Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22.01.2007

LSG Berlin-Brandenburg: arbeitsentgelt, öffentlich, metallverarbeitender betrieb, krankenversicherung, berufsausbildung, tarifvertrag, arbeitsförderung, versicherungspflicht, ausführung, beweislast

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 1 KR 241/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 SGB 4, § 22 Abs 1 SGB 4, §
28p Abs 1 S 1 SGB 4, § 4 TVG, §
5 TVG
Sozialversicherung - Zeitpunkt des Entstehens des öffentlich-
rechtlichen Beitragsanspruchs - nachträgliches Entfallen eines
Arbeitsentgeltanspruches aufgrund tariflicher Ausschlussklausel
- Geltung von Tarifverträgen in Mischbetrieben (hier:
Gebäudereinigung)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom
22. Januar 2007 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 wird aufgehoben, soweit er die Beigeladene
zu 1) betrifft.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge mit Ausnahme der Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderungen von Gesamtbeiträgen zur
Sozialversicherung wegen der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) in ihrem Betrieb
aufgrund eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages für den Zeitraum vom 1.
Januar 1999 bis 31. Dezember 2002.
Die Klägerin betreibt unter der Bezeichnung „Gebäudemanagement“ eine Firma, als
deren Geschäftszweck sie „- Hauswartung, - Glas- und Gebäudereinigung, -
Grünanlagenpflege, - Schnee- und Eisbeseitigung, - Straßen- und Großflächenreinigung,
- Sicherheitsdienste“ angibt. Sie ist bei der Handwerksinnung Berlin in die
Handwerksrolle als Gebäudereinigerbetrieb eingetragen. Die Prüf- und Beratungsstelle
für Dienstleistung und Gebäudemanagement Berlin hat schriftlich mitgeteilt, dass die
Klägerin dort als Gebäudereinigerbetrieb registriert sei und Mitgliedsbeiträge zahle.
Die Beklagte führte vom 19. Juni 2003 bis zum 24. Juni 2003 bei der Klägerin eine
Betriebsprüfung über den streitigen Zeitraum durch. Dabei stellte sie fest, dass
Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht aus den Entgelten gezahlt wurden, die sich
aus den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen für das
Gebäudereinigerhandwerk in B ergaben, sondern aus niedrigeren Entgelten. Für die
Beigeladene zu 1) ergab sich eine Nachforderung in Höhe von 549,39 €, deren Höhe sich
aus den Berechnungen im Verwaltungsvorgang der Beklagte ergibt und die unstreitig ist.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 forderte die Beklagte von der Klägerin insgesamt
für 35 Arbeitnehmer 29.546,13 €, für die Beigeladene zu 1) 549,36 €.
Nachdem der dagegen am 11. Januar 2004 erhobene Widerspruch bis dahin nicht
begründet worden war, wies ihn die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2004 zurück.
Hiergegen hat sich die am 29. Juli 2004 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage
gerichtet, mit der die Klägerin vorgetragen hat, der Tarifvertrag für das
Gebäudereinigerhandwerk finde auf ihren Betrieb keine Anwendung. Angaben zur
Tätigkeit des Betriebes hat sie nicht gemacht, es sei Aufgabe der Beklagten
nachzuweisen, dass sie überwiegend Gebäudereinigungstätigkeiten verrichte.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, aus den Feststellungen im Prüfverfahren und
dem gesamten Auftreten der Klägerin nach außen ergebe sich, dass diese überwiegend
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dem gesamten Auftreten der Klägerin nach außen ergebe sich, dass diese überwiegend
mit Gebäudereinigung beschäftigt sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. Januar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, alle vorhandenen Hinweise sprächen
dafür, dass die Klägerin ein Gewerbe im Bereich der Gebäudereinigung betreibe, so dass
die entsprechenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge Anwendung fänden. Dies
schlösse zwar nicht aus, dass sie auch andere Tätigkeiten ausübe, es hätte jedoch ihr
oblegen, substantiiert darzulegen, ob und gegebenenfalls wie diese Tätigkeiten
überwögen.
Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten am 19. Februar 2007 zugestellten
Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 19. März 2007. Es hätte
nach der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten oblegen, die sachlichen
Voraussetzungen eines Entgeltanspruches darzulegen und zu beweisen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2007 zu ändern und
den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 soweit er die Beigeladene zu 1) betrifft,
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. November 2008 ist der Beklagten unter
Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - BAG - zur tarifvertraglichen
Einordnung von Mischbetrieben Gelegenheit gegeben worden, darzulegen, dass die
Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Klägerin im streitigen Zeitraum überwiegend durch
Tätigkeiten des Gebäudereinigerhandwerks in Anspruch genommen wurde. Die Beklagte
hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nachzuweisen, dass dies nicht der Fall
sei.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zu dem streitigen Prüf-
und Nachforderungsvorgang verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Der Bescheid vom 8. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
24. Juni 2004 ist rechtswidrig. Die Klägerin schuldet keine
Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach dem Tariflohn für die Beigeladene zu 1).
Nach § 28 p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den
Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem
Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag
entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der
Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28 a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Die
Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur
Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung
sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide
gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28 h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 SGB IV i.
V. m. § 89 Abs. 5 SGB X nicht (§ 28 b Abs. 1 Satz 5 SGB IV).
Nach § 28 d Sätze 1 und 2 SGB IV werden als Gesamtsozialversicherungsbeitrag die
Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten
Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung
gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung für einen in der
Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten. Nach § 28 e Abs. 1 Satz
1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen.
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In der Krankenversicherung sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Arbeiter, Angestellte und
zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind,
versicherungspflichtig. In der Rentenversicherung sind nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI u. a.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind,
versicherungspflichtig. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind nach dem Recht der
Arbeitsförderung Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung
beschäftigt sind (versicherungspflichtige Beschäftigung) versicherungspflichtig. In der
sozialen Pflegeversicherung sind nach § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 erster
Halbsatz SGB XI die versicherungspflichtigen Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung versicherungspflichtig. Dies sind Arbeiter, Angestellte und zu ihrer
Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind.
Hinsichtlich der beitragspflichtigen Einnahmen als Beitragsbemessungsgrundlage
bestimmen die besonderen Regelungen des Sozialgesetzbuchs Folgendes: In der
Krankenversicherung wird nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V der Beitragsbemessung
bei versicherungspflichtig Beschäftigten das Arbeitsentgelt aus einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt. In der Rentenversicherung sind
die beitragspflichtigen Einnahmen Beitragsbemessungsgrundlage für
Versicherungspflichtige (§ 161 Abs. 1 SGB VI), wobei nach § 162 Nr. 1 SGB VI
beitragspflichtige Einnahmen bei Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden,
das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, jedoch bei Personen,
die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt werden, mindestens 1 v. H. der Bezugsgröße
sind. Nach dem Recht der Arbeitsförderung sind die beitragspflichtigen Einnahmen
Beitragsbemessungsgrundlage (§ 341 Abs. 3 Satz 1 SGB III), wobei nach § 342 SGB III
beitragspflichtige Einnahme bei Personen, die beschäftigt sind, das Arbeitsentgelt, bei
Personen, die zur Berufsausbildung beschäftigt sind, jedoch mindestens ein
Arbeitsentgelt in Höhe von einem Prozent der Bezugsgröße ist. In der sozialen
Pflegeversicherung gelten nach § 57 Abs. 1 SGB XI bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in
der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind, für die
Beitragsbemessung unter anderem der bereits genannte § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB
V.
Die genannten Vorschriften knüpfen alle am Begriff des Arbeitsentgeltes an. Nach § 14
Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus
einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie
unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
Nach § 22 Abs. 1 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger,
sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen
vorliegen. Nach § 23 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IV werden laufende Beiträge, die
geschuldet werden, entsprechend den Regelungen der Satzung der Kranken- und
Pflegekasse fällig. Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen
zu bemessen sind, werden spätestens am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, in
dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt (zum
Geltungsbereich des SGB IV vgl. § 1 Abs. 1 SGB IV).
