Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.05.2006

LSG Berlin-Brandenburg: versorgung, bluthochdruck, verordnung, arzneimittel, medikament, verfügung, chemotherapie, auskunft, empfehlung, krankenversicherung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 268/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 13 Abs 3 SGB 5, § 31 Abs 1
SGB 5, Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs
2 S 1 GG, Art 20 Abs 1 GG
Krankenversicherung - grundrechtsorientierte Auslegung des
SGB 5 - lebensbedrohliche Erkrankung - Versorgung mit
Dronabinol
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Berlin vom 16. Mai 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die
Beklagte verurteilt wird, der Klägerin 10.224,21 Euro zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Dronabinol.
Die 1953 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtversichert, sie bezieht ab dem 1.
Juni 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Seit einer 1994 durch Bluthochdruck
ausgelösten Blutung des Kleinhirns leidet sie an Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.
Diese Beschwerden wurden regelmäßig durch Kopfbewegungen und Veränderungen der
Kopfposition ausgelöst. Damit besteht auch die ständige Gefahr, die Medikamente zur
Beherrschung des stark erhöhten Blutdrucks wieder zu erbrechen. Der neurologische
Befund zeigt eine etwa einen Zentimeter große Blutung in dem Teil des Kleinhirns, der
Kopfbewegungsreize verarbeitet und der mit dem benachbarten „Brechzentrum“ im
Hirnstamm in einer unmittelbaren Nervenverbindung steht. Beginnend im Oktober 1998
ist sie deswegen in Behandlung bei dem Neurologen Prof. Dr. L.
Telefonisch im April 2002 und mit Schreiben vom 5. Mai 2002 beantragte die Klägerin
eine Kostenübernahme wegen einer Versorgung mit Marinol bzw. Dronabinol. Nach
Einleitung eines Regressverfahrens gegen ihren behandelnden Arzt erhalte sie keine
Verordnungen über diese Arzneimittel mehr. Marinol ist ein cannabishaltiges
Medikament aus den USA, Dronabinol eine cannabishaltige Rezeptur. Der behandelnde
Arzt wandte sich im April 2002 ebenfalls an die Beklagte und berichtete, dass die
Behandlung gute Erfolge gezeigt habe, auch lägen zur Wirksamkeit von Cannabinoiden
bei Übelkeit und Erbrechen zahlreiche Studien hoher Qualität vor. Im November 2001
habe er die Behandlung von Marinol auf das kostengünstigere Dronabinol umgestellt.
Durch Bescheid vom 14. Mai 2002 lehnte die Beklagte eine ausdrückliche Genehmigung
oder Kostenübernahme ab. Die gesetzlichen Krankenkassen seien für Dronabinol nicht
leistungspflichtig, sie dürften auch keinerlei Genehmigungen für die Verordnung von
Arzneimitteln erteilen. Die Entscheidung über die Verordnung auf Kassenrezept liege bei
dem behandelnden Arzt. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 24. September 2002 zurück. Dronabinol sei kein
zugelassenes Arzneimittel, es fehle auch an einer Empfehlung des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen. Auch die Bedingungen für einen Off-Label-Use (u. a. das
Vorliegen einer schweren Erkrankung) seien nicht erfüllt. Bei der Klägerin liege lediglich
eine leichte Untergewichtigkeit vor.
Gegen den Widerspruchsbescheid richtet sich die am 15. Oktober 2002 bei dem
Sozialgericht Berlin eingegangene Klage. Die Klägerin hat während des
sozialgerichtlichen Verfahrens Dronabinol („ölige Tropfen, 2,5 %“) von ihrem
behandelnden Arzt Prof Dr. L auf Kassenrezept verordnet erhalten und ist entsprechend
dieser Verordnungen bis Mitte 2007 zu Lasten der Beklagten versorgt worden, welche
allerdings (weitere) Regressverfahren gegen den verordnenden Arzt eingeleitet hat.
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Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Prof. Dr. L und bei den weiteren behandelnden
Ärzten der Klägerin Prof. Dr. P sowie Dr. K eingeholt. Es hat Prof. Dr. L mehrmals
ergänzend befragt sowie Auskünfte vom Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte und von der neurologischen Klinik der Universität München eingeholt.
