Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.06.2009

LSG Berlin und Brandenburg: erwerbsfähigkeit, grundrecht, untätigkeitsklage, begriff, altersrente, eigentumsgarantie, rentenanspruch, umkehrschluss, betrug, verfügungsbefugnis

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 29.06.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 24 R 837/07
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 8 R 105/08
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe des Rechts auf Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin ist im August 1956 geboren
worden. Durch einen von der Klägerin angenommenen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin Rente
wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 1. Mai 2004 bis zum 31. Mai 2005 auf Grund eines am 31. Oktober
2003 eingetretenen Leistungsfalls zu gewähren. Die Beklagte bewilligte ihr durch Bescheid vom 29. März 2004
zunächst einen Vorschuss auf der Grundlage von 33,6380 Entgeltpunkten. Durch Bescheid vom 5. April 2005
bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für den Zeitraum 1. Juni 2005 bis 31.
Mai 2007. Für die Berechnung des monatlichen Höchstwertes des Rechts auf Rente übernahm sie den Rangwert
(Summe der Entgeltpunkte) des Vorschussbescheides vom 29. März 2004. Gegen den Bescheid legte die Klägerin
Widerspruch ein und beanspruchte mit Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts eine Neufestestellung der
Rentenhöhe, ausgehend von einem neuen Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung. Nach erfolglosem
Widerspruchsverfahren wurde die Beklagte durch Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2006 – S 17 R 2200/05
– verurteilt, die Rente der Klägerin "nach Maßgabe der am 1. Juni 2005 geltenden Rechtsvorschriften neu zu
berechnen". Mit Bescheid vom 31. Mai 2006 stellte die Beklagte dann zunächst die Rente für den Zeitraum 1. Mai
2004 bis 31. Mai 2005 neu fest. Den monatlichen Höchstwert des Rechts auf Rente berechnete sie für den Zeitpunkt
des Beginns der Rentenzahlung, indem sie die Summe der Entgeltpunkte unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors
(38,0384 x 0,892 = 33,9303) mit dem Rentenartfaktor (1,0) und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigte. Den
Zugangsfaktor von 0,892 errechnete sie, indem sie den ungekürzten Wert hierfür von 1,0 um 0,003 für jeden
Kalendermonat nach dem 31. August 2016 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres
(August 2019), somit insgesamt um 0,108 minderte. Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und
begehrte die Neuberechnung der Rente mit einem Zugangsfaktor von 1,0. Zur Begründung bezog sie sich der Sache
nach auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 22/05 R, SozR 4-2600 § 77 Nr. 3.
Das rechtskräftig gewordene Urteil des Sozialgerichts vom 6. April 2006 ausführend, setzte die Beklagte dann durch
Bescheid vom 3. August 2006 den monatlichen Höchstwert des Rechts auf Rente für den Zeitraum 1. Juni 2005 bis
31. Mai 2007 neu fest. Sie berechnete ihn, indem sie zunächst die sich nach dem am 1. Juni 2005 geltenden Recht
ergebende Summe der Entgeltpunkte mit 37,8044 ermittelte. Da Entgeltpunkte in diesem Umfang bereits für die ab 1.
Mai 2004 gezahlte Rente berücksichtigt worden waren, berechnete sie die Rentenhöhe weiterhin nach dem Rangwert,
der Grundlage der ab 1. Mai 2004 gezahlten Rente war. Ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrung vertrat die Beklagte
die Auffassung, der Bescheid werde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Mit Schriftsatz vom 1. November 2006
erhob die Klägerin Untätigkeitsklage. In dem Schriftsatz bezog sie sich auch auf den Bescheid vom 3. August 2006
(dort mit dem Datum des Anschreibens zu diesem Bescheid – "26. Juli 2006"). Durch Widerspruchsbescheid vom 19.
Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. Mai 2006 "in der Fassung des
Bescheides vom 26. Juli 2006" zurück. Die von der Klägerin für sich in Anspruch genommene Entscheidung des BSG
entspreche nicht der Auffassung der Rentenversicherungsträger. Mit der Klage hat die Klägerin ihren Anspruch
weiterhin auf das Urteil des BSG gestützt. Dessen Auslegung entspreche dem Wortlaut des Gesetzes und auch dem
Willen des Gesetzgebers. Durch Urteil vom 19. Dezember 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die
angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Bei der Berechnung des Monatsbetrages der Rente sei allein streitig, ob
die Beklagte berechtigt gewesen sei, den Zugangsfaktor mit einem Abschlag von 0,003 für 36 Monate zu versehen.
