Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.09.2004
LSG Berlin und Brandenburg: arbeitsamt, fahrschule, anfang, arbeitsgericht, nachfrist, versäumnis, verfügung, fahrlässigkeit, unterrichtung, nettolohn
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 03.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 8 AL 563/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 10 AL 189/02
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Februar 2000 bis 30. April 2000.
Die 1964 geborene Klägerin war als kaufmännische Angestellte/Sekretärin bei D. J. (fortan: D. J.), der eine Fahrschule
in P. betrieb, tätig. Sie kündigte ihr Arbeitsverhältnis zum 30. April 2000, weil sie für die Monate Februar bis April 2000
keinen Lohn erhalten hatte.
Die Klägerin erhob am 23. Februar 2000 bei dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel die unter dem Az. 1 Ca
377/00 registrierte Klage, mit der sie gegenüber D. J. zunächst rückständigen Lohn für die Monate November 1999,
Dezember 1999, Januar 2000 sowie eine Gewinnbeteiligung für das Jahr 1999 geltend machte. Am 04. Mai 2000
erhob die Klägerin dann, wiederum bei dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel, die unter dem Az. 2 Ca 968/00
registrierte Klage, mit der sie Lohnrückstände für März und April 2000 gegenüber D. J. geltend machte. In beiden
arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde die Klägerin von denselben Prozessbevollmächtigten wie im vorliegenden
Verfahren vertreten.
Am 21. März 2000 schloss die Klägerin mit D. J. einen gerichtlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht Brandenburg an
der Havel (Geschäftsnummer: 1 Ca 377/00) folgenden Inhalts:
"Vergleich:
1. Der Beklagte zahlt an Klägerin als rückständigen Lohn für Januar und Februar 2000 einen Betrag in Höhe von
3.512,78 DM netto. Dieser Betrag ist zahlbar in drei Monatsraten á 1.170,93 DM. Die erste Rate ist am 01.04.2000
fällig, jede weitere am Ersten des Folgemonats.
Gerät der Beklagte mit der Zahlung bis zum fünften Werktag des jeweiligen Monats in Verzug, so ist der gesamte
Betrag sofort fällig.
2. Der Beklagte zahlt ferner an die Klägerin 686,07 DM brutto Gewinnbeteiligung für das Jahr 1999."
Mit Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. Mai 2000 (Geschäftsnummer: 2 Ca
968/00) wurde D. J. rechtskräftig verurteilt, an die Klägerin 2.500 DM brutto (für den Monat März 2000) nebst 8
Prozent Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettolohn seit dem 16. April 2000 bzw. weitere 2.500 DM brutto (für
den Monat April 2000) nebst 8 Prozent Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettolohn seit dem 11. Mai 2000 zu
zahlen.
Am 08. August 2000 ging bei dem Amtsgericht Potsdam - Insolvenzgericht - ein Antrag der Kaufmännischen
Krankenkasse (fortan: KKH) auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. ein. Nach dem
Gutachten des in dem Insolvenzverfahren bestellten Sachverständigen, Rechtsanwalt B., vom 16. März 2001 wurde
die Betriebstätigkeit der Fahrschule des D. J. am 31. August 2000 vollständig eingestellt und das Gewerbe
abgemeldet. Durch Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 19. März 2001 wurde über das Vermögen des D. J.
wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterrichteten sie mit Schreiben vom 05. April 2001 von der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. Im Juni 2001 erhielt die Klägerin von Rechtsanwalt B.,
Insolvenzverwalter, durch Schreiben vom 08. Juni 2001 Kenntnis, sie könne Insolvenzgeld für Lohnansprüche der
letzten drei Monate rückwirkend ab Kündigung beim Arbeitsamt beantragen. Sie habe ihm bislang nur eine Forderung
zur Insolvenztabelle angemeldet. In diesem Zusammenhang weise er (Rechtsanwalt B.) darauf hin, dass diesem
Antrag eine Begründung für die verspätete Antragstellung beigefügt werden sollte, da die Anmeldefrist ("19.05.2001")
bereits verstrichen sei.
