Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.12.2002
LSG Berlin und Brandenburg: diabetes mellitus, behinderung, rehabilitation, gefahr, hauptsache, gesundheit, ermessen, aufteilung, therapie, dringlichkeit
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 05.12.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 72 KR 1630/02 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 B 148/02 KR ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2002 wird
zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zurückgewiesen, denn die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
sind nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat weder die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches noch diejenigen
eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen des im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Anordnungsanspruches auf Gewährung
stationärer medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen sind in § 40 Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V)
geregelt. Reicht hiernach weder eine ambulante Krankenbehandlung noch eine ambulante Rehabilitationsleistung aus,
um die in § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, so kann die Krankenkasse stationäre Rehabilitation
mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen. Nach § 11 Abs. 2 SGB V haben
Versicherte auch Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung
oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten
oder ihre Folgen zu mindern. Diese Voraussetzungen sind vorliegend zwar dem Grunde nach erfüllt. Denn die
vorliegend streitbefangene Behandlungsform ist im Grundsatz notwendig, um eine Behinderung der Antragstellerin
abzuwenden. Eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift ist dann gegeben, wenn ein regelwidriger Körper- oder
Geisteszustand vorliegt, der zu Funktionsbeeinträchtigungen führt (vgl. Wagner in Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung, § 11 SGB V, Rdnr. 4). Bei der Antragstellerin liegen derzeit bereits regelwidrige Körperzustände
vor, denn ihre Fettleibigkeit (Adipositas) führt zu einer Steigerung des Körpergewichts um mehr als 100 %, gemessen
am Normalzustand; daneben liegen eine Fettleber, eine beginnende Gicht sowie psychosomatische
Folgeerscheinungen vor. Diese können mit Wahrscheinlichkeit in Zukunft auch zu einer Behinderung im vorgenannten
Sinne führen, denn es besteht die Gefahr des Eintritts eines Diabetes mellitus höheren Grades mit dazugehörigen
erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen.
Hieraus folgt jedoch kein Anspruch der Antragstellerin auf eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme mit der geltend
gemachten Dauer, d.h. über die bereits bewilligten und durchgeführten sechs Wochen hinaus bis zu einer
Gesamtdauer von sechs Monaten. Gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 SGB V sollen u.a. Leistungen der stationären
Rehabilitation für längstens drei Wochen erbracht werden, es sei denn, eine Verlängerung der Leistung ist aus
gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich. Nach der vorliegend allein möglichen und gebotenen summarischen
Prüfung hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass vorliegend eine solche dringende Erforderlichkeit aus
gesundheitlichen Gründen besteht und damit das der Antragsgegnerin nach § 40 Abs. 3 SGB V zustehende
Ermessen auf Null reduziert ist. Zwar hat die Rehabilitationseinrichtung in mehreren Stellungnahmen, darunter einer
Stellungnahme des Leitenden Arztes Dr. S vom 4. September 2002, im Einzelnen ausgeführt, warum eine auf
sechsmonatige Dauer ausgelegte Langzeittherapie für Extremfälle, wie sie möglicherweise im Falle der Antragstellerin
gegeben sein könnten, sinnvoll ist. So entspreche etwa die Aufteilung der Langzeitbehandlung in drei Abschnitte zu
jeweils zwei Monaten dem zunehmenden Leistungsvermögen und Wissensstand der Patientin; eine erfolgreiche
Langzeittherapie würde längerfristig durch das Ausbleiben von weiteren Folgeerkrankungen und die Therapie der
bestehenden Folgeerkrankungen die finanziellen Belastungen der Krankenkassen eher reduzieren. Damit ist jedoch
nicht dargetan, dass das in § 40 Abs. 3 Satz 2 SGB V genannte dringende Erfordernis für gerade diese
Rehabilitationsleistung aus medizinischen Gründen besteht.
Allenfalls in einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht in der Hauptsache kann im Wege einer Sachverhaltsaufklärung
ermittelt werden, ob möglicherweise im Falle der Klägerin solche dringenden Gründe bestehen. Sie sind jedoch
gegenwärtig weder aus dem Vorbringen der Antragstellerin noch aus dem sonstigen Akteninhalt für den Senat
ersichtlich und damit auch nicht glaubhaft gemacht.
Darüber hinaus fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, denn das Verfahren besitzt nicht die von der Antragstellerin
geltend gemachte besondere Dringlichkeit. Es besteht zwar die Gefahr, dass mittel- oder langfristig bei der
Antragstellerin Folgeerkrankungen auftreten könnten, doch ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin ein Zuwarten
bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im bereits anhängigen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin
unzumutbar ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Langzeit-Rehabilitationsmaßnahme, sofern sie sich nach
eingehender Sachverhaltsprüfung als notwendig herausstellen sollte, auch zu einem späteren Zeitpunkt noch sinnvoll
durchgeführt und nachgeholt werden kann. Ebenso spricht nach bisherigem Erkenntnisstand alles dafür, dass auch
bei einer später durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme die von der Antragstellerin mittel- oder
langfristig befürchteten schweren und nachteiligen Folgen für ihre Gesundheit würden vermieden werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache
selbst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.