Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22.06.2006
LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, erlass, auflage, rechtsschutz, hauptsache, sammlung, link, empfehlung, rücknahme
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
19. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 19 B 587/06 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86a Abs 2 Nr 4 SGG, § 39 Nr 1
SGB 2, § 50 SGB 10
Widerspruch gegen Erstattungsbescheid hat aufschiebende
Wirkung
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
22. Juni 2006 teilweise abgeändert und festgestellt, dass der Widerspruch der
Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Februar 2006, soweit
darin die Erstattung von Arbeitslosengeld II, Leistungen für Unterkunft und Heizung und
Sozialgeld in Höhe von 3.444,14 Euro verlangt wird, aufschiebende Wirkung entfaltet.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten
für das einstweilige Rechtsschutzverfahren in der ersten Instanz zur Hälfte und im
Beschwerdeverfahren in vollem Umfang zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Anordnung bzw.
Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen einen Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid des Antragsgegners.
Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 3. Juni 2005 für
den Zeitraum 1. Juni 2005 bis zum 30. November 2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes. Nach der mit Schreiben vom 17. November 2005 erfolgten
Anhörung hob er mit Bescheid vom 17. Februar 2006 die Entscheidung über die
Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für
den Zeitraum 1. Juni bis 30. November 2006 teilweise auf mit der Begründung, die
Antragstellerin bzw. ihr Ehemann hätten Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielt
bzw. Arbeitslosengeld I bezogen. Für diesen Zeitraum errechnete der Antragsgegner
eine Überzahlung in Höhe von 3.444,14 Euro, die er in diesem Bescheid von der
Antragstellerin zur Erstattung verlangte. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin
mit Schreiben vom 14. März 2006 Widerspruch ein. Sie erhielt mit Schreiben vom 2. April
2006 eine Mahnung über diesen Betrag, eine Mahngebühr in Höhe von 17,50 Euro wurde
erhoben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. April 2006 bat die Antragstellerin den
Antragsgegner unter Hinweis auf die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen
den Bescheid vom 17. Februar 2006, von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen Abstand
zu nehmen.
Mit dem am 3. Mai 2006 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
begehrte die Antragstellerin die Feststellung, dass der Widerspruch der Antragstellerin
gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. Februar 2006 aufschiebende
Wirkung entfaltet, und die Anordnung der Aufhebung von Vollziehungsmaßnahmen.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 22. Juni 2006 die Anträge auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, das Begehren der
Antragstellerin sei dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs vom 14. März 2006 gegen den Aufhebungs- und
Erstattungsbescheid vom 17. Februar 2006 begehre. Dieser Bescheid habe eine
Doppelnatur, einerseits hebe er einen Leistungsbescheid für den Zeitraum 1. Juni 2005
bis 30. November 2005 teilweise auf und andererseits enthalte er die Anordnung einer
Rückzahlung. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid habe keine
aufschiebende Wirkung, soweit er die Aufhebung des Leistungsbescheides betreffe. Eine
Eilbedürftigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bestehe nicht, da der
Zeitraum, auf den sich die Aufhebung beziehe, in der Vergangenheit liege und deshalb
die gegenwärtige Rechtsposition der Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der
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die gegenwärtige Rechtsposition der Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der
Hauptsache nicht beeinträchtigt werden könne. Insoweit sei die Entscheidung in der
Hauptsache abzuwarten. Soweit der Widerspruch sich gegen den Erstattungsbescheid
richte, habe er aufschiebende Wirkung. Dies ergebe sich aus § 86 a Sozialgerichtsgesetz
(SGG). Ein Fall von § 39 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) liege nicht
vor, weil ein Bescheid über eine Erstattungsforderung kein Leistungsbescheid im Sinne
dieser Norm sei. Angesichts des klaren Wortlautes bedürfe es keiner zusätzlichen
Anordnung durch das Gericht.
Gegen diesen der Antragstellerin am 27. Juni 2006 zugestellten Beschluss richtet sich
ihre am 4. Juli 2006 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen
hat.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass es im Hinblick auf die bereits
erhobenen Mahngebühren der gerichtlichen Anordnung oder Feststellung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid, soweit dieser die
Erstattung anordne, bedürfe. Ein Vorgehen gegen jede einzelne
Vollstreckungsmaßnahme des Antragsgegners sei der Antragstellerin nicht zuzumuten.
Der Antragsgegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, die
aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners,
soweit dieser die Erstattung anordnet, festzustellen, da sie nur insoweit Beschwerde
gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt hat.