Diese Vorschriften regeln als öffentlich-rechtliche Normen, wann und in welcher Höhe
eine Beitragsforderung kraft Gesetzes entsteht. Da das Arbeitsentgelt Voraussetzung
für das Entstehen der Beiträge ist, findet zwar insoweit eine Anknüpfung am Arbeitsrecht
statt. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgelt (Vergütung) ist hinsichtlich seiner
Entstehung (§ 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) zivilrechtlich geregelt, wobei
er hinsichtlich der Höhe auch tarifvertragsrechtlich, ggf. über eine
Allgemeinverbindlichkeitserklärung beeinflusst wird (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 und
§ 5 Abs. 1, Abs. 4 Tarifvertragsgesetz - TVG -). Ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf
Arbeitsentgelt jedoch einmal entstanden, ist zugleich auch der öffentlich-rechtliche
Beitragsanspruch begründet worden. Dieser öffentlich-rechtliche Beitragsanspruch
unterliegt nicht der Disposition der Arbeitsvertragsparteien, sondern bestimmt sich
hinsichtlich des Erlöschens, der Verwirkung oder der Verjährung ausschließlich nach
öffentlich-rechtlichen Regelungen. Deswegen ist es für diesen öffentlich-rechtlichen
Beitragsanspruch ohne Belang, was nach seiner Entstehung aus dem davon zu
unterscheidenden arbeitsvertraglichen (zivilrechtlichen) Anspruch auf Arbeitsentgelt
wird. Die Parteien von Arbeitsverträgen und die Tarifpartner haben es zwar in der Hand,
durch Vereinbarung von Entgelt und seiner Höhe den Eintritt der öffentlich-rechtlichen
Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines entgeltlichen
Beschäftigungsverhältnisses mit entsprechenden Beitragsforderungen auszulösen. Ist
dieses jedoch einmal geschehen, so können sie das Versicherungsverhältnis in seiner
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dieses jedoch einmal geschehen, so können sie das Versicherungsverhältnis in seiner
öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung durch ein späteres Verhalten für die Vergangenheit
nicht mehr beeinflussen, sondern seine Änderung lediglich für die Zukunft nach
Maßgabe einer neuen Entgeltvereinbarung oder Entgeltzahlung bewirken. So führt die
Vereinbarung einer rückwirkenden Lohnerhöhung nicht dazu, dass schon in der
Vergangenheit auch ein höherer Beitragsanspruch entstanden ist. Entsprechend bringt
eine rückwirkende Verringerung des Arbeitsentgelts eine einmal entstandene
Beitragsforderung nicht zum Erlöschen. Ebenso ist es auf einen in der Vergangenheit
entstandenen Beitragsanspruch ohne Einfluss, wenn der entstandene
Arbeitsentgeltanspruch später entfällt, weil der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig
gegenüber seinem Arbeitgeber geltend gemacht hat und eine tarifliche
Ausschlussklausel eingreift (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 1994 - 12 RK 59/92 -;
abgedruckt in SozR 3-2200 § 385 Nr. 5 und BSGE 75, 61).
Die Ansicht der Klägerin, die arbeits- bzw. tarifvertraglichen Regelungen über Verjährung
entfalteten in sozialrechtlicher Hinsicht Wirkung, geht somit fehl, weil sie nicht zwischen
dem arbeitsrechtlichen (zivilrechtlichen) Anspruch auf Arbeitsentgelt einerseits und dem
öffentlich-rechtlichen Beitragsanspruch andererseits unterscheidet.
Für die Feststellung der Beitragshöhe gilt das Entstehungsprinzip. Auf den Zufluss
kommt es nur an, soweit über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische
Zahlungen zugewendet oder geleistet werden (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004 - B 12 KR
7/04 R - und - B 12 KR 1/04 R -).
Das Zuflussprinzip trägt dem Schutzzweck der Sozialversicherung nicht hinreichend
Rechnung. Für den Beginn der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt und der
Versicherungsverhältnisse kommt es nicht darauf an, ob und wann der Arbeitgeber das
mit dem Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitsentgelt tatsächlich zahlt und dieses dem
Arbeitnehmer zufließt. Anderenfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch
verzögerte oder verkürzte Zahlung des Arbeitsentgelts über den Versicherungsschutz
des Arbeitnehmers zu verfügen. Ob ein bestimmter Arbeitnehmer in seiner
Beschäftigung der Versicherungspflicht unterliegt, muss bereits bei Aufnahme der
Beschäftigung und auch danach zu jeder Zeit mit hinreichender Sicherheit festgestellt
werden können. Diese zum Schutz der Beschäftigten erforderliche Rechtssicherheit ist
nur gewährleistet, wenn bei der Frage, ob das Arbeitsentgelt die Geringfügigkeitsgrenze
übersteigt oder die Versicherungspflichtgrenze (Jahresarbeitsentgeltgrenze) in der
Krankenversicherung überschritten wird, auf das einzelvertraglich oder tariflich
zustehende Arbeitsentgelt abgestellt wird (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 7/04
R - und - B 12 KR 1/04 R -). Dementsprechend kann nichts anderes gelten, wenn es auf
der Grundlage eines so festgestellten Versicherungsverhältnisses um die Festsetzung
der Höhe der Beiträge geht. Da sowohl die Versicherungspflicht als auch die
Beitragshöhe vom maßgeblichen Arbeitsentgelt abhängig ist und es nur einen
einheitlichen Begriff des Arbeitsentgeltes gibt, kommt eine unterschiedliche Auslegung
nicht in Betracht. Für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe gilt
gleichermaßen das Entstehungsprinzip (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 7/04 R -
und - B 12 KR 1/04 R -).
