Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.01.2003

LSG Berlin und Brandenburg: radioaktive strahlung, stationäre behandlung, karzinom, anerkennung, wahrscheinlichkeit, berufskrankheit, strahlenschutz, einwirkung, belastung, konzentration

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 14.01.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 69 U-Bb 751/96
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 2 U 7/98
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 1997 aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) der
Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO).
Mit der am 14. Oktober 1993 bei der Beklagten eingegangenen Verdachtsanzeige machte der 1957 geborene Kläger
geltend, er führe ein Tonsillen-Karzinom (Tumor im Rachenbereich) auf seine frühere Tätigkeit bei der SDAG W. im
Bergbaubetrieb R. (Th. ) zurück. Er sei sowohl während der Lehre vom 1. September 1974 bis 15. Juli 1976 als auch
in der sich unmittelbar anschließenden Tätigkeit als Hauer, die bis zum 30. September 1976 gedauert habe,
ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen. Der Kläger war von Oktober 1976 bis 31. Dezember 1989 zunächst
Soldat auf Zeit und dann Berufssoldat.
Anschließend arbeitete er im Fernmeldebauamt der Telekom. Im April 1991 begann der Kläger eine Umschulung zum
Kaufmann, die er krankheitsbedingt erst im September 1996 beendete. Hieran schloss sich eine kaufmännische
Tätigkeit in einer Hausverwaltung an.
Im Zuge der von der Beklagten eingeleiteten Ermittlungen teilte die W. GmbH R. am 11. November 1993 mit, der
Kläger sei ca. ein Jahr während der Berufsausbildung und dann als Hauer durchgehend ionisierender Strahlung
ausgesetzt gewesen.
In der Epikrise der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Charité vom 15. Oktober 1992, in der über eine
Tumorradikaloperation mit Unterkieferteilresektion berichtet wird (stationäre Behandlung vom 11. September bis 14.
Oktober 1992), finden sich in der Diagnoseschilderung auch Hinweise auf einen chronischen Alkoholabusus und eine
chronisch rezidivierende Laryngitis des Klägers. Während einer weiteren stationären Behandlung in der Charité vom
23. Februar bis 8. März 1993 erfolgte das Dekanülement.
Im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens kam es zu einer weiteren Krebserkrankung des Klägers, die sich als Larynx-
Karzinom (Kehlkopftumor) herausstellte. Dieser wurde in der HNO-Abteilung der Charité während einer stationären
Behandlung vom 13. bis 19. Juli 1995 laserchirurgisch abgetragen.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten ermittelte anhand der Empfehlungen für die Bearbeitung von
Berufskrankheiten infolge von Tätigkeiten bei der ehemaligen sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft (SDAG)
Wismut“ im Gutachten des Prof. Jacobi vom Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Institut für
Strahlenschutz, O. - Jacobi II - Gutachten - für den Kläger eine Verursachungswahrscheinlichkeit für ein Tonsillen-
Karzinom von 1,8 % und eine kumulative Organdosis von 0,37 Sv (Sievert). Hierbei legte er ein Alter von 18 Jahren
bei erstmaliger Exposition, ein Alter von 35 Jahren bei Eintritt der Erkrankung, eine Latenzzeit von 17 Jahren und eine
Strahlenexposition von 1,3 Jahren zugrunde.
Die Gewerbeärztin Dr. W. vom Landesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin/Thüringen empfahl der Beklagten
daraufhin am 22. Februar 1996, das Vorliegen einer BK-Nr. 2402 abzulehnen, weil bei dem seinerzeitigen
Erkenntnisstand ein Zusammenhang zwischen der Strahlenexposition und der Erkrankung an einem Tonsillen-
Karzinom nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Ein Zusammenhangsgutachten werde nicht für erforderlich gehalten.
Durch Bescheid vom 22. April 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 1996 lehnte die
Beklagte daraufhin eine Entschädigung wegen einer BK-Nr. 2402 ab. Sie folge der gewerbeärztlichen Empfehlung.
