Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2010
LSG Berlin-Brandenburg: duldung, aufenthaltserlaubnis, quelle, sammlung, link, behinderung, rechtsstaatsprinzip, verfassungskonform
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 13 SB 70/10 B PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 73a SGG, § 114 ZPO, § 2 Abs 2
SGB 9, § 15 AufenthG, § 55
AufenthG
Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei ungeklärter Rechtsfrage
des Aufenthaltsrechts
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 26.
März 2010 aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht mit
Wirkung vom 9. November 2009 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner
Prozessbevollmächtigten gewährt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind
nicht zu zahlen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 172 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie
ist auch begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die hinreichende
Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfegesuchs der Klägerin nach §§ 73a SGG, 114 ZPO
verneint.
1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
verfassungskonform auszulegen. Art 3 Abs. 1 GG gebietet i V m dem u. a. in Art 20 Abs.
3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art 19 Abs. 4 Satz 1
GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Angleichung der
Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes.
Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt
zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das
Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten
jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses
Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28.11.2007, 1 BvR 68/07). Deshalb
dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die
Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung
im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (BVerfG, a. a. O., und Beschluss der
3. Kammer des Ersten Senats vom 04.07.1993, 1 BvR 1523/92). Demnach ist
ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag
eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn zum rechtlich
maßgeblichen Zeitpunkt entweder noch Beweis zu erheben ist oder wenn das Gericht
den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund eines geklärten Sachverhalts für zutreffend
oder für zumindest vertretbar und klärungsbedürftig hält.
2. Nach diesen Maßstäben war zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der
erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags am 9. November 2009
(vollständige Einreichung der Unterlagen zu der Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse) die hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen. Zwar
verfügte der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht über eine Aufenthaltserlaubnis,
sondern lediglich über eine Duldung. Indessen war die Frage, ob eine solche Duldung
einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 2
Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) begründet, bereits zum damaligen Zeitpunkt
umstritten und höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt; bereits dies hätte nach
den oben genannten Maßstäben zu einer Bejahung der hinreichenden Erfolgsaussicht
führen müssen. Im Übrigen hat das Bundessozialgericht inzwischen klargestellt, dass
auch in Fällen bloßer Duldung der rechtmäßige gewöhnliche Aufenthalt nach § 2 Abs. 2
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auch in Fällen bloßer Duldung der rechtmäßige gewöhnliche Aufenthalt nach § 2 Abs. 2
SGB IX nicht von vornherein verneint werden kann (Urteil vom 29. April 2010, B 9 SB
2/09 R, zit. nach juris).
3. Ab dem 6. Mai 2010 verfügt der Kläger zudem über eine (befristete)
Aufenthaltserlaubnis und hat bereits deswegen einen rechtmäßigen gewöhnlichen
Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) begründet. Der
Umstand, dass nunmehr medizinische Ermittlungen zur Feststellung des Grades der
Behinderung des Klägers durchzuführen sind, führt gleichzeitig dazu, dass die
hinreichende Erfolgsaussicht der Klage des Klägers auch aus sonstigen Gründen nicht
verneint werden darf. Die übrigen Voraussetzungen der §§ 73a SGG, 114 ff ZPO für die
Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten des
Klägers sind gleichfalls erfüllt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
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