Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.07.2004

LSG Berlin und Brandenburg: einziehung, ermessen, geschäftsbücher, geschäftszeit, behörde, beteiligter, bauarbeiten, auskunft

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 05.07.2004 (rechtskräftig)
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 14 AL 73/01
Die Beklagte hat der Klägerin zu 2) die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe:
Nachdem der Rechtsstreit ohne Urteil geendet hat, ist - durch den Berichterstatter (§ 155 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 4 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) - darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der Klägerin zu 2), die einen
entsprechenden Antrag gestellt hat, Kosten zu erstatten sind (§ 193 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGG). Hinsichtlich des
Klägers zu 1) hat eine Entscheidung nicht zu ergehen, da dieser eine solche Entscheidung nicht beantragt, nachdem
die Beklagte anerkannt hat, ihm die ihm entstandenen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Entscheidung ist nach billigem Ermessen zu treffen; dabei sind ungeachtet der Besonderheiten des
sozialgerichtlichen Verfahrens die Erfolgsaussichten der Klage auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes zum
Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses angemessen zu berücksichtigen, wobei die Sach- und
Rechtslage nicht abschließend zu klären ist. Ausreichend und geboten ist eine nur eingeschränkte ("summarische")
Prüfung; weitere Ermittlungen sind regelmäßig nicht anzustellen. Daneben kann das Verhalten der Beteiligten von
Bedeutung sein, insbesondere ob und inwieweit ein Beteiligter Anlass zur Klage gegeben oder die Aufklärung des
Sachverhalts durch mangelhafte Mitwirkung erschwert oder verzögert hat.
Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte (auch) der Klägerin zu 2) die ihr zur Rechtsverfolgung entstandenen
notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, dass die Beklagte, die den mit der Klage erhobenen Anspruch
anerkennt, auch die dem Kläger entstandenen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten hat; denn das Anerkenntnis
spricht dafür, dass die Klage Erfolg gehabt hätte. Ohne Belang ist hier, dass die Beklagte den Klageanspruch erst
nach einer erneuten Betriebsprüfung anerkannt hat.
Die Beklagte hat grundsätzlich nicht verkannt, dass es für die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin zu 2) zu den
Arbeitgebern des Baugewerbes zählt, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist, und deshalb
von ihr eine Umlage zu erheben ist, im Hinblick auf die von ihr erbrachten unterschiedlichen Leistungen entscheidend
darauf ankommt, in welchem zeitlichen Umfang ihre Mitarbeiter Bauarbeiten ausführen (BSG, Urteil vom 15. Februar
2000 - B 11 AL 41/99 R -, SozR 3-4100 § 75 Nr. 3; DA 5.4 zu § 216 SGB III). Dabei hat sie sich allerdings zunächst
augenscheinlich auf Tatsachen und Umstände gestützt, die sich als unzutreffend bzw. für die Ermittlung der zeitlichen
Inanspruchnahme der Mitarbeiter der Klägerin zu 2) durch Bauleistungen ungeeignet erwiesen haben. Dies ist freilich
nicht der Klägerin zu 2) anzulasten. Dass diese die Unterlagen, die der Beklagten eine zutreffende Beurteilung
ermöglicht haben, erst bei der erneuten Betriebsprüfung vorgelegt hat, ist vielmehr der Beklagten zuzurechnen. Nach
§ 20 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X) ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts
wegen und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an Beweisanträge der Beteiligten ist
sie nicht gebunden. Im Besonderen hat nach § 4 Abs. 3 der Winterbau-Umlageverordnung der Arbeitgeber der
Bundesanstalt (jetzt: Bundesagentur) über alle Tatsachen Auskunft zu geben, die für die Einziehung der Umlage
erheblich sind. Die Bundesanstalt (Bundesagentur) ist berechtigt, Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers
während der Geschäftszeit zu betreten und dort Einsicht in Geschäftsbücher, Geschäfts-, Lohn- oder vergleichbare
Unterlagen zu nehmen, soweit dies für die Einziehung der Umlage erforderlich ist. Welche Tatsachen "erheblich" sind
und inwieweit die Einsicht in bestimmte Unterlagen für die Einziehung der Umlage "erforderlich" ist, hat nicht der -
nicht zwingend rechtskundige - Arbeitgeber, sondern die - sachkundige - Beklagte zu beurteilen. Ihr obliegt es
deshalb, die vom Arbeitgeber zu erteilenden Auskünfte im Einzelnen genau zu beschreiben bzw. die Unterlagen zu
bestimmen, in die sie Einblick zu nehmen wünscht. Gegebenenfalls hat sie den Arbeitgeber dazu zu befragen,
welchen Geschäftsbüchern, Aufzeichnungen oder sonstigen Unterlagen die für die zu treffenden Feststellungen
erforderlichen Tatsachen zu entnehmen sind. Mit einer Durchsicht von Unterlagen, aus denen sich der der
Entscheidung zugrunde zu legende Sachverhalt nicht oder nur unvollständig ergibt, darf sie sich nicht begnügen.
Es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte seinerzeit die Klägerin zu 2) aufgefordert hat, ihr Einblick auch in die
Unterlagen zu gewähren, die ihr jetzt eine zuverlässige Beurteilung der Sachlage ermöglichten ("Kundenakten"), oder
sie auch nur darauf hingewiesen hat, dass die damals vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend sein könnten. Ebenso
wenig ist anzunehmen, dass die Klägerin zu 2) den Einblick in diese Unterlagen verweigert hätte, wäre sie bereits
damals dazu aufgefordert worden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).