Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 25.05.2010

LSG Berlin und Brandenburg: arbeitsentgelt, bemessungszeitraum, arbeitsmarkt, qualifikation, berufsausbildung, krankenschwester, sozialversicherung, abhängigkeit, lohnausfall, entstehung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 25.05.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 80 AL 3917/06
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 18 AL 256/09
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. August 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe des der Klägerin für die Zeit ab 18. Juli 2006 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg).
Die 1965 geborene Klägerin beendete im polnischen K im Juni 1984 eine Ausbildung in der Gemeinschaft der
Berufsgrundschulen für Weber im Fach Maschinen- und Handweber (Abschlusszeugnis der Berufsgrundschule vom
15. Juni 1984). Vom 21. August 1985 bis 21. Januar 1989 war sie – mit Ausnahme eines unbezahlten Urlaubes vom
01. Juni 1988 bis 21. Januar 1989 – als Krankenschwester des P beschäftigt (Arbeitszeugnis vom 21. Januar 1989).
Nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland absolvierte die Klägerin vom 20. Januar 1992 bis 26. Juni 1992 einen
Deutsch-Kurs an der Volkshochschule des Bezirksamtes N. Vom 01. Februar 2001 bis 12. Februar 2001 war die
Klägerin als Dolmetscherin/ Sozialberaterin bei der B e. V. versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Bezug von
Krankengeld bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann vom 13. August 2002 bis 31. März 2003 Alg nach einem
wöchentlichen gerundeten Bemessungsentgelt von 740,- EUR. Nach einer selbstständigen Tätigkeit der Klägerin vom
01. April 2003 bis einschließlich 30. September 2003 mit Überbrückungsgeldbezug gewährte die Beklagte erneut Alg
vom 01. Oktober 2003 bis 09. Oktober 2003 (Anspruchserschöpfung) und Anschluss-Arbeitslosenhilfe vom 10.
Oktober 2003 bis 31. Dezember 2004. Vom 01. Januar 2005 bis 19. Januar 2005 war die Klägerin als Büroangestellte
versicherungspflichtig beschäftigt. Nach erneutem Krankengeldbezug bis einschließlich 17. Juli 2006 meldete sich die
Klägerin mit Wirkung vom 18. Juli 2006 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 21.
August 2006 Alg für die Zeit ab 10. August 2006 für die Dauer von 240 Tagen in Höhe eines täglichen
Leistungsbetrages von 23,23 EUR (tägliches Bemessungsentgelt = 49,- EUR; Lohnsteuerklasse III). Im
Widerspruchsverfahren machte die Klägerin einen früheren Leistungsbeginn geltend und wandte sich zudem gegen die
Höhe des bewilligten Alg. Mit Änderungsbescheid vom 12. Oktober 2006 gewährte die Beklagte nunmehr Alg bereits
für die Zeit ab 18. Juli 2006 (Arbeitslosmeldung) für 240 Tage in unveränderter Höhe. Den Widerspruch der Klägerin im
Übrigen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2006 zurück mit der Begründung, dass als
Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sei, weil ein Bemessungszeitraum von mindestens
150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht habe
festgestellt werden können. Die Klägerin sei insoweit der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen, da für die in Polen
gemachten Abschlüsse in Deutschland keine Anerkennungen vorliegen würden. Auf eine Beschäftigung als Weber
könnten sich die Vermittlungsbemühungen nicht erstrecken, da ein nennenswerter Arbeitsmarkt nicht vorhanden sei.
Mit Bescheid vom 1. März 2007 bewilligte die Beklagte, nachdem eine zuvor verlautbarte Aufhebung der Alg-
Bewilligung für die Zeit ab 24. Februar 2007 (Bescheid vom 22. Februar 2007) ihrerseits von der Beklagten
aufgehoben worden war (Bescheid vom 9. März 2007), Alg ab 24. Februar 2007 für die Restanspruchsdauer von 23
Tagen (bis 16. März 2007) in unveränderter Höhe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von höherem Alg ab 18. Juli 2006 gerichtete Klage mit Urteil
vom 04. August 2009 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe
keinen Anspruch auf höheres Alg ab 18. Juli 2006. Da die Klägerin im erweiterten Bemessungsrahmen vom 18. Juli
2004 bis 17. Juli 2006 keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt im Umfang von 150 Tagen gehabt habe, sei nach § 132
Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde
zu legen. Die Übergangsregelungen in § 434 j Abs. 3 und Abs. 5 SGB III seien vorliegend nicht anwendbar. Gemäß §
132 Abs. 2 Satz 1 SGB III sei der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der
Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspreche, die für die Beschäftigung erforderlich
sei, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken habe.