Durch Gerichtsbescheid vom 16. Mai 2006 hat das Sozialgericht die angefochtenen
Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin
nach ärztlicher Verordnung Dronabinol zu gewähren. Dronabinol sei ein
apothekenpflichtiges Arzneimittel. Die Grundsätze über die Gewährung von
Arzneimitteln außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung sprächen nicht gegen die
Leistungspflicht der Beklagten. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müsse die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung leisten, wenn eine allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und
ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernten Erfolg der unternommenen
Behandlung vorlägen. Das gelte auch, wenn mangels Zulassung von Dronabinol von
einem Off-Label-Use im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein könne, da die
verfassungsrechtliche Abwägung zwischen dem Schutz von Leben und Gesundheit und
der Reglementierung zum Schutz der Versichertengemeinschaft bzw. des Patienten
grundsätzlich die gleiche sei. Der behandelnde Arzt Prof. Dr. L habe das Bestehen von
Lebensgefahr überzeugend dargestellt. Der Behandlungsverlauf bestätige, dass nach
gewissenhafter fachärztlicher Einschätzung ernsthafte Hinweise auf einen
Behandlungserfolg durch die Gabe von Dronabinol bestünden. Alle anderen in Frage
kommenden Behandlungsmethoden seien ohne Erfolg ausprobiert worden und kämen
von vornherein aus medizinischen Gründen nicht in Betracht. Die Behandlung werde
dokumentiert, die Klägerin habe ihr nach vorheriger Aufklärung ausdrücklich
zugestimmt.
Gegen den ihr am 19. Mai 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 14.
Juni 2006 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten. Zu
Unrecht habe das Sozialgericht eine Leistungspflicht angenommen. Dronabinol sei ein
verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, nicht aber ein verkehrsfähiges
Arzneimittel. Ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol sei in Deutschland nicht
zugelassen. Das unter der Bezeichnung „Marinol“ vertriebene dronabinolhaltige Mittel
sei nur in den USA und Kanada zugelassen, allerdings beschränkt auf die Behandlung
von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie und zur Appetitsteigerung
bei Aids-Patienten. Als Rezepturarzneimittel bedürfe Dronabinol zwar keiner Zulassung
nach dem Arzneimittelgesetz (AMG), unterliege aber dem Erlaubnisvorbehalt des § 135
Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs, Fünftes Buch (SGB V) für neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden. Beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) sei bislang aber
kein entsprechender Antrag gestellt und auch kein Verfahren von Amts wegen
eingeleitet worden. Einschlägige Studien mit wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen
seien dort nicht bekannt. Auch aus der Rechtsprechung des BVerfG ergebe sich nichts
anderes. Das BVerfG habe nicht entschieden, dass im Falle des Vorliegens einer
lebensbedrohlichen Erkrankung auf jegliche Art von Behandlung und Verordnung
geleistet werden müsse; vielmehr habe es einen Anspruch auf außerhalb des
eigentlichen Leistungskatalogs stehende Behandlungen davon abhängig gemacht, dass
keine andere, dem medizinischen Standard näher stehende Behandlungsmethode zur
Verfügung stehe und zudem eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder
Linderung verlangt. Für die Klägerin seien jedoch noch andere
Behandlungsmöglichkeiten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK)
benannt worden. Dass diese schon vergeblich ausprobiert worden seien, werde zwar
behauptet, aber durch keine Dokumentation belegt. Auch bestehe die Möglichkeit einer
enteralen Ernährung mit jejunaler Sondennahrung oder parenteraler Arzneimittelzufuhr.
Die Aussicht auf Heilung und Linderung ergebe sich nur aus der entsprechenden
Einschätzung der behandelnden Ärzte. Dagegen habe das Bundessozialgericht (BSG) in
Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG aus Gründen des
Patientenschutzes ein Erkenntnisniveau verlangt, dass demjenigen der Zulassungsreife
eines Arzneimittels entspreche. Daran fehle es für Dronabinol aber. Bei den von der
Klägerin beschriebenen Symptomen Übelkeit und Erbrechen handele es sich nicht um
seltene Erkrankungen. In Bezug auf Dronabinol werde in den frei verfügbaren Berichten
regelmäßig darauf hingewiesen, dass es wirksamere Alternativen gebe. Weder
berichteten die behandelnden Ärzte über Behandlungsversuche mit Vomex-Präparaten
oder anderen Standardpräparaten wie Promethazin oder Haloperidol, noch seien die
Auswirkungen der Gabe von Dronabinol oder anderen Präparaten auf die Entwicklung
des Körpergewichts dokumentiert.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Mai 2006 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und die Beklagte unter
Klagerücknahme im Übrigen zu verurteilen, ihr 10.224,21 Euro zu erstatten (ärztliche
Verordnungen vom 12. Juli 2007 bis 16. August 2010 für Dronabinol-Tropfen).
