Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.06.2009
LSG Berlin-Brandenburg: schwerhörigkeit, berufliche tätigkeit, ärztliches gutachten, berufskrankheit, tinnitus, wahrscheinlichkeit, erwerbsfähigkeit, lärm, beendigung, rente
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 228/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 9 Abs 1 SGB 7, § 56 SGB 7
Verletztenrente; Lärmschwerhörigkeit; Höhe der lärmbedingten
MdE
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juni 2009
wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der
bei ihm anerkannten Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (BK 2301).
Der 1937 in der damaligen Tschechoslowakei geborene Kläger war von 1963 bis 2000 auf
Seeschiffen als Maschinist beziehungsweise als Schiffsingenieur im Maschinenraum
tätig. Seine letzte Fahrt endete am 07. August 2000.
Am 09. Februar 2004 reichte der Kläger bei der Beklagten eine Arbeitsgeschichte, eine
Bescheinigung über arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen nebst unter dem 28.
November 2001 und 04. Februar 2004 erstellter Audiogramme ein. Die Beklagte erhielt
vom den Kläger behandelnden Hals-, Nasen- und Ohrenarzt (HNO-Arzt) Dr. med. G im
Februar 2004 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit, wonach der Kläger an
Ohrensausen und Schwerhörigkeit litt. Diese Beschwerden seien erstmals 1993
aufgetreten. Auf Anfrage der Beklagten gab der Kläger an, erstmals 1990 Hörstörungen
bemerkt zu haben und seit dem 11. Februar 2004 Hörgeräte zu tragen. Er legte Kopien
seiner Seefahrtbücher vor, ferner die ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe sowie ein
Audiogramm seines Hörgeräte-Akustikers vom 11. Februar 2004. Die Beklagte zog
weitere Tonaudiogramme vom 27. Mai 1993, 02. Juni 1993, 15. März 1995, 11. Juni 1997
und 23. Juni 1999 bei. Im weiteren Verfahrensgang gab der Kläger an, seit 1980 an
einem Ohrgeräusch mit Zischen und gelegentlichem hohen Pfeifen zu leiden, ohne dass
die Nachtruhe hierdurch gestört werde. Von den von der Beklagten zur Wahl gestellten
drei Gutachtern ließ sich der Kläger vom HNO-Facharzt Dr. med. F begutachten. Dieser
erstellte nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers unter dem 22. Oktober 2004
ein HNO-ärztliches Gutachten, wonach sich anhand der Tonaudiogramme von 1993 bis
2001 eine beidseitige, über die Jahre langsam zunehmende Hochtonschwerhörigkeit
zeige. Die nach Beendigung der Lärmexposition erstellten Tonaudiogramme vom 09.
Dezember 2003 und 04. Februar 2004 zeigten eine deutliche Zunahme der
Schwerhörigkeit unter Mitbeteiligung der tiefen Frequenzen. Bei der eigenen
gutachterlichen Untersuchung vom 28. September 2004 finde sich im Tonaudiogramm
eine beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit. Da beruflich bedingter
gehörschädigender Lärm beim Kläger nur bis zum August 2000 vorgelegen habe und
nach Beendigung von gehörschädigendem Lärm keine Zunahme der lärmbedingten
Schwerhörigkeit zu erwarten sei, sei für die Feststellung der lärmbedingten Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf das Audiogramm vom 28. November 2001 abzustellen.
Hieraus ergebe sich ein prozentualer Hörverlust von 40 % rechts und 30 % links und
hieraus wiederum eine MdE zwischen 15 und 20 v.H. Angesichts der vom Kläger nur als
mäßig störend empfundenen Ohrengeräusche werde eine lärmbedingte MdE von
insgesamt 20 v.H. vorgeschlagen. Die Schiffssicherheitsabteilung der Beklagten
gelangte bei ihren arbeitsmedizinischen Ermittlungen zum Ergebnis, dass der Kläger von
1968 bis 2000 einem durchschnittlichen Lärmpegel von mindestens durchschnittlich 90
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1968 bis 2000 einem durchschnittlichen Lärmpegel von mindestens durchschnittlich 90
dB(A) ausgesetzt war. Dr. F führte nach einer weiteren Untersuchung des Klägers am 04.