§ 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III lege zu diesem Zweck vier näher bezeichnete Qualifikationsgruppen fest, denen jeweils
in Abhängigkeit von der für eine Beschäftigung erforderlichen Ausbildung ein Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten
Bruchteils der Bezugsgröße zugeordnet sei. Die Beklagte habe die Klägerin zu Recht keiner höheren als der
Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet, die nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III für Beschäftigungen gelte, die keine
Ausbildung erforderten. Bei der Frage, auf welche Beschäftigung die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster
Linie zu erstrecken habe, handele es sich um eine Prognoseentscheidung. Diese sei vorliegend nicht zu beanstanden.
Angesichts der Qualifikation der Klägerin und ihres beruflichen Werdeganges seien die Vermittlungsbemühungen der
Beklagten in erster Linie auf Hilfstätigkeiten in den Bereichen Haus- und Familienpflege sowie auf Bürohilfs- und
Verkaufshilfstätigkeiten zu erstrecken. Dass die Klägerin eine Ausbildung in der Polnischen Berufsgrundschule für
Weber im Fach Maschinen- und Handweber abgeschlossen und nach eigenem Vorbringen ein knappes Jahr (1984 bis
1985) in diesem Bereich gearbeitet habe, rechtfertige keine andere Beurteilung. Denn die Klägerin sei seit Jahrzehnten
nicht mehr im Beruf der Weberin tätig gewesen, habe fachfremd gearbeitet, und zudem hätten sich seither auch die
Rahmenbedingungen des Weberberufs geändert. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die Klägerin am 17. Juli
2006 und nachfolgend in der Lage gewesen sei, die Tätigkeit einer Weberin auf dem Niveau einer abgeschlossenen
Ausbildung auszuüben. Eine abgeschlossene Berufsausbildung als Krankenschwester besitze die Klägerin nicht, so
dass sie auch nicht auf derartige Tätigkeiten vermittelt werden könne. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin
seit 1988, wenn überhaupt, nur noch Tätigkeiten im Solarium, im Zigarettenladen und als ungelernte Altenpflegerin
verrichtet habe und seit 1999 ein Arbeitsverhältnis nur im Umfang von 12 Tagen als Dolmetscherin/ Sozialarbeiterin
und im Umfang von 19 Tagen als Büroangestellte ausgeübt habe, hätten sich die Vermittlungsbemühungen der
Beklagten in erster Linie auf Tätigkeiten im un- und angelernten Bereich zu erstrecken. Die Zuordnung zur
Qualifikationsgruppe 4 sei danach nicht zu beanstanden. Die weitere Berechnung des Alg durch die Beklagte sei
zutreffend.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Sie sei in eine höhere
Qualifikationsgruppe als die Qualifikationsgruppe 4 einzustufen. Die Beklagte müsse darauf hinwirken, dass eine
Vermittlung in anverwandte Berufe oder eine entsprechende Qualifikation stattfinde. Es habe von Seiten der
Beklagten weder Fortbildungen noch ihrer Qualifikation entsprechende Vermittlungsversuche gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. August 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des
Bescheides vom 21. August 2006 in der Fassung des Bescheides vom 12. Oktober 2006 und in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2006 sowie unter Änderung des Bescheides vom 1. März 2007 zu
verurteilen, ihr für die Zeit vom 18. Juli 2006 bis 16. März 2007 höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung der Klägerin durch Beschluss
zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht
für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 SGG).
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von höherem Alg für die Zeit vom 18. Juli 2006
bis 16. März 2007. Die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden festgesetzte Höhe des Alg – nur die
insoweit getroffene Verwaltungsentscheidung ist zwischen den Beteiligten streitig - ist nicht zu beanstanden.
Der Klägerin stand für die Zeit ab 18. Juli 2006 dem Grunde nach – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – ein
Anspruch auf Alg für 240 Tage zu. Die Klägerin hat sich am 06. Juli 2006 mit Wirkung vom 18. Juli 2006 arbeitslos
gemeldet, so dass insoweit die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren (§§ 118 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 122 Abs. 1
SGB III). Die Klägerin war ab 18. Juli 2006 auch arbeitslos im Sinne der §§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 bis 121 SGB III. Sie
hatte auch die Anwartschaftszeit im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 3 SGB III iVm den §§ 123, 124 SGB III erfüllt. Denn
sie hatte in der am 17. Juli 2006 beginnenden zweijährigen Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem
Versicherungspflichtverhältnis gestanden, und zwar bereits durch den Krankengeldbezug vom 20. Januar 2005 bis 17.