In einem Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 11. Juni 2001 erklärten sie in Kenntnis des
Schreibens des Rechtsanwalts B. vom 08. Juni 2001, sie seien davon ausgegangen, sie (Klägerin) würde einen
Insolvenzgeldantrag stellen. Sie (Prozessbevollmächtigte) sähen aber ein, dass sie von falschen Voraussetzungen
ausgegangen seien und sie (Klägerin) hätten informieren müssen. Sie rieten ihr daher, den Antrag auf Insolvenzgeld
umgehend beim Arbeitsamt zu stellen und das Verstreichen der Frist damit zu erklären, dass sie (Klägerin) von ihnen,
die sie mit ihrer arbeitsrechtlichen Angelegenheit beauftragt gehabt habe, hierauf nicht hingewiesen worden sei. Das
Verstreichen der Frist sei damit auf keinen Fall der Klägerin zuzurechnen.
Die Klägerin beantragte am 14. Juni 2001 beim Arbeitsamt Neuruppin - Geschäftsstelle Rathenow - Insolvenzgeld für
den entgangenen Lohn der Monate Februar bis April 2000; im Einzelnen wird hierzu auf Blatt 2 der Insolvenzakten der
Beklagten verwiesen.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Juli 2001 – ausgehend von einem Insolvenzereignis am 19.
März 2001 – wegen Versäumnis der bis zum 19. Mai 2001 laufenden zweimonatigen Ausschlussfrist ab. Ihre
Prozessbevollmächtigten hätten ihr mit Schreiben vom 05. April 2001 innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist
unter anderem Kenntnis über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. verschafft. Am 07.
April 2001 habe sie ihrem Prozessbevollmächtigten Vollmacht erteilt, ihre Forderungen zur Insolvenztabelle
anzumelden. Sie sei nicht gehindert gewesen, den Antrag innerhalb der Ausschlussfrist einzureichen, eine Nachfrist
könne daher nicht eingeräumt werden. Die Versäumung der Ausschlussfrist sei von der Klägerin zu vertreten.
Die Klägerin legte hiergegen am 11. Juli 2001 Widerspruch ein. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin führten zur
Begründung u. a. aus:
"Anfang April 2001 erfuhren wir dann, dass am 19.03.01 über das Vermögen des Herrn J. das Insolvenzverfahren
eröffnet worden ist. Wir haben dies unserer Mandantin mit Schreiben vom 05.04.01 mitgeteilt, allerdings ohne den
Hinweis, dass innerhalb der 2-Monats-Frist des § 324 Abs. 3 SGB III das Insolvenzgeld beim Arbeitsamt beantragt
werden kann bzw. muss. Frau J. hatte uns vollumfänglich mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen aus dem
Arbeitsverhältnis beauftragt. Ihr ging es ersichtlich vornehmlich darum, dass ihre Lohnansprüche gesichert werden
und sie den ihr zustehenden Lohn erhält. Dieser uns erteilte Auftrag umfasste daher auch die Verpflichtung, Frau J.
über das Wesen des Insolvenzgeldes zu informieren und ihr insbesondere mitzuteilen, dass die Beantragung nur
innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen kann.
Diese Unterrichtung haben wir von hier aus nicht vorgenommen, so dass Frau J. über die Frist des § 324 Abs. III
SGB nicht informiert war. Dieses unser Versäumnis kann Frau J. nicht zur Last gelegt werden. Frau J. hat sich
dadurch, dass sie uns beauftragt hat, darauf verlassen dürfen, dass wir einerseits ihre Interessen gegenüber Herrn J.
wahrnehmen und sie andererseits auch über Antragsfristen informieren. Ihr ging es nämlich allein darum, ihren Lohn
zu erhalten."
Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen; wegen der Einzelheiten des
Widerspruchsbescheids wird auf Bl. 70 bis 72 der Insolvenzakten der Beklagten verwiesen.
Mit der am 22. August 2001 vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter
geltend gemacht.
Das Sozialgericht Potsdam hat durch Urteil vom 01. Oktober 2002 die Klage abgewiesen, weil die Antragsfrist für das
Insolvenzgeld verstrichen sei; wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf Bl. 37 bis 41 der Insolvenzakten der
Beklagten verwiesen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. Oktober 2002 zugestellte Urteil haben sie am 12.