Zwar sei der Kläger in seiner Tätigkeit bei der SDAG W. von 1974 bis 1976 einer kumulativen Organdosis durch
Radon-Zerfallsprodukte, langlebige Radionuklide im Staub sowie Gamma-Strahlung von 0,37 Sievert ausgesetzt
gewesen. Hieraus ergebe sich insbesondere unter Berücksichtigung der Latenzzeit eine
Verursachungswahrscheinlichkeit von 1,8 % (Berechnung nach dem Modell von Prof. Jacobi). Das Gutachten des
Prof. Jacobi sei die allgemein anerkannte wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidungspraxis der
Unfallversicherungsträger und Sozialgerichte. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass bei einer
Verursachungswahrscheinlichkeit von mehr als 50 % ein Karzinom durch ionisierende Strahlung verursacht worden
sei. Denn dies würde bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Karzinom durch die Strahlung verursacht
worden sei, größer sei als das bestehende Spontanrisiko. Das sei hier unter Berücksichtigung der vom Kläger
ausgeführten Tätigkeiten nicht der Fall.
Durch einen weiteren Bescheid vom 14. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1997
lehnte es die Beklagte auch ab, das KehlkopfKarzinom des Klägers als BK-Nr. 2402 anzuerkennen. Sie nahm
insoweit insbesondere auf das - im Widerspruchsverfahren eingeholte - Aktenlagegutachten des Prof. Dr. Sch. von der
HNO-Klinik des Klinikums B. vom 29. April 1997 Bezug. Darin bekundete dieser, dass aufgrund der vom TAD der
Beklagten ermittelten Daten ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition gegenüber ionisierenden
Strahlen und dem Karzinom der Stimmlippe nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Ebenso wenig sei ein
Zusammenhang zwischen der Entstehung des Tonsillen-Karzinomes und der beruflichen Strahlenexposition zu
befürworten. Zigaretten rauchen und Alkoholkonsum - beide bei dem Kläger bekannt - seien insbesondere in
Kombination die weitaus häufigsten Ursachen für die Entstehung von bösartigen Geschwülsten im Bereich des
Rachens und des Kehlkopfes. Gegenüber der Verursachungswahrscheinlichkeit hierdurch sei die durch berufliche
Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen mit 1,8 % verschwindend gering, so dass er auch nicht empfehlen
könne, die Tumorerkrankung des Kehlkopfes als BK-Nr. 2402 anzuerkennen.
Im anschließenden Klageverfahren, in dem am 24. November 1997 eine Verbindung der gegen beide
Verwaltungsentscheidungen der Beklagten erhobenen Klagen erfolgt ist, hat die Beklagte u.a. im Schriftsatz vom 19.
März 1997 dargelegt, welche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nach ihrer Auffassung gegenwärtig zu
berücksichtigen seien, um festzustellen, ob ein Karzinom strahleninduziert im Sinne der BK-Nr. 2402 sei. Sie halte
sich insoweit an das Gutachten Jacobi II. Hiernach ergäben die Belastungswerte bei dem Kläger in beiden
Karzinomfällen eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 1,8 %, die weit unter der sogenannten
Krebsverdoppelungsdosis liege.
Der vom Sozialgericht zum medizinischen Sachverständigen ernannte Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. R. hat in
seinem Gutachten vom 12. August 1997 die Angaben des Klägers, wonach er es beim Resteabbau in alten
Scheibenbrüchen mit besonders hoher Staub- und Radonkonzentration und schlechter Belüftung zu tun gehabt habe,
als richtig unterstellt. Hiernach sei von anderen Arbeitsbedingungen auszugehen, als sie die Beklagte berücksichtigt
habe.
Aufgrund seines auf der Grundlage des (die Belastungssituation in den Jahren 1946 - 1955 in den Vordergrund
stellenden) Jacobi-Gutachtens II erstellten Rechenwerkes ist der Sachverständige zu der Auffassung gelangt, dass
die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesundheitsschaden des Klägers auf eine berufliche Strahlenexposition
zurückzuführen sei, 50 % betrage. In dem bei dem Kläger 1992 diagnostizierten Alkoholmissbrauch und einem
Nikotinabusus bis 1982 sah er keine konkurrierenden Faktoren, die mitursächlich für die Karzinomentstehung sein
könnten. Im Übrigen empfahl Dr. R. weitere Nachforschungen und die Einholung eines strahlenbiologischen
Gutachtens. Die Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er bis Juli 1995 mit 80 von Hundert und in
der Folgezeit mit 90 von Hundert ein.
Dem Gutachten hat die Beklagte mit einer Stellungnahme des TAD vom 19. September 1997 entgegengehalten, dass
auch dann, wenn von einer höheren Schadstoffkonzentration in der Tätigkeit des Klägers ausgegangen werden würde,
jedenfalls der vorgeschriebene Sperrwert nicht überschritten worden sei. Dieser sei ständig von Dosimetristen
überprüft worden. Wenn die Konzentration den Sperrwert überschritten hätte, wäre der Abbaubetrieb gesperrt worden.
Bei einer Annahme, dass der vorgegebene Sperrwert für die Radon-Folgeproduktkonzentration im Abbaugebiet fast
erreicht gewesen sei (10fache Konzentration gegenüber dem Schachtdurchschnitt) ergebe sich eine kumulative
Äquivalentdosis von 2,12 Sv bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit nach dem Jacobi-Gutachten für Tonsillen-
und Kehlkopf-Karzinome von 9,6 %.
Der von der Beklagten um eine gutachterliche Stellungnahme ersuchte Professor für Strahlenbiologie und
Strahlenschutzmedizin Dr. A. hat am 12. November 1997 nach Aktenlage dargelegt, dass selbst unter
Berücksichtigung der theoretisch höchstmöglichen Belastungswerte und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von
9,6 % für beide Karzinome die haftungsausfüllende Kausalität nicht begründet sei. Bisher seien
Kausalitätserwägungen bei radonexponierten Bergleuten mit bösartigen Tumoren stets auf der Basis von Ergebnissen
internationaler epidemiologischer Studien an Uranbergarbeitern vorgenommen worden. Die derzeit vorliegenden
Ergebnisse dieser Studien zeigten zwar eine statistisch signifikante Häufung von Lungen- bzw. Bronchial-Karzinomen,
nicht aber von Krebserkrankungen außerhalb der Lunge. Mundhöhlen- und Kehlkopfkrebse seien in diesem
epidemiologischen Datenmaterial von Uranbergarbeitern nicht signifikant vermehrt festgestellt worden, so dass unter
Zugrundelegung dieses epidemiologischen Modells die für die Anerkennung einer Berufskrankheit geforderten Kriterien
nicht als erfüllt angesehen werden könnten. Auch bei Anwendung des Dosimetrie-Modells von Jacobi könne mit einer
Verursachungswahrscheinlichkeit von nur knapp 10 % die haftungsausfüllende Kausalität als Voraussetzung für die
Anerkennung einer Berufskrankheit als nicht erfüllt angesehen werden.
Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der dem entgegenstehenden Bescheide durch Urteil vom 24.
November 1997 dem Grunde nach zur Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen einer BK-Nr. 2402 verurteilt.
Die bei dem Kläger eingetretenen Gesundheitsschäden eines Tonsillen- und eines Kehlkopf-Karzinoms seien
wahrscheinlich auf dessen berufsbedingte Exposition durch radioaktive Strahlung zurückzuführen. Er sei durch seine
Tätigkeit im Uranerzbergbau gegenüber der Allgemeinbevölkerung einer erhöhten Belastung durch radioaktive
Strahlung ausgesetzt gewesen. Anderweitige zumindest gleichwertige Risikofaktoren seien weder erwiesen noch
wahrscheinlich. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, wonach aufgrund der stattgehabten Strahlenbelastung
eine Verursachungswahrscheinlichkeit von wenigstens 50 % vorauszusetzen sei, teile das Gericht nicht. Eine auf
statistischer Grundlage ermittelte Verursachungswahrscheinlichkeit reiche nicht aus, die Zusammenhangsfrage
rechtlich zutreffend zu klären. Tatsächlich gebe es keinen medizinisch-wissenschaftlichen Schwellenwert, bis zu dem
radioaktive Strahlung als unschädlich angesehen werden könne. Mithin könne auch eine geringere Strahlendosis nicht
als Auslöser einer bösartigen Erkrankung ausgeschlossen werden. Auch das von der Beklagten herangezogene
Jacobi-Gutachten lasse insoweit eine sachgerechte Beurteilung nicht zu.
Gegen das am 29. Dezember 1997 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 27. Januar 1998.
