausmeister. In dem
Vermittlungsvorschlag an den Antragsteller wird die Tätigkeit wie folgt beschrieben:
„Hausmeistergehilfe in einer Kita bzw. sozialen Einrichtung, handwerkliche Arbeiten,
Kleinstreparaturen, Reinigungsarbeiten, ggf. Winterdienst“. Als Tätigkeitsort wird F
angegeben, die Arbeit solle in einem zeitlichen Umfang von 20 Stunden wöchentlich bei
flexibler Verteilung ausgeübt werden. Der Antragsteller meldete sich am 22. Oktober
2007 beim Maßnahmeträger, der F Arbeitsloseninitiative e.V., und lehnte das Angebot
im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand ab.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller
und seiner Ehefrau zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II für die Zeit vom 01. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008. Für den Antragsteller
bewilligte sie monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 312,00
Euro für alle Monate und Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 153,71 Euro für die Zeit
vom 01. Dezember dis 31. Dezember 2007 und iHv 158,52 Euro für die Zeit vom 01.
Januar bis 31. Mai 2008. Auf die Anhörung der Antragsgegnerin teilte der Antragsteller
mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 mit, dass sein derzeitiger Gesundheitszustand eine
4
5
6
7
8
mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 mit, dass sein derzeitiger Gesundheitszustand eine
Beschäftigung der vorgesehenen Art nicht zulasse. Der Arbeitsbeginn sei in den
Wintermonaten sehr unregelmäßig. Wegen seiner Herzerkrankung sei er indes auf feste
Ernährungszeiten und feste Zeiten für die Medikamenteneinnahme angewiesen.
Außerdem leide er an einer Magenerkrankung. Er bat um eine amtsärztliche
Untersuchung. Mit Bescheid vom 06. November 2007 senkte die Antragsgegnerin den
dem Antragsteller zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.
Dezember 2007 bis 29. Februar 2008 monatlich um 30 vH der maßgebenden
Regelleistung begrenzt auf die Höhe des zustehenden Gesamtbetrages ab. Daraus
ergebe sich eine Absenkung um 94,00 Euro. Mit Schreiben vom 26. November 2007
legte der Antragsteller Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 14. Januar 2008 wies die
Antragsgegnerin den Widerspruch zurück.
Der Antragsteller hat am 22. Januar 2008 hiergegen Klage vor dem Sozialgericht (SG)
Frankfurt (Oder) erhoben (S 17 AS 88/08) und zugleich einstweiligen Rechtsschutz
begehrt. Mit Beschluss vom 11. Februar 2008 hat das SG Frankfurt (Oder) den Antrag
auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 19.
Februar 2008 durch die Verfahrensbevollmächtigte eingelegte Beschwerde, mit der auch
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt wird.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2007 ist wegen wiederholtem Pflichtverstoß (wiederum
Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit als Hausmeister) eine Absenkung des
Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01. Februar bis 30. April 2008 monatlich um 60 vH
der maßgebenden Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des zustehenden
Gesamtbetrages verfügt worden (Absenkung iHv 281,00 Euro). Mit weiterem Bescheid
vom 07. Februar 2008 ist das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für die Zeit vom 01.
März bis 31. Mai 2008 vollständig entzogen worden. Die Antragsgegnerin hat über die
beiden Widersprüche des Antragstellers noch nicht entschieden. Das der Ehefrau des
Antragstellers bewilligte Arbeitslosengeld wurde mit Bescheid vom 19. Dezember 2007
für die Zeit vom 01. Februar bis 30. April 2008 ebenfalls auf Null abgesenkt. Dazu wird
ein Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 B
446/08 geführt.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt
(Oder) vom 11. Februar 2008 ist gemäß § 172 Abs 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetzt
(SGG) zulässig und begründet. Auf den Antrag des Antragstellers vom 22. Januar 2008
war die aufschiebende Wirkung seiner am gleichen Tag beim Sozialgericht Frankfurt
(Oder) erhobenen Klage (S 17 AS 88/09) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom
06. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14. Januar 2008
anzuordnen, soweit die Antragsgegnerin das Arbeitslosengeld II des Antragstellers
wegen der Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit als Hausmeister bei der F
Arbeitsloseninitiative eV am 06. November 2007 für die Zeit vom 01. Dezember 2007
bis 29. Februar 2008 abgesenkt hat. Nicht Gegenstand des Verfahrens sind die
nachfolgenden (Absenkungs-)Bescheide der Antragsgegnerin; insoweit sind keine
gerichtlichen Rechtsbehelfe anhängig und eine Einbeziehung in dieses Verfahren nach §
96 Abs. 1 SGG steht nicht in Frage, da es sich um eine Abfolge von
Aufhebungsentscheidungen handelt, die einander nicht ersetzen.
Das Rechtsschutzgesuch des Antragstellers richtet sich nach § 86 b Abs 1 SGG. Denn
mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 24. Oktober 2007 sind dem
Antragsteller Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem SGB II für den
Zeitraum vom 01. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008 (und damit auch für den hier
streitbefangenen Zeitraum vom 01. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008) in
ungekürzter Höhe gewährt worden. Damit hat die Antragsgegnerin einen Rechtsgrund
geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate die Auszahlung der ihm
mit diesem Bescheid gewährten Leistungen verlangen kann. Der Bescheid vom 06.