Juli 2006 gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III.
Die Beklagte hat für den streitigen Zeitraum zu Recht Alg in Höhe eines täglichen Leistungssatzes von 23,23 EUR
bewilligt. Nach § 129 Nr. 2 SGB III in der hier anwendbaren, seit 01. August 2001 geltenden Fassung beträgt das Alg
60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), dass sich aus dem
Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1
Satz 1 SGB III in der seit dem 01. Januar 2005 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2848) umfasst der Bemessungszeitraum die
beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der
Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor
der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert,
wenn u.a. der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Nr. 1
SGB III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des
auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives
Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III). Letzteres ist hier der Fall. Die Übergangsregelung in § 434j
Abs. 3 SGB III findet vorliegend keine Anwendung, weil der Alg-Anspruch der Klägerin nicht bis zum 31. Januar 2006
entstanden ist.
Weder im Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III noch im erweiterten Bemessungsrahmen des § 130
Abs. 3 Nr. 1 SGB III kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch der Klägerin auf
Arbeitsentgelt festgestellt werden. Denn in der Zeit vom 18. Juli 2004 bis 17. Juli 2006 hatte die Klägerin lediglich in
der Zeit vom 01. Januar 2005 bis 19. Januar 2005 einen Anspruch auf Arbeitsentgelt. In der übrigen Zeit stand sie in
einem Versicherungspflichtverhältnis auf Grund des Krankengeldbezuges gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III. Bei der
Klägerin ist daher als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).
Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber bei allen Versicherten, die keinen ausreichend
zeitnahen Bemessungszeitraum von wenigstens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen haben, die
Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohns für den auf Grund des Versicherungsfalls eintretenden Lohnausfall als nicht
mehr gewährleistet ansieht und deshalb stattdessen den voraussichtlichen aktuell erzielbaren Lohn zur
Bemessungsgrundlage erhebt, bestehen nicht. Die fiktive Bemessung nach § 132 Abs. 1 SGB III und die nähere
Ausgestaltung der fiktiven Bemessung in § 132 Abs. 2 SGB III verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen
Gemeinschaftsrecht (vgl. BSG, Urteile vom 29. Mai 2008 – B 11a/ 7a AL 64/06 R, B 11a AL 23/07 R – juris; BSG,
Urteil vom 6. Mai 2009 – B 11 AL 7/08 R = SozR 4-4300 § 130 Nr 5; BSG, Urteil vom 21. Juli 2009 – B 7 AL 23/08 R
= SozR 4-4300 § 132 Nr 3; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 42/08 R – juris; BSG, Urteil vom 16.
Dezember 2009 – B 7 AL 39/08 R – juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. März 2010 – 1 BvL 11/07 - juris).
Nach § 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der
Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist,
auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. §
132 Abs. 2 Satz 2 SGB III legt zu diesem Zweck vier näher bezeichnete Qualifikationsgruppen fest, denen jeweils in
Abhängigkeit von der für eine Beschäftigung erforderlichen Ausbildung ein Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten
Bruchteils der Bezugsgröße zugeordnet ist. Die Bezugsgröße ist das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen
Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag
(§ 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV -). Sie wurde nach §
17 Abs. 2 Satz 1 SGB IV in der bis zum 07. November 2006 geltenden Fassung vom Bundesministerium für
Gesundheit und Soziale Sicherung (seither: Bundesministerium für Arbeit und Soziales) im Voraus für jedes
Kalenderjahr durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt. Die Bezugsgröße (West) im hier
maßgeblichen Jahr 2006 betrug 29.400,- EUR jährlich (§ 2 Abs. 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen
der Sozialversicherung für 2006 vom 21. Dezember 2005 – BGBl. I 3627).
Die Beklagte hat die Klägerin in dem vorliegend streitbefangenen Zeitraum zutreffend der Qualifikationsgruppe 4
zugeordnet. Denn die Beklagte hatte insoweit ihre Vermittlungsbemühungen für die Klägerin in erster Linie auf
Beschäftigungen zu erstrecken, die keine Ausbildung erfordern (vgl. § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III). Da der
Gesetzgeber die Suche nach der insoweit maßgeblichen Beschäftigung ausdrücklich auf Tätigkeiten eingeschränkt
hat, auf die sich die Vermittlungsbemühungen "in erster Linie" zu erstrecken haben, können nur diejenigen Tätigkeiten
für die fiktive Bemessung relevant sein, mit denen der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden
kann (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 42/08 R -). Eine Vermittlung in den Beruf der Weberin kam
schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin damit nicht mehr in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden konnte.