Mai 2005 in einer weiteren Stellungnahme vom 17. August 2005 aus, dass im Hinblick
auf die nunmehr vorliegende Lärmaufstellung zwar in den beiden Tonaudiogrammen
vom 23. Juni 1999 und 28. November 2001, die zur Berechnung der MdE herangezogen
worden seien, für eine Lärmschwerhörigkeit typische Kurvenverläufe vorlägen; jedoch sei
die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmscherhörigkeit nach der nur jeweils
dreimonatigen Lärmbelastung mit 90 bis 95 dB(A) nicht gegeben bis unwahrscheinlich.
Deshalb müssten für die Verschlechterung des Hörvermögens im Zeitraum von 1997 bis
2001 primär andere Gründe als die sechsmonatige Lärmbelastung vorgelegen habe.
Das Ohrgeräusch, das nach den jüngsten Angaben des Klägers sich mit einem
Schmalbandrauschen bei 1500 Hz verdecken ließe, sei mithin tieffrequent und spreche
so gegen eine überwiegend lärmbedingte Ursache der Hörstörung mit Tinnitus. Aufgrund
der nun vorliegenden genaueren Angaben der Schiffsicherheitsabteilung zur
Lärmbelastung und der Charakteristik des Ohrgeräusches revidiere er seine
Einschätzung im Gutachten vom 25. Oktober 2004 und schätze die gesamte
berufsbedingte MdE ab August 2000 auf unter 10 v.H. ein.
Die Beklagte erkannte beim Kläger mit Bescheid vom 23. September 2005 das
Bestehen der BK 2301 an und lehnte die Gewährung einer Rente wegen der
Berufskrankheit ab, weil keine messbare MdE vorliege. Die Hörstörung des Klägers habe
sich nach den dokumentierten audiologischen Untersuchungsergebnissen währen der
Zeit vom 11. Juni 1997 bis zum 04. Februar 2004 massiv verschlechtert. In diesem
Zeitraum sei der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit aber nur vom 20. April 1998
bis zum 20. Juli 1998 und vom 29. April 2000 bis zum 07. August 2000 als
Schiffsingenieur tätig und so gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen. Diese
jeweils nur rund drei Monate währenden Lärmbelastungen seien nach
arbeitsmedizinischen Erkenntnissen zu kurz, um als Ursache für die zunehmende
Hörminderung in Betracht zu kommen. Selbst nach dem Ende der beruflichen
Lärmarbeit im August 2000 habe sich das Gehör des Klägers weiter verschlechtert, was
beweise, dass seine zunehmende Hörminderung von einer anlagebedingten Ursache
unterhalten werde. Auch das Ohrgeräusch sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
auf seine Lärmarbeit zurückzuführen, weil es im eher tieffrequenten Bereich von 1500 Hz
habe lokalisiert werden können.
Der Kläger hat unter dem 22. Oktober 2005 am 24. Oktober 2005 Klage zum
Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Die Beklagte sah in der Klage zugleich den gegen
ihren Bescheid gerichteten Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom
19. Februar 2007 zurück. Beim Kläger liege unbestritten eine beruflich verursachte
Schwerhörigkeit vor. Allerdings sei die kurze Lärmexposition in den Jahren 1998 und
2000 nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nicht ausreichend, um als Ursache für
die zunehmende Hörminderung in Betracht zu kommen. Der Kläger hat sich mit dem
am 22. Februar 2007 beim SG eingegangenen Schriftsatz auch gegen den
Widerspruchsbescheid gewandt. Er hat behauptet, dass er gerade aufgrund der
berufslärmbedingten Schwerhörigkeit in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H.
gemindert sei. Die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid seien
unzutreffend und in sich widersprüchlich. Da seine Lärmschwerhörigkeit als
Berufskrankheit anerkannt worden sei, müsse er nicht weiter darüber streiten, ob seine
Lärmarbeit Ursache der Hörminderung sei. Das SG hat Befundberichte der den Kläger
behandelnden HNO-Ärzte Dr. Gl und Dres. med. Z und C eingeholt.