November 2007 (Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2008) stellt eine den
Antragsteller belastende Regelung dar, weil mit ihm in die dem Antragsteller mit dem
ursprünglichen Bewilligungsbescheid gewährte und ihn begünstigende Rechtsposition
eingegriffen worden ist.
Da die Klage des Antragstellers gegen diese Entscheidung nach § 39 Nr 1 SGB II keine
aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs 1
Satz 1 Nr 2 SGG. Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anzuordnen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem
9
10
11
12
ganz oder teilweise anzuordnen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem
Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des
Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Um eine
Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist zumindest erforderlich,
dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen
Bescheides bestehen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr 197 ff).
Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist
weiterhin Voraussetzung, dass ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht (Beschluss
des Senats vom 12. Mai 2006 - L 10 B 191/06 AS ER -, abrufbar unter:
www.sozialgerichtsbarkeit.de). An diesen Grundsätzen gemessen war die aufschiebende
Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die angefochtene Entscheidung der
Antragsgegnerin anzuordnen. Denn im vorliegenden Verfahren bestehen aus zwei
Gründen, nämlich im Hinblick auf Bestimmtheit und gesundheitliche Zumutbarkeit,
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin getroffenen
Entscheidung über die Absenkung des Arbeitslosengeldes II und die teilweise Aufhebung
der Leistungsbewilligung vom 24. Oktober 2007.
Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 d) SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags
nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 vH der für den erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der
erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine
zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II auszuführen. Die Verweigerung muss
sich zunächst auf eine nach Beschäftigungsgeber, Ort, Art und Umfang hinreichend
bestimmt bezeichnete Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II beziehen (zu den
Anforderungen an die Bestimmtheit des Arbeitsangebots: Landessozialgericht Hamburg,
info also 2005, 272).
Daran fehlt es hier. Ort, Art und zeitliche Ausgestaltung der Tätigkeit sind nicht eindeutig
bestimmt. Das dem Antragsteller unterbreitete Angebot enthält nur eine ungefähre
Umschreibung der Tätigkeit und weicht darüber hinaus von dem an den
Maßnahmeträger gerichteten Vermittlungsvorschlag maßgeblich ab, da dort die für den
Antragsteller vorgesehene Tätigkeit mit Haus- und Gewerbediener umschrieben wird. Die
Antragsgegnerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass Einzelheiten der
von dem Antragsteller auszuführenden Tätigkeiten von dem Maßnahmeträger vor Ort
geregelt werden. Wegen des öffentlich-rechtlichen Gepräges des Rechtsverhältnisses
(vgl Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26. September 2007 – 5 AZR 858/06) sind
maßgebliche Entscheidungen von der Antragsgegnerin selbst zu treffen; für eine
Übertragung von Entscheidungsbefugnissen ist eine gesetzliche Grundlage nicht
vorhanden.
Weiter muss die Arbeitsgelegenheit zumutbar iSd § 10 SGB II sein. Nach § 10 Abs. 1 Nr.
1 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zumutbar, es sei denn dass
er zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist.
Voraussetzung für die Verhängung einer Sanktion ist demnach in einem ersten Schritt
der Abgleich des zuvor festgestellten Leistungsvermögens des Hilfeempfängers mit dem
Anforderungsprofil der angebotenen Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II. Dr. E hat in
seinem Gutachten nach Aktenlage (unter Berücksichtigung des Befundberichtes des
behandelnden Arztes Dr. F vom 06. März 2007 und des Entlassungsberichts des
Klinikums F vom 19. Januar 2007) eine sozialmedizinische Beurteilung des
Leistungsvermögens des Antragstellers abgegeben, wonach ua Nässe, Kälte, Zugluft,
Temperaturschwankungen und häufiges Heben und Tragen von Lasten ohne
mechanische Hilfsmittel vermieden werden sollen. Mit diesem Leistungsvermögen, das
für die Belange des einstweiligen Verfahrens unbedenklich zu Grunde gelegt werden
kann, ist die in dem an den Antragsteller gerichteten Schreiben vom 15. Oktober 2007
aufgeführte und beschriebene Tätigkeit als Hausmeister bzw. Hausmeistergehilfe
offensichtlich nicht zu bewältigen. Die Arbeitsbedingungen eines Hausmeisters
beinhalten regelmäßig Arbeiten bei Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit und Zugluft (vgl.
Hinweise zu den Arbeitsbedingungen für Hausmeister im Internet unter
www.berufenet.de). Ob darüber hinaus der Zustand des linken Schultergelenks (vgl.
Bericht der Fachärztin für diagnostische Radiologie PD Dr. R vom 06. Juli 2006) und auf
nervenärztlichem Gebiet weitergehende Einschränkungen bedingen, kann daher für die
Belange dieses Verfahrens offen bleiben.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die Aufhebung der Vollziehung nach
Maßgabe des § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG, die im Zahlungstenor Ausdruck findet, sind
eilbedürftig. Der Senat sieht dazu keine weitere Begründungsnotwendigkeit, da der iSv §
9 Abs. 1 SGB II vollumfänglich hilfebedürftige Antragsteller derzeit keinerlei
Geldleistungen erhält.
13
14
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG. Dem
Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen (vgl. § 73 a Abs. 1 Satz 1
SGG iVm §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Denn aufgrund der
Kostenentscheidungen ist der Antragsteller in der Lage, die Kosten der
Verfahrensführung aufzubringen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum