Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 25.06.2003
LSG Berlin-Brandenburg: treu und glauben, innere medizin, vollmacht, erlass, aids, widerspruchsverfahren, verwaltungsakt, hiv, anfechtungsklage, behandlung
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 251/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 79 Abs 1 Nr 22 VwGO, § 79
Abs 2 VwGO, § 54 Abs 1 S 1 Alt
1 SGG, § 85 Abs 1 SGG, § 85
Abs 1 SGG
Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage gegen
Widerspruchsbescheid bei Erledigung des Ausgangsbescheides;
Einstellung des Widerspruchsverfahrens; Abhilfebescheid;
Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont
Tenor
Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni
2003 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2001
(Tagebuchnummer 25546/00) aufgehoben.
Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten für den gesamten
Rechtsstreit zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höheren Honorars für die Quartale III/98 bis
II/99.
Die Kläger – eine Ärztin und ein Arzt für Innere Medizin und ein Arzt für
Allgemeinmedizin, die jedenfalls seinerzeit Mitglieder im Ae. V. waren – nahmen in den
hier streitbefangenen Quartalen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als
Gemeinschaftspraxis an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie betreuten in
erheblichem Umfang HIV-infizierte und AIDS-kranke Patienten und verfügten über die
Berechtigung, den sog. AIDS-Zuschlag nach der Pseudonummer 9053 abzurechnen.
Nachdem der Vorstand der Beklagten im Vorfeld der Einführung von Praxis- und
Zusatzbudgets zum 1. Juli 1997 Kriterien zur Erweiterung des Praxisbudgets nach Nr. 4.
3 der Allgemeinen Bestimmungen A. I. Teil B des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für
vertragsärztliche Leistungen (A I B 4. 3 EBM) entwickelt hatte, teilte die Beklagte einer
Vielzahl von Vertragsärzten, die diese Kriterien aus ihrer Sicht erfüllten, im August 1997
schriftlich mit, dass sie für die Behandlungsfälle, bei denen die Pseudonummer 9053
abgerechnet werde, nach A I B 4. 3 EBM ein verdoppeltes Praxisbudget erhielten.
Zugleich wies die Beklagte in diesen Schreiben in einer Vielzahl von Fällen darauf hin,
dass diese Schreiben nur eine Vorabinformation beinhalteten und die betroffenen Ärzte,
sollten sie mit der Verdoppelung des Praxisbudgets für die beschriebenen Fälle nicht
einverstanden sein, nach Erhalt der Abrechnungsunterlagen für das Quartal III/97
Widerspruch einlegen könnten. Ob die Kläger ein vergleichbares Schreiben erhalten
haben, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Zu ihren Gunsten legte die Beklagte
jedoch den die Kläger betreffenden Honorarabrechnungen für die Quartale III/97 bis II/98
für die Behandlungsfälle, bei denen die Pseudonummer 9053 abgerechnet worden war,
ein verdoppeltes Praxisbudget zugrunde.
Am 28. Mai 1998 beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten, das Praxisbudget
ab dem Quartal III/98 für die vorgenannten Fälle nicht mehr zu verdoppeln, sondern nur
noch um 50 % zu erhöhen. Daraufhin wiesen die Prozessbevollmächtigten der Kläger als
Bevollmächtigte des A e. V. sowie die Kläger selbst die Beklagte im Oktober bzw.