Seit der Verordnung vom 12. Juli 2007 werde die Einlösung der Kassenrezepte über
Dronabinol von den Apotheken verweigert, seitdem sei sie Selbstzahlerin; die letzte nicht
auf Kosten der Beklagten eingelöste Verordnung datiert vom 16. August 2010.
Insgesamt habe sie damit 10.224,21 Euro ausgelegt.
Die Seltenheit ihrer Erkrankung sei der Grund, dass es keine Richtlinien zur Behandlung
oder einen Antrag auf Abgabe einer Empfehlung für das streitige Medikament gebe. Für
den Fall einer singulären Erkrankung habe das BSG anerkannt, dass eine Leistungspflicht
für nicht zugelassene Medikamente bestehe, Auch die vorherige Anerkennung durch den
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sei nicht erforderlich. Bei im Ausland
bereits zugelassenen Medikamenten seien ohne begründete Zweifel auch keine weiteren
Ermittlungen erforderlich. Für Marinol bestehe in den USA und Kanada eine Zulassung
zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen. Die Singularität und die lebensbedrohende
Qualität der Erkrankung der Klägerin werde durch die Stellungnahme des behandelnden
Arztes Prof. Dr. L vom 13. Oktober 2004 bestätigt. Dessen weitere Stellungnahmen
belegten auch, dass andere Behandlungsmöglichkeiten bereits (erfolglos) versucht
worden seien. Der Vorschlag, die Klägerin solle sich in Form enteraler Ernährung mit
jejunaler Sondennahrung oder parentaler Arzneimittelzufuhr behandeln lassen,
widerspreche der Verhältnismäßigkeit.
Der bisher zuständige 24. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hat den Facharzt für
Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. A mit der Erstellung eines neurologischen
Fachgutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 3. Dezember 2007 führt Prof. Dr.
A aus, dass die Erkrankung der Klägerin als lebensbedrohlich bzw. regelmäßig tödlich
anzusehen sei, wenn nicht eine Diagnose, sondern die Verbindung mehrerer Symptome
betrachtet werde. Die Gewährung von Aufnahme und Resorption der antihypertensiven
Medikamente sei lebensnotwendig, die Wiederholung einer Hypertonie-induzierten
Hirnblutung lebensbedrohlich und möglicherweise tödlich. Aus den bisher
dokumentierten Therapieerfahrungen und den erneut einsetzenden Verschlechterungen
bei den Auslassversuchen ergäben sich nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung
ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Heilungserfolg bei der
Klägerin. Es sei nach den eigenen Angaben der Klägerin sowie nach den Stellungnahmen
von Prof. Dr. L zweifelsfrei, dass die Gabe von Dronabinol bei der Klägerin zu einer
spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geführt habe. Eine allgemein
anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung stehe nicht zur
Verfügung. Vomex werde in Kombination mit Dronabinol eingesetzt, eine Behandlung
mit Promethazin oder Haloperidol entspreche keineswegs dem allgemeinen
medizinischen Standard; es handele sich um Psychopharmaka bzw. Neuroleptika, deren
Wirksamkeit nicht ausreichend erwiesen sei und bei denen ein erhebliches
Nebenwirkungsspektrum vorliege. Eine parenterale Applikation von Medikamenten
könne nicht einmal theoretisch erwogen werden, da es sich um eine Langzeit-Medikation
handele.
Zu dem Gutachten hat die Beklagte auf eine Stellungnahme des MDK verwiesen,
wonach die eigentliche lebensgefährdende Erkrankung der Klägerin eine Hypertonie sei,
die primär behandelt werden müsse. Zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen
stünden noch andere Substanzen zur Verfügung, z.B. Aprepitant. Zu allen möglichen
Einsatzbereichen von Cannabis existierten alternativ überlegene Arzneimittel.
Der dazu erneut vom Senat befragte Gutachter Prof. Dr. A hat in seiner ergänzenden
gutachterlichen Stellungnahme vom 28. März 2008 an der Einschätzung aus seinem
Gutachten festgehalten. Der Vorschlag, Medikamente über eine jejunale Sonde zu
geben, könne nicht ernst gemeint sein. Auch der in seinem Gutachten bestätigte
zentrale Lagerungsschwindel sei objektiv belegt.
Die Beklagte hat dazu wiederum auf die erneut eingeholte Einschätzung des MDK Bezug
genommen, der an dem Vorschlag der Versorgung über eine jejunale Sonde
festgehalten und erneut ausgeführt hat, dass potentere Präparate gegen
Schwindelgefühl und Übelkeit als Cannabisprodukte existierten.