Einstweiliger Rechtsschutz in Gestalt der richterlichen Feststellung der aufschiebenden
Wirkung ist dann zu gewähren, wenn Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung
haben, die zuständige Behörde sich jedoch der sofortigen Vollziehbarkeit ihrer
Entscheidung berühmt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8.
Auflage, § 86 b Rz. 15, m.w.N.). Dies beruht auf der Erkenntnis, dass in solchen Fällen die
gesetzlich vorgesehene konstitutive Anordnung oder Wiederherstellung aufschiebender
Wirkung nicht möglich ist, weil dem Widerspruch oder der Klage bereits aufschiebende
Wirkung zukommt, das grundrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz
jedoch den Erlass einer wirkungsgleichen gerichtlichen Entscheidung gebietet
(Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 14. Auflage, § 80 Rz. 181).
Vorliegend besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Feststellung der
aufschiebenden Wirkung, denn der Antragsgegner hat auch nach der erstinstanzlichen
Entscheidung nicht zu erkennen gegeben, dass er die Auffassung, dass dem
Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid, soweit dieser die Erstattung
betrifft, aufschiebende Wirkung zukommt, teilt. Auf die entsprechende Bitte der
Antragstellerin hat der Antragsgegner lediglich auf seine frühere Stellungnahme
verwiesen und der Antragstellerin empfohlen, sich im Hinblick auf eine eventuelle
Stundung an die benannte Stelle zu wenden. Diese Empfehlung des Antragsgegners
spricht dafür, dass er die Auffassung nicht teilt.
Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den im Bescheid vom 17. Februar 2006
enthaltenen, die Erstattung betreffenden Verwaltungsakt hat aufschiebende Wirkung.
Dies folgt aus § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach haben Widerspruch und
Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese ist vorliegend nicht gemäß § 86 a Abs.
2 Nr. 4 SGG entfallen. Nach dieser Norm entfällt sie in den durch Bundesgesetz
vorgeschriebenen Fällen. Ein solches Gesetz stellt § 39 SGB II dar. Nach dieser Regelung
haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Der die
Erstattung betreffende Verwaltungsakt stellt keine solche Entscheidung dar. Über
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird nur entschieden, wenn
Leistungen bewilligt, abgelehnt, entzogen oder herabgesetzt werden. Als Umkehr
vorangegangener Bewilligungen handelt es sich auch bei der Rücknahme bzw.
Aufhebung von Leistungsbewilligen für die Vergangenheit nach den §§ 45, 48 des
Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) um Verwaltungsakte, in denen wie bei
der Bewilligung selbst über Leistungen der Grundsicherung entschieden wird. Mit der auf
einer Aufhebungsentscheidung nach §§ 45, 48 SGB X beruhenden Erstattungsforderung
wird dagegen nicht über eine Leistung im Sinne des § 39 Nr. 1 SGB II entschieden, diese
Entscheidung steht mit der Leistung nur im Zusammenhang. Bei der
Erstattungsforderung nach § 50 SGB X handelt es sich um einen originären Anspruch
des Sozialleistungsträgers, der ein rechtliches aliud zu der bewilligten Leistung darstellt.
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des Sozialleistungsträgers, der ein rechtliches aliud zu der bewilligten Leistung darstellt.
Mit dem Wirksamwerden der Aufhebung der bewilligenden Entscheidung verlieren die
ausgezahlten Geldleistungen ihre rechtliche Zuordnung zu einem bestimmten
Rechtsgrund, der den Empfänger bis dahin zum Behalten der Leistungen berechtigt hat.
Sie stellen dann keine Leistungen zur Grundsicherung mehr dar. Eine erweiternde
Auslegung des Wortlautes von § 39 Nr. 1 SGB II ist auch nicht aus Sinn und Zweck des
Wegfalls der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen über
Leistungen zur Grundsicherung gerechtfertigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 13. März 2006 - 10 B 345/06 AS ER -). Die Regelung des § 39 Nr. 1 SGB II findet
daher auf den Erstattungsanspruch keine Anwendung (LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 25. September 2006 - 18 B 667/06 AS ER -; Beschluss vom 25. August
2006 - L 5 B 549/06 AS ER -; Beschluss vom 28. Juli 2006 - L 14 B 350/06 AS ER -und
Beschluss vom 13. März 2006 - 10 B 345/06 AS ER -).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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