Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.12.2009
LSG Berlin-Brandenburg: rente, innere medizin, krankengeld, erwerbsfähigkeit, rehabilitation, arbeitsunfähigkeit, arbeitsfähigkeit, beschränkung, versicherter, rechtsschutz
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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 R 27/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 116 SGB 6
Umdeutung des Rehabilitationsantrags in einen Antrag auf
Erwerbsminderungsrente
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15.
Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens
nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung
für die Zeit vom 01. Juni 2008 bis 31. März 2009.
Der 1964 geborene Kläger, der zuletzt bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 06.
November 2007 wegen dilatativer Kardiomyopathie bzw. eines Zustandes nach
Virusmyokarditis, weswegen ihm bis zum 31. Mai 2008 Krankengeld gewährt wurde, im
erlernten Beruf als Fleischer beschäftigt war, stellte am 15. November 2007 einen
Antrag auf Anschlussrehabilitation, die vom 05. Dezember 2007 bis 14. Januar 2008
stationär durchgeführt wurde.
Nachdem die AOK Berlin, eine der Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen (nachfolgend
ebenfalls Beigeladene genannt), die Beklagte gebeten hatte zu prüfen, ob der Antrag
auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in einen Rentenantrag umzudeuten sei,
und dazu mitgeteilt hatte, dass nach Beurteilung des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet sei, so
dass der Rehabilitations- oder Rentenbeginn von diesem nicht hinausgeschoben werden
dürfe, verfügte die Beklagte aufgrund des Entlassungsberichtes der V GmbH vom 17.
Januar 2008 mit Bescheid vom 02. April 2008, dass der Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe vom 15. November 2007 nach § 116 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)
als Rentenantrag gilt, weil es nicht gelungen sei, die Erwerbsfähigkeit durch die
Rehabilitationsleistung vollständig wieder herzustellen; der Kläger sei bis 31. März 2009
voll erwerbsgemindert. Sie fügte einen Rentenantragsvordruck mit der Bitte bei, diesen
ausgefüllt und unterschrieben herzureichen, wenn der Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe als Rentenantrag weiterbearbeitet werden solle.
Daraufhin reichte der Kläger am 21. April 2008 unter Hinweis darauf, dass eine
entsprechende Aufforderung der Krankenkasse zugrunde liege, den Formantrag auf
Rente wegen Erwerbsminderung ein. Die Beklagte zog das MDK-Gutachten der Ärztin R
vom 10. März 2008 nebst Echokardiografie-Bericht vom 26. Februar 2008 bei.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2008 bewilligte die Beklagte Rente wegen voller
Erwerbsminderung vom 01. Juni 2008 bis 31. März 2009 nach einem am 06. November
2007 eingetretenen Leistungsfall.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, nie Rente
beantragt zu haben. Die Arbeitsunfähigkeit dauere an. Es bestehe aber noch eine
positive Prognose für die gesundheitliche Entwicklung. Die Voraussetzungen für eine
Umdeutung eines Reha-Antrages seien nicht erfüllt. Nach dem Entlassungsbericht
bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten.
Auf den am 07. Januar 2009 gestellten Antrag auf Weiterzahlung der Rente gewährte die
Beklagte nach Einholung ärztlicher Unterlagen und des Gutachtens der Ärztin für Innere
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Beklagte nach Einholung ärztlicher Unterlagen und des Gutachtens der Ärztin für Innere
Medizin und Sozialmedizin Dr. F- vom 11. März 2009 mit Bescheid vom 13. März 2009
Rente wegen voller Erwerbsminderung weiter bis zum 31. März 2011.
Mit dem am 16. April 2009 zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid vom 15. April
2009, der Bevollmächtigten des Klägers am 20. April 2009 zugegangen, verwarf die
Beklagte den Widerspruch als unzulässig: Der Bescheid vom 13. Mai 2008 sei auf den
am 21. April 2008 gestellten Formantrag auf Gewährung einer Rente wegen
Erwerbsminderung antragsgemäß ergangen, so dass es an einem berechtigten
Interesse an einer Überprüfung fehle. Sie wies außerdem darauf hin, dass der Bescheid
vom 13. März 2009 entgegen des dortigen Hinweises nicht nach § 86
Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sei,
weil damit der Bescheid vom 13. Mai 2008 nicht abgeändert worden sei.
Dagegen hat der Kläger am 20. Mai 2009 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, die
nicht begründet worden ist.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 15.
Dezember 2009 die Klage abgewiesen: Die Klage sei unzulässig, denn ihr fehle das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Jede Rechtsverfolgung setze ein
Rechtsschutzbedürfnis voraus. Dieses fehle, wenn unzweifelhaft sei, dass die begehrte
gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht
verbessern würde. Zur Begründung eines solchen Rechtschutzbedürfnisses genüge eine
etwaige pekuniäre oder ideelle Beschwer nicht. Der Kläger müsse vielmehr eine
rechtliche Beschwer geltend machen, die sich aus dem Unterschied zwischen seinem
Antrag und dem, was ihm zugesprochen worden sei, ergebe. Ein solches
Rechtsschutzbedürfnis könne dem Kläger nicht zugesprochen werden. Er habe am 21.
April 2008 einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente gestellt und diesen
eigenhändig unterschrieben. Die Gewährung der Rente durch die Beklagte könne ihn
folglich nicht beschweren.
Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 22. Dezember 2009 zugestellten
Gerichtsbescheid richtet sich die am 11. Januar 2010 eingelegte Berufung.