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Die Klägerin hat darauf entgegnet, dass nach neurologischer Einschätzung eine
verbesserte Blutdruckeinstellung keinen positiven Einfluss auf den Schwindel und das
Erbrechen habe. Auch bei Zuführung von Bluthochdruckmedikamenten über eine Sonde
würde sie weiter Nahrung erbrechen, was ebenfalls in eine lebensgefährliche Situation
münden könne. Soweit die Beklagte noch das Medikament Aprepitant vorgeschlagen
habe, sei dieses nicht für eine Langzeitbehandlung zugelassen. Insbesondere seien
Wechselwirkungen mit den Bluthochdruckmedikamenten zu besorgen. Die Durchführung
einer enteralen Ernährung widerspreche auch den Arzneimittelrichtlinien, da sie - die
Klägerin – unter Gabe eines bestimmten Medikamentes fähig sei, Nahrung
aufzunehmen und bei sich zu behalten. Auch sei es unverhältnismäßig, sie langfristig auf
eine Sondenernährung zu verweisen.
Dazu hat die Beklagte wieder eine weitere Stellungnahme des MDK eingeholt, der
ausgeführt hat, dass es zurzeit offenbar keine lebensbedrohliche Situation mehr gebe,
weswegen zu Lasten der GKV weder ein Import-Präparat verordnet noch eine
Apothekenherstellung vorgenommen werden dürfe.
Die Klägerin hat erwidert, dass ihr relativ guter Zustand auf die weitere Einnahme von
Dronabinol zurückzuführen sei, die sie seit Mitte 2007 notgedrungen selbst finanziere.
Diese Ursächlichkeit bestreitet wiederum die Beklagte, weil es auch andere
Behandlungsmöglichkeiten gegeben hätte.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat durfte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beklagten einseitig
verhandeln und nach Lage der Akten entscheiden, weil die Beklagte mit der Ladung auf
diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dem
Antrag auf Terminsverlegung musste der Senat aus dem der Sitzungsniederschrift zu
entnehmenden Gründen nicht entsprechen.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts erweist sich im Wesentlichen als zutreffend. Die Klägerin hat Anspruch auf
Versorgung mit Dronabinol entsprechend den ärztlichen Verordnungen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nur noch die Erstattung der Kosten für das in der Zeit
vom 14. Juli 2007 bis 18. August 2010 von der Klägerin selbst gekaufte Medikament. Für
die Zeit vorher hat die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag Dronabinol als Sachleistung
auf Kassenrezept zu Lasten der Beklagten erhalten, entsprechend hat sie in der
mündlichen Verhandlung den ursprünglichen Klageantrag zurückgenommen. Für die Zeit
nach dem 18. August 2010 fehlt es bislang an einer ärztlichen Verordnung, so dass
schon aus diesem Grund keine Leistungspflicht der Beklagten ausgesprochen werden
kann. Auch insoweit hat die Klägerin ihren Klageantrag im Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat beschränkt.
Der Sache nach hat das Sozialgericht in seinem von der Beklagten mit der Berufung
angegriffenen Gerichtsbescheid die Beklagte zur Leistung von Dronabinol verurteilt.
Darauf richtete sich nämlich – bei sachgerechter Würdigung des Klagebegehrens - der
Klageantrag der Klägerin. Allein die Feststellung, dass eine Leistungspflicht bestehe,
reichte nicht aus, um ihr einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen. Entsprechend ist der
auf Feststellung lautende Tenor des Gerichtsbescheides auszulegen. Das Sozialgericht
wollte die Klage – wie sich aus den Gründen des Gerichtsbescheides ergibt – nicht
teilweise abweisen, sondern ihr in vollem Umfang stattgeben. Für die Vergangenheit bis
zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wandelte
sich der vom Sozialgericht ausgeurteilte, in die Zukunft gerichtete Leistungsanspruch in
einen Kostenerstattungsanspruch um, da die Beklagte ihn nicht erfüllt hat. Mit diesem
Inhalt ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts zu bestätigen, soweit die Klägerin ihr
Klagebegehren noch aufrechterhalten hat.
Gesetzliche Grundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 SGB V. Nach
dieser Vorschrift sind Versicherten Kosten für selbstbeschaffte Leistungen in
entstandener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung
nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die
Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein
entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die
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entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die
selbstbeschaffte Leistung zu denjenigen gehört, welche die gesetzliche
Krankenversicherung als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, zuletzt
Urteil vom 8. September 2009 – B 1 KR 1/09 R -, ständige Rechtsprechung).
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder
durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.
