Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.02.2007

LSG Berlin-Brandenburg: umzug, zusicherung, betriebskosten, amtsblatt, mietvertrag, heizung, angemessenheit, wohnfläche, sammlung, wohnungsmiete

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
28. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 28 B 1093/07 AS
PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 73a SGG, § 115 ZPO, § 114
ZPO, § 19 SGB 2, § 22 Abs 1 S 1
SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende -
Prozesskostenhilfeverfahren - Kosten der Unterkunft - Umzug -
Erforderlichkeit - Wohnungsstandard
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5.
Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz ),
der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Das
Gericht hat den Antrag der Kläger vom 16. März 2006 auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Recht abgelehnt. Die Kläger
haben keinen Anspruch nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1,
115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach den genannten Vorschriften voraus,
dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht
auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu
verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das
Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz
erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347, 357).
Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der
Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht
verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch
den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich der Fall, wenn
das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und dadurch den
Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu
Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt (vgl. BVerfGE 81, 347, 358).
Kommt insbesondere eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine
konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit
großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde,
so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen
fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu
verweigern (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. zuletzt
Beschluss vom 3. Juni 2003, 1 BvR 1355/02, NJW-RR 2003, 1216). Dies muss dazu führen,
dass die Erfolgsaussicht eines Rechtsschutzbegehrens dann nicht verneint werden darf,
wenn entweder Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht besteht oder aber schwierige
rechtliche Fragen zu klären sind, deren Klärung der Durchführung eines Verfahrens der
Hauptsache vorbehalten sein muss.
An diesen Grundsätzen gemessen hat das Rechtsschutzgesuch der Kläger keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg
Soweit die Kläger mit ihrer Klage sinngemäß begehren, den Beklagten zu verpflichten,
ihnen eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch SGB II
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ihnen eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch SGB II
zu den Aufwendungen der von ihnen mit Wirkung zum 1. Januar 2006 angemieteten
Wohnung zu erteilen, fehlt es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen dieser
Norm. Denn hiernach soll der Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages eine
entsprechende Zusicherung einholen. Im vorliegenden Fall haben die Kläger den
Beklagten nach Aktenlage aber nicht vor Abschluss des Mietvertrages am 28. November
2005 um die Erteilung einer Zusicherung ersucht, sondern sie haben den Mietvertrag
nach Abschluss dem Beklagten übersandt und sinngemäß die Übernahme der Kosten
der Wohnung beantragt.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für diese
Wohnung in der von ihnen begehrten Höhe für den in diesem Verfahren
streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. April 2006. Nach § 22 Abs. 1
Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich, wie im
vorliegenden Fall, nach einem Umzug, für den vor Abschluss des Mietvertrages keine
Zusicherung eingeholt worden ist, diese Kosten, hier von 422,60 € auf 630,00 € (430,00
€ netto kalt zuzüglich 140,00 € Betriebskostenvorauszahlung und 60,00 €
Heizkostenvorauszahlung) werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung weiterhin
nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht, wenn der Umzug nicht
erforderlich war (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Ob ein Grund vorliegt, der einen Umzug
erforderlich macht, ist nach Einschätzung des Senats nach den Verhältnissen des
Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Sauer in Jahn, SGB II, § 22 RdNr 41 und bereits Beschluss
des LSG Berlin-Brandenburg vom 18. Dezember 2006 - L 10 B 1091/06 AS ER - und des
Senats vom 23. April 2007 - L 28 B 443/07 AS ER -, abrufbar jeweils unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de). Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss hinsichtlich der
Aufwendungen für seine Unterkunft zwar Beschränkungen auch dann hinnehmen, wenn
er einen Wechsel in eine Wohnung beabsichtigt, deren Kosten angemessen sind. Ihm
wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände
ansieht, zu verzichten und Wünsche zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt
als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden
Mietvertrag als Leistung nach §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies
gebietet aber eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Das
folgt bereits aus dem Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind
(Beschluss des LSG Berlin- Brandenburg vom 6. Juni 2007 - L 26 B 660/07 AS PKH -). §
22 Abs. 1 Satz 2 SGB II soll eine Kostensteigerung durch Ausschöpfen der jeweils
örtlichen Angemessenheitsgrenzen entgegenwirken (Berlit, a. a. O., § 22 RdNr. 44 m. w.
Nachw.). An diesen Grundsätzen gemessen war der Umzug der Kläger nach dem
derzeitigen Sach- und Streitstand jedenfalls in die hier streitbefangene Wohnung nicht
erforderlich.