November 1998 darauf hin, dass sich die von der Vertreterversammlung beschlossene
Reduzierung des Praxisbudgets ihrer Auffassung nach erst dann in den
Honorarbescheiden niederschlagen dürfe, wenn zuvor das als begünstigender
Verwaltungsakt zu bewertende Schreiben der Beklagten vom August 2007 geändert
worden sei. Beginnend mit dem Quartal III/98 setzte die Beklagte den Beschluss ihrer
Vertreterversammlung in den die Kläger betreffenden Honorarbescheiden um. Nachdem
zahlreiche Ärzte, die von der geänderten Praxis ebenfalls betroffen waren, gegen die
ihnen erteilten Honorarbescheide ab dem Quartal III/98 Widerspruch eingelegt hatten,
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ihnen erteilten Honorarbescheide ab dem Quartal III/98 Widerspruch eingelegt hatten,
beschloss der Vorstand der Beklagten am 24. Mai 2000, allen zur Zeit vorliegenden
Widersprüchen gegen die Honorarfestsetzungsbescheide betreffend die Quartale III/98
bis II/99 und allen zukünftigen Widersprüchen gegen die Honorarfestsetzungsbescheide
ab dem Quartal III/99 bis zum In-Kraft-Treten des neuen EBM abzuhelfen, soweit sich die
Widerspruchsführer gegen die Reduzierung der Praxisbudgetverdoppelung im Bereich
der HIV/Aids-Behandlung wendeten und hierdurch in ihren Rechten verletzt würden.
Mit ihrem am 30. Juni 2000 per Telefax bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom
selben Tage legten die Kläger wegen der geänderten Verfahrensweise bei der
Berechnung des Praxisbudgets gegen die Honorarbescheide für die Quartale III/99 und
IV/99 Widerspruch ein. Mit ihrem weiteren Schreiben vom 30. Juni 2000, das die Beklagte
am 6. Juli 2000 erreichte, führten sie aus: Sie hätten erst jetzt erfahren, dass sie selbst
wegen der Reduzierung der Praxisbudgetverdoppelung gegen jeden einzelnen
Honorarbescheid ab dem Quartal III/98 hätten Widerspruch erheben müssen. Diesen
Widerspruch legten sie nunmehr hinsichtlich aller sie betreffenden Honorarbescheide ab
dem Quartal III/98 ein und beantragten zugleich, ihnen hinsichtlich der bereits
bestandskräftig gewordenen Bescheide Wiedereinsetzung in die jeweils versäumte
Widerspruchsfrist zu gewähren. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 6. Juli
2000, das am 7. Juli 2000 bei der Beklagten einging, beantragten die Kläger darüber
hinaus, die bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide ab dem Quartal III/98
zurückzunehmen, soweit sich darin die geänderte Verfahrensweise niedergeschlagen
habe, und das Honorar auf der Basis eines verdoppelten Praxisbudgets für die
Behandlungsfälle, in denen sie die Pseudonummer 9053 abgerechnet hätten, neu
festzusetzen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit ihrem an die
Prozessbevollmächtigten der Kläger gerichteten Bescheid vom 15. November 2000 ab.
Zur Begründung führte sie aus: Abgesehen davon, dass der begehrten Rücknahme der
bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide bereits entgegenstehe, dass diese
rechtmäßig seien, habe sie über die Rücknahme eine Ermessensentscheidung zu
treffen. Für diese Ermessensentscheidung sei ausschlaggebend, dass die
Honorarbescheide nicht nachträglich korrigiert werden könnten, weil sie für die hiermit
verbundene Nachvergütung keine Rückstellungen gebildet habe. Die Nachvergütung
könne somit nur durch eine nachträgliche Umverteilung der bereits ausgezahlten
Gesamtvergütung zu Lasten anderer Ärzte erfolgen. Da sich Letztere jedoch auf die
Bestandskraft der ihnen erteilten Honorarbescheide berufen könnten, scheide eine
nachträgliche Umverteilung aus. Am Ende des Bescheides wies die Beklagte darauf hin,
dass sie – soweit gegen die Honorarfestsetzungsbescheide der Quartale ab III/98
Widerspruch erhoben worden sei und ein Widerspruchsbescheid noch nicht vorliege –
hierüber gesondert entscheiden werde.
Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Kläger gegen den Bescheid vom 15.