Die bei dem Kläger auf der Grundlage des Jacobi II-Gutachtens gesicherten Expositionswerte beruhten auf dem
neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Es gebe in der medizinischen Wissenschaft darüber
hinaus keine verbindlichen Maßstäbe, die Ursachen einer Krebserkrankung eindeutig festzustellen, da hierfür eine
Vielzahl möglicher und noch unerforschter Ursachen in Betracht komme. Aufgrund von medizinischen
Untersuchungen könnten einzelne Krebserkrankungen nicht auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden. Es
gebe auch keine statistisch gesicherten Hinweise auf eine Häufung von Organkrebsen im Uranbergbau tätig
gewesener Bergleute im Vergleich zur Normalbevölkerung. Von daher scheide ein epidemiologischer Weg zur
Abschätzung des Krebsrisikos aus. Allein das Jacobi-Gutachten biete eine gesicherte Ermittlungsgrundlage. Sie habe
im Hinblick auf das ansonsten nicht haltbare Gutachten des Dr. R. eine Berechnung auf der Grundlage einer fiktiven
Expositionsvariante angestellt, bei der die Belastung nahe dem Sperrwertbereich liege. Dieser entspreche einer
10fachen Strahlenexposition der damaligen durchschnittlichen Belastungen im Bergbaubetrieb R ... Selbst hiernach
ergebe sich nach dem Berechnungsmodell Jacobi eine Verursachungswahrscheinlichkeit von lediglich 9,6 % bei einer
kumulativen Äquivalenzdosis von 2,12 Sv.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte setze sich nicht mit den Untersuchungsergebnissen
anderer anerkannter Wissenschaftler auseinander, die sich insbesondere in den - zur Akte gereichten - von der
Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. am 6. August 1998 veröffentlichten Detmolder Leitlinien zum Strahlenschutz“ zur
Frage der Ursächlichkeit bereits kleiner Dosen ionisierender Strahlen für Dauerschäden beim Menschen geäußert
hätten. Auch das Öko-Institut Darmstadt ziehe das Ergebnis der bei der SDAG W. durchgeführten Messmethoden in
Zweifel.
Der Senat hat im Zuge der von ihm durchgeführten weiteren Ermittlungen eine Auskunft der W. GmbH vom 3.
September 1998 mit diversen Anlagen (u.a. die Liste der Untertageschichten des Klägers) eingeholt sowie von der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in C. die dort lagernde, beim ehemaligen Betriebsambulatorium
R. über den Kläger geführte Gesundheitsakte beigezogen und die vom Kläger überreichten Studien, u.a. eine Kopie
der „Bremer Erklärung“ der Gesellschaft für Strahlenschutz vom Juni 2000 zur Gerichtsakte genommen. Außerdem
hat der Senat eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen Dr. R. vom 18. April 1999
eingeholt, das Jacobi-Gutachten II vom März 1995 über Risiko und Verursachungswahrscheinlichkeit von
extrapulmonalen Erkrankungen durch die berufliche Strahlenexposition von Beschäftigten der ehemaligen Wismut
AG“, das schriftliche Ergebnis des im Auftrage des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften von
der Beklagten durchgeführten Forschungsprojekts „Belastung durch ionisierende Strahlungen im Uranerzbergbau der
ehemaligen DDR“ (Forschungsbericht), den Berichtsband des HVBG über das BK-Forum vom 12. Februar 1998 in
Hennef zu dem Thema Extrapulmonale Krebserkrankungen Wismut“ sowie die von der Beklagten in Kopie
eingereichten Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2000 zu dem Aktenzeichen L 2 KN 28/96 U
und vom 17. Mai 2001 zum Aktenzeichen L 6 KN 26/00 U zur Gerichtsakte genommen. Des Weiteren hat der Senat
auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz -SGG- von dem Arzt für Nuklearmedizin und Professor an
der Universität M. Dr. K. ein Gutachten nach Aktenlage vom 18. September 2000 mit mehreren Anlagen und von
Amts wegen das Gutachten nach Aktenlage des Prof. Dr. W. , Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und
Sozialmedizin der Universität G. ,. eingeholt. Es liegen zudem eine weitere gut-achterliche Stellungnahme des Prof.
K. vom 21. Januar 2002 und des Prof. Dr. W. vom 21. Juni 2002, in der sie die Beurteilungen des jeweiligen anderen
Gutachters kontrovers diskutieren, eine Stellungnahme des TAD G. vom 21. November 2000 und das vom Kläger
überreichte Privatgutachten des Medizinphysikers und Strahlenexperten an der Charité B. Dr. R. vom 22. Januar 2002
vor.