Das SG hat von Amts wegen aufgrund der Beweisanordnung vom 26. März 2008 Beweis
erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens auf HNO-ärztlichem Fachgebiet.
Die gerichtliche Sachverständige Dr. med. H ist in ihrem unter dem 03. Juli 2008 nach
einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 24. Juni 2008 erstellten Gutachten zur
Feststellung gelangt, dass beim Kläger auf HNO-ärztlichem Gebiet eine
Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits und ein rezidivierend auftretendes
Ohrgeräusch beidseitig bestehe. Wesentliche Ursache für die Schwerhörigkeit sei - auch
eingedenk der Altersschwerhörigkeit - der berufsbedingte Lärm. Seit dem Audiogramm
vom 23. Juni 1999 bestehe zumindest eine berufsbedingte MdE von 10, wenn nicht sogar
15 v.H. allein für die Hörstörung. Seit dem Audiogramm vom 28. November 2001 sei von
einer berufsbedingten MdE von 15 v.H. auszugehen. Da die Sprachaudiogramme nicht
nach gutachterlichen Kriterien angefertigt worden seien, ließen sich diese nur zur
Schätzung der MdE heranziehen. Die seither eingetretene Progredienz zu einer MdE von
20 v.H. sei nicht berufsbedingt. Das SG hat auf Antrag des Klägers aufgrund
Beweisanordnung vom 27. November 2008 Beweis erhoben durch Einholung eines
weiteren schriftlichen Gutachtens auf HNO-ärztlichem Fachgebiet. Die gerichtliche
Sachverständige Dr. med. Z hat in ihrem nach einer ambulanten Untersuchung des
Klägers am 09. März 2009 unter dem 31. März 2009 erstellten Gutachten ausgeführt,
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Klägers am 09. März 2009 unter dem 31. März 2009 erstellten Gutachten ausgeführt,
dass beim Kläger eine symmetrische Schallempfindungsschwerhörigkeit ohne Schwindel
oder Tinnitus bestehe. Die bis 2001 dokumentierte Hochtonschwerhörigkeit biete die
Grundlage zur Festlegung der Berufskrankheit. Die in den Jahren danach entstandene
zusätzliche Komponente der Tieftonschwerhörigkeit beruhe am ehesten auf
altersentsprechenden degenerativen Innenohrveränderungen. Für den jetzigen Grad der
Schwerhörigkeit sei die Lärmschwerhörigkeit wesentlich. Nach dem am 23. Juni 1999
erstellten Audiogramm habe eine MdE von 10 v.H. bestanden, und nach dem am 28.
November 2001 durchgeführten Audiogramm ergebe sich eine MdE von 15 v.H. Da die
Sprachaudiogramme nicht nach gutachterlichen Kriterien angefertigt worden seien,
ließen sich diese – möglicherweise zu Lasten des Klägers - nicht und nur die
Tonaudiogramme verwerten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09. Juni 2009 abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, dass es dem Kläger nicht gelungen sei, den erforderlichen Vollbeweis für
eine rentenberechtigende MdE von zumindest 20 v.H. zu erbringen. Die auf der
Lärmschwerhörigkeit beruhende MdE betrage nach dem insofern übereinstimmenden
Ergebnis der beiden gerichtlichen Gutachten und des Vorgutachtens Dr. Fs höchstens 15
v.H. Soweit der Kläger selbst wiederholt angegeben habe, das Ohrgeräusch nur als
mäßig beziehungsweise nicht störend zu empfinden, komme insofern auch keine
Erhöhung der MdE in Betracht.
Der Kläger hat gegen das ihm am 25. Juni 2009 zugestellte Urteil am 21. Juli 2009
Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, das Ausmaß seiner Schwerhörigkeit
ergebe sich aus den beiden gerichtlichen Gutachten. Dr. H bescheinige ihm aufgrund der
derzeit bei ihm bestehenden Schwerhörigkeit eine MdE von 20 v.H. Die Frage, ob und
inwieweit die Erkrankung auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sei, sei gerade
nicht im Vollbeweis zu klären. Hier genüge die hinreichende Wahrscheinlichkeit.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juni 2009 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 23. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.