November 2000 Widerspruch eingelegt und nach Erhalt einer Nichtabhilfeentscheidung
vom 6. Dezember 2000 auf Anforderung der Beklagten am 8. Dezember 2000 eine
Vollmacht der Kläger mit dem Betreff „Honorarfestsetzung ab III/98“ nachgereicht
hatten, teilte die Beklagte den Klägern selbst mit ihrem Schreiben vom 22. Dezember
2000 unter dem Betreff
„Widerspruch gegen den Honorarfestsetzungsbescheid – ab Quartal III/1998 –
- Erweiterung des Praxisbudgets nach A I. Teil B 4. 3 EBM
50%-Budget-Reduzierung – Abhilfe
HIV-/Aids-Behandlung (GO-Nr. 9053)“
u. a. mit: Ihr Vorstand habe ihren Widerspruch vom 30. Juni 2000 gegen den o. g.
Honorarfestsetzungsbescheid zur Kenntnis genommen. Diesem Widerspruch werde
aufgrund einer am 24. Mai 2000 getroffenen Vorstandsentscheidung abgeholfen, soweit
sich dieser gegen die Aufhebung der Verdoppelung des Praxisbudgets richte.
Den per Telefax eingelegten Widerspruch der Kläger vom 30. Juni 2000 gegen den
Honorarbescheid für das Quartal III/99 wies die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid
vom 15. Januar 2001 (Tagebuchnummer 14161/00) als unzulässig zurück, weil der
Widerspruch nicht fristgemäß erhoben worden sei und den Klägern keine
Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist gewährt werden könne. Hinsichtlich
des zeitgleich eingelegten Widerspruchs gegen den Honorarbescheid für das Quartal
IV/99 teilte sie den Klägern am 10. April 2001 mit: Wie ihnen bereits mit dem Schreiben
vom 22. Dezember 2000 mitgeteilt worden sei, sei ihrem Widerspruch gegen den
Honorarbescheid für das Quartal IV/99 abgeholfen worden. Der Honorarbescheid werde
nunmehr entsprechend geändert und sie erhielten eine Nachvergütung in Höhe von
24.136,50 DM.
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Den Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 15. November 2000 wies die
Beklagte mit ihrem an die Prozessbevollmächtigten der Kläger adressierten
Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2001 (Tagebuchnummer 25546/00) im
Wesentlichen aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.
Die daraufhin erhobene Klage, mit der die Kläger vorrangig geltend gemacht hatten,
dass die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. November 2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001 zu verpflichten sei, das ihnen
zustehende Honorar für die Quartale III/98 bis II/99 auf der Grundlage ihres Antrags vom
7. Juli 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen, hat
das Sozialgericht mit seinem Urteil vom 25. Juni 2003 abgewiesen. Zur Begründung hat
es im Wesentlichen ausgeführt: Der Tatbestand der hier allein in Betracht zu ziehenden
Anspruchsgrundlage des § 44 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB
X) sei nicht erfüllt. Denn die bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide für die
Quartale III/98 bis II/99 seien rechtmäßig. Entgegen der Auffassung der Kläger sei es
nämlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte das Praxisbudget für die
Behandlungsfälle, bei denen die Kläger die Pseudonummer 9053 abgerechnet hätten,
nur um 50 % erhöht habe. Diese Erhöhung reiche aus, den auf die Behandlung HIV-
infizierter und AIDS-kranker Patienten zurückzuführenden besonderen
Versorgungsbedarf gemäß A I B 4. 3 EBM angemessen zu decken. Aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten lasse sich ein anderes Ergebnis nicht herleiten, weil
die Kläger spätestens seit der Veröffentlichung des Beschlusses der
Vertreterversammlung vom 28. Mai 1998 gewusst hätten, dass das Praxisbudget für die
beschriebenen Behandlungsfälle nicht mehr verdoppelt, sondern nur noch um 50 %
erhöht werden würde. Auf das Schreiben vom August 1997 komme es nicht an, weil mit
diesem Schreiben nur unverbindliche Vorabinformationen übermittelt worden seien.