Die Lohntarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk im Lande Berlin, sind unstreitig
für den streitigen Zeitraum für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Eine solche
Allgemeinverbindlichkeitserklärung gemäß § 5 TVG ist auch nicht verfassungswidrig
(BVerfGE 44, 322, 351 - 353).
Die Allgemeinverbindlicherklärung entfaltet mithin für Betriebe des
Gebäudereinigerhandwerks in Berlin Wirksamkeit.
Es kann allerdings nicht mehr festgestellt werden, ob es sich bei dem Betrieb der
Klägerin im streitigen Zeitraum um einen solchen des Gebäudereinigerhandwerks
gehandelt hat und die Beweislast hierfür trägt die Beklagte, die zum einen aus der von
ihr angenommen Zugehörigkeit einen rechtlichen Vorteil, nämlich Beitragseinnahmen,
ziehen will und es zum anderen während der Betriebsprüfung verabsäumt hat, insoweit
die notwendigen tatsächlichen Feststellungen zu treffen.
Nach § 1 des Lohntarifvertrages fallen fachlich unter diesen Tarifvertrag alle Betriebe, die
Tätigkeiten aus dem Berufsbild der Gebäudereiniger ausüben. Dazu zählen:
1. Reinigung und Nachbehandlung von Außenflächen an Gebäuden, Bauwerken und
Denkmälern;
2. Reinigung, Oberflächenbehandlung und Pflege von Boden-, Decken- und
Wandflächen, Verglasungen, Beleuchtungskörpern, haus-technischen, sanitären und
klimatechnischen Anlagen sowie von Gegenständen der Raumausstattung;
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klimatechnischen Anlagen sowie von Gegenständen der Raumausstattung;
3. Reinigung und Nachbehandlung von Licht- und Wetterschutzanlagen;
4. Reinigung von Sportstätten, Ausstellungsflächen, Verkehrsanlagen,
Außenbeleuchtungen, Verkehrsmitteln, Verkehrsschildern;
5. antimikrobielle sowie antistatische Ausrüstung von Gegenständen der
Raumausstattung;
6. Ausführung von Arbeiten der Raumhygiene und Flächenbehandlung mit
keimtötenden Mitteln;
7. Ausführung von Vakuum-Entstaubungen;
8. Ausführung von Schnee- und Eisbeseitigung;
9. Reinigung von Gartenanlagen.
Vergleicht man diese Tätigkeiten mit dem äußeren Auftreten der Klägerin, so können
dem zwar durchaus Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass Tätigkeiten, die im
Tarifvertrag als solche des Gebäudereinigerhandwerks aufgelistet sind, dem Betrieb das
Gepräge geben.
Allerdings kommt es darauf nicht wesentlich an. Nach der Rechtssprechung des BAG,
der sich der Senat anschließt, kommt es bei der Prüfung der Geltung von Mischbetrieben
entscheidend darauf an, mit welchen Aufgaben die Arbeitnehmer des Betriebes
überwiegend beschäftigt waren (BAGE 56, 357, Leitsatz 1 Satz 1). Wirtschaftliche
Gesichtspunkte sowie handels- und gewerberechtliche Kriterien sind dagegen
grundsätzlich unbeachtlich und können lediglich ergänzend und zur Bestätigung mit
herangezogen werden.
Die Betriebe fallen, soweit von ihnen oder in ihnen Gebäudereinigungsleistungen
überwiegend erbracht werden, als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Der Betrieb der
Klägerin, der unstreitig nicht nur Gebäudereinigerarbeiten erbringt, ist ein so genannter
Mischbetrieb, der nach den vom BAG entwickelten Maßgaben in Bezug auf die
Anwendbarkeit von Tarifverträgen zu beurteilen ist.