Februar 2007 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. ab dem 01. Januar
2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten unter dem 17. Juni 2010 zur beabsichtigten Entscheidung
durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der
Entscheidungsfindung des Gerichts waren, Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch
Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der
Kläger hat aufgrund der bei ihm anerkannten BK 2301 keinen Anspruch auf
Verletztenrente.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Verletztenrente
ist § 56 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Nach Abs. 1 S. 1 dieser
Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines
Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um
wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7
Abs. 1 SGB VII). BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, welche die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche
bezeichnet und welche Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3
oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber
bezeichneten BKen gehört unter Nr. 2301 auch die Lärmschwerhörigkeit.
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Die Feststellung dieser BK setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen
Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition gegeben sind und dass zum
anderen das typische Krankheitsbild dieser BK, das heißt eine Innenohrschwerhörigkeit
beziehungsweise ein Tinnitus vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen
Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist
(haftungsbegründende Kausalität). Es müssen die versicherte Tätigkeit, die durch sie
bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß und die
Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang
als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende)
Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit ausreicht (ständige Rspr. des
Bundessozialgerichts , Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach
juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach
herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und
ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und
20). Hiervon ausgehend sind nach den Empfehlungen für die Begutachtung der
beruflichen Lärmschwerhörigkeit - Königsteiner Merkblatt – (4. Auflage 1995, abgedruckt
in Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand Mai
2010, M 2301, S. 6b ff.) und den Darlegungen hierzu etwa in Schönberger/
Mehrtens/Valentin, 8. Auflage 2010, S. 326 ff. für die Anerkennung einer
Lärmschwerhörigkeit folgende Kriterien zu prüfen:
Dies zugrunde gelegt steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger
angesichts seiner berufslebenslangen Lärmexposition von mindestens 90 dB(A) die so
genannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen erfüllt. Im Sinne eines Vollbeweises
sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2301 gemäß dem Kriterium zu 1
erfüllt, und es liegt eine den Kriterien zu 2, 3, 5 und 6 entsprechende Erkrankung vor.
Allerdings führt diese im Fall des Klägers nicht zu einer rentenberechtigenden MdE.
Die MdE bezeichnet den durch die körperlichen, seelischen und geistigen Folgen des
Versicherungsfalles bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten
Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Steht die unfallbedingte
Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben
auswirkt (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 14/99 R –, zitiert nach juris Rn. 22
ff.). Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten
wie die Gesamtumstände des Einzelfalles (etwa BSG, Urteil vom 02. Mai 2001 - B 2 U
24/00 –, zitiert nach juris Rn. 20 ff.). Wie weit die Unfallfolgen beziehungsweise die Folgen
der anerkannten Berufskrankheit die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des
Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem
Gebiet. Um die MdE einzuschätzen, sind die Erfahrungssätze zu beachten, welche die
Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische
Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im
Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte
Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (etwa BSG, Urteil
vom 30. Juni 1998 - B 2 U 41/97 R –, zitiert nach juris Rn. 20 f.). Sie sind in
Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen
Vorschlag, welchen der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet.
Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien
begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur
Einschätzung der MdE (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -, zitiert
nach juris Rn. 17).
Hieran gemessen kann wegen der Folgen der beim Kläger anerkannten BK 2301 eine
MdE von 20 v.H. nicht festgestellt werden. Soweit sich wegen des beim Kläger
bestehenden Ohrenleidens nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen
Dr. H aufgrund des bei ihrer Untersuchung erstellten Audiogramms überhaupt eine MdE
von 20 v.H. annehmen lässt, ist für die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit,
dass eben diese MdE auf die berufliche Lärmexposition des Klägers zurückzuführen ist,
nichts ersichtlich. Vielmehr ist entsprechend dem ob genannten Kriterium zu 4 für das
Vorliegen einer BK 2301 auf die Schwerhörigkeit abzustellen, wie sie sich in einem
Zeitraum entwickelte, in welchem eine adäquate Lärmexposition bestand (vgl.