Auf alle Unterlagen, insbesondere die Gutachten, die den Beteiligten bekannt sind, wird Bezug genommen. Verwiesen
wird außerdem auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten (3 Bände) und auf 2
Bände Verwaltungsakten der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht entschieden, dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Entschädigung wegen
der Folgen nach Radikaloperation eines Tonsillen-Karzinoms, der postoperativen Bestrahlung und nach
laserchirurgischer Abtragung eines Larynxtumors der rechten Stimmlippe unter Anerkennung dieser Erkrankungen als
BK-Nr. 2402 hat. Es lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Tumore, an denen
der Kläger erkrankte, Folgen einer Berufskrankheit sind.
Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 22. April und 14. Oktober 1996 in der Gestalt der
Widerspruchsbescheide vom 19. September 1996 und 7. Juli 1997, mit denen sie dem Kläger eine Anerkennung der
Krebserkrankungen als Berufskrankheit versagt hat.
Der Anspruch des Klägers richtet sich gemäß § 212 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch noch nach den Vorschriften
der Reichsversicherungsordnung -RVO-, denn er hat die erstmalige Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit
im Oktober 1993 beantragt.
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der ihm
folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere bei Vorliegen einer MdE um wenigstens 20 v.H. Verletztenrente in
der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Als Arbeitsunfall gilt gemäß §
551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539,
540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Eine solche Bezeichnung nimmt
die BKVO mit den sogenannten Listenkrankheiten vor. Hierzu gehören nach Nr. 2402 auch Erkrankungen durch
ionisierende Strahlen.
Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit
und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden
Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die
Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art
und Ausmaß im Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen
werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der
auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die
(hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. zuletzt BSG SozR 3-2200 §
551 Nr. 16 m.w.N.; Brackmann/Krasney, SGB VII, § 9 RdNrn. 22, 23 m.w.N.).
Der Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung oder der mitwirkenden Ursache besagt, dass von den Ursachen im
naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, also den Bedingungen, die nicht hinweg gedacht werden können, ohne
dass der Erfolg entfiele, diejenigen berücksichtigt werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu
dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSGE 54/184, 185 m.w.N.).
Der hier streitige BK-Tatbestand der Nr. 2402 definiert allein die gefährliche Einwirkung (durch ionisierende Strahlen),
nicht jedoch, welches Krankheitsbild typisch ist. Bei der notwendigen Konkretisierung des unter Nr. 2402 genannten
unbestimmten Begriffs „Krankheiten“ genügt es nicht, auf diejenigen medizinischen Erkenntnisse zurückzugreifen, die
den Verordnungsgeber zur Aufnahme der Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten bewogen haben. Es ist vielmehr
unter Zuhilfenahme medizinischer Sachkunde zu prüfen, welche Erkrankungen nach den neuesten gesicherten
medizinischen Erkenntnissen Folge ionisierender Strahlungen sein können. In dem vom Bundesminister für Arbeit
herausgegebenen Merkblatt zur Listennummer 2402 (BABl 1991/72) werden unter Abschnitt E.Strahlenspätschäden“
neben der Leukämie auch „andere maligne Tumoren“ genannten. In Anhang 2 des Merkblattes wird dann die
Strahlenempfindlichkeit einzelner Organe und Gewebe im Hinblick auf die Verursachung maligner Erkrankungen“
angesprochen. Der bei dem Kläger betroffene Mund- und Rachenraum sowie der Kehlkopf finden darin keine
Erwähnung. Während die Beklagte wegen des Fehlens einschlägiger epidemiologischer Erkenntnisse eine
Verursachungswahrscheinlichkeit von Rachenraum- und Kehlkopftumoren durch ionisierende Strahlen nunmehr
grundsätzlich in Zweifel zieht („generelle Nichtgeeignetheit“), weist Jacobi in seinem 2. Gutachten (S. 31, 32 ebendort)
zwar auf Unsicherheiten der Dosisabschätzung in diesem Bereich hin, schließt jedoch einen Ursachenzusammenhang
nicht generell aus. Das entnimmt der Senat seinen Referenzwerten für Mund-, Rachen-, Kehlkopftumoren (s. Tabelle
4-4 zum Jacobi-II-Gutachten), die er nach Vorliegen des Forschungsberichts korrigiert hat (vgl. HVBG-Info 5.2001,
426, 428). Die Geeignetheit ionisierender Strahlen für die Krebserkrankungen des Klägers wird auch von Dr. R. und
Prof. Dr. W. in ihren Gutachten nicht angezweifelt. Mit ihnen geht auch der Senat davon aus, dass es nicht
ausgeschlossen ist, Rachenraum- und Kehlkopfkrebs auf die Einwirkung ionisierender Strahlen zurückzuführen.