Entgegen der Auffassung, die der 4. Senat des BSG in der Entscheidung vertreten habe, auf die sich die Klägerin
stütze, ergebe sich diese Berechtigung aus dem Gesetz. Die Auffassung des 4. Senats des BSG sei bei Würdigung
der Gesetzgebungsgeschichte und der Gesetzessystematik nicht tragfähig. Eine andere Auslegung sei auch nicht
aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich. Die Vorschriften über die Minderung des Zugangsfaktors verstießen
mit dem Inhalt, wie er sich für die Kammer darstelle, weder gegen das Grundrecht auf Eigentum noch gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz. Gemessen an den vom Gesetzgeber formulierten Zielen – Ausweichreaktionen in die
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu verhindern und die längere Rentenlaufzeit teilweise zu kompensieren –
sei die getroffene Regelung noch verhältnismäßig, zumal der verringerte Zugangsfaktor erst schrittweise eingeführt
worden sei und durch die verlängerte Zurechnungszeit teilweise wieder kompensiert werde. Mit ihrer Berufung verfolgt
die Klägerin ihr Anliegen weiter. Die vom 4. Senat des Bundessozialgerichts gefundene Auslegung des Gesetzes
entspreche dessen Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers. Sie sei von Verfassungs wegen auch deshalb
geboten, weil sich anderenfalls eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Rentner wegen
Erwerbsminderung ergebe. Die Klägerin beantragt der Sache nach, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19.
Dezember 2007 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 31. Mai 2006 und 3. August 2006, beide in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2007 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, den monatlichen
Höchstwert des Rechts auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Mai 2005 und vom 1. Juni
2005 bis zum 31. Mai 2007 auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 zu errechnen. Die Beklagte beantragt, die
Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung und die von ihr erlassenen Bescheide für
zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung
vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
II. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden (§ 153 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Er hält sie einstimmig für unbegründet und sieht eine mündliche Verhandlung nicht als
erforderlich an. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt. Rechtlich weist die Sache keine Schwierigkeiten
auf, nachdem aktuelle Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des einfachen Rechts und des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Fragen vorliegt. Die
Berufung ist unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Zu entscheiden war über die
Bescheide vom 31. Mai 2006 und 3. August 2006, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar
2007. Allerdings war der Bescheid vom 3. August 2006 entgegen der in ihm enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung nicht
gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 31. Mai 2006 geworden. Der
Bescheid vom 3. August 2006 hatte diesen Bescheid nicht geändert. Denn der Bescheid vom 31. Mai 2006 traf
Regelungen ausschließlich für den Zeitraum 1. Mai 2004 bis 31. Mai 2005, der Bescheid vom 3. August 2006 dagegen
ausschließlich für den Zeitraum 1. Juni 2005 bis 31. Mai 2007. Angesichts der im Bescheid vom 3. August 2006
unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung war die Einlegung eines Widerspruchs binnen eines Jahres seit Zustellung,
Eröffnung oder Verkündung zulässig (§ 66 Abs. 2 SGG). Ein die Jahresfrist wahrender Widerspruch der Klägerin
gegen den Bescheid vom 3. August 2006 liegt jedenfalls in der Klageschrift der Untätigkeitsklage vom 1. November
2006. Aus ihr ergibt sich deutlich, dass die Klägerin auch eine Widerspruchsentscheidung über den Bescheid vom 3.
August 2006 erwartete. Für das Klagebegehren gibt es keine Rechtsgrundlage. Der monatliche Höchstwert des
Rechts auf Rente auf Grund von rentenrechtlichen Zeiten, die in den "alten" Bundesländern zurückgelegt worden sind,
berechnet sich, indem für den Zeitpunkt des Rentenbeginns die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 77
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 SGB VI), der
Rentenartfaktor (§ 67 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt
werden (§§63 Abs. 6, 64 SGB VI). Die Beklagte hat diese sogenannte Rentenformel zutreffend angewendet, auch
soweit sie den Zugangsfaktor betrifft. Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 SGB VI in der vorliegend anwendbaren, ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (des Gesetzes zur Reform der
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827; im folgenden ohne Zusatz
zitiert), dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer
Rente waren, für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63.
Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0 ist. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist bei
einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des
Zugangsfaktors maßgebend, wenn die Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. Beginnt eine Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 2004, ist gemäß § 264 c SGB VI bei der Ermittlung des
Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 60. Lebensjahrs die Vollendung des in Anlage 23 zum SGB VI
angegebenen Lebensalters maßgeblich. Die Anwendung dieser Vorschriften führt zu dem von der Beklagten
gefundenen Ergebnis eines Zugangsfaktors von 0,892 für die Entgeltpunkte, die für die ab 1. Mai 2004 zahlbaren
Rentenansprüche maßgeblich waren. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI würde ohne ergänzende Regelungen dazu
führen, dass der Zugangsfaktor bis auf Null sinken könnte und Versicherte praktisch erst ab der zweiten Hälfte des
dritten Lebensjahrzehnts Zugang zu einer zahlbaren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hätten. Sinn des § 77
Abs. 2 Satz 2 SGB VI (ggf. i. V. mit § 264 c SGB VI und Anlage 23 zum SGB VI) ist es, diese Wirkung zu
begrenzen, indem für die Berechnung des Zugangsfaktors ein fiktiver Rentenbeginn angesetzt wird (BSG, Urteile vom
25. November 2008 – B 5 R 112/08 R und vom 14. August 2008, u. a. B 5 R 32/07 R, letzteres zur Veröffentlichung
vorgesehen). Der anderslautenden, bereits vor den Entscheidungen des BSG vom 14. August 2008 von den
Instanzgerichten der Sozialgerichtsbarkeit überwiegend abgelehnten Auffassung des ehemaligen 4. Senats des BSG,
auf die sich die Klägerin beruft, folgt auch der Senat nicht, da sie sich mit dem Sinn des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI
ebenso wenig vereinbaren lässt wie mit der Gesetzessystematik (dazu ausführlich BSG a.a.O. sowie BSG,
Beschluss vom 26. Juni 2008 – B 13 R 9/08 S; aus der Rechtsprechung des Senats etwa die Urteile vom 29. Januar
2009 – L 8 R 600/08 –, vom 23. April 2009 – L 8 R 592/08 und vom 12. Juni 2009 – L 8 R 205/08).
Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte die Zugangsfaktoren für die Rentenbewilligung ab dem 1. Mai 2004
zutreffend berechnet. Die Rente der Klägerin begann erstmals nach dem 31. Dezember 2003. Denn der Begriff
"Rentenbeginn" bezeichnet den Beginn der Rentenzahlung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGB VI und nicht den Zeitpunkt
der Entstehung des Anspruchs, also des "Versicherungsfalls (BSG, Urteile vom 25. November 2008 – B 5 RJ 15/04 R
und B 5 R 112/08 R). Angesichts dessen betrug das für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebliche
Lebensalter der Klägerin 60 Jahre, die Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI war nicht anwendbar. Da die Klägerin
das 60. Lebensalter bei Rentenbeginn noch nicht erreicht hatte, erniedrigt sich der Zugangsfaktor von 1,0 ersichtlich
um den maximalen Wert von 0,003 für 36 Kalendermonate, somit 0,108. Wird dieser von 1,0 abgezogen, ergibt sich
der angewendete Zugangsfaktor von 0,892. Ob für die ab 1. Juni 2005 gezahlte Rente der monatliche Höchstwert des
Rechts auf Rente neu zu berechnen war (so BSG SozR 3-2600 § 300 Nr. 8; ausdrücklich anders seit 1. Mai 2007
gemäß § 102 Abs. 2 Sätze 3 und 6 SGB VI in der Fassung des Rentenversicherungs-Altersanpassungsgesetzes vom
20. April 2007, BGBl. I S. 554), ist im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu entscheiden. Insoweit ist der Senat
gemäß § 77 SGG an das rechtskräftig gewordene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2006 – S 17 R 2200/05
– gebunden. Davon abgesehen hat die Beklagte auch für einen Rentenbeginn am 1. Juni 2005 die maßgeblichen
Zugangsfaktoren richtig berechnet. In Bezug auf die Entgeltpunkte, die bereits Grundlage der Rentenbewilligung ab
dem 1. Mai 2004 waren, blieb es bei dem bisherigen Zugangsfaktor (Umkehrschluss aus § 77 Abs. 2 Satz 1
Einleitungssatz SGB VI). Da sich auf Grund der Neufeststellung und –bewertung der rentenrechtlichen Zeiten keine
Entgeltpunkte ergaben, die bisher nicht Grundlage einer Rente waren, war kein weiterer Zugangsfaktor zu berechnen.