Ob die mit Wirkung zum 1. Januar 2006 angemietete Wohnung angemessen ist, ist
allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts nicht in erster
Linie anhand der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der
Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) zu bestimmen. Die Prüfung der
Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom
7. November 2006 - B 7 b AS 18/06 R -, zitiert nach Juris RdNr. 19 ff.), von der
abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, vielmehr eine
Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu
bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der
landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen
Mietwohnungsbaus. In Berlin dürfte für 4 Personen grundsätzlich eine 4-Zimmer-
Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche bis zu 90 m² angemessen sein (vgl. insoweit die
zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz in Verbindung mit § 27
Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz erlassenen Arbeitshinweise der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004
8/2004>). Im vorliegenden Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin zu
3) in dem streitbefangenen Zeitraum im ersten Lebensjahr (geb. am 29. November
2005) und sich die Klägerin zu 4) in dem streitbefangenen Zeitraum im vierten
Lebensjahr befanden (geb. am 26. Februar 2002), also in einem Lebensalter, in dem sie
aufgrund von schulischen oder anderen Notwendigkeiten nicht auf jeweils ein Zimmer
angewiesen sind. Im vorliegenden Einzelfall ist damit nach den genannten Normen eine
3-Zimmer Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche von bis zu 80 m² angemessen.
Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein
einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht.
Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Letztlich
kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der
Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte
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Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte
Produkttheorie, vgl. BSG a. a. O.).
Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses stützt sich der Senat auf den örtlichen,
gemäß §§ 558c und 558d BGB qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin vom 22.
August 2005 (Amtsblatt 2005 S. 3109 und Amtsblatt 2006 S. 515) und den Nachtrag
zum Berliner Mietspiegel 2005 vom 22. Mai 2006 (Amtsblatt S. 1928). Die Klägerin zu 1)
wohnte mit der Klägerin zu 4) vor ihrem Wohnungswechsel in der R. in dem Bezirk T,
einer nach dem Berliner Mietspiegel einfachen Wohnlage.Geht man zu Gunsten der
Kläger von dem gewichten Mietspiegelwert (alle Wohnungen, nettokalt) des von der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin
herausgegebenen 4. Wohnungsmarktbericht (Berliner Wohnungsmarktbericht 2005) für
das Jahr 2004 aus, der einen Betrag von 4,49 EUR pro m² festgestellt hat, der nicht nur
einfache Wohnlagen betrifft, und legt man im weiteren ebenfalls zu Gunsten der Kläger -
abweichend vom Berliner Mietspiegel und den AV Wohnen - zusätzlich "warme"
Betriebskosten ("kalte" Betriebskosten zuzüglich Heizkosten und Warmwasser) von
mittlerweile durchschnittlich 2,74 € pro m² zugrunde (vgl. Betriebskostenspiegel 2006
des Deutschen Mieterbundes unter http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12
14-2.html), ergibt sich nach alledem höchstens eine Angemessenheitsgrenze für
Bruttowarmmieten in Höhe von monatlich 578,40 € (359,20 € Kaltmiete <4,49 EUR x 80
m²> und 223,32 "warme" Betriebskosten <2,74 x 80 m²>), die im Übrigen den von dem
Beklagten nach der AV Wohnen zugrunde gelegten Wert in Höhe von 619,00 € für einen
4-Personenhaushalt sogar noch unterschreitet. Vor diesem Hintergrund haben die
Kläger eine unangemessene Wohnung mit 81,06 m² in einer nach dem Berliner
Mietspiegel im Übrigen mittleren Wohnlage zu einem Mietpreis von 5,30 pro m² (430,00
€ netto Kaltmiete: 81,06 m²) angemietet.
Des Weiteren ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen,
dass andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnungen, die konkret verfügbar
und zugänglich sind, hinreichend vorhanden sind. Der Senat hegt nach einer von ihm
überschlägig vorgenommenen Recherche keine Zweifel daran, dass 3-Zimmer-
Wohnungen mit einer maximalen Wohnfläche von 80 m² und einer Bruttowarmmiete von
bis zu 578,40 € in einfacher Wohnlage kurzfristig nicht nur in bestimmten
Verwaltungsbezirken bzw. Stadtteilen von Berlin verfügbar sind, sondern insbesondere
auch in dem von den Klägern offensichtlich bevorzugten Ortsteil M des Bezirks T. Es ist
gerichtskundig, dass der Berliner Mietmarkt derzeit (noch) entspannt ist. Über eine
Internetrecherche sind auf Anhieb mehrere passende Wohnungsobjekte zu ermitteln.
Entgegenstehende Umstände im Sinne einer Verschlossenheit des Berliner
Wohnungsmarktes im unteren Preissegment bzw. auch nur des entsprechenden
Teilwohnungsmarktes des Bezirks T oder in dessen Ortsteil M sind weder ersichtlich noch
haben die Kläger Entsprechendes vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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