Fertigarzneimittel sind grundsätzlich nur dann von der Leistungspflicht der GKV umfasst,
wenn ihnen die nach § 21 Abs. 2 AMG erforderliche Zulassung erteilt worden ist.
Dronabinol wird zwar in den USA unter der Bezeichnung Marinol als Fertigarzneimittel
vertrieben und ist dort zur Behandlung der Übelkeit bei Chemotherapie sowie zur
Therapie der Kachexie und zur Appetitstimulation bei Aids-Patienten zugelassen. Diese
Zulassung entfaltet aber keinerlei Rechtswirkungen für Deutschland (BSG, Urteil vom 27.
März 2007 – B 1 KR 30/06 R -).
Gegenstand des Rechtsstreits ist indessen die Versorgung der Klägerin mit Dronabinol
als Rezeptursubstanz, auf die die Behandlung der Klägerin nach Auskunft ihres
behandelnden Arztes bereits seit November 2001 umgestellt worden ist. Die Verordnung
von Dronabinol als Rezeptursubstanz ist nach § 73 Abs. 3 AMG und unter Beachtung der
Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (§ 13 BtMG und Anlage III zu Abs. 1 BtMG)
grundsätzlich zulässig (BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 1 KR 30/06 R - ). Die von der
Klägerin vorgelegten Rezepte mit den Daten vom 12. Juli 2007 bis 16. August 2010
genügen den Vorschriften der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV), da
die in § 2 Abs. 1 a) Nr. 5 BtMVV festgesetzte Höchstmenge von 500 mg nicht
überschritten wird. Auch der die Einnahme betreffende Vermerk „gemäß schriftlicher
Anweisung“ ist gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 BtMVV zulässig.
Leistungsrechtlich dürfen die Krankenkassen aber nach der Rechtsprechung des BSG
eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA) noch nicht empfohlen worden ist, eigentlich nicht gewähren,
weil sie an das sich aus § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergebende Verbot und die das Verbot
konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind (BSG, Urteil vom 27. März 2007 –
B 1 KR 30/06 R -). Für die Therapie von Übelkeit und/oder Erbrechen oder speziell eines
unstillbaren Erbrechens bei zentralem Lagerungsschwindel nach hypertensiver
Kleinhirnblutung hat der GBA bislang keine Empfehlung für Dronabinol erteilt. Das wird
durch das von der Beklagten vorgelegte Schreiben des GBA vom 16. August 2006
bestätigt, wonach bei ihm bislang weder ein Antrag auf Überprüfung einer Behandlung
mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol gestellt worden sei, noch genügend
Anhaltspunkte vorlägen, um ein entsprechendes Verfahren von Amts wegen einzuleiten.
Allerdings sind in der Rechtsprechung des BSG bereits Ausnahmen von dem Erfordernis
einer vorherigen Empfehlung durch den GBA für die Therapie mit einem
Rezepturarzneimittel anerkannt. Dies betrifft zunächst die sog. Seltenheitsfälle, die sich
einer systematischen Erforschung entziehen, sowie dann die Fälle des sog.
Systemversagens, in denen der GBA trotz Erfüllung der formalen und inhaltlichen
Voraussetzungen für eine Überprüfung untätig geblieben und die fehlende Anerkennung
darauf zurückzuführen ist. Aus diesen anerkannten Ausnahmefällen ergibt sich indessen
kein Anspruch der Klägerin auf Versorgung. Dass ein Fall des Systemversagens hier
nicht vorliegt, begründet sich zunächst daraus, dass bisher kein Antrag auf Überprüfung
einer Therapie mit Dronabinol gestellt worden ist. Die Einleitung eines entsprechenden
Verfahrens von Amts wegen wäre nur erforderlich gewesen, wenn genügend
aussagekräftige Studien vorlägen, die einen entsprechenden Therapieerfolg bestätigten
(BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 1 KR 30/06 R -). Dies hat der GBA in seinem
Schreiben vom 16. August 2006 verneint. Etwas Gegenteiliges hat sich auch aus den
Ermittlungen des vorliegenden Verfahrens nicht ergeben, vielmehr hat die Neurologische
Klinik der Universität München in ihrer dem Sozialgericht erteilten Auskunft vom 15. April
2004 ausdrücklich bestätigt, dass es keine klinische Studien über die Behandlung von
Übelkeit und Erbrechen mit Cannabinoiden gebe. Die von der Beklagten vorgelegte
Grundsatzstellungnahme des MDK vom 12. August 2004 beurteilt die Aussagekraft der
vorhandenen Studien zurückhaltend, ein allgemeiner Therapiestandard habe sich nicht
entwickelt. Der behandelnde Arzt Prof. Dr. L beruft sich für die fachliche Anerkennung der
von ihm gewählten Behandlungsmethode im Wesentlichen auf einen Artikel in dem
British Medical Journal aus dem Jahre 2001, der auch vom MDK in seiner
Grundsatzstellungnahme ausgewertet worden ist. Dieser Artikel bezieht sich nur auf
Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie; er berichtet, dass bei Studien (gelegentlich)
positive Wirkungen bei der Gabe von Cannabinoiden beobachtet worden seien, ohne
aber die regelmäßige Überlegenheit dieser Behandlungsform begründen zu wollen.