Die Rentenhöhe bemaß sich folglich auch ab 1. Juni 2005 nach den Entgeltpunkten, die die Grundlage für den
Zahlbetrag der ab 1. Mai 2004 gewährten Rente bildeten. Der Senat sieht § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 2
SGB VI in der hier vorgenommenen Auslegung nicht als verfassungswidrig an. Zwar ist der Rentenanspruch ebenso
wie die Rentenanwartschaft aus eigener Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung institutionell durch das
Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) geschützt. Die Reichweite der Eigentumsgarantie ergibt
sich aber erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
Sache des Gesetzgebers ist. Solange er die zum Begriff des Eigentums gehörende grundsätzliche Privatnützigkeit
und Verfügungsbefugnis und die Grenze der Verhältnismäßigkeit beachtet, hat er dabei einen grundsätzlich weiten
Gestaltungsspielraum (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, s. – auch zum folgenden – aus
jüngster Zeit den Beschluss vom 24. November 2008 – 1 BvL 3/05 u. a. mit zahlreichen Nachweisen; außerdem im
besonderen BSG, Urteile vom 25. November 2008 – B 5 R 112/08 R und vom 14. August 2008, u. a. B 5 R 32/07 R;
ferner die oben bereits zitierten Urteile des Senats). In bestehenden Rentenanwartschaften ist von vornherein die
Möglichkeit von Änderungen angelegt. Denn das Rentenversicherungsverhältnis beruht stets nicht allein auf dem
Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Gedanken der Verantwortung und des sozialen Ausgleichs. Die hier
anzuwendenden Vorschriften über den Zugangsfaktor bestimmen das Grundrecht der Klägerin auf Eigentum in
verfassungsrechtlich zulässiger Weise. Sie dienen einem Gemeinwohlzweck und sind zur Erreichung des
angestrebten Zieles geeignet und erforderlich. Der Gesetzgeber hat mit ihnen (unter anderem) das Ziel verfolgt, das
Versicherungsrisiko der unterschiedlich langen Rentenbezugsdauer mit Hilfe versicherungsmathematischer Abschläge
zu neutralisieren. Die Vorschriften sind angesichts dessen schon deshalb eine zulässige Inhalts- und
Schrankenbestimmung, weil sie ersichtlich dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der
Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten und den unter anderem durch die demografische Entwicklung
veränderten Bedingungen für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen. Die Verminderung
der "Rentenhöhe", die auf der Verringerung des Zugangsfaktors beruht, wird zudem teilweise neutralisiert und damit
umso mehr zumutbar. Denn zeitgleich mit den geänderten Vorschriften über den Zugangsfaktor wurde die Grenze für
die Bestimmung der Länge der (rentensteigernd wirkenden) Zurechnungszeiten von der Vollendung des 55. auf die
Vollendung des 60. Lebensjahres heraufgesetzt (§§ 59, 253 a SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung).
Dies kommt gerade Personen wie der Klägerin zugute, die relativ lange vor dem Erreichen der Altersgrenze für die
Altersrente erwerbsgemindert geworden sind. Die hier anzuwendenden Vorschriften verletzten auch nicht das
Differenzierungsgebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), indem Versicherte den Zeitpunkt einer
rentenberechtigenden Erwerbsminderung im Gegensatz zu Versicherten, die eine vorzeitige Altersrente in Anspruch
nehmen wollen, nicht willentlich selbst bestimmen können. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand ausreichend
dadurch Rechnung getragen, dass er den "Rentenabschlag" auf maximal 10,8 % begrenzt und – wie bereits erwähnt –
die rentensteigernd wirkenden Zurechnungszeiten erhöht hat. Versicherte, die erwerbsgemindert sind, werden folglich
bereits "ungleich" im Verhältnis zu den Altersrentnern behandelt. Gründe, die eine noch weitergehendere
Ungleichbehandlung erfordern würden, sind nicht zu erkennen. Dies im besonderen deshalb, weil der Gesetzgeber auf
diese Weise vermeidet, dass – dann möglicherweise gerade sachwidrig – die von ihm angestrebte Abwendung von
Finanzierungsschwierigkeiten für die gesetzliche Rentenversicherung durch längere Rentenlaufzeiten allein zu Lasten
der Altersrentner geht. Ebensowenig wird innerhalb der Gruppe der Bezieherinnen von Renten wegen
Erwerbsminderung gleichheitswidrig differenziert. Es ist nicht sachwidrig, dass die seit 1. Januar 2001 verlängerten
(beitragsfreien) Zurechnungszeiten faktisch bewirken, dass der durch den verringerten Zugangsfaktor verursachte
"Wertverlust" (auch) für Beitragszeiten umso eher ausgeglichen wird, je früher vor Vollendung des 60. Lebensjahres
der Versicherungsfall eintritt. Denn nach ihrer allgemeinen Zielsetzung sollen diese Zeiten den Versicherten eine
ausreichend hohe Rente gerade dann sichern, wenn die verminderte Erwerbsfähigkeit so frühzeitig eingetreten ist,
dass nur wenige Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt werden konnten (stellvertretend
dazu Löns in Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage 2008, § 59 Rz. 3). Mit anderen Worten ist in ihnen generell angelegt,
dass sie eine umso größere (finanzielle) Begünstigung bewirken, je früher der Versicherungsfall eintritt. Die
Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen
nicht vor.