Die Beklagte hat die medizinische Problematik dahinstehen lassen und die Ansprüche des Klägers auf Anerkennung
der bei ihm festgestellten Karzinome an der individuellen Verursachungswahrscheinlichkeit scheitern lassen, die sie
anhand der geschätzten Exposition des Klägers und des Risikos unter Beachtung der Dosis-Wirkung-Beziehung
errechnet hat. Konkrete Vorgaben, welche Maßstäbe insoweit anzulegen sind, finden sich in dem Merkblatt zur BK-Nr.
2402 nicht. Die Beklagte entnimmt diese vielmehr den Jacobi-Gutachten, die der Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften im Einvernehmen mit der Beklagten und dem Institut für Strahlenschutz zur Erarbeitung
verbindlicher Maßstäbe in Auftrag gegeben hat. Deren Autoren haben in der Praxis anwendbare standardisierte
Modelle für die Verwaltungen entwickelt, die auf der Grundlage der bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellt
worden sind. Der Stand der Diskussion über die Verwertbarkeit und die Akzeptanz des Jacobi-II-Gutachtens ergibt
sich aus dem von der Beklagten zur Gerichtsakte überreichten Berichtsband über das BK-Forum am 12. Februar 1998
in Hennef.
Wegen der in diesem Gutachten zum Ausdruck gebrachten Zweifel zum Ausmaß des tatsächlichen Risikos und der
Verursachungswahrscheinlichkeit extrapulmonaler Erkrankungen hat der Hauptverband der Berufsgenossenschaften
im Rundschreiben VB 42/99 vom 11. März 1999 empfohlen, entsprechend den im Jacobi-Gutachten - II und III
entwickelten Berechnungsmodellen - im Sinne eines antezipierten Sachverständigengutachtens - eine
Verursachungswahrscheinlichkeit von 50 % vorauszusetzen. Dieser Empfehlung ist die Beklagte mit der dann im
Berufungsverfahren korrigierten Berechnung gefolgt (vgl. Stellungnahme des TAD Gera vom 21. November 2000),
wonach bei dem Kläger lediglich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 1 % festgestellt werden konnte. Die
Beklagte hat hierbei wie auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. in seinem Gutachten auflagengemäß die
vom Senat bei der W. -GmbH ermittelten, in deren Schreiben vom 3. September 1998 mitgeteilten Arbeitsbedingungen
des Klägers - ausgehend von 215 verfahrenen Untertageschichten - beachtet. Der Senat hat die Auskünfte der W. -
GmbH seiner Fragestellung an die Sachverständigen dieses Rechtsstreits deshalb zugrunde gelegt, weil sie ihn in
ihrem durch diverse Untersuchungsergebnisse untermauerten Wahrheitsgehalt eher überzeugen als die eigenen
Angaben des Klägers zum Umfang der Strahlenexposition während seiner bergmännischen Tätigkeit gegenüber Dr. R
... Danach fanden zu der Zeit, als der Kläger seinen Beruf als Hauer erlernt und ausgeübt hatte,
Sicherungsmaßnahmen statt, die weit über die früherer Jahre hinausgingen.
Außerdem wurden ab 1955 Messungen der Radon-Konzentration und Gamma-Dosierung unter und über Tage
durchgeführt, die ab den Jahren 1964, 1967 auch für das Objekt 90 (Bergbaubetrieb Reust) durch die Werte der
potentiellen Alphaenergie-Konzentration der kurzlebigen Radonfolgeprodukte ergänzt wurden. Bei allen Angaben
handelt es sich um bestmögliche Schätzwerte, die dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Schreibens vom 3.