November 2002 Berufung eingelegt: Sie (Klägerin) habe die Prozessbevollmächtigten nicht ausdrücklich
bevollmächtigt, Insolvenzgeld zu beantragen. Dem Auftrag an die Prozessbevollmächtigten habe allein der Wunsch
von ihr zugrunde gelegen, den ihr vorenthaltenen Lohn zu erhalten, entweder durch den Arbeitgeber D. J. selbst, durch
den Insolvenzverwalter oder in Form von Insolvenzgeld. Sie habe alles zur Realisierung dieser Ansprüche Mögliche
getan. Aus der Kommentierung bei Niesel, SGB III zu § 324 Rdnr. 25 gehe zwar hervor, dass ein Rechtsanwalt, der
allgemein mit der Verfolgung der Ansprüche des Arbeitnehmers beauftragt sei, sich auch um Insolvenzgeld bemühen
müsse. Dieses Bemühen beinhalte, dass er dem Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Beantragung von
Insolvenzgeld darlege und ihm auch die Antragsfrist nenne. Dieser Auftragsumfang sei jedoch weder ausdrücklich
normiert noch ausdrücklich in den der Anwaltskanzlei erteilten Vollmachten zur Geltendmachung von Lohnansprüchen
oder zur Anmeldung im Insolvenzverfahren enthalten. Eine spezielle Bevollmächtigung zum Zwecke der Verfolgung
von Insolvenzgeldansprüchen habe die Klägerin nicht erteilt. Zwar könne die versehentlich unterlassene Information
von ihr über die Antragsfrist ein fahrlässiges Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten darstellen. Aus einem
fahrlässigen Verhalten der Prozessbevollmächtigten folge aber nicht ohne Weiteres ein fahrlässiges Verhalten von ihr.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2001 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin
Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Februar 2000 bis 30. April 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit den Beteiligten hat am 25. Februar 2004 ein Erörterungstermin stattgefunden. Darin hat die Klägerin u. a. erklärt,
bereits Anfang 2000 beim Arbeitsamt Rathenow um Rat gesucht zu haben, wie sie sich wegen der ausstehenden
Lohnrückstände seit November 1999 bis Dezember 1999 verhalten solle. D. J. habe für sie Fördermittel bezogen.
Im Nachgang zu dem Erörterungstermin hat die Klägerin geltend gemacht, zwei Mitarbeiter der Beklagten (R. B. und
S. N.) hätten Kenntnis von offenen Lohnforderungen der Klägerin gehabt.
Auf Anfrage des Gerichts hat die Mitarbeiterin N. mit Schreiben vom 16. April 2004 u. a. erklärt, sie könne sich wegen
des weit zurückliegenden Zeitraums an den Einzelfall bezüglich der Klägerin nicht mehr erinnern. Der Mitarbeiter R. B.
hat mit Schreiben vom 07. April 2004 u. a. erklärt, er könne sich an Zahlungsschwierigkeiten der Fahrschule D.J.
gegenüber der Klägerin erinnern, jedoch nicht, aufgrund des länger zurückliegenden Zeitraums, an etwaige
Beratungsgespräche sowie deren Inhalt.
In der mündlichen Verhandlung vom 03. September 2004 sind die Mitarbeiter der Beklagten R. B. und S. N. zum
Beweisthema: "Inhalt des Gesprächs mit der Klägerin Anfang 2000" gehört worden. Wegen der Aussage des Zeugen
R. B. wird auf Bl. 102 der Gerichtsakten und wegen der der Zeugin S. N. auf Bl. 103 der Gerichtsakten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf die
Gerichtsakten, die Insolvenzakten der Beklagten (Insg.-Nr ...), die Gerichtsakten des Amtsgerichts Potsdam (35 IN
189/01) sowie die Gerichtsakten des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel (Geschäftsnummern: 1 Ca 377/00 und
2 Ca 968/00) ebenfalls verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 Euro übersteigt.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage
ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für den streitbefangenen Zeitraum.
Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf
Insolvenzgeld, wenn sie bei
1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers,
2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt,
(Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt
haben.
Maßgeblicher Insolvenzzeitpunkt ist vorliegend nach § 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III der 19. März 2001 gewesen;
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. durch Beschluss des AG Potsdam vom 19. März
2001. Ein Insolvenzereignis iSd § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III liegt nicht vor, weil zum Zeitpunkt der Einstellung des
Betriebes der Fahrschule des D.J. (31. August 2000) bereits der Insolvenzantrag der KKH gestellt worden war (08.
