Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.12.2008
LSG Berlin und Brandenburg: eltern, gesetzliche vermutung, hauptsache, versicherung, abrede, heizung, unterkunftskosten, mietvertrag, ausbildung, unterliegen
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 05.12.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 156 AS 20571/08 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 B 1970/08 AS ER
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. September 2008
geändert. Über die in dem Beschluss des Sozialgerichts bereits ausgesprochene Verpflichtung hinaus wird der
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2008, beginnend ab dem 5. Dezember
2008 weitere 172,59 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der
Antragsgegner hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu 1/10 zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres
Verfahrensbevollmächtigten ohne Zahlung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen bewilligt.
Gründe:
Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. September 2008, die sich bei sachgerechter Auslegung des
Beschwerdevorbringens nur auf die Leistungshöhe, nicht jedoch auf den Leistungszeitraum bezieht, ist in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Denn der genannte Beschluss ist unzutreffend, soweit der Antragstellerin
hiermit die nunmehr ergänzend zuerkannte Leistung versagt worden ist. Auch insoweit hat die Antragstellerin gemäß §
86 b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl einen Anordnungsgrund als
auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen
Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.
Hierbei erweist sich die Sache hinsichtlich der ergänzend zuerkannten Leistung zunächst als eilbedürftig, weil diese
Leistung der Sicherung des Lebensunterhalts dient und die Antragstellerin nach Lage der Akten über keine Mittel
verfügt, mit denen sie sich bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorübergehend selbst helfen könnte.
Des Weiteren ist hinsichtlich der ergänzend zuerkannten Leistung auch ein Anordnungsanspruch zu bejahen, weil die
26 Jahre alte Antragstellerin bei summarischer Prüfung die in den §§ 7 ff. des Zweiten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB II) geregelten Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Leistung erfüllt,
insbesondere gemäß § 9 Abs. 1 SGB II im tenorierten Umfang der Hilfe bedarf. Hierbei ist von einem Bedarf in Höhe
der Regelleistung für einen Alleinstehenden gemäß § 20 SGB II von 351,00 EUR monatlich auszugehen, der entgegen
der Auffassung der Antragstellerin in ihrem Fall jedoch nicht um einen Bedarf für Unterkunft und Heizung gemäß § 22
Abs. 1 SGB II zu erhöhen ist. Denn die Antragstellerin hat hier nicht in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht, dass
sie mit Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) belastet ist. Sie hat zwar am 8. Oktober 2008 an Eides statt
versichert, dass sie an ihre Eltern einen monatlichen "Mietanteil" abzuführen habe, der von ursprünglich 150,00 EUR
inzwischen sogar auf 1/3 der von ihren Eltern insgesamt zu zahlenden Wohnungsmiete angestiegen sei. Diese
eidesstattliche Versicherung reicht jedoch im vorstehenden Zusammenhang zur Glaubhaftmachung der erforderlichen
Belastung mit Unterkunftskosten nicht aus. Denn abgesehen davon, dass die eidesstattliche Versicherung nicht mit
der von der Antragstellerin am 1. Mai 2008 mit ihren Eltern getroffenen schriftlichen Vereinbarung in Einklang steht,
wonach die Antragstellerin monatlich 150,00 EUR "für Unterkunft, Strom, Wasser und Kostgeld" abzugeben habe,
fehlt es hier jedenfalls an einer Vereinbarung der Antragstellerin mit ihren Eltern, die mit der im Rechtsverkehr
üblichen Deutlichkeit erkennen ließe, aus welchem Rechtsgrund sie ihren Eltern Unterkunftskosten schuldet, worum
es sich bei der ihr von den Eltern zur Verfügung gestellten Unterkunft genau handelt, für welchen Zeitraum die Abrede
Geltung beanspruchen soll und welche Möglichkeiten bestehen, sich von der Abrede wieder zu lösen. Insbesondere
liegt hier ein (Unter-)Mietvertrag nicht vor.
Der sich nach den vorstehenden Ausführungen ergebende Bedarf in Höhe der Regelleistung von 351,00 EUR ist zur
Überzeugung des Senats lediglich um die von der Antragstellerin erzielte Ausbildungsvergütung in Höhe von 262,60
EUR zu mindern, die ihrerseits um die vom Antragsgegner bei summarischer Prüfung zutreffend errechneten
Freibeträge in Höhe von 132,52 EUR zu bereinigen ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des
Sozialgerichts sind Unterstützungsleistungen von dem sich hiernach ergebenden Betrag in Höhe von 220,92 EUR
nicht abzuziehen. Denn bei summarischer Prüfung hat die Antragstellerin die in § 9 Abs. 5 SGB II geregelte
gesetzliche Vermutung widerlegt, dass sie von ihren mit ihr in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Eltern finanziell
unterstützt wird. Denn sie hat während des laufenden Verfahrens nicht nur erklärt, sondern mit ihrer eidesstattlichen
Versicherung vom 8. Oktober 2008 auch in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht, dass sie von ihren Eltern keine
Unterstützungsleistungen erhält, was zudem ihre Eltern bereits zuvor in ihrer Erklärung vom 3. Juni 2008 gegenüber
dem Antragsgegner nachdrücklich zum Ausdruck gebracht hatten. Diese Einlassungen hält der Senat mangels
anderer Erkenntnisse angesichts des Alters der Antragstellerin und der Tatsache, dass sie bereits ihre zweite
Ausbildung absolviert, jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren für glaubhaft.
Zurückzuweisen war die Beschwerde jedoch, soweit die Antragstellerin über die ihr nunmehr ergänzend zuerkannte
Leistung hinaus weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von (322,67 EUR - 172,59 EUR =)
150,08 EUR monatlich begehrt. Denn wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, fehlt es insoweit an einem
Anordnungsanspruch. Des Weiteren musste die Beschwerde zurückgewiesen werden, soweit sie sich auf die Zeit vor
der Entscheidung des Senats bezieht. Denn insoweit erweist sich die Sache aus der diesbezüglich maßgeblichen
heutigen Sicht nicht (mehr) als eilbedürftig. Auch im Lichte des in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verankerten
Gebots effektiven Rechtsschutzes ist es der Antragstellerin insoweit zuzumuten, eine Entscheidung in der
Hauptsache abzuwarten. Denn der Zeitraum bis zur Entscheidung des Senats ist abgelaufen und schwere und
unwiederbringliche Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage sein könnte, hat die Antragstellerin nicht dargelegt. Sie sind nach Lage der Akten auch sonst nicht
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das wechselseitige Obsiegen und Unterliegen der
Beteiligten im Beschwerdeverfahren.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in
Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO. Sie beruht letztlich auf den Gründen, die bereits das Sozialgericht veranlasst haben,
der Antragstellerin für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).