Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.01.2008
LSG Berlin und Brandenburg: befristete rente, hauptsache, anfang, dringlichkeit, rechtsschutz, obsiegen, bestreitung, wahrscheinlichkeit, zivilprozessordnung, rückzahlung
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 14.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Potsdam S 19 AS 1452/07 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 B 1022/07 AS ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2007 wird
zurückgewiesen. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren
wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2007 ist gemäß
§§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht den sinngemäß dahingehend auszulegenden Antrag des Antragstellers abgelehnt, die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zur
rechtskräftigen Entscheidung des bei dem Sozialgericht Potsdam anhängig gemachten Klageverfahrens S 19 AS
240/07 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Denn dieser Antrag ist zwar zulässig, weil im
Lichte des in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) postulierten Gebots effektiven Rechtsschutzes um eine
vorläufige Leistungsgewährung im Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG auch dann nachgesucht werden kann, wenn der
Antragsgegner – wie hier – die beantragte Leistung nach § 66 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches
wegen mangelnder Mitwirkung versagt hat und die Beteiligten – ebenfalls wie hier – in einem noch anhängigen
Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit des mit der Anfechtungsklage anzugreifenden Versagungsbescheides
streiten (vgl. hierzu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 22. November 2005 – L 29 B 1212/05 AS ER –,
FEVS 57, 452). Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil der Antragsteller jedenfalls einen Anordnungsgrund nicht mit
der nach § 86 b Abs. 2 SGG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht hat. Entgegen seiner im
erstinstanzlichen Verfahren vor dem Sozialgericht dargelegten Auffassung erweist sich die Sache nicht als
eilbedürftig, weil wesentliche Nachteile, die durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgewendet
werden könnten, nach Lage der Akten nicht ersichtlich sind.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Anordnungsgrund zu bejahen ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung des Gerichts (hier also im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats). Denn das Erfordernis des
Anordnungsgrundes enthält ein spezifisches Dringlichkeitselement, das im Grundsatz Wirkungen nur für die Zukunft
entfalten kann (vgl. Schoch zur Parallelproblematik bei § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Randnummer 165 f. zu § 123 VwGO m. w. Nachw.).
Dies bedeutet in den Fällen, in denen – wie hier – die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Rede steht, dass ein Anordnungsgrund in aller Regel nur für solche Zeiträume bejaht werden
kann, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts noch nicht abgelaufen sind. Denn die prozessuale Funktion des
vorläufigen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG darin, nur in solchen Fällen effektiven
Rechtsschutz zu leisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu
spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren
nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl.
Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 –, NJW 2003, 1236 und vom 12.
Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, NVwZ 2005, 927). Da sich derartige Nachteile für in der Vergangenheit liegende
Zeiträume in der Regel nicht feststellen lassen, weil die besondere Dringlichkeit mittlerweile durch den Zeitablauf
überholt ist, ist es dem Rechtsschutzsuchenden insoweit grundsätzlich zumutbar, eine Entscheidung im Verfahren
der Hauptsache abzuwarten. Etwas anderes gilt im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise nur dann, wenn
effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht mehr erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im
Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich auch
durch eine – stattgebende – Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder nicht in ausreichendem Maße wieder
rückgängig machen lassen.
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich der Antragsteller für die in der Vergangenheit liegende
Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zur Entscheidung des Senats auf eine besondere Dringlichkeit der Sache nicht
berufen kann. Denn schwere und unzumutbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, lassen sich hier nicht feststellen. Denn abgesehen davon, dass der
Antragsteller Ausführungen zur Eilbedürftigkeit ohnehin nur im erstinstanzlichen Verfahren gemacht hat, erschöpfen
sich diese in dem unsubstantiierten und durch nichts belegten Hinweis, dass er sich in der ersten Zeit nach der
Versagung der begehrten Leistungen bei Bekannten Geld geliehen habe, diese Bekannten ihm jedoch seit spätestens
Anfang April 2007 kein Geld mehr leihen würden und er seither mittellos sei, weil ihm auch das Sozialamt des Kreises
T keine Leistungen gewähre. Dieser Hinweis lässt Nachteile im oben genannten Sinne nicht erkennen, sondern für die
Zeit ab Anfang April 2007 allein den Schluss darauf zu, dass sich der Antragsteller auf irgendeine Art finanzielle Mittel
erschlossen haben muss, aus denen er seinen Lebensunterhalt hat bestreiten können. Dass die Erschließung dieser
finanziellen Mittel mit Rückzahlungsverpflichtungen verbunden sein könnte, ist nicht ersichtlich. Zudem wären
derartige Rückzahlungsverpflichtungen auch nicht geeignet, Nachteile im oben genannten Sinne zu begründen, weil
der Antragsteller die Möglichkeit hätte, die zur Rückzahlung erforderlichen Mittel in Höhe der begehrten Leistungen
zum Lebensunterhalt im Hauptsacheverfahren zu erstreiten. Nichts anderes gilt für die Rückzahlungsverpflichtungen,
die aus der behaupteten Inanspruchnahme privater Darlehen für die Zeit bis Anfang April 2007 resultieren.
Auch für die Zeit ab der Entscheidung des Senats lässt sich ein Anordnungsgrund nicht feststellen. Denn wie sich
den im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe überreichten Unterlagen entnehmen lässt, bezieht der
Antragsteller bereits seit dem 1. August 2007 von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg eine bis
zum 30. April 2009 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 580,77 EUR monatlich, die die ihm
und seiner Ehefrau von der Antragsgegnerin bis zum 30. November 2006 gewährten und von ihm in ihrer Höhe auch
für die Folgezeiträume zu keiner Zeit in Frage gestellten Leistungen in Höhe von 598,80 EUR um lediglich 18,03 EUR
unterschreitet. Dass diese Unterschreitung für den Antragsteller mit einem schweren und unzumutbaren, auch durch
ein eventuelles Obsiegen im Verfahren der Hauptsache nicht wieder gutzumachenden Nachteil verbunden sein
könnte, ist nicht ersichtlich, zumal der Antragsteller auch in der Zeit bis zum Einsetzen der (nach § 7 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches zum Anspruchsausschluss führenden) Rente offensichtlich dazu
in der Lage gewesen ist, sich die zur Bestreitung seines Lebensunterhalts benötigten finanziellen Mittel auf sonstige
Weise zu erschließen.
Mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Beschwerde musste auch der Antrag des Antragstellers, ihm für das
Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, abgelehnt werden (vgl. § 73 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit
§ 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).