Dass der Vorstand der Beklagten im Mai 2000 beschlossen habe, den Widersprüchen
derjenigen Ärzte abzuhelfen, die sich gegen die Umsetzung des Beschlusses der
Vertreterversammlung vom Mai 1998 gewandt hätten, sei für die Entscheidung
unerheblich. Auf die Frage, ob die Beklagte das ihr nach § 44 Abs. 2 SGB X eingeräumte
Ermessen rechtmäßig ausgeübt habe, komme es nach allem nicht an.
Gegen dieses ihnen am 20. August 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der
Kläger vom 10. September 2003, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen weiter vertiefen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2003 und den Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 15. Januar 2001 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 15. November 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001 zu verpflichten, die Honorarbescheide für
III/98 bis II/99 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, eine erneute
Honorarberechnung für diesen Zeitraum – unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts – durchzuführen,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. November 2000 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001 zu verpflichten, über den
Antrag nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass sich
ihr Schreiben vom 22. Dezember 2000 nach den Gesamtumständen des Falles
ersichtlich nur auf das Quartal IV/99 beziehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte,
insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil ist unzutreffend.
Wie das Sozialgericht mit Recht entschieden hat, ist die von den Klägern erhobene Klage
zulässig. Entgegen der in dem angegriffenen Urteil zum Ausdruck kommenden
Auffassung des Sozialgerichts ist richtige Klageart jedoch nicht die – die
Anfechtungsklage umschließende – Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1
2. Alternative des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Effektiver Rechtsschutz ist im
vorliegenden Fall vielmehr auf einfacherem Weg mit der isolierten Anfechtungsklage im
Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG zu erreichen, die entgegen der
Grundregel des § 95 SGG auch nicht gegen den Bescheid der Beklagten vom 15.
November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001
(Tagebuchnummer 25546/00), sondern in analoger Anwendung von § 79 Abs. 1 Nr. 2
bzw. Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) allein gegen den vorgenannten
Widerspruchsbescheid zu richten ist. Denn Ziel der Klage ist es, für die Quartale III/98 bis
II/99 ein Honorar zu erhalten, das sich der Höhe nach ergibt, legt man der Berechnung
ein verdoppeltes Praxisbudget für die Behandlungsfälle zugrunde, bei denen die
Pseudonummer 9053 abgerechnet worden ist. Dieses Ziel lässt sich nach den
Besonderheiten des Falles durch eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides
vom 15. Januar 2001 erreichen, weil die Kläger bereits vor Erlass dieses Bescheides so
gestellt gewesen sind, wie sie jetzt gestellt werden wollen, und die Beklagte ihnen diese
Rechtsstellung mit dem Widerspruchsbescheid wieder genommen hat.
Dass die Kläger die mit der Klage erstrebte Rechtsstellung bereits vor Erlass des
Widerspruchsbescheides innegehabt haben, folgt in ihrem Fall aus dem Umstand, dass
die Beklagte ihnen selbst unter der Überschrift „Widerspruch gegen den
Honorarfestsetzungsbescheid – ab Quartal III/1998 – …“ mit ihrem Schreiben vom 22.
Dezember 2000 mitgeteilt hat, sie helfe dem Widerspruch der Kläger vom 30. Juni 2000
ab. Bei diesem Schreiben handelt es sich um einen als Verwaltungsakt im Sinne des §
31 SGB X zu qualifizierenden Abhilfebescheid gemäß § 85 Abs. 1 SGG. Mit diesem
Abhilfebescheid hat die Beklagte (jedenfalls) für die hier streitbefangenen Quartale III/98
bis II/99 entschieden, dass die Kläger unter Aufhebung der insoweit erlassenen
Honorarbescheide ein Honorar zu beanspruchen haben, das sich auf der Grundlage
eines verdoppelten Praxisbudgets für die Behandlungsfälle ergibt, für die sie die
Pseudonummer 9053 abgerechnet haben. Dass die Beklagte, wie sie in der mündlichen
Verhandlung des Senats ausgeführt hat und ihr Schreiben vom 10. April 2001 belegt,
zwar einen Abhilfebescheid erlassen, diesen aber nur auf das Quartal IV/99 beziehen
wollte, ändert an dem vorstehenden Ergebnis nichts. Denn maßgeblich dafür, ob – was
hier nicht streitig ist – ein Verwaltungsakt erlassen worden ist und welchen Inhalt dieser
gegebenenfalls hat, ist nicht, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist.