Schönberger u.a., a.a.O., S. 326). Dementsprechend ist dies auch der für die
Bemessung der MdE maßgebliche Zeitraum. Hiervon ausgehend stimmen die beiden
gerichtlichen Sachverständigen nachvollziehbar darin überein, dass für die Bewertung
der BK 2301 spätestens auf das erste nach der beruflichen Lärmexposition am 28.
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der BK 2301 spätestens auf das erste nach der beruflichen Lärmexposition am 28.
November 2001 erstellte Tonaudiogramm abzustellen ist. Hieraus ergibt sich eine
beidseitige Hörschwelle von 20-70-70 dB. Auf das beim Kläger gleichzeitig
durchgeführte, das Zahlwort- und Einsilberverständnis prüfende Sprachaudiogramm (so
genannter Freiburger Sprachtest, vgl. Schönberger u.a., a.a.O., S. 339) lässt sich nach
den zutreffenden übereinstimmenden Einschätzungen der gerichtlichen
Sachverständigen nicht abstellen. Zum einen vermerkte der behandelnde Arzt Dr. Gauf
dem Sprachaudiogramm vom 23. Juni 1999 nachvollziehbar, dass der Kläger als Slowake
Schwierigkeiten habe, die Einsilber zu verstehen. Zum anderen waren die
Sprachaudiogramme nach der zutreffenden Einschätzung der beiden gerichtlichen
Sachverständigen in der Tat nicht nach den gutachterlichen Kriterien angefertigt, welche
eine Addition der Einsilberverständniswerte bei 60, 80 und 100 dB verlangen (vgl.
Schönberger u.a., a.a.O., S. 339), wohingegen hier die Verständniswerte bei den
Lautstärken 50, 65 und 80 dB berücksichtigt wurden. Da sich vorliegend aus dem beim
Kläger durchgeführten Sprachaudiogramm mithin keine verlässlichen Werte ergeben,
lässt sich der prozentuale Hörverlust nur aus den Tonaudiogrammen nach der so
genannten Drei-Frequenz-Tabelle nach Röser 1980 (abgedruckt bei Schönberger u.a.,
a.a.O., S. 342) ermitteln. Hieraus folgt ein 35 %-iger Hörverlust auf jedem Ohr. Dies
ergibt nach den auch insofern übereinstimmenden Bewertungen der beiden
gerichtlichen Sachverständigen auf der Grundlage der so genannten MdE-Tabelle nach
Feldmann 1995 (abgedruckt bei Schönberger u.a., a.a.O. S. 346), welche eine
herkömmliche, den derzeitigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft auf HNO-
fachärztlichem Gebiet entsprechende Bewertungsmethode ist (Schönberger u.a., a.a.O.
S. 345), eine MdE von höchstens 15 v.H.
Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. F gelangte unter Hinweis auf die
in den Jahren 1997 bis 2001 nur sechsmonatige Lärmexposition sogar zu einer MdE von
nur 10 v.H. Auch Dr. F ging – wiederum in Übereinstimmung mit den gerichtlichen
Sachverständigen - davon aus, dass die Zunahme der Schwerhörigkeit nach Beendigung
der Lärmarbeit ein Nachschaden und somit versicherungsrechtlich nicht relevant ist.
Bei alldem kann dahinstehen, ob sich beim Kläger zusätzlich überhaupt ein Tinnitus
objektiv befunden lässt, zumal er bei der letzten Untersuchung durch die
Sachverständige Dr. Z angegeben hat, aktuell weder unter einem Tinnitus noch unter
Schwindel zu leiden. Eine MdE-erhöhende Wirkung etwaiger beim Kläger bestehender
Ohrengeräusche vermag der Senat bereits im Ansatz nicht zu erkennen. Der Kläger hat
sein Ohrensausen beziehungsweise –geräusch bereits gegenüber dem Gutachter Dr. F
als nur mäßig störend bezeichnet. Die Sachverständige Dr. H ist nach der Befragung des
Klägers davon ausgegangen, dass bei ihm ein rezidivierend, aber nicht persistierend
vorliegendes Ohrengeräusch besteht, welches keine nennenswerte psychovegetative
Begleitsymptomatik verursacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des
Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2, Nr. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.
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