September 1998 entsprachen. Diese berücksichtigen u.a. den Wichtungsfaktor der jeweiligen Berufsgruppe und die
verschiedenartigen u.a. durch Aufenthalt im Abbau, im Vortrieb und in der Ausrichtung, Aufenthalt in Frisch- oder
Abwettern, Umgang mit dem Uranerz, Aufenthalt in Bereichen mit hoher Staubbelastung, Arbeitsschwere und das
damit verbundene unterschiedliche Atemvolumen bestimmten Expositionsbedingungen. Unter Auswertung der hieraus
herzuleitenden Grunddaten des Klägers kam die W. -GmbH in einer nach dem Jacobi-Gutachten-II am 26. Juni 1997
erstellten Expositionsberechnung zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 3,8 %, die sich nach dem späteren
Kenntnisstand um die Hälfte auf 1,9 % verringerte. Zu diesem Ergebnis ist auch der vom Gericht zum
Sachverständigen ernannte Prof. Dr. W. in seinem Gutachten vom 15. November 2001 gelangt, der auflagengemäß
die Erkenntnisse der W. -GmbH und das von ihm akzeptierte Berechnungsmodell des Jacobi-II-Gutachtens zugrunde
gelegt hat. Prof. Dr. W. ist Vorsitzender der Sektion Berufskrankheiten des ärztlichen Sachverständigenbeirats bei
dem BMA und u.a. als Teilnehmer des Berufskrankheiten-Forums „extrapulomale Erkrankungen W. “ am 12. Februar
1998 in Hennef und als Autor diverser Aufsätze zur Anerkennung von Berufskrankheiten (u.a. „Die MdE bei
berufsbedingten Krebserkrankungen, insbesondere bei Lungen- und Kehlkopfkrebs“, in Der medizinische
Sachverständige, 2001, S. 66-69) mit der einschlägigen Problematik gut vertraut. Der Sachverständige hält aufgrund
seiner arbeitsmedizinischen Kenntnisse die von der W. -GmbH durchgeführten Berechnungen für nachvollziehbar. Er
verweist insbesondere darauf, dass der Kläger unter deutlich verbesserten Arbeitsschutzmaßnahmen, erheblich
verminderter Strahlenbelastung und mit einer relativ kurzen Arbeitszeit von 23 Monaten gearbeitet habe. Außerdem
kenne er keine zur retrospektiven Einschätzung der Strahlenexposition besser erforschte Datenlage für frühere W. -
Beschäftigte. Den Senat überzeugen seine Darlegungen, zumal auch Prof. Dr. A. im Gutachten vom 12. November
1997 und Prof. Dr. Sch. im Gutachten vom 29. April 1997, deren Erkenntnisse das Gericht im Wege der freien
Beweiswürdigung nach § 128 SGG bei seiner Entscheidungsfindung herangezogen hat, mit Prof. Dr. W. im Ergebnis
übereinstimmen. Die Ausführungen des Prof. Dr. Arndt zur mutmaßlichen Strahlenexposition des Klägers überzeugten
auch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. in seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom
18. April 1999. Er ist mit dieser von der im Gutachten vom 12. August 1997 vertretenen Auffassung einer
überwiegenden Verursachungswahrscheinlichkeit abgerückt, weil ihn die Erkenntnisse aus den nach
Gutachtenerstellung zu den Akten gelangten individuellen Unterlagen davon überzeugten, dass er seinerzeit von einer
zu hohen Belastung des Klägers ausgegangen war.
Nicht zu folgen vermag der Senat demgegenüber dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 18.
September 2000 und dem Privatgutachten des Dr. R. vom 22. Januar 2002. Beide durch strahlenmedizinische
Erkenntnisse geprägten Gutachter gehen von einer anderen Bewertung der mutmaßlichen Strahlenbelastung des
Klägers in seiner beruflichen Tätigkeit bei der Wismut-AG aus, ohne die Fragestellung des Gerichts in seiner
Beweisanordnung zu beachten. Es hatte bei der Formulierung seiner Fragen die Auskünfte der W. -GmbH im
Schreiben vom 3. September 1998 zur beruflichen Exposition des Klägers zugrunde gelegt. Dr. R. , erwähnt in seiner
vierseitigen Expertise weder die Erkenntnisse der Jacobi-Gutachten zur Strahlenexposition der früheren W. -
Beschäftigten, noch setzt er sich hiermit auseinander. Er verwendet zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der
Verursachung der Krebserkrankung des Klägers aufgrund seiner Tätigkeit bei der W. -AG, die er mit einem
Wahrscheinlichkeitsfaktor von 53,2 % errechnete, eine Formel, die folgt man den Angaben des Prof. Dr. K. in seiner
vom Kläger am 24. Juli 2002 eingereichten Stellungnahme vom 16. Juli 2002, zwar die Berechnung der
Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs betrifft, für die hier streitigen Krebserkrankungen jedoch nicht
einschlägig ist.