Dementsprechend kommt der Senat zu dem Schluss, dass für den Einsatz von
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Dementsprechend kommt der Senat zu dem Schluss, dass für den Einsatz von
Cannabinoiden zu therapeutischen Zwecken nach wie vor die allgemeine
wissenschaftliche Anerkennung fehlt, so dass dem GBA ein Untätigbleiben in dieser
Frage nicht als Systemversagen vorgehalten werden kann (BSG, Urteil vom 27. März
2007 – B 1 KR 30/06 R -).
Auch ein Seltenheitsfall, der sich der systematischen Erforschung entzieht, liegt nicht
vor. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die gerade bei der Klägerin vorliegende
besondere Konstellation – wie von ihrem behandelnden Arzt Prof. Dr. L bestätigt -
bestenfalls einmal unter einer Million Menschen auftritt. Denn die Gabe von Dronabinol
soll nicht den bestehenden regelwidrigen Körperzustand, hier die bei der Klägerin zu
Schwindel und Erbrechen führende Kleinhirnschädigung bei Bluthochdruck, als solches
heilen, sondern bestimmte Symptome, nämlich Übelkeit und Erbrechen, bekämpfen, die
weitaus häufiger auftreten. Wesentlich für das Behandlungskonzept ist demnach nicht
die Ursache der Beschwerden, sondern die Möglichkeit ihrer Unterdrückung. Daran ist
dann auch die Seltenheit des Behandlungsfalles zu messen. Die Symptome Übelkeit
und Erbrechen treten aber häufig genug auf, um eine wissenschaftlich begründete
Untersuchung der Wirksamkeit ihrer Therapie zu ermöglichen. Dass sich aus der
Verwendung von Dronabinol in Fällen, in denen Übelkeit und Erbrechen andere Ursachen
als bei der Klägerin haben, keine Erkenntnisse ergeben würden, die auch für den Einsatz
bei der Klägerin Bedeutung hätten und auf ihren speziellen Fall übertragen werden
könnten, behauptet im Übrigen selbst der behandelnde Arzt der Klägerin nicht. Im
Gegenteil, er verweist für sein Behandlungskonzept insbesondere auf einen Artikel in
einer medizinischen Fachzeitschrift, dessen Gegenstand die Verwendung von
Cannabinoiden bei Übelkeit und Erbrechen ist, welche durch eine Chemotherapie
hervorgerufen werden.
Gleichwohl besteht unter den besonderen individuellen Verhältnissen der Klägerin ein
Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol. Nach der Rechtsprechung des BSG ist im
Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des SGB V (Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip; Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) eine Versorgung mit
nicht zugelassenen Fertigarzneimitteln oder Rezepturarzneimitteln ohne
Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung ausnahmsweise möglich, wenn eine
notstandsähnliche Situation vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden
aktuellen Behandlungsbedarf typisch ist (Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R - im
Anschluss an BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -). Drohen muss
nach den Umständen des Einzelfalles, dass sich ein voraussichtlich tödlicher
Krankheitsverlauf innerhalb eines kurzen Zeitraumes verwirklichen wird. Gleichgestellt ist
der Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion.
Das Arzneimittel muss in dieser Situation eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern
liegende Aussicht auf eine wenigstens spürbare positive Auswirkung auf den
Krankheitsverlauf bieten. Diese vom BSG für die Versorgung mit Arzneimitteln
aufgestellten Regeln hat das BVerfG ausdrücklich als verfassungsrechtlich zulässig
angesehen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2008 - 1 BvR 1665/07).