Die Klägerin hatte zwar in Polen im Juni 1984 einen Ausbildungsabschluss als Maschinen- und Handweber erworben,
anschließend nach ihrem eigenen Vorbringen (vgl. Schriftsatz vom 07. August 2007) aber nur in der Zeit vom 25.
September 1984 bis 2. Juli 1985 in diesem Beruf gearbeitet. Danach war sie zu keiner Zeit mehr in ihrem Lehrberuf
tätig, sondern durchweg fachfremd beschäftigt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin
auf Grund ihrer persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten noch im Jahr 2006 in der Lage gewesen wäre, die Tätigkeit
einer Weberin auf dem Niveau einer abgeschlossenen Berufsausbildung wettbewerbsfähig in voller Breite auszuüben,
und zwar ungeachtet der prognostischen – fachkundigen - Einschätzung der Beklagten in dem angefochtenen
Widerspruchsbescheid, dass ein nennenswerter Arbeitsmarkt für Weber angesichts des Niedergangs der
Textilindustrie in Deutschland nicht vorhanden ist. Die Klägerin selbst hat auch nicht vorgetragen, noch über die
theoretischen Fähigkeiten und praktischen Fertigkeiten einer ausgebildeten Weberin in einer auf dem Arbeitsmarkt
wettbewerbsfähigen Weise zu verfügen. Zwar führt eine längere Abwesenheit vom Beruf nicht automatisch zum
Verlust der entsprechenden Qualifikation. Wenn aber die Klägerin letztmals vor dem maßgeblichen Zeitpunkt
(vorliegend der 17. Juli 2006) vor über 21 Jahren auf einem ihrer Ausbildung entsprechenden Qualifikationsniveau und
danach nur noch fachfremd gearbeitet hatte und sich zudem seither auch die Rahmenbedingungen des Berufs derart
gravierend geändert haben, ist davon auszugehen, dass am 17. Juli 2006 keine realistische Möglichkeit mehr
bestand, die Klägerin in eine Tätigkeit als Weberin mit abgeschlossener Berufsausbildung zu vermitteln.
Eine abgeschlossene Ausbildung als Krankenschwester bzw. Altenpflegerin besitzt die Klägerin bereits nach ihrem
eigenen Vorbringen nicht, so dass auch eine Vermittlung auf entsprechende Tätigkeiten, die jeweils eine
abgeschlossene Berufsausbildung von drei Jahren voraussetzen, nicht in Betracht kam und kommt. Da die Klägerin
seit 1988 bis zu ihrer Arbeitslosmeldung zum 18. Juli 2006 mit Unterbrechungen nur noch Tätigkeiten im un- bzw.
angelernten Bereich ausgeübt hat, und zwar zuletzt vom 1. Januar 2005 bis 19. Januar 2005 als Bürohilfe, ist die von
der Beklagten für den streitigen Zeitraum vorgenommene Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 nicht zu beanstanden.
Ob die Klägerin infolge des im April 2007 nach Beendigung des Alg-Bezugs gestellten Antrages auf Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben gegebenenfalls nach einer beruflichen Qualifizierungsmaßnahme einer höheren
Qualifikationsgruppe zuzuordnen wäre, ist für den hier in Rede stehenden Zeitraum bis 16. März 2007 ohne Belang.
Hinsichtlich der Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 jedenfalls für die Zeit vom 18. Juli 2006 bis 16. März 2007 folgt
aus § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt von 49,- EUR täglich (Bezugsgröße 2006: 29.400,-
EUR jährlich, geteilt durch 600). Auch die weitere Berechnung der Beklagten entspricht den Bestimmungen in § 133
SGB III, wonach zur Ermittlung des Leistungsentgelts im Sinne des § 129 SGB III eine Sozialversicherungspauschale
in Höhe von 21 v.H. (hier = 10,29 EUR) des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse (hier
Lohnsteuerklasse III = kein Lohnsteuerabzug), die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden war, auf
der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war, und der Solidaritätszuschlag (hier kein Abzug von
Solidaritätszuschlag) vom Bemessungsentgelt abzuziehen sind. Das insoweit zutreffend ermittelte Leistungsentgelt
von 38,71 EUR täglich führt nach § 129 Nr. 2 SGB III (einfacher Leistungssatz von 60 Prozent) zu dem von der
Beklagten zutreffend bewilligten Alg von 23, 23 EUR täglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.