Den Senat konnte auch das Gutachten des Strahlensachverständigen Prof. Dr. K. , der dem Kläger ein
ungewöhnliches Ausmaß einer beruflichen Strahlenbelastung und eine mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit
hierauf beruhende Krebserkrankung bescheinigte, nicht überzeugen. Sein Gutachten leidet zum einen daran, dass er
sich über die in der Beweisanordnung des Gerichts (Frage 1) gegebene Auflage hinweggesetzt hat, die in dem
Schreiben der W. -GmbH vom 3. September 1998 dem Gericht mitgeteilten Daten der mutmaßlichen
Belastungsintensität des Klägers zur Grundlage seiner Beurteilung zu machen. Er berechnet dessen
Strahlenbelastung nach anderen Maßstäben, indem er Hochrechnungen vornimmt, die jedenfalls nicht auf einer
allseitig anerkannten wissenschaftlichen Grundlage basieren und von den beteiligten Fachkreisen überwiegend
zumindest akzeptiert werden (vgl. BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Außerdem wirft er allen Vorgutachtern eine
unkritische Übernahme des Berechnungsmodells Jacobi-II vor, das die Strahlenbelastung - nach seiner Auffassung -
niedriger berechne, als das nach dem Stand der Wissenschaft resultiere (vgl. Seite 32 seines Gutachtens). Der Senat
vermag seinem Gutachten nicht zu entnehmen, dass er seine Erkenntnisse auf das Ergebnis epidemiologischer
Studien zurückführt, die weitergehender, konkreter und für die Verwaltungspraxis der Berufsgenossenschaften
geeigneter sind, als die in den Jacobi-Gutachten berücksichtigten Studien und Erkenntnisse zur Auswirkung der
Strahlenintensität der bei der früheren SDAG W. -Beschäftigten. Diese Auffassung teilt auch der gerichtliche
Sachverständige Prof. Dr. W. , wenn er erklärt, dass ihm keine besser erforschte Datenlage als in den Jacobi-II und
III-Studien bekannt sei.
Der Senat verkennt jedoch nicht, dass jedenfalls aus nuklearmedizinischer Sicht die Meinungsbildung zur Frage der
Entstehungswahrscheinlichkeit von Krebserkrankungen durch den Einfluss ionisierender Strahlen im Rahmen früherer
Beschäftigungen bei der SDAG W. nach wie vor nicht abgeschlossen zu sein scheint. Stellvertretend für seinen
Eindruck steht u.a. die Bearbeitungsempfehlung des HVBG vom 8. Februar 2001 in HVBG-Info 5/2001, S. 424, die
auf einer in dem Rundschreiben angesprochenen veränderten Datenlage aufgrund des im Dezember 1998
abgeschlossenen Forschungsberichts über die Strahlenbelastung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR beruht.
Hiernach kann im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht von einer allseitig anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnismethode über die Auswirkungen früherer Strahlenbelastungen ausgegangen werden, denn diese Studie, die
die damit ermittelten Expositionen mit den Erkenntnissen der Jacobi-Gutachten verknüpft, hat zur Empfehlung einer
anderen Berechnung der Strahlenbelastung der Lunge geführt und auch für die hier streitigen Krebserkrankungen einen
anderen Referenzwert vorgeschlagen.
Bei dieser Sachlage sind auch dem Senat Grenzen gesetzt, die Ursachen der Krebserkrankungen des Klägers
zuverlässig zu ermitteln. Er macht sich deshalb aus Gründen der Praktikabilität und weil nur so eine
Gleichbehandlung aller Versicherten gewährleistet ist, die auf der Grundlage der Jacobi-Gutachten erarbeiteten
Empfehlungen des HVBG zu Eigen. Er folgt deshalb auch den Berechnungen im Gutachten des gerichtlichen
Sachverständigen Prof. Dr. W. , wonach es bei einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 1,8 % gegenwärtig nicht
überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich die Krebserkrankungen des Klägers ursächlich auf dessen frühere
Beschäftigung im Uranerzbergbau der früheren DDR zurückführen lassen.
Der Senat konnte es deshalb hier dahinstehen lassen, welchen Einfluss auf sein Erkrankungsbild der frühere
Nikotinabusus des Klägers und ein im Bericht der Ch. vom 15. Oktober 1992 erwähnter Alkoholmissbrauch haben
könnten. Das Urteil des Sozialgerichts konnte keinen Bestand haben, es war aufzuheben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.