Zur Überzeugung des Senats liegt bei der Klägerin eine lebensbedrohende Erkrankung
vor, welche der Behandlung bedarf. Nach der Rechtsprechung des BSG reicht insoweit
allein eine schwere Erkrankung nicht aus, vielmehr muss die konkrete Gefahr bestehen,
dass (ohne Behandlung) in näherer Zeit ein tödlicher Krankheitsverlauf eintritt (BSG,
Urteil vom 27. März 2007 – B 1 KR 30/06 R -). Auch diese strengen Anforderungen
werden in dem vorliegenden Sachverhalt indessen erfüllt. Dafür bezieht sich der Senat
auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A, der die Angaben des
behandelnden Arztes Prof. Dr. L bestätigt hat. Danach besteht bei der Klägerin
unbehandelt konkrete Lebensgefahr, weil der bestehende erhebliche Bluthochdruck die
Gefahr einer erneuten Gehirnblutung mit sich bringt, welche die Möglichkeit eines
tödlichen Verlaufs einschließt. Diese Möglichkeit ergibt sich nicht aus einer weiteren
Entwicklung der Erkrankung in der Zukunft, sondern besteht schon jetzt, wenn eine
Therapie unterbleibt. Da die Klägerin Dronabinol fortlaufend, auch auf eigene Kosten,
eingenommen hat, kann das Bestehen von konkreter Lebensgefahr – entgegen den
Ausführungen der Beklagten - nicht mit der Hinweis verneint werden, dass der
Gesundheitszustand der Klägerin zurzeit hinreichend gut sei. Maßgeblich für den
Anspruch der Klägerin ist nämlich die – vorliegend hypothetisch zu beantwortende –
Frage, wie ihr Gesundheitszustand ohne die Gabe von Dronabinol wäre.
Auch der Hinweis der Beklagten, dass die eigentlich lebensbedrohende Krankheit der
Klägerin nicht Übelkeit und Erbrechen, sondern der Bluthochdruck sei, führt zu keinem
anderen Ergebnis. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Prüfung des
Vorliegens einer notstandsähnlichen Situation ist auf die konkret-individuelle Lage des
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Vorliegens einer notstandsähnlichen Situation ist auf die konkret-individuelle Lage des
Versicherten abzustellen. Die Situation der Klägerin ist aber nicht nur durch
Bluthochdruck, sondern auch dadurch geprägt, dass dessen Behandlung durch Übelkeit
und Erbrechen erschwert ist. Die Klägerin wird durch letztere wegen der Auswirkungen
auf die Möglichkeit einer Behandlung ihrer Grunderkrankung weit stärker betroffen als
jemand, der nur an Übelkeit und Erbrechen und nicht zusätzlich auch an schwer
einstellbarem extremen Bluthochdruck leidet. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob
der Bluthochdruck oder die Übelkeit jeweils für sich gesehen als schwere
lebensbedrohliche Krankheit angesehen werden könnte. Der Annahme eines
lebensbedrohlichen Zustands steht dabei nach der Rechtsprechung des BVerfG auch
nicht entgegen, dass die Therapie mit Dronabinol nicht unmittelbar auf dem
Bluthochdruck mit der Gefahr einer erneuten Gehirnblutung einwirkt (vgl. Beschluss vom
6. Februar 2007, 1 BvR 3101/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 23, [Apheresebehandlung]
sowie Beschluss vom 29. November 2007, 1 BvR 2496/07 [Hyperthermiebehandlung zur
Schmerzbekämpfung]).
Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass in der bisherigen
obergerichtlichen Rechtsprechung ein Anspruch von Versicherten der GKV auf
Versorgung mit Dronabinol regelmäßig abgelehnt wurde (BSG, Urteil vom 27. März 2007
– B 1 KR 30/06 R -; Bayerisches LSG, Urteil vom 11. September 2007 – L 5 KR 132/06 –
und vom 13. Dezember 2007 – L 4 KR 150/06 - ; Landessozialgericht für das Land NRW,
Urteil vom 14. Februar 2008 – L 5 KR 25/06 -, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.
Dezember 2008 – L 5 KR 52/08 -). Diesen Entscheidungen ist aber nicht der Rechtssatz
zu entnehmen, dass ein Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol unter keinen
Umständen gegeben sein könnte. Maßgebend sind vielmehr die konkreten Verhältnisse
des jeweiligen zu entscheidenden Sachverhaltes, die aufzuklären sind und sich dann
anders als in den schon entschiedenen Fällen darstellen können (vgl. schon Beschluss
des erkennenden Senats vom 4. März 2008 –L 9 B 462/07 KR PKH -).