Demgemäß ist ohne tragende Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte entscheidend
darauf abzustellen, ob die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Klägerin von
1999 bis 2002 mit Tätigkeiten des Gebäudereinigerhandwerks ausgefüllt war (BAG vom
25. November 1987 - 4 AZR 361/87 - zitiert nach juris, Rdnr. 21).
Derartige Feststellungen hat die Beklagte während der Betriebsprüfung nicht getroffen
sondern lediglich auf das äußere Erscheinungsbild der Beklagten abgestellt und aus
diesem auf einen „Haupterwerbszweck“ in der Gebäudereinigung geschlossen, der
maßgeblich sei. Diese Auffassung jedoch ist, wie dargelegt, rechtsirrig. Es ist nicht auf
einen sog. Haupterwerbszweck sondern auf die geleistete Arbeitszeit abzustellen;
andernfalls wäre etwa der Automobilhersteller Porsche, der den Schwerpunkt von
Umsatz und Gewinn in den letzten Jahren nicht im Automobilbau sondern in
Finanzgeschäften hatte, kein metallverarbeitender Betrieb, obwohl die Arbeitskraft dort
nach wie vor überwiegend im Kraftfahrzeugbau erbracht wird.
Die von der Beklagten bei der Betriebprüfung und im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren nicht dargelegten Voraussetzungen für die Einbeziehung der Klägerin
in den Geltungsbereich des streitigen Tarifvertrages kann der Senat jetzt nicht mehr
nachholen. Die von der Beklagten eingebrachten Beweisanregungen sind nicht geeignet,
deren fehlende Feststellungen nach zu holen. Zum einen lässt sich den Rechnungen der
Klägerin für deren Kunden nicht entnehmen, welche Arbeitszeit den jeweiligen
Leistungen zugrunde gelegen hat, zum anderen hat die Klägerin vorgetragen, derartige
Unterlagen nicht mehr zu besitzen. Dies ist nicht zu widerlegen und schon deshalb in
Übereinstimmung mit der Lebenserfahrung, weil die Aufbewahrungsfristen abgelaufen
sind. Auch die von der Beklagten angeregte Vernehmung einzelner Arbeitnehmer ist
kein geeignetes Beweismittel, da lediglich durch die Vernehmung aller oder doch fast
aller Arbeitnehmer aus den Jahren 1999 bis 2002 festgestellt werden könnte, womit
damals die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer der Klägerin überwiegend ausgefüllt war. Dies
aber ist schon wegen der Fluktuation, gerade im gewerblichen Bereich, nicht mehr
möglich.
Im Übrigen hat offensichtlich auch die Beklagte selbst bei einer erneuten
Betriebsprüfung im Zeitraum vom 7. - 8. März 2007, die sich auf den Zeitraum vom 1.
Januar 2003 bis 31. Dezember 2006 bezog, keine Anhaltspunkte gefunden, die die
angefochtenen Bescheide stützen könnten, denn in dem in der mündlichen Verhandlung
vom Bevollmächtigen der Klägerin überreichten Bescheid vom 13. März 2007 findet sich
kein Hinweis auf die tarifrechtliche Problematik.
Ist aber der Beweis dafür, dass die Voraussetzungen für die Einbeziehung des Betriebes
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Ist aber der Beweis dafür, dass die Voraussetzungen für die Einbeziehung des Betriebes
der Klägerin in den Geltungsbereich des Tarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk
nicht mehr möglich, gelten die Regeln der objektiven Beweislast. Nach diesen jedoch ist
die Beklagte beweispflichtig, die aus dem Vorliegen dieser von ihr behaupteten Tatsache
einen rechtlichen Vorteil zöge (vgl. BSGE 43, 110 m. w. N.).
Der Berufung war somit stattzugeben.
Die Kostentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §
154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des
Verfahrens.
Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten. Die Beigeladenen, die öffentlich-
rechtliche Körperschaften sind, können solche nicht geltend machen (§ 193 Abs. 4 SGG),
und die Beigeladene zu 1) hat keine Anträge gestellt. Sie hat damit weder gegenüber
der Klägerin noch gegenüber der Beklagten obsiegt.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 SGG) nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes (Streitwert) beruht auf § 72 Nr. 1
zweiter Halbsatz, § 52 Abs. 3, § 43 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
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