August 2000). Mithin ausgehend vom Insolvenzereignis 19. März 2001 hat die Klägerin keinen Anspruch auf
Insolvenzgeld für den geltend gemachten Zeitraum, weil sie die Antragsfrist versäumt hat.
Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist das Insolvenzgeld beim zuständigen Arbeitsamt innerhalb einer
Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.
Die zweimonatige Ausschlussfrist begann am 19. März 2001, dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch
das Amtsgericht Potsdam und endete angesichts der Tatsache, dass der 19. Mai 2001 ein Sonnabend und der 20.
Mai 2001 ein Sonntag gewesen ist, mit Ablauf des 21. Mai 2001 (§ 26 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch -
SGB X - i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - , § 26 Abs. 3 SGB X);
hiervon ist die Beklagte - jedenfalls mit Schriftsatz vom 16. November 2001 - zutreffend ausgegangen.
Für den Fristbeginn ist der Tag der Kenntnisnahme vom Beschluss des Amtsgerichtes Potsdam unmaßgeblich. Die
zweimonatige Ausschlussfrist beginnt bei allen rechtserheblichen Insolvenzereignissen mit deren Eintritt ohne
Rücksicht darauf, ob dem Arbeitnehmer, hier der Klägerin, diese Ereignisse bekannt sind oder nicht (BSG SozR 4100
§ 141 Nr. 8 m.w.N.; BSG - Urteil vom 04. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R; in USK 9908 sowie DBlR 4524, AFG/§ 141
e). Eine wirksame Antragstellung bei der Beklagten auf Gewährung von Insolvenzgeld bis zum Ende dieser
Ausschlussfrist am 21. Mai 2001 ist nicht erfolgt.
Da die Klägerin mit ihrem Antrag vom 14. Juni 2001 die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt hat, hätte ihr
die weitere Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur zur Verfügung gestanden, wenn sie die erste Frist aus Gründen,
die von ihr nicht zu vertreten sind, versäumt hat. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er
sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 3
SGB III).
Zu vertreten hat der Arbeitnehmer die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt, also auch jede Fahrlässigkeit (§
276 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB ). Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der rechtserheblichen Umstände
schließt daher den Insolvenzgeldanspruch nach zwei Monaten aus (vgl. BSG Urteil vom 26. August 1983,
Aktenzeichen 10 RAr 1/82, SozR 4100 § 141 e Nr. 5). War die Unkenntnis nicht fahrlässig verursacht, beginnt die
weitere Zweimonatsfrist nach Wegfall des Hindernisses, das heißt in dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer, ohne
fahrlässig zu handeln, von den entscheidenden Sachverhalten hätte Kenntnis haben können. Wer also die nach den
Umständen erforderliche und ihm nach seiner Persönlichkeit zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt und deshalb das
den Insolvenzgeldanspruch auslösende Insolvenzereignis nicht kennt, ist mit seinem Insolvenzgeldanspruch
jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn er den Antrag nicht spätestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt stellt, zu dem
er die genannten Umstände hätte kennen können (BSG, Urteil vom 26. August 1983, a.a.O.). Hinsichtlich der
Sorgfaltspflicht gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab, der sich an den Erkenntnismöglichkeiten und Fähigkeiten
des Antragstellers orientiert. Zu vertreten hat danach der Antragsteller die Nichtbeachtung einer ihm nach seinen
Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften
Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist (vgl. Peters-Lange in Gagel,
Arbeitsförderungsgesetz - Kommentar, § 141 e Rz. 13).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Klägerin eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht
einzuräumen, weil sie sich zum einen ein Fehlverhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss, und
zum andern sie die Frist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aus Gründen versäumt hat, die von ihr selbst zu vertreten
sind.
Für die Zurechenbarkeit eines Fehlverhaltens eines Prozessbevollmächtigten kommt es darauf an, ob dieser im
Rahmen des ihm für die Geltendmachung rückständiger Lohnansprüche erteilten Auftrags auch zur Stellung eines
Antrages auf Insolvenzgeld befugt war, oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag, der er nicht
nachgekommen ist (BSG SozR 3-4100 § 141 e Nr. 2). Von einer derartigen Verpflichtung der Prozessbevollmächtigten
der Klägerin ist vorliegend aber nach deren eigenem Vortrag auszugehen, denn diese haben in ihrer
Widerspruchsbegründung selbst erklärt, der Auftrag der Klägerin im Rahmen der Geltendmachung rückständiger
Lohnansprüche gegenüber D. J. habe auch die Verpflichtung umfasst, die Klägerin über das Wesen des
Insolvenzgeldes zu informieren und ihr insbesondere mitzuteilen, dass die Beantragung nur innerhalb einer
bestimmten Frist erfolgen könne. Diese Unterrichtung haben die Prozessbevollmächtigten nicht vorgenommen, wie
sie selbst weiter erklären. Dieses Fehlverhalten der Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin zurechnen
lassen.