Der Kläger trägt vor: Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Entgegen der Auffassung der
Beklagten habe zum Zeitpunkt der zuerkannten Rente noch die Aussicht auf
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bestanden. Er sei daher seit 06. November 2007
arbeitsunfähig, aber noch nicht erwerbsunfähig gewesen. Sein Rechtsschutzbedürfnis
resultiere aus der monatlichen Entgeltdifferenz zwischen Krankengeld und Rente.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2009 und den
Bescheid vom 13. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April
2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie hält die Berufung für unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen
Verwaltungsakten (Reha- und Rentenakte) der Beklagten (), der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist mangels
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Ein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne einer Beschwer ist gegeben, wenn die angefochtene
Entscheidung dem den Rechtsbehelf oder das Rechtsmittel Einlegenden etwas versagt
hat, was er beantragt hat, wenn also ein nachteiliger Unterschied zwischen seinem
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hat, was er beantragt hat, wenn also ein nachteiliger Unterschied zwischen seinem
Begehren und der angefochtenen Entscheidung besteht. Ist dem Begehren in vollem
Umfang stattgegeben worden, fehlt es an einer Beschwer, so dass es der
Inanspruchnahme des Gerichts zur Gewährung von Rechtsschutz nicht bedarf
(Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 04. November 2009 – 18 K 551/09, zitiert
nach juris; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - Beschluss vom 18. Februar 2002 – 3 B
149/01, abgedruckt in NJW 2002, 2122; BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1964 – V B
83.62, abgedruckt in BVerwGE 17, 352).
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, wird der Kläger durch die Bewilligung
von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Juni 2008 bis 31. März 2009 nicht
beschwert, denn damit wurde seinem Antrag entsprochen. Soweit der Kläger sein
Rechtsschutzbedürfnis aus der monatlichen Entgeltdifferenz zwischen Krankengeld und
Rente herleitet, kommt es darauf nicht an, denn insoweit macht er eine für das
Rechtsschutzbedürfnis nicht genügende pekuniäre Beschwer, nicht aber eine
erforderliche rechtliche Beschwer geltend. Der Kläger stellte einen entsprechenden
Antrag.
Nach § 116 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI gilt: Der Antrag auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben gilt als Antrag auf Rente, wenn
Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie
die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben.
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann dahinstehen, denn mit bestandskräftig
gewordenem Bescheid vom 02. April 2008 verfügte die Beklagte, dass der Antrag auf
Leistungen zur Teilhabe vom 15. November 2007 als Antrag auf Rente wegen
Erwerbsminderung gilt. Diesem Antrag gemäß bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom
13. Mai 2008 nach einem am 06. November 2007 eingetretenen Leistungsfall Rente
wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Juni 2008 bis 31. März 2009.
Dies entsprach ersichtlich dem damaligen Interesse des Klägers. Dem Hinweis im
Bescheid vom 02. April 2008 folgend, reichte er nämlich am 21. April 2008 den
Formantrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ein. Dies geschah auch vor dem
Hintergrund, dass, wie in diesem Formantrag mitgeteilt, der Rentenantragstellung eine
Aufforderung der Beigeladenen zugrunde lag.
Unerheblich ist, ob und in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger die Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu Recht oder zu Unrecht gewährte, weswegen dem Antrag des
Klägers auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG nicht zu entsprechen ist. Auch
mit einer ganz oder teilweise rechtswidrigen Bewilligung einer solchen Rente wird nämlich
dem gestellten Antrag in vollem Umfang entsprochen. Weder hat der Kläger seinen
Antrag ausdrücklich beschränkt, noch ergibt sich eine solche Beschränkung aus seinem
Antrag oder sonstigen Umständen im Wege einer entsprechenden Auslegung. Dafür
fehlen jegliche Anhaltspunkte. Der Kläger mag zwar gewisse Vorstellungen zum
Krankengeld und zur Rente gehabt haben. Sofern dies der Fall war, wurden diese jedoch
nicht gegenüber der Beklagten entäußert. Sollte sich der Kläger über die weiteren
Rechtsfolgen seines Antrages in Bezug auf das Krankengeld geirrt oder diese nicht
erkannt haben, wäre dies als bloßer Rechtsfolgenirrtum entsprechend den Regelungen
des § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unbeachtlich. Nach alledem lässt sich somit
nicht feststellen, dass die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung ganz oder
teilweise über den Antrag des Klägers hinausgehend, ihn insoweit also belastend,
bewilligte.
Im Hinblick auf den Bescheid vom 02. April 2008 kann dahinstehen, ob der
Rehabilitationsantrag vom 15. November 2007 nicht ohnehin von vornherein zugleich
das Ersuchen um Rentengewährung beinhaltet, weil ein Versicherter mit einem solchen
Antrag alle Maßnahmen und Leistungen ausschöpfen will, durch die seine herabgesetzte
Leistungsfähigkeit wiederhergestellt oder mit denen er finanziell entschädigt werden
kann (so BSG, Urteil vom 10. Oktober 1979 – 3 RK 25/79, abgedruckt in SozR 2200 §
1241 d Nr. 1 = BSGE 49, 71).
Ebenso kann offen bleiben, ob, wie vom Sozialgericht angenommen, im am 21. April
2008 eingegangenen Formantrag ein weiterer wirksamer Rentenantrag zu sehen ist.
Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des
Rechtsstreits.
33 Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 SGG) nicht vorliegen.
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