Entscheidend ist vielmehr der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, das heißt wie der
Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des
Einzelfalls objektiv verstehen musste.
Vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet lässt sich das Schreiben vom 22.
Dezember 2000 jedoch nicht anders verstehen als soeben dargelegt. Dies folgt bereits
aus dem Betreff des Bescheides, in dem die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass sich
der Bescheid auf den Widerspruch der Kläger gegen den Honorarfestsetzungsbescheid
ab dem Quartal III/98 beziehe, den die Kläger mit ihrem am 6. Juli 2000 bei der Beklagten
eingegangenen Schreiben vom 30. Juni 2000 auch tatsächlich eingelegt hatten. Hierbei
ist entgegen der in der Sitzung des Senats dargelegten Auffassung der Beklagten
unerheblich, dass in dem Betreff des Abhilfebescheides nur von einem
Honorarfestsetzungsbescheid die Rede ist. Denn für den verständigen
Bescheidempfänger ergibt sich aus dem konkretisierenden Hinweis „ab Quartal III/1998“
sowie dem Umstand, dass die Kläger mit ihrem am 6. Juli 2000 bei der Beklagten
eingegangenen Widerspruch mehrere Honorarfestsetzungsbescheide angefochten
hatten, dass nicht nur ein einziger Honorarfestsetzungsbescheid gemeint sein konnte.
Dass sich der Abhilfebescheid (jedenfalls) auf die hier streitbefangenen Quartale
erstreckt, folgt zudem aus dem weiteren Text des Bescheides, in dem die Beklagte
ausdrücklich auf den Widerspruch der Kläger vom 30. Juni 2000 Bezug genommen hat.
Denn diese Bezugnahme macht aus der Sicht eines verständigen Bescheidempfängers
nur dann Sinn, wenn man diesen Hinweis auf den am 6. Juli 2000 bei der Beklagten
eingegangenen Widerspruch bezieht, der jedenfalls die hier streitbefangenen Quartale
betrifft. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Kläger unter dem
30. Juni 2000 zwei Widerspruchsschreiben verfasst haben. Denn das
Widerspruchsschreiben, das per Telefax bereits am 30. Juni 2000 bei der Beklagten
eingegangen ist, betraf eindeutig nur die Quartale III/99 und IV/99, so dass die Beklagte
bei Erhalt des zweiten Schreibens, mit dem die Kläger Widerspruch gegen alle
Honorarbescheide ab dem Quartal III/98 eingelegt hatten, davon ausgehen musste, dass
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Honorarbescheide ab dem Quartal III/98 eingelegt hatten, davon ausgehen musste, dass
hiervon jedenfalls die vor dem Quartal III/99 liegenden Quartale III/98 bis II/99 erfasst
werden sollten. Stellt die Beklagte vor diesem Hintergrund im Betreff ihres
Abhilfebescheides vom 22. Dezember 2000 einen Bezug zu den Honorarbescheiden ab
dem Quartal III/98 her, kann der verständige Bescheidempfänger den in den Text des
Bescheides aufgenommenen Hinweis auf den Widerspruch vom 30. Juni 2000 nicht
anders verstehen, als dass hiermit der sich jedenfalls auch auf die Quartale III/98 bis II/99
beziehende Widerspruch gemeint sein sollte. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund,
dass die Beklagte die Kläger am Ende ihres zuvor erlassenen Bescheides vom 15.