Auch die Klägerin selbst hat die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, denn sie wusste bereits aufgrund des
Schreibens ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001, dass über das Vermögen des D. J. das
Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Ausgehend hiervon stand ihr ausreichende Zeit zur Verfügung (bis 21. Mai
2001), sich über die Bedeutung der Insolvenz hinsichtlich ihrer Lohnansprüche bei der Beklagten, ihren
Prozessbevollmächtigten oder dem Insolvenzverwalter zu informieren und – hätte sie dies getan – einen rechtzeitigen
Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen. Die Klägerin ist aber erst nach dem Schreiben des Rechtsanwalts B. vom 08.
Juni 2001 – nach Ablauf der zweimonatigen Antragsfrist - tätig geworden und hat erst nach diesem Zeitpunkt im
Hinblick auf ihre ausstehenden Lohnforderungen Insolvenzgeld bei der Beklagten am 14. Juni 2001 beantragt. Allein
schon aus dem zeitlichen Ablauf wird deutlich, dass sich die Klägerin erst nach Fristablauf (21. Mai 2001)
weitergehend um die Lohnersatzleistung (Insolvenzgeld) gekümmert hat. Ihre Sorgfaltspflichtverletzung besteht schon
allein darin, dass sie nicht nach dem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001 tätig geworden ist.
Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis lässt sich nicht aus dem so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
herleiten. Er hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder bestehenden
Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 Sozialgesetzbuch 1.
Buch - SGB I), verletzt hat (BSG Urteil vom 25. März 2003, Az.: B 7 AL 106/01 R, in: SozR 4-4300 § 434c Nr. 1).
Eine derartige Pflichtverletzung auf Seiten der Beklagten insbesondere im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin,
bereits Anfang 2000 beim Arbeitsamt Rathenow wegen offener Lohnforderungen um Rat gesucht zu haben, wird zu
Gunsten der Klägerin unterstellt, da die Aussagen der Zeugen erhebliche Unkenntnis zum Recht des Insolvenzgeldes
aufweisen. Die Aussage der Zeugin Susan Nettelbeck offenbart hinlänglich, wie mangelhaft die Auskünfte von dieser
Mitarbeiterin der Beklagten sind. Ratsuchende werden bei offenen Lohnforderungen von ihr nicht auf die Möglichkeit
einer Insolvenzgeld-Antragstellung hingewiesen, weil dies "nicht üblich" sei. Die sich für diese Mitarbeiterin aus §§ 13,
14, 15 SGB I ergebenden Pflichten scheint sie nicht zu kennen. Nichts anderes kann der Aussage des Zeugin Ronald
Börs entnommen werden. Er berät zwar zum Konkursausfallgeld/Insolvenzgeld, allerdings sind ihm weder die
Antragsfristen bekannt noch für welchen Zeitraum überhaupt diese Leistung zu beanspruchen ist: " für die letzten 3
Monate der ausstehenden Lohnzahlungen ".
Diese Pflichtverletzungen durch Mitarbeiter der Beklagten ändern jedoch nichts daran, dass die Berufung der Klägerin
keinen Erfolg haben kann, weil sie sich – wie bereits ausgeführt - das Fehlverhalten ihrer Prozessbevollmächtigten
zurechnen lassen muss und sie außerdem selbst auf Grund ihrer Untätigkeit nach Erhalt des Schreibens ihrer
Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001 die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt hat (vgl. o.). Bei wertender
Betrachtung gelangte der Senat daher zum Ergebnis, dass die - von ihm unterstellte - Pflichtverletzung durch
Mitarbeiter der Beklagten weniger schwer wiegt als das zeitlich nachfolgende Fehlverhalten der Klägerin und ihrer
Prozessbevollmächtigten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.