Weiter besteht eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine wenigstens spürbare
positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf. Das hat der Gutachter Prof. Dr. A so
bestätigt. Seine Einschätzung ist für den Senat nachvollziehbar. Wenn Erbrechen und
Schwindel durch die Gabe von Dronabinol unterdrückt werden, kann die Klägerin
genügend Medikamente gegen Bluthochdruck auf oralem Wege aufnehmen und bei sich
behalten, um ihren lebensgefährdenden Bluthochdruck auf ein tragbares Maß zu
senken. Die Gabe von Dronabinol bei Übelkeit wird in der medizinischen Fachwelt als
Behandlungsmöglichkeit zudem zumindest erwogen, wie sich aus der dem Sozialgericht
erteilten Auskunft der Neurologischen Klinik der Universität München, aber auch aus
dem vom MDK erstellten Grundsatzgutachten ergibt. Der positive Einfluss von
Dronabinol für den konkreten Behandlungsfall der Klägerin ist dadurch belegt, dass nach
Auskunft des behandelnden Arztes das Erbrechen wieder zunahm, nachdem die Klägerin
das Präparat abgesetzt hatte.
Schließlich steht auch keine andere Behandlungsmöglichkeit aus dem anerkannten
Leistungskatalog der GKV zur Verfügung. Soweit die Beklagte andere Medikamente zur
Behandlung des Erbrechens von der Beklagten benannt hat, nämlich Vomex,
Promethazin, Haloperidol und Aprepitant, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin
Vomex in Kombination mit Dronabinol einnimmt, die alleinige Gabe aber zur Therapie als
nicht ausreichend angesehen wird. Promethazin und Haloperidol sind nach dem
Gutachter Prof. Dr. A vorliegend nur im Off-Label-Use verwendbar und mit der Gefahr
erheblicher Nebenwirkungen verbunden. Zu Aprepitant hat die Klägerin vortragen
lassen, dass dieses Medikament nicht zur Langzeittherapie zugelassen sei, der MDK hat
an dem Hinweis auf dieses Medikament als Ausweichmöglichkeit nicht festgehalten.
Soweit die Beklagte vorgeschlagen hat, den Bluthochdruck der Klägerin im Wege einer
parenteralen Medikamentengabe zu behandeln, schließt sich der Senat der Auffassung
des Gutachters Prof. Dr. A an, dass eine Gabe blutdrucksenkender Medikamente im
Wege der Injektion oder einer Sonde angesichts der Notwendigkeit einer
Dauerbehandlung zu aufwändig und auch risikobehaftet wäre, um als Alternative zu
einer Einnahme auf natürlichen Wege in Betracht zu kommen, deren Möglichkeit durch
die Gabe von Dronabinol gesichert werden kann. Dies erscheint insbesondere deswegen
gerechtfertigt, weil sich die Beklagte nicht näher dazu geäußert hat, unter welchen
konkreten Voraussetzungen und Bedingungen dauerhaft eine Medikamentengabe auf
parenteralem Wege erfolgen könnte.
Der Höhe nach ergibt sich die Erstattungsforderung aus den von der Klägerin sämtlich
im Original vorgelegten Rezepten vom 12. Juli 2007, 13. August 2007, 31. Oktober 2007,
7. Januar 2008, 25. Februar 2008, 15. April 2008, 18. Juni 2008, 29. Juli 2008, 29.
September 2008, 3. November 2008, 7. November 2008, 29. Januar 2009, 10. März
2009, 10. April 2009, 26. Mai 2009, 14. Juli 2009, 1. September 2009, 12. Oktober 2009,
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2009, 10. April 2009, 26. Mai 2009, 14. Juli 2009, 1. September 2009, 12. Oktober 2009,
27. November 2009, 13. Januar 2010, 2. März 2010, 15. April 2010, 20. Mai 2010 und 16.
August 2010, denen ein Gesamtbetrag der entstandenen Kosten von 10.224,21 Euro zu
entnehmen ist.
Die Berufung der Beklagten konnte demnach keinen Erfolg haben.
Auch in der Zukunft wird die Beklagte der Klägerin entsprechend dem oben Erörterten
Dronabinol leisten müssen, wenn bei unverändertem Gesundheitszustand weitere
vertragsärztliche Verordnungen erfolgen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klägerin in
der Sache ihr Ziel vollständig erreicht hat.
Gründe für die Zulassung der Revision entsprechend § 160 Abs. 2 SGG sind nicht
ersichtlich. Insbesondere weicht der Senat nicht von Rechtssätzen ab, welche das BSG
zur Beurteilung eines Anspruchs auf Versorgung mit einem Rezepturarzneimittel
aufgestellt hat. Die Frage, ob eine lebensbedrohende Erkrankung vorliegt, ist von den
tatsächlichen Umständen des Einzelfalles abhängig; ihre Beantwortung kann demnach
nicht zur Zulassung der Revision führen.
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