November 2000 darauf hingewiesen hatte, sie werde – soweit gegen die
Honorarfestsetzungsbescheide der Quartale ab III/98 Widerspruch erhoben worden sei
und ein Widerspruchsbescheid noch nicht vorliege – hierüber noch gesondert
entscheiden. Der Schluss, dass diese Entscheidung nunmehr mit dem Abhilfebescheid
getroffen worden ist, drängt sich für den objektiven Bescheidempfänger bei verständiger
Würdigung der Umstände des Falles auf.
Dass die Beklagte am Ende des Abhilfebescheides mitgeteilt hat, sie benötige zur
weiteren Bearbeitung des Widerspruchs noch eine Information darüber, auf welches
Musterverfahren sich die Kläger in ihrem Widerspruch berufen hätten, führt im
vorstehenden Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis. Denn diese Formulierung
legt lediglich die Vermutung nahe, dass im Nachgang des Abhilfebescheides noch einige
Abwicklungsfragen geklärt werden sollten. Sie lässt jedoch nicht erkennen, dass der
Abhilfebescheid die mit dem Widerspruch erhobenen Rügen nicht für alle betroffenen
Quartale umfassend erledigen sollte. Darüber hinaus kommt es für die Auslegung des
Abhilfebescheides auch nicht darauf an, dass die Beklagte in diesem Bescheid eine
Tagebuchnummer aufgeführt hat, die mit der auf dem Widerspruchsschreiben der Kläger
vom 30. Juni 2000 vermerkten Tagebuchnummer nicht identisch ist, sondern ausweislich
des Mitteilungsschreibens der Beklagten vom 10. April 2001 sowie der in den
Verwaltungsvorgängen abgehefteten so genannten Vorgänge-Übersicht ausschließlich
den Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal IV/99 betrifft. Denn
unabhängig davon, ob und in welcher Weise den Klägern die vergebenen
Tagebuchnummern überhaupt bekannt gegeben worden sind, kommt der
Tagebuchnummer jedenfalls dann keine maßgebliche Bedeutung zu, wenn der Text des
Bescheides aus der Sicht eines verständigen Bescheidempfängers keine Zweifel daran
aufkommen lässt, was damit geregelt worden ist. So liegt der Fall mit Blick auf den einer
anderen Auslegung nicht zugänglichen Betreff des Bescheides, die in dem Bescheid
enthaltene Bezugnahme auf das Widerspruchsschreiben vom 30. Juni 2000 sowie die
vorausgegangene Ankündigung in dem Bescheid vom 15. November 2000, bezüglich
der Quartale ab III/98 eine gesonderte Widerspruchsentscheidung treffen zu wollen, hier.
Dass die Kläger aus dem Schreiben vom 10. April 2001 hätten ersehen können, dass
sich der Abhilfebescheid vom 22. Dezember 2000 nur auf das Quartal IV/99 beziehen
sollte, ist entgegen der Auffassung der Beklagten für die Auslegung des Bescheides
unerheblich. Denn abgesehen davon, dass jeder Bescheid in erster Linie aus sich heraus
auf seinen Inhalt hin zu untersuchen ist, hat die Beklagte das Schreiben vom 10. April
2001 erst geraume Zeit nach Erlass des Abhilfebescheides verfasst, so dass bei seiner
Auslegung hierauf schon aus tatsächlichen Gründen nicht zurückgegriffen werden
konnte. Dasselbe gilt für den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2001
(Tagebuchnummer 14161/00), mit dem die Beklagte den Widerspruch der Kläger vom
30. Juni 2000 gegen den Honorarbescheid für das Quartal III/99 als unzulässig
zurückgewiesen hat, weil auch dieser Widerspruchsbescheid erst nach dem
Abhilfebescheid erlassen worden ist.
Schließlich ist für die Auslegung des Abhilfebescheides unerheblich, dass parallel zu dem
(jedenfalls) die Quartale III/98 bis II/99 betreffenden Widerspruchsverfahren die
Prozessbevollmächtigten der Kläger in ihrem Namen zu derselben Problematik mit
einem anderen juristischen Ansatz ein separates Antrags- und Widerspruchsverfahren
betrieben haben, in dem die Beklagte vor Erlass des hier streitbefangenen
Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001 mit dem Ablehnungsbescheid vom 15.
November 2000 und dem Nichtabhilfebescheid vom 6. Dezember 2000 dem
Abhilfebescheid vom 22. Dezember 2000 entgegenstehende Regelungen getroffen hat.
Denn die Kläger müssen sich zwar die Anträge ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen
lassen. Ferner handelt es sich bei allen sie betreffenden Schriftstücken, die ihren
Prozessbevollmächtigten zugehen, um Schriftstücke für sie. Es ist jedoch nicht Sache
der Kläger, die Entscheidungen der Beklagten zu koordinieren. Vielmehr ist die Beklagte
verpflichtet, die bei ihr eingehenden Rechtsschutzbegehren eines Vertragsarztes selbst
und seines Bevollmächtigten so aufeinander abzustimmen, dass widersprechende
Entscheidungen vermieden werden. Verlautbart sie eine Entscheidung, mit der sie aus
der Sicht eines verständigen Bescheidempfängers auf ein zuvor von ihm tatsächlich
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der Sicht eines verständigen Bescheidempfängers auf ein zuvor von ihm tatsächlich
eingelegtes Rechtsmittel reagiert, muss sie sich hieran festhalten lassen.
Der Abhilfebescheid vom 22. Dezember 2000 ist gegenüber den Klägern auch wirksam
bekannt gegeben geworden. Die Kläger haben zwar ihren Prozessbevollmächtigten unter
dem 3. Juli 2000 eine Vollmacht erteilt, sie gegen die Beklagte wegen der
„Honorarfestsetzung ab III/98“ zu vertreten. Ferner ist diese Vollmacht am 8. Dezember
2000 vor Erlass des Abhilfebescheides vom 22. Dezember 2000 bei der Beklagten
eingegangen. Die Beklagte ist jedoch nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht verpflichtet
gewesen, diese Vollmacht bei der Bekanntgabe des Abhilfebescheides zu beachten.
Anders als im Falle der Zustellung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 des
Verwaltungszustellungsgesetzes wird ein Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X
nämlich dann wirksam, wenn er dem Beteiligten, für den er bestimmt ist, selbst bekannt
gegeben wird. Davon abgesehen wäre der Abhilfebescheid für die Beklagte aber auch
dann verbindlich, wenn sie die Vollmacht hätte beachten müssen. Denn die Kläger
hätten den sie ausschließlich begünstigenden Abhilfebescheid dann jedenfalls erhalten,
so dass es zumindest gegen den auch im Öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von
Treu und Glauben verstieße, könnte sich die Beklagte von dem Bescheid nur deshalb
wieder lösen, weil sie eine gerade dem Schutz der Bescheidempfänger dienende
Formvorschrift missachtet hätte.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die zulässige Klage auch begründet.
Denn der Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2001 (Tagebuchnummer 25546) ist
rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Die Beklagte durfte im vorliegenden Fall einen Widerspruchsbescheid nicht mehr
erlassen. Denn das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 15. November
2000 hatte sich mit dem Abhilfebescheid vom 22. Dezember 2000 erledigt, weil die
Kläger das, was sie mit ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. November 2000
erreichen wollten, bereits mit dem Abhilfebescheid zu dem von ihnen selbst eingelegten
Widerspruch gegen die Honorarbescheide ab dem Quartal III/98 erreicht hatten. Diese
Erledigung hat zur Folge, dass die Beklagte das Widerspruchsverfahren hätte einstellen
müssen. Durch den dennoch erlassenen Widerspruchsbescheid sind die Kläger
beschwert. Denn durch die Zurückweisung ihres Widerspruchs wird der Eindruck erweckt,
der (erledigte) Bescheid vom 15. November 2000 sei bestandskräftig geworden. Der
Widerspruchsbescheid ist daher aufzuheben (vgl. BVerwGE 81, 226).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden
Fassung und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1
und 2 SGG nicht vorliegt.
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